Synodalität – gestern und heute
„Synodalität“ ist eines der großen kirchlichen Schlagworte unserer Zeit. Manche verstehen darunter, dass in Fragen des Glaubens und der christlichen Lebensführung möglichst viele – am besten alle – mitreden dürfen. Andere wollen demokratische Mitbestimmung, wie sie vorgeblich in den Synoden der evangelischen Kirchen praktiziert wird. Wieder andere verstehen darunter einfach einen besseren Umgang miteinander „auf Augenhöhe“. Für andere wieder ist „Synodalität“ ein Placebo, um Proteste einzudämmen und zu beruhigen. Joachim Schmiedl ISch
Für alles lassen sich aus der Geschichte der Kirche Beispiele finden. Dass „alle“ beteiligt sind, zeigt der Bericht über die Nachwahl des Matthias zu den Aposteln. Von 120 „Brüdern“ ist da die Rede. Weniger scheinen es bereits bei der Streitfrage gewesen zu sein, ob die junge Christengemeinde die jüdischen Speisevorschriften übernehmen solle. Auf den Konzilien seit Nizäa blieb das Stimmrecht immer den Bischöfen und höheren Klerikern (vor allem Äbten) vorbehalten. Doch die Entscheidungen wurden vorbereitet von Theologen, die in den Kommissionen wirkten und stritten. Auf dem Konzil von Konstanz (1414-1418) hatten der deutsche König und die „Nationen“ die Weichen für eine Einigung der Christenheit gestellt und durchgesetzt. Die Reformen des Konzils von Trient (1545-1563) sind nicht denkbar ohne den politischen Druck, der von den katholischen Staaten ausgeübt wurde. Dieses Wechselspiel zwischen den internen Diskussionen und Entscheidungen eines Konzils und dem Druck der öffentlichen Meinung steigerte sich bei den beiden Vatikanischen Konzilien.
Das synodale Element jenseits der universalkirchlichen Konzilien war in der katholischen Kirche nie ganz verloren gegangen.
Das synodale Element jenseits der universalkirchlichen Konzilien war in der katholischen Kirche nie ganz verloren gegangen. Besonders in den romanischen Ländern Frankreich, Italien, Spanien und Lateinamerika gehörten Diözesan-, Regional- und Provinzialsynoden zu den regelmäßig benutzten Mitteln pastoraler Lenkung. Doch sowohl staatliche Einflussnahme wie zunehmender römischer Zentralismus führten dazu, dass Perioden intensiver synodaler Betätigung mit einem de facto Ausfall dieses Instruments abwechselten.
Ein neuer Vorstoß war mit der Promulgierung des Codex Iuris Canonici von 1917 gegeben, der ersten weltweit gültigen Festschreibung des geltenden Kirchenrechts. Nun sollte jede Diözese wenigstens alle zehn Jahre eine Diözesansynode abhalten. Teilnehmen daran konnten nur Kleriker, vor allem aus der Leitungsebene der Bistümer. In Deutschland wurden diese Synoden in den 1920er und 1930er Jahren regelmäßig abgehalten („gefeiert“), nach Unterbrechung durch Drittes Reich und Weltkrieg noch einmal danach. Das Zweite Vatikanische Konzil, die Würzburger Synode und die Neufassung des Kirchenrechts 1983 haben in Deutschland Diözesansynoden zu einer seltenen Veranstaltung werden lassen. Das gilt jedoch nicht auf weltkirchlicher Ebene, wie die Studien von Arnaud Join-Lambert zeigen, der seit 1965 über 1000 Diözesansynoden weltweit nachweisen konnte.
Joachim Schmiedl ISch
Dr. theol. habil., Prof. für Mittlere und Neue Kirchengeschichte an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar; 2017-2020 Vorsitzender des Katholisch-Theologischen Fakultätentags; Delegierter beim Gesprächsprozess „Im Heute glauben“ (2012-2015), der Trierer Diözesansynode und dem Synodalen Weg.
DER TEILNEHMERKREIS DER SYNODEN
An die Stelle von Synoden ist eine Stärkung der Bischofskonferenzen getreten. Doch deren Stellung im Rechtsgefüge der Kirche ist noch ungeklärt, vor allem in Bezug auf die verbindliche Verpflichtung eines Diözesanbischofs auf gemeinsam gefasste Beschlüsse.
Ebenfalls ungeklärt ist die Frage nach dem Teilnehmerkreis an Synoden und deren aktive und passive Mitbestimmung. Solange, wie noch in der Mitte des 19. Jahrhunderts in „Wetzer und Weltes Kirchenlexikon“, unter dem Stichwort „Laie“ der Verweis „s. Clerus“ genügte, konnte die Begrenzung des Teilnehmerkreises auf Bischöfe und Priester eine gewisse Plausibilität beanspruchen. Seit das Zweite Vatikanum in der Kirchenkonstitution Lumen gentium die gemeinsame Zugehörigkeit zum Volk Gottes durch Taufe und Firmung dem hierarchischen Amt der Kirche vorgeordnet hatte, erschien es immer weniger plausibel, wenn nur Bischöfe und Kleriker stimmberechtigte Teilnehmer an Synoden sein sollten. Die Nationalsynoden der 1960er und 1970er Jahre in den Niederlanden, der Schweiz, den beiden Deutschlands und Österreichs nutzten deshalb eine vacatio legis, um allen Mitgliedern der Synoden (Bischöfen, Priestern und Laien) Stimmrecht zu geben. Die Beschlüsse etwa der Würzburger Synode zeigen, dass dieses Miteinander von bischöflichem Lehramt und verantwortungsbewusster Erarbeitung von Beschlüssen in gemischt zusammengesetzten Kommissionen funktionierte.
Die nachfolgenden rechtlichen Regelungen im CIC von 1983 und der Instruktion zu den Diözesansynoden von 1996 waren freilich wieder restriktiver gestrickt. Die Mehrheit der Priester sollte gesichert bleiben. Die Folge war, dass das „Experiment Diözesansynode“ in Deutschland die Ausnahme blieb. Oder die Zahl der Teilnehmer musste so erhöht werden, dass die Laien zur Majorität wurden. Bei der Diözesansynode Trier 2013-2016 war das Verhältnis etwa 120 Kleriker zu 140 Laien. Dabei zeigte sich schnell, dass mögliche Spekulationen auf einen „Korpsgeist“ der Kleriker im 21. Jahrhundert obsolet geworden waren. „Fraktionen“ bilden sich heute an anderen Frontlinien.
KONTINENTALE BISCHOFSVERSAMMLUNGEN
Bedeutung in nachkonziliarer Zeit haben kontinentale Bischofsversammlungen bekommen. Der Episkopat Lateinamerikas und der Karibik trifft sich unregelmäßig, um über die Situation des Kontinents zu beraten. Die Versammlungen von Medellín (1968), Puebla (1979), Santo Domingo (1992) und Aparecida (2007) markieren wichtige Stationen der theologischen und pastoralen Selbstvergewisserung der katholischen Kirche. Stichworte wie die Theologie der Befreiung, die bevorzugte Option für die Armen, Neuevangelisierung der Kultur oder Jüngerschaft stehen für die Auseinandersetzung mit den Zeichen der Zeit. Jede Versammlung wurde auf kontinentaler Ebene bis in die Basisgemeinden hinein vorbereitet und dort auch rezipiert. Diese Versammlungen, obwohl sie reine Bischofsversammlungen unter Mitwirkung von Theologen, jedoch ohne repräsentative Laienbeteiligung sind, zeigen die Nachhaltigkeit synodalen Handelns.
DIE BISCHOFSSYNODEN
Noch vor der Verabschiedung des Bischofsdekrets Christus Dominus führte Papst Paul VI. die Bischofssynde ein. Den Konzilsvätern hatte eigentlich ein regelmäßig tagender Bischofsrat mit Entscheidungskompetenz vor Augen geschwebt. Der Papst band die Synode eng an seine primatiale Vollmacht und behielt sich die Bestimmung des Teilnehmerkreises, der Themen und Frequenz vor. So kam zwar kein Gremium zustande, das auf aktuelle und drängende Fragen eine exekutive Lösung erarbeiten konnte – was sich etwa in der unbefriedigenden Behandlung des priesterlichen Zölibats auf der Bischofssynode 1971 zeigte –, das aber durch die Wahl der Themen eine Steuerungsfunktion für die Weltkirche ausübte. Zentrale Themen wie die Evangelisierung, Katechese, Mission wirkten ebenso weiter wie die Synoden zum Bischofsamt, zum geweihten Leben, zu den Laien und zu den Familien. Unterschiedlich wahrgenommen wurden die Apostolischen Schreiben im Anschluss an die Synoden. Bis vor wenigen Jahren war wenig durchsichtig, wieviel davon Inhalt der Propositionen der Synoden selbst und wieviel nachträgliche Bearbeitung durch Papst und Kurie war. Die Bischofssynoden haben auch in methodischer Hinsicht einen Lernprozess durchgemacht. Das Grundanliegen, dass alle zu Wort kommen sollen, wurde ergänzt durch kleine Momente der freien Diskussion und durch die Arbeit in Sprachgruppen. Auf diese Weise ist der Prozess der Synoden transparenter geworden.
Längst sind es nicht mehr nur Synoden von Bischöfen. Ordensleute und Laien sind Berater und Mitglieder der Synoden. Ihnen ein satzungsgemäßes Stimmrecht zu geben, ist noch nicht bei allen Versammlungen selbstverständlich. Die Auseinandersetzung um das Stimmrecht für die Ordensfrauen bei der Amazonas-Synode ist ein Widerhall dieser fälligen Änderung der Geschäftsordnung.
SYNODALER WEG
Auf diesem Hintergrund beginnt der Synodale Weg der deutschen Kirche. Der Statutenstreit im Vorfeld war symptomatisch für die Entwicklung des synodalen Gedankens überhaupt. Denn warum und wozu sind Synoden eigentlich notwendig und nützlich? Genügen die seit dem Konzil gewachsenen Gremien der Mitverantwortung und Mitbestimmung nicht? Kirchenverwaltung und Pfarrgemeinderat, ebenso die Räte auf der Ebene der Dekanate (wo es sie noch gibt) und der Bistümer; hinzu kommen die verschiedenen Gremien der Verbände und Gemeinschaften. Reicht das nicht für ein demokratisches Miteinander in der Kirche? Braucht es dazu noch die Anstrengungen synodaler Beratung?
Die Kirche kann durch den Synodalen Weg ein Zeugnis geben, dass Demokratie auch in der Theologie möglich ist.
Es reicht eben nicht. Die Kirche kann durch den Synodalen Weg ein Zeugnis geben, dass Demokratie auch in der Theologie möglich ist. Auf dem Zweiten Vatikanum wurden wichtige theologische Weichenstellungen wie die Sakramentalität der Bischofsweihe oder die Einführung des Ständigen Diakonats auch durch Abstimmungen vorentschieden. Der Spielraum des Lehramts ist groß, wie bereits Pius XII. in der Apostolischen Konstitution Sacramentum Ordinis vom 30. November 1947 sagte: „[…] so wissen alle, dass die Kirche, was sie festgelegt hat, auch verändern und abschaffen kann.“ (DH 3858) Dass Veränderungen an der Zeit sind, hat die Amazonas-Synode gezeigt. Deren Abschlussdokument fordert zu einer vierfachen Bekehrung auf: pastoral, kulturell, ökologisch und synodal. Damit werden die Zusammenhänge zwischen der Umweltkatastrophe und den notwendigen Veränderungen in der Seelsorge angezeigt. Es ist nicht möglich, nur auf einen einzelnen Punkt der Reform zu schauen. Die Komplexität von Kirche und Gesellschaft erfordert ein neues Denken in Zusammenhängen. Das wird auch für den deutschen Synodalen Weg eine Perspektive sein: eine stärkere Vernetzung der Themen, einen Akzent auf der Inkulturation von Theologie und Pastoral in die Gesellschaft der entfalteten Moderne sowie die Fähigkeit zu echter synodaler Beratung und wagemutigen Schritten in die Zukunft. Aber vorerst sind alles nur Hoffnungen. Man darf gespannt sein auf die Umsetzung der Ideen – in Amazonien und im Synodalen Weg der deutschen Kirche.
Die Komplexität von Kirche und Gesellschaft erfordert ein neues Denken in Zusammenhängen.
Macht und Synodalität
Überlegungen zu einer Kirche der Zukunft
Die Gestalt der römisch-katholischen Kirche muss sich verändern. Dies gilt insbesondere für Entscheidungsfindungsstrukturen. Theologisch spricht nichts dagegen, dass sie dies tut: Sie müsste sich nur des Zeitgeistes vergangener Epochen entledigen und Synodalität statt Absolutismus praktizieren. Magnus Striet
Macht ist kein Begriff, der sich in einer Kirche allzu großer Beliebtheit erfreut, die sich als göttlich gestiftet versteht. Geht es nicht darum zu dienen, anstatt Macht auszuüben? Ist die Kirche nicht von Christus deshalb so verfügt worden, wie sie existiert, weil sie besser nicht hätte verfügt werden können? Sie mithin die beste aller nur möglichen Kirchen darstellt?
Ihrem – zumindest lehramtlich und jurisdiktionell praktizierten – Selbstverständnis nach ist die römisch-katholische Kirche kein soziales System wie andere soziale Systeme. Sie sieht sich in ihren Leitungs- und Entscheidungsstrukturen theologisch legitimiert. Dabei reicht der römische Durchgriffsanspruch bis in die letzten kirchlichen Winkel der Erde hinein. Insofern unterscheidet sie sich hinsichtlich ihrer eigenen Begründung grundlegend von demokratischen, nicht mehr religiös oder naturrechtlich basierten Systemen der Entscheidungsfindung, in denen diese diskursiv herbeigeführt und durch rechtliche Verfahren reguliert und legitimiert werden (Vgl. exemplarisch Luhmann, 144).
In ihrer real existierenden Form ist die katholische Kirche rein faktisch in ihren Vollzugs- und Entscheidungsstrukturen nicht mit einem System vergleichbar, in dem Entscheidungen diskursiv und durch Verfahren legitimiert ausgehandelt werden. In demokratischen Gesellschaften wird auf diese Weise verfahren, in der Kirche nicht. Hier entscheidet am Ende bis heute das Kriterium der Weihe in einer schroffen Weise, wer mitentscheiden darf und wer nicht. Man kann dies so kommentieren, dass dies in der Kirche ja auch gar nicht anders sein könne, weil Christus sie dann anders gewollt hätte. Man kann dies aber auch zutiefst bedauern, weil man anderer Auffassung ist und meint, dafür genuin theologische Gründe zu haben.
HALBHERZIGE SYNODALITÄT
Der nun in der deutschen Kirche eingeschlagene Synodale Weg wird mit diesem Problem konfrontiert werden. Denn ob die im Prozess beschlossenen Empfehlungen dann auch die notwendige festgelegte Zweidrittelmehrheit der deutschen Bischöfe finden, ist ungewiss, und erst recht, ob Empfehlungen irgendein Gehör oder gar eine wirksame Resonanz in Rom finden würden. In demokratischen Gesellschaften können politische Mehrheitsverhältnisse prinzipiell von jedem und jeder organisiert werden, solange dies im Rahmen der vorgesehenen Spielregeln verbleibt. In der katholischen Kirche ist dies nicht der Fall. Entsteht Regelungsbedarf, so entscheidet letztverbindlich der Papst, ja mehr noch: Er entscheidet auch, wo dieser Regelungsbedarf überhaupt besteht und wo nicht. Man kann diese Position als komfortabel beschreiben, jedenfalls für das Lehramt, oder aber auch als systemisch angelegte Überforderung.
Magnus Striet
Dr. theol. habil., Prof. für Fundamentaltheologie und Philosophische Anthropologie an der Universität Freiburg.
Ob nicht deutlich mehr auf der Ebene der Ortskirchen geregelt werden könnte, und dies auch schon nach geltendem Kirchenrecht, müssen die Kanonisten klären. Nicht wegzudiskutieren ist, dass Johannes Paul II. und Benedikt XVI. den Ortskirchen kaum einen Spielraum darin gelassen haben, auch eigene Entscheidungen herbeizuführen (Vgl. dazu, allerdings anders kritisch als die hier vorgelegten Überlegungen, Arrieta, 49-70, bes. 69f.). Und ich bin manchmal auch nicht ganz sicher, ob das Argument, diese oder jenen Fragen könnten nur weltkirchlich geregelt werden, sprich: durch ein Konzil und dann am Ende doch wieder durch den Papst, einem ähnlichen Denken entspringt. Das katholische Kirchensystem hat es nicht gerade gefördert, freimütig öffentlich zu denken, ‚ich‘ zu sagen, Kontroversen auszuhalten und darin nichts Verwerfliches zu sehen.
Aber auch nicht mehr zu übersehen ist, dass das System faktisch schon lange nicht mehr funktioniert. Dafür lassen sich x Gründe nennen. Die Aufdeckung von sexualisierter Gewalt und systemisch angelegte Vertuschungsgründe haben nicht nur die Glaubwürdigkeit der Kirche erschüttert, sondern auch nach de...