Der spirituelle Weg
eBook - ePub

Der spirituelle Weg

Eine christlich-interreligiöse Lebensschule

  1. 288 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
eBook - ePub

Der spirituelle Weg

Eine christlich-interreligiöse Lebensschule

Angaben zum Buch
Buchvorschau
Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

Der spirituelle Weg, den Bertram Dickerhof als das Ergebnis eines mehr als 40 Jahre währenden "Selbstversuchs" vorstellt, ist ein alle Bereiche durchdringender Lebens-Weg. Grundlage ist ein Innehalten und Hören auf die eigene Wirklichkeit, die sich auf einen Grund hin öffnet, in dem "alles verankert" ist. Das so erfahrene neue Leben gilt es durch Entscheidungen und Handlungen wirklich werden zu lassen. Basierend auf einem intensiven Austausch eines Christen mit anderen Weltreligionen, insbesondere dem Buddhismus, Hinduismus und Sufismus, gibt das Buch spirituell Suchenden Orientierung und kann zur Verständigung zwischen den Religionen und damit zum Frieden in einer aus ihren Fugen geratenen Welt beitragen.

Häufig gestellte Fragen

Gehe einfach zum Kontobereich in den Einstellungen und klicke auf „Abo kündigen“ – ganz einfach. Nachdem du gekündigt hast, bleibt deine Mitgliedschaft für den verbleibenden Abozeitraum, den du bereits bezahlt hast, aktiv. Mehr Informationen hier.
Derzeit stehen all unsere auf Mobilgeräte reagierenden ePub-Bücher zum Download über die App zur Verfügung. Die meisten unserer PDFs stehen ebenfalls zum Download bereit; wir arbeiten daran, auch die übrigen PDFs zum Download anzubieten, bei denen dies aktuell noch nicht möglich ist. Weitere Informationen hier.
Mit beiden Aboplänen erhältst du vollen Zugang zur Bibliothek und allen Funktionen von Perlego. Die einzigen Unterschiede bestehen im Preis und dem Abozeitraum: Mit dem Jahresabo sparst du auf 12 Monate gerechnet im Vergleich zum Monatsabo rund 30 %.
Wir sind ein Online-Abodienst für Lehrbücher, bei dem du für weniger als den Preis eines einzelnen Buches pro Monat Zugang zu einer ganzen Online-Bibliothek erhältst. Mit über 1 Million Büchern zu über 1.000 verschiedenen Themen haben wir bestimmt alles, was du brauchst! Weitere Informationen hier.
Achte auf das Symbol zum Vorlesen in deinem nächsten Buch, um zu sehen, ob du es dir auch anhören kannst. Bei diesem Tool wird dir Text laut vorgelesen, wobei der Text beim Vorlesen auch grafisch hervorgehoben wird. Du kannst das Vorlesen jederzeit anhalten, beschleunigen und verlangsamen. Weitere Informationen hier.
Ja, du hast Zugang zu Der spirituelle Weg von Bertram Dickerhof im PDF- und/oder ePub-Format sowie zu anderen beliebten Büchern aus Philosophie & Religionsphilosophie. Aus unserem Katalog stehen dir über 1 Million Bücher zur Verfügung.

Information

Verlag
Echter
Jahr
2016
ISBN
9783429062682
Doch was mir, Paulus, damals ein Gewinn war, das habe ich um Christi willen als Verlust erkannt. Ja noch mehr: ich sehe alles als Verlust an, weil die Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn, alles übertrifft. Seinetwegen habe ich alles aufgegeben und halte es für Unrat, um Christus zu gewinnen und in ihm zu sein. Nicht meine eigene Gerechtigkeit suche ich, die aus dem Gesetz hervorgeht, sondern jene, die durch den Glauben an Christus kommt, die Gerechtigkeit, die Gott aufgrund des Glaubens schenkt. Christus will ich erkennen und die Macht seiner Auferstehung und die Gemeinschaft mit seinen Leiden; sein Tod soll mich prägen. So hoffe ich, auch zur Auferstehung von den Toten zu gelangen.
Phil 3,7–11
Der Schritt auf dem spirituellen Weg
Paulus „gibt auf“, „sucht“, „will erkennen“, bewegt sich also aktiv auf seinem spirituellen Weg. Aktivität des Pilgers, von der dieses Kapitel handelt, braucht es, auch dann, wenn die Mitteilung des spirituellen Ziels letztlich alle Erwartung übertreffendes Geschenk auf Grund von Glauben ist. Da aber der Glaube vom Hören kommt, besteht im Hören ganz wesentlich die Aktivität des Voranschreitens auf dem Weg.
Es beginnt außen. Ein Ereignis, eine Begegnung, ein Wort berührt einen Menschen, geht ihm nach. Es hat Wirkung auf sein Inneres, löst dort Bewegungen aus. Diesen wird nun Aufmerksamkeit geschenkt. Dabei sind manchmal erhebliche Widerstände zu überwinden. Davon handelt der erste Abschnitt: von außen nach innen.
Doch genügt es nicht, wenn das Nach-innen-Genommene quasi wieder zum andern Ohr hinausgeht. So würde der Pilger die Botschaft des Gehörten nicht vernehmen. Er wird also lernen, aufmerksam bei seiner inneren Wirklichkeit zu verweilen. Auf diese Weise gelangt er in die Tiefe seines Inneren. Immer neue Gewölbe öffnen sich ihm, wenn er bei seinen inneren Bewegungen aushält, auch dann, wenn diese störend, enttäuschend oder gar leidvoll sind. Dabei erfährt er, was Paulus mit „sein Tod soll mich prägen“ meint. In diesem Verweilen wird der Person ihr Inneres nicht nur bewusst. Sie erfährt, wie eine Bewegung aus einer anderen hervorgeht. Sie beginnt, Zusammenhänge zu erkennen, ihr Inneres zu verstehen. Das macht einen nicht unerheblichen Teil des Weges aus. So weit wird sie vordringen, bis nichts aus ihrem Inneren sie mehr bindet, bis sie alles (da-)sein-lassen kann, was sich in ihr bewegt. Davon handelt der zweite Abschnitt: In die Tiefe.
In der Tiefe kann jedoch ein Durchbruch geschehen, der das Gefühl vermittelt, wirklich bei sich selbst angekommen zu sein. Hier ereignet sich mitten im Leben „die Macht der Auferstehung Christi“, von der Paulus oben spricht. In ihr offenbart und verbirgt sich der wahre Grund des Lebens. Von einem solchen Widerfahrnis handelt der dritte Abschnitt.
Abgeschlossen ist der Schritt auf dem spirituellen Weg jedoch erst, wenn sich die Verwandlung des Selbst im alltäglichen Leben inkarniert: in der gelebten spirituellen Suche, im alltäglichen Verhalten, in Initiativen und Handeln. Damit wird der im Durchbruch geschenkten Klarheit gehorcht, sein Geist in die Welt eingepflanzt. Indem diese Sendung erfüllt wird, bleiben Pilger und Pilgerin offen, bereit für den nächsten Schritt des Hörens. Von dieser Bewegung von innen nach auβen handelt schließlich der vierte Abschnitt.
Somit lässt sich die spirituelle Grundbewegung folgendermaßen veranschaulichen:
Lehre mich, Herr!“ Mit diesen Worten näherte sich Nârada dem Weisen Sanatkumâra. Er antwortete ihm: „Komme zu mir mit dem, was du weißt, und ich werde dich lehren, was darüber hinausgeht.“
Er sagte zu ihm: „Herr, ich habe Rigveda, Yajurveda, Sâmaveda und Atharvaveda gelernt, ferner die Epen und heiligen Texte und alle Wissenschaften. Alle diese habe ich gelernt.
Herr, ich kenne die Worte (mantravid), doch den Âtman (das wahre Selbst) kenne ich nicht. Ich habe gehört, Herr, von Weisen wie du, dass derjenige, der den Âtman kennt, das Leiden überwindet. Herr, ich bin im Leiden gefangen, führe mich ans andere Ufer des Leidens!
Sanatkumâra sprach zu ihm: „Alles, was du studiert hast, ist nur Name.“
Chândogya-Upanishad (VII,1–3)5
1. Von außen nach innen – das erste Moment des Schrittes auf dem spirituellen Weg
„Außen“ – damit meine ich unsere Alltagswelt und unsere alltägliche Weise, sie wahrzunehmen und mit ihr umzugehen. Es mag hier genügen, einige für den Weg des Hörens bedeutsame Merkmale davon zu erwähnen, um anzudeuten, was es mit diesem Außen auf sich hat:
Wir müssen essen, wohnen, heizen, uns kleiden usw. und unseren Lebensunterhalt Natur und Gesellschaft abringen, um zu überleben. Wir brauchen Informationen und Kontakt mit anderen. Wir suchen Freunde, Freundinnen und Geschlechtspartner, kümmern uns viele Jahre um unsere Kinder und unsere alten Eltern. Wir engagieren uns politisch und gestatten uns ein bisschen Unterhaltung, Ablenkung und Freizeit: In alledem sind wir außen. Auch in Stunden, wo nichts davon uns beschäftigen müsste, sind wir mit etwas beschäftigt. Eigentlich sind wir immer mit „etwas“ beschäftigt, nie mit nichts.
Ob wir uns mit anderen, mit Sachen oder unserer Stimmung beschäftigen, alles wird uns dabei zum Objekt, zum Gegenstand. Das bedeutet, dass wir uns zu allem in einem gewissen Abstand befinden. Insofern leben wir in einem Gefühl der Isoliertheit, der Getrenntheit von allem. Wir können nur erkennen, was ein Stück weit vor uns liegt, das Nächstliegende, Unmittelbare erkennen wir nicht. So kennen wir auch nicht den Boden, auf dem wir stehen; um ihn zu erkennen, müssen wir einen Schritt zurücktreten. Das gilt auch – im übertragenen Sinn – von uns selbst und unseren Nächsten. Auch wenn wir mit einem Freund viel Zeit verbracht haben, er viel von sich preisgegeben hat, kann es geschehen, dass wir erschrocken feststellen, dass wir unseren Freund nicht wirklich kennen. Auch wenn er sich hätte rückhaltlos äußern wollen, es geht gar nicht: Auch wir selbst sind uns verschlossen. Doch obwohl wir uns letztlich unbekannt sind, können wir nicht umhin, alles aus unserem Blickwinkel und von unserem Standpunkt aus zu betrachten: Dieser befindet sich gewissermaßen in der Mitte unserer Alltagswelt, und von dort aus setzen wir alles zu uns selbst in Beziehung, bewerten es, erstreben es oder lehnen es ab, bauen das Außen als Welt um uns herum auf. Auch in diesen Vorgang sind wir wie eingeschlossen, wir können nicht wählen, ihn zu unterlassen.
Ein weiteres Merkmal des Außen besteht darin, dass sein Element der Name ist. Wenn wir den Namen von etwas kennen, atmen wir auf, sagen „ah ja“ und glauben, die Sache selbst zu kennen. Mit dem Namen verbinden wir eine Vorstellung von der Sache und können über sie reden. Veranschaulichen wir uns räumlich, was dabei geschieht: Wir haben den Namen, in einigem Abstand darunter ist die Sache, die so heißt und über die wir, oben, reden oder nachdenken. Mit der Sache selbst treten wir gar nicht in Kontakt. Normalerweise sind wir mit diesem Zustand zufrieden, wir sind uns dessen auch kaum bewusst. Offenbar reicht es meist aus, die Sache einschätzen, gebrauchen und verwenden zu können. Wir wissen, wie sie funktioniert, und dieses Wissen der Oberfläche genügt.
Ein spiritueller Weg, auf dem das Leben zur Einheit wird, kann am Außen nicht vorbeigehen. In der Tat beziehen sich alle Weltreligionen darauf. Sie deuten es und lehren Gebot und Ethos, damit der Mensch so damit umgeht, dass es ihn nicht hindert, sondern dabei unterstützt, sein spirituelles Ziel zu erreichen.
So regelt z. B. die Tora, Grunddokument des Judentums, wichtige Vollzüge im Leben des Einzelnen, der Familie und der Gesellschaft. Sie enthält keineswegs nur religiöse oder kultische Bestimmungen; sie ist vielmehr eine Sozialordnung, die persönlicher, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Wohlfahrt dient und dabei besonders die Armen im Blick hat. Auf das Gesamt der Lebensgestaltung bezieht sich der Bund mit Jahwe, dessen Urkunde die Tora ist. Nichteinhalten des Bundes, Verstoß gegen das Gesetz, zeitigt Fluch, der sich in Verarmung, Krankheit, Unfrieden, Unfruchtbarkeit oder zu frühem Tod manifestiert.
Der Islam verpflichtet seine Gläubigen nicht nur zu Glaubensbekenntnis, Gebet, Fasten, Almosen und Wallfahrt. „Er ist eine Ermahnung für die Menschen. Er begleitet sie in ihrem Leben, im Alltag und zu besonderen Anlässen, mit seiner Rechtleitung, mit seiner Belehrung, seiner Urteilshilfe und seinen praktischen Anweisungen“6, die den Einzelnen, die Familie und die Gesellschaft betreffen. „Diejenigen, die glauben und Gutes tun, gehen ins Paradies ein. Für die Ungläubigen und Übeltäter steht die Hölle bereit.“7 Wie im Islam gibt es auch im Alten Testament den Gedanken, dass in dieser verwirrenden und überfordernden Welt der Mensch eine Hilfe braucht, die ihm sagt, wie er leben soll: Tora und Koran werden jeweils als Gnade und Wohltat Gottes empfunden.
Im Christentum ist die Tora in der „goldenen Regel“ – „Alles, was ihr von anderen erwartet, das tut auch ihnen!“ (Mt 7,12) – zusammengefasst. Alle Gebote und Verbote gipfeln darin, den Nächsten zu lieben wie sich selbst: „Die Liebe ist die Erfüllung des Gesetzes“ (Röm 13,10). Erfahrene und erwiesene Liebe öffnen das Herz des Menschen, böse Taten hingegen verschließen es – gegenüber ihm selbst, anderen und Gott.
Im Buddhismus enthält der „edle achtfache Pfad“, der „ans andere Ufer des Leidens“ führt, eine Ethik, die „rechtes“ Verhalten des Menschen nach außen, gegenüber seinen Mitmenschen und gegenüber seiner Mitwelt vorschreibt.8 So soll seine Rede „recht“ sein, d. h. wahr, ohne Geschwätz und Zuträgerei, nicht roh. Er soll „das Rechte“ tun, Töten, Stehlen sowie Leid verursachendes sexuelles Verhalten unterlassen und zu einem „hilfreichen und unterstützenden Verhalten, das Frieden fördert, dienend und erleuchtend ist“9, finden. „Lebenserwerb und Engagement“ sind dann „recht“10, wenn kein Lebewesen dadurch zu Schaden kommt. Das Ziel des Weges, die Freiheit vom Leiden, wird verfehlt, „wenn man verderbten Geistes spricht, verderbten Geistes Werke wirkt, denn dann folget einem Leiden nach, gleichwie das Rad des Zugtiers Fuß.“11
1.1 Das Leben weist über das Außen hinaus
Doch außen allein kann das Leben nicht bewältigt werden: Guter Wille reicht nicht aus, um Gebote zu halten, ein Ethos zu verwirklichen oder in vertrauensvollen und offenen Beziehungen zu leben. Im Außen allein findet der Mensch außerdem nicht die Erfüllung, die er letztlich sucht.
Gebundene Freiheit
Es gibt kein erfülltes Leben, das nicht „gut“ ist. Konflikte, Feindschaften, Lügen, böse Taten oder auch nur das Zurückbleiben hinter dem, der man selbst ist, lassen einen keine Ruhe finden. Wer dies bejaht, steht immer wieder betroffen vor seinem Fall, der wie in ein Geheimnis eingehüllt zu sein scheint. Auch der an einem Apfel scheiternde Adam im Paradies kann letztlich nur den Hergang beschreiben: „Sie gab mir, und so habe ich gegessen“ (Gen 3,12). Wieso und Weshalb liegen unverständlich im Dunkeln. Gerade wer sich um das Gutsein müht, stellt nicht nur fest, immer wieder hinter dem eigenen Vorsatz zurückzubleiben, sondern dass für manche Fehler und manches ungute Verhalten guter Willen und bester Vorsatz untaugliche Mittel zu ihrer Überwindung sind: Es geht einfach nicht! Gegenüber den eigenen Lastern – Stolz, Neid, Völlerei, Geiz, Faulheit, Zorn, Wollust – ist der gute Wille machtlos. Im siebten Kapitel des Römerbriefs schildert Paulus dieses Problem sehr anschaulich; es ist das Rätsel der inneren Unfreiheit: „Denn ich begreife mein Handeln nicht: Ich tue nicht das, was ich will, sondern das, was ich hasse. … Das Wollen ist bei mir vorhanden, aber ich vermag das Gute nicht zu verwirklichen. … Ich sehe ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das mit dem Gesetz meiner Vernunft im Streit liegt und mich gefangenhält im Gesetz der Sünde, von dem meine Glieder beherrscht werden“ (Röm 7,15.18.23). Solange die „Glieder vom Gesetz der Sünde beherrscht werden“, ist die Freiheit des Menschen nicht frei. Was ist zu tun? Die Mittel des Außen wie fester Vorsatz, mehr Disziplin, Aussicht auf Belohnung oder Androhung von Strafen usw. richten nicht viel aus. Im Laufe der Zeit erlahmt der dadurch anfangs zu höchster Kontrolle aufgestachelte Wille, und schwupps! ist geschehen, was hatte verhindert werden sollen. Bei dem „anderen Gesetz in den Gliedern“ handelt es sich offenbar um eine Macht, die näher ist, als wir außen vermögen zu schauen, und die die Freiheit zum Guten fesseln kann. Sie müsste dem Menschen bewusst werden und der Mensch als Ganzes von der Sehnsucht ergriffen sein, von ihr freizukommen.
Doch Bewusstwerdung des Inneren reicht noch nicht aus. So sind z. B. die sogenannten Antithesen12 der Bergpredigt und die „größere Gerechtigkeit“, die Jesus für das Reich Gottes reklamiert, nur lebbar, wenn das Innere nicht nur bewusst, sondern auch irgendwie gereinigt wird und die egoistischen Antriebe des Herzens entmachtet werden. Wie soll man etwa seinen Feind lieben können? Per definitionem ist der Feind jemand, den man nicht liebt, sondern verachtet oder hasst. Über solche Gefühle und ihren Geist müsste hinwegkommen, wer den Feind lieben will. Oder wie soll einer denjenigen eine zweite Meile freiwillig begleiten können, der ihn zum Mitgehen der ersten Meile gezwungen hat? Das hieße, die Kränkung und Empörung überwinden, die dieser gewaltsame Übergriff erzeugt. Wie soll ein junger Mann eine Frau nicht lüstern ansehen? Das hieße, frei zu sein von Wollust. All diese Beispiele weisen darauf hin, dass wir den Bewegungen des eigenen Inneren nicht nur näher kommen müssten, als außen gewohnt, sondern dass Hass, Begehren, Kränkung usw. gelassen werden müssen. Das gelänge, wenn im Innersten selbst eine Quelle der Erfüllung entdeckt werden könnte, in deren Licht solche Gefühle entmachtet und die Fesseln des gewohnten Standpunkts und Blicks sich lösen würden.
„Der Sannyasi hatte den Dorfrand erreicht und ließ sich unter einem Baum nieder, um dort die Nacht zu verbringen, als ein Dorfbewohner angerannt kam und sagte: ‚Der Stein! Der Stein! Gib mir den kostbaren Stein!‘ ‚Welchen Stein?‘, fragte der Sannyasi. ‚Letzte Nacht erschien mir Gott Shiwa im Traum‘, sagte der Dörfler, ‚und sagte mir, ich würde bei Einbruch der Dunkelheit am Dorfrand einen Sannyasi finden, der mir einen kostbaren Stein geben würde, so dass ich für immer reich wäre.‘ Der Sannyasi durchwühlte seinen Sack und zog einen Stein heraus. ‚Wahrscheinlich meinte er diesen hier‘, sagte er, als er dem Dörfler den Stein gab. ‚Ich fand ihn vor einigen Tagen auf einem Waldweg. Du kannst ihn natürlich haben.‘
Staunend betrachtete der Mann den Stein. Es war ein Diamant. Wahrscheinlich der größte Diamant der Welt, denn er war so groß wie ein menschlicher Kopf. Er nahm den Diamanten und ging weg. Die ganze Nacht wälzte er sich im Bett und konnte nicht schlafen. Am nächsten Tag weckte er den Sannyasi bei Anbruch der Dämmerung und sagte: ‚Gib mir den Reichtum, der es dir ermöglicht, diesen Diamanten so leichten Herzens wegzugeben.‘“13
Da ist der Dörfler, beherrscht von der Gier, endlich das ultimative Glück zu packen. Dort der Bettelmönch, der sich frei gemacht hat für ein Leben, das auf die Erkenntnis des Inneren gerichtet ist. Er scheint darin eine Erfüllung zu kennen, deren Hoheit und Glanz alles Glück und alle Ziele der Gier zu nichts werden lassen. Eine solche innere Erfüllung würde uns versöhnen und unsere gefesselte Freiheit befreien können.
Beziehung
Beziehung ist für Menschen ein lebensentscheidendes Feld. Ohne ausreichende Zuwendung sind Säuglinge kränklicher, ja sterben sogar häufiger.14 Ohne Beziehungen, ja auch nur ohne Ansprache, verkümmern Senioren und werden depressiv. Ohne Beziehungen kann sich die Identität einer Person nicht entwickeln. Menschen sehnen sich nach Kontakt, Berührung, ja Zärtlichkeit, nach Zuwendung und Verständnis. Beziehung weckt die Lebensgeister: Wünsche, Sehnsüchte und Hoffnungen erwachen. Interesse, Wertschätzung und Verständnis ö...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titelblatt
  3. Urheberrecht
  4. Inhalt
  5. Vorwort
  6. Die zweite Bekehrung
  7. Der Schritt auf dem spirituellen Weg
  8. Der spirituelle Schritt und das Evangelium
  9. Der Weg
  10. Ashram Jesu
  11. Anmerkungen
  12. Literaturverzeichnis