Deutschland trauert
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Trauerfeiern nach Großkatastrophen als gesellschaftliche Herausforderung

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Trauerfeiern nach Großkatastrophen als gesellschaftliche Herausforderung

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Über dieses Buch

In Deutschland wird nach großen Katastrophen der Toten zumeist in einer öffentlichen Feier gedacht. Sie verbindet religiöse und staatliche Trauerfeier. Die religiöse Feier wird dabei bisher als ökumenischer Gottesdienst gestaltet, welcher von den christlichen Kirchen vorbereitet wird. Daran sind immer wieder auch andere Religionsgemeinschaften, vor allem Juden und Muslime, beteiligt. Damit stellt sich die Frage nach Gestalt und Inhalt der Trauergottesdienste. Wie wird mit der Vielfalt der Religionen und Weltanschauungen in solchen Feiern umgegangen? Wie bringen sich die Kirchen ein? Was ist die Funktion ihrer Rituale in dieser Situation? Welche Bedeutung messen Öffentlichkeit und Staat den Trauerfeiern bei? Sollen solche Feiern zukünftig multi- oder interreligiös begangen werden?Die Beiträge des Bandes diskutieren diese Fragen im gemeinsamen Gespräch von Fachleuten aus Theologie, Rechts- und Sozialwissenschaften sowie verschiedenen Praxisfeldern.

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Information

Verlag
Echter
Jahr
2019
ISBN
9783429064334
Multireligiöse Feiern als Zukunftsperspektive?
Multireligiöse Feiern als Herausforderung für die Kirchen1
Winfried Haunerland
In seinen Überlegungen zur ritendiakonischen Herausforderung der Kirchen anlässlich von Großschadensereignissen resümiert Benedikt Kranemann: „[D]ie bisherige Form der Trauerfeiern als ökumenischer Gottesdienst hat sich sehr bewährt“2. Die gesellschaftliche Nachfrage nach solchen Feiern scheint dieses Urteil durchaus zu bestätigen. Dennoch enthält der Beitrag des Erfurter Fachkollegen selbst bereits Hinweise, dass diese Form des gottesdienstlichen Handelns in unserer Gesellschaft in eine Krise gekommen ist. Denn wie etwa die ökumenischen Feiern am 17. April 2015 in Köln (nach dem Absturz des Germanwings-Airbus) und am 31. Juli 2016 in München (nach dem Anschlag im Olympia-Einkaufszentrum) gezeigt haben, erwartet die religiös plurale Gesellschaft Deutschlands mit guten Gründen bei solchen Gelegenheiten eine Integration anderer Religionen, durch die – auch nach Einschätzung von Kranemann – „eine Unwucht in die Liturgie kam“3. Da begrüßt etwa der Domdekan in Köln ausdrücklich alle Anwesenden über die Grenzen der Religionen hinweg, was den Erzbischof aber nicht hindert, den Gottesdienst im Namen des dreifaltigen Gottes zu beginnen.4
Wie ist also christlich zu feiern, wenn die Gesellschaft gerade kein Interesse an den konfessionellen Grenzziehungen hat? Benedikt Kranemann ist ausdrücklich zuzustimmen, dass wir hier „eine breite Diskussion in Kirche und Gesellschaft“ brauchen, „die sich nicht gleich Denkverbote auflegen sollte“5. Die folgenden Thesen wollen dazu ein Beitrag sein.
These 1: Auch in der Gegenwart gibt es Erwartungen der Gesellschaft und der Vertreter des Staates an die Kirchen, weil diesen eine Kompetenz in der rituellen Kontingenzbewältigung zugesprochen wird. Dabei werden die Kirchen zunehmend nicht als konfessionelle Bekenntnisgemeinschaften wahrgenommen, die sich durch den Glauben an den dreifaltigen Gott von anderen Weltanschauungs- und Glaubensgemeinschaften unterscheiden. Vielmehr erfahren sich die Kirchen als religiöse Dienstleister, die gerade in Situationen, die die Gesellschaft gefährden und auseinanderbrechen lassen, einen Beitrag zum Zusammenhalt leisten sollen.
Die alte Säkularisierungsthese wird kaum mehr vertreten. Die Entwicklung zeigt, dass es auch in einer aufgeklärten Gesellschaft Fragen bzw. Erwartungen gibt, die nicht innerweltlich lösbar und in einem sehr weiten Sinn auf Transzendenz und religiöse Verarbeitung ausgerichtet sind. Dabei finden sich diese nicht nur im privaten Bereich, sondern – für manche vielleicht überraschend – auch bei bestimmten gesellschaftlichen Ereignissen, zu denen vor allem die sogenannten Großschadensereignisse gehören. Wo solche Großschadensereignisse nicht nur die konkret Beteiligten betreffen, sondern zu einer Verunsicherung der gesamten Gesellschaft führen, gibt es eine Erwartung, dass die Kirchen handeln können, wo innerweltlicher Trost und immanente Verarbeitungsstrategien an ein Ende kommen.
Den Kirchen wird in der aus geschichtlichen Gründen christlich geprägten Gesellschaft eine Ritenkompetenz zugesprochen. Dabei beinhaltet die hier vorausgesetzte Ritenkompetenz nicht nur die Kompetenz zur ästhetisch-dramaturgischen Gestaltung von Feiern und Ritualen, sondern auch die zumindest implizite Anerkenntnis, dass die Kirchen für Fragen der Kontingenzbewältigung zuständig und kompetent sind. Es wäre allerdings ein Trugschluss zu glauben, dass die religiösen Erwartungen der Gesellschaft eine Offenheit für das Evangelium Jesu Christi oder gar eine Zustimmung zum Glauben an den dreifaltigen Gott einschließen. Nicht der Ruf zu Umkehr und Entscheidung für den Glauben wird erwartet, sondern der Trost, der inmitten von Angst, Aggression und Verzweiflung Gemeinsamkeit und Zukunft möglich macht.
These 2: Wenn die Kirchen im öffentlichen Raum Gottesdienst feiern, müssen sie potentiell auch mit nichtchristlich geprägten Nutzern rechnen. Nicht alles, was theologisch richtig und möglich ist, ist dann unter rezeptionsästhetischen Gesichtspunkten gut. Die Kirche muss zwar gerade im Gottesdienst immer die Wahrheit sagen, aber sie muss nicht immer alles sagen. Dennoch besteht die Gefahr, dass die Kirchen bei der Auswahl aus legitimen Möglichkeiten gottesdienstlichen Handelns aus pastoralen Gründen auf mögliche nichtchristliche Rezipienten so Rücksicht nehmen, dass die Klarheit des kirchlichen Zeugnisses Schaden nimmt.
Wer Gottesdienst in der Öffentlichkeit feiert und diese Öffentlichkeit auch einladend wahrnimmt, muss sich fragen, wie heute theologisch verantwortet pluralitätssensibel christlicher Gottesdienst gefeiert werden kann. Dass diese Frage nicht etwas ganz Neues und Unerhörtes ist, belegt die Allgemeine Einführung in das Römische Messbuch, die im Blick auf die Auswahl der Texte für die Begräbnismesse die Seelsorger mahnt,
„auf jene besondere Rücksicht zu nehmen, die anlässlich eines Begräbnisses den liturgischen Feiern beiwohnen oder das Evangelium hören, ob es sich nun um Nichtkatholiken handelt oder um Katholiken, die an der Eucharistie nie oder fast nie teilnehmen oder sogar den Glauben verloren zu haben scheinen“6.
Während diese Mahnung noch relativ unspezifisch für die Situation sensibilisiert und keine klaren Kriterien benennt, gehen die deutschsprachigen Bischöfe in dem von ihnen approbierten liturgischen Buch „Die Feier der Trauung“ einen Schritt weiter. Für die Trauung eines Katholiken mit einem Nichtgetauften, der an Gott glaubt, empfiehlt die liturgische Agende ausdrücklich, die Schriftlesungen nach Möglichkeit so auszuwählen, „daß auch der nichtgetaufte Partner sie verstehen und annehmen kann. Bei jüdischen und muslimischen Partnern empfiehlt sich eine Lesung aus dem Alten Testament“7.
Mit dieser rubrikalen Vorgabe werden offensichtlich die Verstehensmöglichkeiten und Akzeptanzgrenzen von Nichtchristen ein Kriterium für die Gestaltung christlicher Gottesdienste. Dann aber sind dezidiert christliche Texte, die von Jesus als dem Christus sprechen, faktisch aus Rücksicht auf Nichtchristen ausgeschlossen. Es ist nur konsequent, wenn das liturgische Buch auf der gleichen Seite unmittelbar zuvor die christologische Mittlerformel beim Gebet in Klammern setzt. Sie kann ja kaum verstanden und angenommen werden.8 Das mag pastoral klug klingen. Aber es enthält die Gefahr, dass die Kirche das Bekenntnis zu ihrem Herrn aus Opportunitätsgründen verdunkelt. Was bewahrt pluralitätssensible Gestaltung vor weltanschaulicher Nivellierung?
These 3: In der religiös pluralen Gesellschaft haben die Kirchen ihr Monopol für religiöse Riten verloren. Damit verschwindet ein objektiver Grund, dass die Kirchen mangels anderer Möglichkeiten als religiöse Dienstleister für die Gesellschaft tätig werden müssen. Die Kirchen könnten dies als Chance nutzen, selbst nur eindeutig christliche Gottesdienste zu feiern und allen freizustellen, ob sie diesen beiwohnen wollen oder nicht. Staat und Gesellschaft könnten in eigener Verantwortung entscheiden, ob sie solche ökumenischen Gottesdienste in ihre Trauerkultur integrieren wollen oder nicht.
Ein unter diesem Gesichtspunkt angemessenes Beispiel dafür war der Gottesdienst, der in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche am 20. Dezember 2016, also am Tag nach dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt auf dem Breitscheidplatz, gefeiert wurde. Die evangelische Kirche war erkennbar Träger der Feier. Sie bestimmte, dass der katholische Erzbischof als christlicher Gast einen Text aus der Bibel, ein Wort der Auslegung und ein Gebet sprechen durfte, sie erlaubte aber den Angehörigen anderer Religionen nicht, Gebete zu sprechen, sondern nur, Aussagen zur Solidarität und Selbstverpflichtung vorzutragen.
Der Unterschied mag klein erscheinen und angesichts der Macht der Bilder von vielen nicht wahrgenommen worden sein. Aber indem keine religiösen Akte im engeren Sinn durch Vertreter anderer Religionen im christlichen Gottesdienst Platz fanden, wurde eine synkretistische „Unwucht“ vermieden. Vermutlich wird es auch in Zukunft Situationen geben, in denen solche dezidiert christlichen Gottesdienste sinnvoll und möglich sind. Im Blick auf ihr Selbstverständnis und ihren Auftrag müssen sich die christlichen Kirchen aber fragen, ob sie sich auf solche klaren Lösungen beschränken dürfen.
These 4: Weil solche christlichen Gottesdienste andere Religionen nicht gleichberechtigt integrieren können, genügen sie offensichtlich zunehmend nicht dem Wunsch nach Zusammenhalt und religionsübergreifendem Beistand. Das hat Konsequenzen für die Kirchen. Denn wenn die plurale Gesellschaft Erwartungen an die Religionen hat, dürfen die Kirchen sich aufgrund ihrer Sendung in die Welt diesen nicht kategorisch verschließen, sondern müssen Möglichkeiten interreligiöser Kooperation ausloten. Im Blick auf das Verhältnis von Staat und Kirche (bzw. Religionen) aber würden die Kirchen den Staat geradezu zur Kompetenzüberschreitung und zu religionsproduktivem Handeln drängen, wenn sie sich staatlichen und gesellschaftlichen Wünschen nach rituellem Handeln in religionsübergreifender Trägerschaft kategorisch verweigerten.
In der Bundesrepublik Deutschland gibt es keine Staatskirche (oder eine andere Staatsreligion), aber es gilt auch nicht das Modell der laizistischen Trennung von Kirche und Staat. Vielmehr gehören Religionen zum öffentlichen Leben, genießen einen Schutz des Staates, haben aber zugleich die Rechtshoheit des Staates zu achten. Auf dieser Basis gibt es vielfältige Formen der Kooperation, bei denen allerdings die jeweiligen Aufgaben und Rechte wechselweise akzeptiert werden müssen.
Weil die Bundesrepublik kein religiöser Staat mit einer Staatsreligion ist, kann es nicht Aufgabe des Staates sein, selbst religionsproduktiv zu sein. Wenn – wie bei Großschadensereignissen oder in anderen Situationen – ein gesellschaftlicher Religionsbedarf wahrgenommen wird, müssen sich die Religionen, also auch die verfassten Kirchen, dazu verhalten. Natürlich dürfen sie nicht vom Staat gezwungen werden, religiöse Riten gleichsam auf Bestellung und womöglich mit vorgegebenen Inhalten zu produzieren. Wenn die katholische Kirche auf der Linie der Pastoralkonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils Gaudium et spes eine pastorale Begleitung der Gesellschaft als Teil ihrer Sendung in die Welt anerkennt,9 dann muss sie sich die Frage stellen, ob dies auch in Gemeinschaft mit anderen Religionen und auch in rituellem Handeln möglich oder gar geboten ist.
Seelsorge als selbstlose Wegbegleitung unterscheidet sich von einer missionarischen Verkündigung des Evangeliums, auch wenn die Übergänge fließend sein können. Eine solche diakonische Wegbegleitung ist aber nicht nur ein möglicher Dienst an Einzelnen, sondern kann sich auch auf Gruppen, Teile der Gesellschaft oder auch die Gesellschaft insgesamt beziehen.
These 5: Da die christlichen Kirchen die Religionsgemeinschaften mit der größten Tradition und Verbreitung in Deutschland sind, kommt ihnen eine besondere Verantwortung in der Moderation und Organisation religionsübergreifenden Handelns zu. So stehen die Kirchen vor der Herausforderung, multireligiöse Feiern zu ermöglichen, die den eigenen Wahrheitsanspruch und das eigene Zeugnis nicht verdunkel...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Vorwort
  6. Deutschland trauert.
  7. Trauern – Erinnern – Mahnen. Zum Umgang mit einer Katastrophe an betroffenen Einrichtungen
  8. Öffentliche Trauerfeiern aus staatskirchenrechtlicher und politikwissenschaftlicher Perspektive
  9. Kirchliche Trauerfeier – staatliche Trauerfeier – Staatsakt: Nebeneinander oder miteinander?
  10. Multireligiöse Feiern als Zukunftsperspektive?