Zwieschlächtigkeit
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Zwieschlächtigkeit

Sprachwissenschaftliche Zugänge zur Unterbestimmtheit bei Karl Marx, Max Weber, Georg Friedrich Knapp und Gustav Radbruch

  1. 315 Seiten
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Zwieschlächtigkeit

Sprachwissenschaftliche Zugänge zur Unterbestimmtheit bei Karl Marx, Max Weber, Georg Friedrich Knapp und Gustav Radbruch

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Diese Arbeit, die im Schnittpunkt von Sprachwissenschaft, Philologie und Hermeneutik steht, untersucht die sprachliche Konstituierung konzeptueller und erfahrungsweltlicher Größen in Wirtschafts- und Rechtswissenschaft. Sie widmet sich vier paradigmatischen Schriften, die bislang nicht oder allenfalls sporadisch unter philologischen Aspekten behandelt wurden. Das Augenmerk liegt primär auf unterbestimmten, spannungsvollen und antinomischen Inhaltskomplexen und Denkmodellen, die von ihren ausdrucksseitigen Konfigurationen her erschlossen werden. Das geschieht auf dem Wege eines interpretativen Verfahrens, das auf Form-Funktions-Zusammenhänge ausgreift und in einem Konzept der Zwieschlächtigkeit sein strukturelles Zentrum hat. Das auf Marx zurückgehende Nomen benennt ein perzeptives Moment, in dem sich ein exegetisch validierter Leseeindruck auskristallisiert und das in den herangezogenen Texten ein Substrat besitzt. Dieses wird als gedankliches und gestalterisches Prinzip aus seinen sprachlichen Ausprägungen herausgearbeitet und als Aufbauelement einer genuin sprachgebundenen, metatheoretischen Problemreflexion kenntlich gemacht. Die Studie zeichnet so eine markante Traditionslinie innerhalb der neueren Geistesgeschichte nach.

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Information

Jahr
2021
ISBN
9783110727456

1Aufriss der Arbeit und Hinweise zur Lektüre

Die Überlegungen, die auf den nachfolgenden Seiten vorgetragen werden sollen, nehmen ihren Ausgang von dem Lexem zwieschlächtig, wie es, um gleich ein prominentes Beispiel zu nennen, im „Kapital“ von Karl Marx vorkommt. Das Wort wird in der Bedeutung, die Marx ihm unterbreitet, als Einsatzstelle für die Entfaltung eines Konzeptes der ‹Zwieschlächtigkeit›1 dienen, das im weiteren Verlauf einer sprachwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit vier Texten zugrunde gelegt werden soll, von welchen die ersten drei zur Wirtschaftstheorie zählen und der letzte ins Gebiet der Rechtsphilosophie gehört. Die Untersuchung dieser Schriften – es handelt sich um Werke von Karl Marx, Max Weber, Georg Friedrich Knapp und Gustav Radbruch – hebt auf Formen der sprachlichen Konstituierung ökonomischer und juristischer Sujets ab, wobei vornehmlich aporetische Gehalte in ihren ausdrucksseitigen Konfigurationen ins Blickfeld geraten: Das Konzept der ‹Zwieschlächtigkeit› wird einzig zu dem Zweck an die Texte herangetragen, die ideellen Substrate von Antinomien, die etwa die Erörterung der kategorialen Verfasstheit wirtschaftlicher Entitäten durchziehen, ins Licht zu setzen. Für die Arbeit ist die Anschauung leitend, dass sich das Lexem Zwieschlächtigkeit als sprachliche Kennung für ein – von mir, M.A., gedanklich ausgestaltetes – perzeptives Moment handhaben lässt, das in den gelesenen Texten selbst ein Pendant besitzt. Damit soll weder etwas über die inhaltliche noch über die formale Qualität dieses verbalen Korrelats präjudiziert werden; das Augenmerk wird nicht so sehr auf prototypischen Antithesen als auf sich lediglich andeutenden oder unterschwellig wirksamen Spannungen sowie auf Inkonsistenzen und anderen Arten von sprachlicher Unterbestimmtheit liegen.
Es gilt nun, in gebotener Kürze den Plan zu erläutern, nach dem die soeben exponierte Agenda umgesetzt werden wird: Die Studie beginnt mit einer Einleitung, die „‹Zwieschlächtigkeit› als analytisches Konzept“ überschrieben ist und zunächst den semantischen Horizont des Adjektivs zwieschlächtig umreißt. In einem zweiten Schritt soll gezeigt werden, inwieweit sich das durch eine solche Bedeutungsbeschreibung zu charakterisierende Konzept für eine sprachwissenschaftliche Betrachtung von Schriften fruchtbar machen lässt, in denen es auf eine Fundierung des ökonomischen Denkens abgesehen ist und die darum als ,metaökonomisch‘ bezeichnet werden können. Zum Dritten wird die Annahme formuliert, dass das Aporetische in der Theoriebildung mit der kategorialen Verfasstheit des außersprachlichen Objektbereichs, vornehmlich wirtschaftlicher Konstituenzien wie des Geldes, in Zusammenhang steht. Der argumentativen Durchführung dieser für den Fortgang der Erörterung maßgeblichen These ist in der Einleitung ein separates Unterkapitel – es trägt den Titel „‹Zwieschlächtigkeit› des Geldes“ und hat einen paradigmengeschichtlichen Schwerpunkt – vorbehalten. Ihm schließen sich einige sprachwissenschaftliche Kommentare an, deren Aufgabe darin besteht, die analytische Produktivität des Zwieschlächtigkeitskonzeptes zu demonstrieren, eine Vorstellung vom Interpretationsverfahren zu vermitteln, das im Weiteren Anwendung finden wird, und einige Schlaglichter auf den Stoffkreis der Untersuchung zu werfen: Diese Partien orientieren über die Themen ,Rationalität‘ und ,Wertkonstanz bei Ware und Geld‘, und zwar im Rekurs auf Georg Simmel und Alfred Sohn-Rethel.
Ein zweites, der „Methode der Arbeit“ gewidmetes Kapitel gliedert sich in zwei größere Abschnitte auf, deren erster theoretische Darlegungen allgemeiner Natur enthält und deren zweiter auf die Textbasis der Studie eingeht. Die Methodenreflexion setzt mit einer Ausdifferenzierung des Verhältnisses zwischen dem Zwieschlächtigkeitskonzept und den durch Unterbestimmtheit gekennzeichneten textuellen Formationen ein, zu denen es eine Art von Leseschlüssel liefern soll; danach wird der Standort der Betrachtung innerhalb einer panoramahaft aufgespannten Kartographie von sprach- und textwissenschaftlichen Bezugsparadigmen bestimmt: Er liegt im Schnittpunkt von Philologie, Stilistik, linguistischer Hermeneutik und Diskurslinguistik. In Anknüpfung an einschlägige Forschungsliteratur und an die hermeneutische Tradition werden die Hauptlinien eines auf einer möglichst tiefschürfenden Sichtung mehrerer textueller Konstituenten beruhenden sprachwissenschaftlichen Interpretierens ausgezogen und zugleich dessen produktions- und rezeptionstheoretische Prämissen thematisiert. Der zweite Teil des Kapitels stellt, wie bereits gesagt, die vier Schriften vor, die in der zuvor beschriebenen Manier ausgelegt werden sollen, rückt sie in einen paradigmengeschichtlichen Kontext ein und führt die Motive aus, die für ihre Berücksichtigung im Rahmen der Untersuchung ausschlaggebend gewesen sind.
Deren Hauptteil bilden vier direkt auf die Einleitung folgende Beispielinterpretationen zu den genannten Referenztexten; diese Deutungen haben die Verwirklichung der zuvor entwickelten Konzeptionen zum Ziel, will sagen: Sie sollen zum einen den Begriff der ‹Zwieschlächtigkeit› inhaltlich ausbuchstabieren und zum anderen seinen Nutzen für die Erschließung gedanklicher Tiefenschichten sprachlicher Artefakte erweisen. Zu diesem Zweck wird der konzeptuelle Unterbau der herangezogenen Schriften durchleuchtet, die operative Logik nachgezeichnet, unter deren Maßstab diese ihren Objektbereich herausbilden, und ihre formale Gestalt auf deren Darstellungsfunktion und auf etwaige mimetische Züge hin angesehen. Die Erträge dieser Untersuchungen werden unter der Überschrift „‹Zwieschlächtigkeit› bei Marx, Weber, Knapp und Radbruch“ synoptisch gebündelt und zuletzt noch darauf geprüft, inwieweit sie die Erwartungen erfüllen, mit denen die Arbeit aufgenommen wurde: An diesen Ergebnissen wird sich entscheiden, ob der Versuch, mittels eines inhaltlich genau bestimmten interpretativen Operators auf textstrukturelle Eigenschaften zuzugreifen und sie zu erklären, das heißt als Verwirklichungsformen oder Figurationen aporetischer Denkmodelle zu identifizieren, insgesamt als gelungen gelten kann.

2 Einleitung: ‹Zwieschlächtigkeit› als analytisches Konzept

2.1 ‹Zwieschlächtigkeit›

Karl Marx bedient sich der Prägung zwieschlächtig, um die Doppelgesichtigkeit der Ware als strukturelle Besonderheit hervorzukehren. Marxens Überlegungen werden von seinem Biographen Jürgen Neffe im Jubiläumsjahr 2018 auf eine pointierte Formel gebracht: „Waren besitzen einen ,Doppelcharakter‘. Sie sind ,zwieschlächtig‘ wie Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ (Neffe 2018, 23). Das Lexem erhält hier durch den Vergleich mit einem Fall von Persönlichkeitsspaltung, der, obwohl pure Fiktion, längst zu einem Topos in der neueren Kulturgeschichte geworden ist, eine Inklination zu Psychoanalytischem, wie Neffe sie unmittelbar zuvor mit der Bemerkung, Marx lege „den Kapitalismus quasi auf die Couch“ (Neffe 2018, 23), unmissverständlich annonciert hat. In der Tat bezeichnet Zwieschlächtigkeit bei Marx eine konzeptuelle Dominante mit einem ausgedehnten Resonanzraum, in dem auch irrationale Schwingungen zu registrieren sind: Diese scheinen mit dem rationalen Gepräge, wie es das kapitalistische System nach außen hin zeigt, kaum zu harmonieren und lassen sich gedanklich nur schwer oder aber gar nicht einholen. Der Begriff2 der ‹Zwieschlächtigkeit›,3 der auf der Objektebene ein essentielles Merkmal der Ware, nämlich den Dualismus von „Gebrauchswert und Tauschwert“, sowie das Spezifische der in ihr „enthaltenen Arbeit“ (Marx 2013, 56),4 des Weiteren eine Eigentümlichkeit der „Ursprungsweise der Manufaktur“ (Marx 2013, 358)5 und der kapitalistischen Produktion überhaupt6 apostrophiert, ist letztlich auch auf eine Kategorie des ökonomischen und ökonomiekritischen Denkens von Marx beziehbar, besitzt demnach ein Moment der Selbstreferentialität: Marx denkt in Gegensätzen – und über Gegensätze hinaus. Das hat Adorno im Blick, wenn er, den in Rede stehenden Ausdruck auf Marx selbst zurückspiegelnd, zu dem Befund kommt, des Letzteren „Ideologielehre“ sei „zwieschlächtig in sich“ (Adorno 1970, 374).
Ehe ‹Zwieschlächtigkeit› als ideelle Zentralbestimmung wirtschaftlicher Konstituenten das gebührende Licht erhält, soll das Adjektiv zwieschlächtig auf seine Bedeutung hin betrachtet werden. Da es im „Deutschen Wörterbuch“ berücksichtigt ist, kann dieses als Ausgangspunkt für eine erste semantische Bestandsaufnahme dienen. Der entsprechende Eintrag bietet die Paraphrase „von bastardartiger natur, eigentlich und übertragen gebraucht“ (Grimm, Bd. 32, Sp. 1164). Die Beleggruppe schließt mit einem Verweis auf das Lemma zweischlächtig, das als Pendant zum lateinischen bigenus behandelt und dem die Erläuterung „beiden geschlechtern angehörig“ beigegeben ist. Im Zusammenhang mit zwei Belegen von Gutzkow und Grillparzer findet sich weiter noch die Information „zwischen zwei arten stehend“ (Grimm, Bd. 32, Sp. 1164), bei der zwischen buchstäblicher und übertragener Bedeutung unterschieden wird; es dürfte naheliegen, diese Umschreibung als die für den Wortgebrauch bei Marx einschlägige anzusetzen. ‹Bastardhaft› mag gleichwohl als subsidiäre semantische Komponente mitzudenken, ‹zwieschlächtig› folglich in den Bereich des ‹Gemischten›, ‹Unreinen›, ‹Unechten› und damit insgesamt auch des ‹Anrüchigen› zu nuancieren sein.
So verstanden haftet dem kategorialen Status der Ware als eines hybriden Phänomens, das zwischen zwei polare ökonomische Grundbestimmungen gespannt ist, der Ruch des Illegitimen, Fragwürdig-Abseitigen an, worin womöglich auch ein Motiv für Marxens polemisch-aggressive stilistische Gebärde liegt, die in erster Linie Ressentiments aufseiten des Autors, etwa ein Angewidertsein als Grundbefindlichkeit, bezeugen, insgesamt aber doch auch mehr als nur Subjektives transportieren dürfte: Marxens Schreibweise könnte auch den Dünkel einer Gesellschaft abgelten, die vom fulminanten Siegeszug des sich fortwährend ausdifferenzierenden Kapitalismus förmlich überrollt wird und ihn intellektuell nicht mehr zu bewältigen vermag. Die Ware ist anrüchig, das aporetische Moment, das sich in ihr verkörpert, den Traditionen und Anschauungen einer vorindustriellen, feudalen Gesellschaft mit ihrem statischen Ordnungssinn ungemäß: Sie spiegelt eine gesellschaftliche Realität wider, der kapitalistische ‹Zwieschlächtigkeit› den Stempel aufgedrückt hat, ohne dass man ihrer und ihrer Auswirkungen, der allfälligen Verdrehungen, die sie im Gefolge hat, einer nachgerade konstitutionellen „Verrücktheit“ (Marx 2013, 90)7 gewahr würde. Kurzum: Die ökonomischen Determinanten stellen ebenso wie die realen Verhältnisse, auf die sie ein grelles Schlaglicht werfen, ein Skandalon dar, das eingeschliffene, auf Eindeutigkeit verpflichtete apperzeptive und reflexive Modi außer Kurs setzt und das in der ökonomischen Theoriebildung auf Gegentendenzen, auf Bestrebungen nach Kompensation und Ausgleich, also auf handfeste Verdrängungsmechanismen trifft.
Dergleichen Gegenbewegungen greifen vor allem in formalistisch-positivistischen und szientistischen Strömungen Platz, die sich einseitig am rationalistischen Moment des Kapitalismus orientieren, wie es von Max Weber herausgearbeitet wurde, und denen dabei entgeht, dass das in sich vermittelte Rationalitätskonzept des Letzteren gebrochen und wohl auf einen bestimmenden Faktor, nicht aber auf ein Definiens des Kapitalismus festgeschrieben ist. Tatsächlich ist Weber einer Reihe von Denkern zuzurechnen, die, unabhängig von Marx und von anderen Voraussetzungen her, mit ihm in der These übereinstimmen, dass der Kapitalismus einen aporetischen Grundzug aufweise, und bei denen ‹Zwieschlächtigkeit› zumindest im Hintergrund als Leitvorstellung präsent ist, welche über die strukturelle Unterlage des Kapitalismus hinausreicht. Als ideeller Koeffizient oder als reflexive Disposition genommen, deutet ‹Zwieschlächtigkeit› auf eine genuin geisteswissenschaftliche Auffassung von Wirtschaft hin, intoniert sie folglich einen metaökonomischen Ansatz, der neben dem Gegenstand auch die um ihn zentrierten Theorien in Augenschein nimmt und sowohl auf ihren wissenschaftsgeschichtlichen Standort wie auf ihre ideologische Bedingtheit abhebt.
Ein solches Procedere ist dadurch charakterisiert, dass es sich, wie man mit Viktor von Weizsäcker sagen könnte, „ganz anders als gemäß der Logik“ gestaltet, und zwar nicht aus dem Grunde, weil der Zugang zum Untersuchungsobjekt durch Hürden erschwert würde, die sich theoretisch oder faktisch aus dem Wege räumen ließen, und der Gegenstand somit allein äußerer Hemmnisse wegen „noch nicht logisch durchdrungen“ wäre, sondern weil er prinzipiell – kraft einer vorreflexiven „Überzeugung“ – „als nicht-logisch beschaffen gilt“ (von Weizsäcker 2005, 403). Die Auseinandersetzung mit einem so beschaffenen Sujet ist, insofern sie seiner spezifischen Verfasstheit Rechnung trägt, ihrerseits „antilogisch“: nicht durch klassische Schlussformeln prästabiliert und auf logische Stimmigkeit vereidigt, aber doch begrifflich gebunden, diskursiv, „nicht ein Salto mortale ins Irrationale, sondern eine Anstrengung, zu einer gemäßigten Realität zu gelangen“ (von Weizsäcker 2005, 217).8 Das Moderierende an einem solchen Denken auf ein Wirklichkeitsphänomen hin, das intellektuell schwer zu bewältigen, weil seiner Struktur nach antinomisch ist, besteht darin, dass Wissenschaftlichkeit nicht verabsolutiert, sondern zu anderen Modi der Bezugnahme auf das zu Erforschende ins Verhältnis gesetzt und als ideologisches, normatives Artefakt gesehen wird, das die Wahrnehmung des Forschers konditioniert.

2.2 ‹Zwieschlächtigkeit› des Geldes

Als ambivalent, ja antagonistisch kann neben der Ware auch das Geld angesprochen werden. Es ist zum einen handfester „Tatbestand“ (Taeuber 1943, 438), integrale Erscheinung der menschlichen Erfahrungsrealität in weiten Teilen der Welt, und zwar in aller Regel unabhängig von der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und fiskalischen Ordnung in den einzelnen Staaten, zum anderen rein abstrakte, dabei höchst metamorphe Funktionsgröße, die den Einzelnen überflügelt, indem sie sich erst in weitgespannten, kaum mehr überschaubaren, wenn auch systemisch geregelten ökonomischen Zusammenhängen vollends entfaltet, welche ihrerseits von ihr getragen werden. Es ist ebenso durch Materialität, Substantialität und Konkretheit, also durch Merkmale, die von einem empirischen Wirklichkeitsbegriff abgezogen sind, wie durch Abstraktheit und Idealität gekennzeichnet, präsentiert sich demzufolge zugleich als reale und nominale Entität. Es gehört zu jenen von kategorialer Uneindeutigkeit durchstimmten Phänomenen, deren stoffliche Eigenschaften einen gedanklichen und einen sozialen Funktionssinn aufweisen und denen keine unmittelbare oder ungebrochene stoffliche Qualität mehr eignet. Um diese ihre Merkmale sprachlich geltend zu machen, hat Taeuber die Prägung quasi-räumlich9 eingebracht, die suggeriert, dass der physische Träger des Geldes oder sogar das Geld in seiner Dinglichkeit vermindert, mit einem Pseudos versetzt ist.10
Mag auch die historische Entwicklung des Geldes, wie es seit Simmel communis opinio in Kulturwissenschaft, Ökonomie und Soziologie ist, auf eine Verselbständigung seiner rein funktionalen und medialen Eigenschaften gegenüber seiner „technischen Basis“ (Taeuber 1943, 441f.) hinauslaufen, in der sich seine Dinglichkeit konzentriert und aus der weiter auch seine „ästhetische Seite“ (Taeuber 1943, 442) hervorgeht,11 so hat sich in den Geldtheorien die strukturimmanente Doppelgesichtigkeit des Objektes doch dauerhaft in einer reflexiven Antinomie niedergeschlagen, die bei der Aushandlung des Gegenstandes bald mehr, bald minder deutlich zum Austrag kommt. Eine summarische Zusammenschau der wirtschaftstheoretischen und -philosophischen Literatur des 19. und des 20. Jahrhunderts führt auf eine Unterscheidung in zwei Strömungen, die tatsächlich jedoch nicht selten auch zusammenfließen: erstens eine nominalistische Tendenz (beispielhaft bei Jevons 1924 und Preiser 1970), welche die wirtschaftlichen Gegebenheiten für rationale, per implicationem also für kalkulierbare gesellschaftliche Hypostasen erklärt und lange Zeit als Leitparadigma der Volkswirtschaft figurierte, zweitens ein – ungleich weniger prominenter und häufig auch nur rudimentär ausgeprägter – (begriffs-)realistischer oder ontologischer Ansatz (so zum Beispiel bei Lukas 1951,12 Taeuber 1943, Veit 196613), der auf der Annahme beruht, dass gerade abstrakte Phänomene wie Preisbildung und Effekte der Zirkulation des Geldes nicht bloß an die soziale Wirklichkeit, sondern auch an die Mater...

Inhaltsverzeichnis

  1. Title Page
  2. Copyright
  3. Contents
  4. Danksagung
  5. 1 Aufriss der Arbeit und Hinweise zur Lektüre
  6. 2 Einleitung: ‹Zwieschlächtigkeit› als analytisches Konzept
  7. 3 Zur Methode der Arbeit
  8. 4 Konzeptuelle Formen und textuelle Figurationen von ‹Zwieschlächtigkeit› bei Marx, Weber, Knapp und Radbruch
  9. 5 Synthese: ‹Zwieschlächtigkeit› bei Marx, Weber, Knapp und Radbruch
  10. 6 Schluss: Rückschau und Ausblick
  11. 7 Anhang: Webers „Vorbemerkung“ zu den „Gesammelten Aufsätzen zur Religionssoziologie“
  12. Register