Wissenskulturen in der Leibniz-Zeit
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Wissenskulturen in der Leibniz-Zeit

Konzepte – Praktiken – Vermittlung

  1. 404 Seiten
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Wissenskulturen in der Leibniz-Zeit

Konzepte – Praktiken – Vermittlung

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Über dieses Buch

Das 17. Jahrhundert kann als ein Zeitalter der beschleunigten Entfaltung von Wissenssystemen und epistemischen Diskursen betrachtet werden. Der Universalgelehrte Gottfried Wilhelm Leibniz befindet sich an einer Schnittstelle dieser komplexen frĂŒhneuzeitlichen, eine neue Öffentlichkeit generierenden Entwicklung, die weltliche wie geistliche AmtstrĂ€ger und Gelehrte einschließt. Ihre gemeinsamen Interessen und Kontakte, ihre Arbeitsmethoden und ihr Umgang mit Medien öffnen einen weiten Blick auf Prozesse der Erzeugung, Verbreitung und Modifizierung von Wissen und lassen diese zudem in ihrer zeitbedingten FunktionalitĂ€t und MaterialitĂ€t erkennbar werden.

Die BeitrÀge dieses Bandes thematisieren Wissenskulturen der Leibniz-Zeit, indem sie deren soziokulturelle Rahmenbedingungen, Praktiken und Netzwerke kontextualisieren.

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Information

Jahr
2021
ISBN
9783110730692

Teil 1: Wissenskonzepte

Über die allgemeine Bedeutung der Mathematik fĂŒr die frĂŒhaufklĂ€rerischen Wissenssysteme und die spezielle Bedeutung bei Leibniz

Eberhard Knobloch (Berlin)
„Das WissenschaftsverstĂ€ndnis der AufklĂ€rung ist wohl durch keine andere Disziplin so stark geprĂ€gt worden wie durch die Mathematik.“1 Fragt man auf Grund dieser zutiefst richtigen Feststellung Pultes, worin sich diese PrĂ€gung der Wissenschaften zeigte, die ihren Höhepunkt im MathematikverstĂ€ndnis Immanuel Kants fand, ergeben sich mindestens die folgenden vier Aspekte bzw. GrĂŒnde: Erstens durch die Verwendung der mathematischen Methode, des ‚mos geometricus‘; zweitens durch die Verwendung mathematischer Operationen, wie sie beim Rechnen auftreten; drittens durch Modellierung nach mathematischen Disziplinen, insbesondere der Arithmetik und Geometrie; viertens durch Verwendung mathematischer Begriffe und Objekte wie Zahlen oder mathematischer Figuren.
Vom umfassenden MathematikverstĂ€ndnis der FrĂŒhaufklĂ€rung, das die Mathematik in ‚mathesis pura‘ und ‚mathesis impura sive mixta‘ einteilte, legt Christian Wolffs Mathematisches Lexicon Zeugnis ab.2 Im Artikel „Mathematica seu Mathesis, die Mathematick“ heißt es,
Ist eine Wissenschaft alles auszumessen, was sich ausmessen lĂ€st. Insgemein beschreibet man sie per scientiam quantitatum, durch eine Wissenschaft der GrĂ¶ĂŸen [
] Es ist aber aus dieser ErklĂ€rung der Mathematick zugleich zuersehen, daß sie eigentlich nur aus der Geometrie, Arithmetick und Algebra besteht, als auf welchen Wissenschaften alles Ausmessen beruhet.
Die ĂŒbrigen Teile der Mathematik seien aus anderen Wissenschaften entlehnte StĂŒcke, die man durch die Mathematik ausgearbeitet oder zu ihrer Vervollkommnung gebracht habe, so aus der Physik die Mechanik, Statik, Hydrostatik, Hydraulik, Optik, Katoptrik, Dioptrik, Perspektive, Akustik, Aerometrie, Astronomie, Geographie, Hydrographie, aus der Metaphysik oder Ontologie die Chronologie und Gnomonik, aus der Politik die Festungs- und BĂŒrgerliche Baukunst.
Wolff zĂ€hlte im Wesentlichen den Kanon der mathematischen Wissenschaften auf, wie er sich in den mathematischen EnzyklopĂ€dien und LehrbĂŒchern des 17. Jahrhunderts von Pierre HĂ©rigone, Kaspar Schott, Claude-François Milliet Dechales und Jacques Ozanam herausgebildet hatte.3 Diese AufzĂ€hlung war schon beeindruckend genug. Aber der ĂŒberragende Einfluss der Mathematik zeigte sich darĂŒber hinaus darin, dass ihre Methode, ihre Operationen, ihre Disziplinen und Objekte in nicht-mathematischen Wissensgebieten angewendet wurden. Dies soll im folgenden fĂŒr solche Wissensgebiete genauer untersucht werden.

1 Die Allgemeinheit des ‚mos‘ oder ‚ordo geometricus‘, der mathematischen Lehrart oder Methode

Mathematik ist das Reich gesicherten Wissens, mehr noch, des bestgesicherten Wissens ĂŒberhaupt. In dieser Überzeugung stimmten insbesondere die Mathematiker des 17. Jahrhunderts und der FrĂŒhaufklĂ€rung ĂŒberein, sowohl Autoren neuer Methoden und Begriffe wie Bonaventura Cavalieri wie dessen Kritiker Paul Guldin.
Im Vorwort zum siebten Buch von Cavalieris Geometrie befördert durch eine bestimmte neue Methode mittels der Indivisiblen stetiger GrĂ¶ĂŸen (Geometria indivisibilibus continuorum nova quadam ratione promota) heißt es:4
Illa (structura geometriae) quidem adeo firma, atque inconcussa, esse decuit, ut velut adamantina summorum ingeniorum tamquam arietum ictibus pulsata ne minimum quidem nutantia (fundamenta) agnoscerentur: Hoc enim Mathematicarum dignitati, ac summae certitudini, quam prae omnibus aliis humanis scientiis, nemine philosophorum reclamante, ipsae sibi vindicarunt, maxime convenire manifestum est.
(Übersetzung: Jener (Bau der Geometrie) soll freilich so fest und unerschĂŒtterlich sein, dass man anerkennt, dass die gleichsam stĂ€hlernen Fundamente, getroffen von den StĂ¶ĂŸen der grĂ¶ĂŸten Geister wie von Rammböcken, nicht einmal im geringsten schwanken. Denn es ist offensichtlich, dass dies am meisten zur WĂŒrde und höchsten Gewissheit der mathematischen Wissenschaften passt, die sie selbst fĂŒr sich mehr als alle anderen menschlichen Wissenschaften beanspruchen, ohne dass einer der Philosophen widerspricht.)
Sechs Jahre spĂ€ter wies Guldin die Schuld fĂŒr Auseinandersetzungen um Cavalieris Methode den Begriffen ‚Punkt‘ und ‚Indivisible‘ zu. Denn Streit sei unter wahren Mathematikern nicht möglich:5
Hoc enim sibi invicem praestant scientiae huius cultores: nulla nimirum ut sit lis inter illos, aut diversarum sententiarum contra veritatem conspiratio; quae in Mathematicis inter veros Mathematicos maxime si puras spectemus scientias Arithmeticam et Geometricam, nulla esse potest. Semper enim illa in puncto, et indivisibili consistit, a quo sive ad laevam sive ad dextram abieris, antrorsum retrorsumve, sive in omnem circuitum pedem contuleris, semper tamen a vero te discessisse invenies.
(Übersetzung: Denn die AnhĂ€nger dieser Wissenschaft gestehen wechselseitig einander zu: dass es in der Tat keinen Streit zwischen jenen oder eine Verschwörung der verschiedenen Ansichten gegen die Wahrheit gibt. Diesen kann es in der Mathematik zwischen wahren Mathematikern nicht geben, ganz besonders wenn wir auf die reinen Wissenschaften, die arithmetische und geometrische, blicken. Denn jener besteht stets in Punkt und Indivisible. Man wird indessen stets finden, von der Wahrheit abgewichen zu sein, sei es dass man links oder rechts abgewichen ist, nach vorn oder nach hinten oder einen vollen Kreis gelaufen ist.)
Mathematik garantierte Gewissheit, Streitvermeidung und Ordnungswissen. Diese drei Charakteristika waren es, die bereits den jungen Leibniz veranlassten, sich vor allem im Anschluss an seinen Jenenser Lehrer Erhard Weigel und Thomas Hobbes6 der mathematischen Methode und allgemeiner der Mathematik auch in theologischen und philosophischen Fragen zu bedienen und spĂ€ter die ‚characteristica universalis‘ entsprechend zu konzipieren. Besonders ausfĂŒhrlich hat sich Leibniz dazu in der wahrscheinlich zwischen 1688 und 1690 entstandenen Schrift Projet et Essais pour arriver Ă  quelque Certitude pour finir une bonne partie des disputes, et pour avancer l’art d’inventer geĂ€ußert.7
Ziel der BemĂŒhungen ist die „Certitude“, die Gewissheit der Mathematiker. Um die Ungewissheit der Überlegungen zur Metaphysik und Moral zu ĂŒberwinden, sah er nur einen Ausweg:
L’unique moyen de redresser nos raisonnemens c’est de les rendre aussi sensibles que le sont ceux des Mathematiciens, en sorte qu’on puisse trouver son erreur à veue d’Ɠil, et quand il y a des disputes entre les gens, on puisse dire seulement: contons, sans autre ceremonie; pour voir lequel a raison.8
Man mĂŒsste Charaktere nach dem Beispiel der Mathematiker verwenden, Zahlen, die eine stĂ€ndige Rechenkontrolle ermöglichen und einen Irrtum unmöglich machen.
In der Theodizee spricht er von den scheinbaren UnregelmĂ€ĂŸigkeiten im Universum und vergleicht die Situation mit den scheinbaren UnregelmĂ€ĂŸigkeiten in der Mathematik, die auf eine große Ordnung hinauslaufen, sobald man sie völlig ergrĂŒndet hat:
Man darf sich deshalb nicht wundern, wenn ich hier den Versuch mache, diese Dinge durch Vergleiche zu erklÀren, die der reinen Mathematik entnommen sind, wo alles geordnet vor sich geht und man Mittel hat, sie durch eine genaue Betrachtung aufzuklÀren, durch eine Betrachtung, die uns sozusagen den Anblick der Vorstellungen Gottes gewÀhrt.9
Die mathematische Methode war beweiskrĂ€ftig, demonstrativ. Euklid hatte sie idealtypisch in seinen Elementen fĂŒr Geometrie und Arithmetik vorgefĂŒhrt und angewandt: Auf Definitionen folgten Axiome (GrundsĂ€tze) und Postulate (Forderungen). Aus ihnen wurden deduktiv Theoreme (LehrsĂ€tze) abgeleitet.
Dementsprechend hatte der Altdorfer Mathematikprofessor Abdias Trew 1656 seine Physica Aristotelica conscripta et redacta ad methodum accurate demonstrative veröffentlicht,10 Weigel 1658 seine Analysis aristotelica ex Euclide restituta, die er 1671 unter dem Titel Idea totius encyclopaediae mathematico-philosophicae, hoc est Analysis Aristotelico-Euclidea genuinum demonstrandi modum et plenam solidioris Philosophiae faciem per omnes disciplinas et Facultates ichnographice depingens erneut herausgab.11
Christian Wolff hat der „mathematischen Methode oder Lehrart“ in seinen beiden umfassenden EinfĂŒhrungswerken in „alle“ mathematischen Wissenschaften ein eigenes Kapitel gewidmet, in den AnfangsgrĂŒnden aller mathematischen Wissenschaften12 und in den Elementa matheseos universae.13 Das deutsche, 1710 erstmalig erschienene Werk wurde ein halbes Jahrhundert lang das beliebteste und meistgelesene Lehrbuch. Dort heißt es zu Beginn:
Die Lehrart der Mathematicorum, das ist, die Ordnung, deren sie sich in ihrem Vortrage bedienen, fĂ€nget an von den ErklĂ€rungen, gehet fort zu den GrundsĂ€tzen, und hiervon weiter zu den LehrsĂ€tzen und Aufgaben: ĂŒberall aber werden ZusĂ€tze und Anmerckungen nach Gelegenheit angehĂ€nget.
ErklĂ€rungen sind die ‚definitiones‘, GrundsĂ€tze die ‚axiomata‘ oder ‚postulata‘. Sie erfordern keinen Beweis, sie zeigen an, dass etwas ist oder dass etwas getan werden kann. LehrsĂ€tze sind ‚theoremata‘. Entscheidend ist der Paragraph 51, der die Allgemeinheit der mathematischen Methode hervorhebt:14
Wer die bisher erlĂ€uterte Methode oder Lehrart betrachtet, wird ohne MĂŒhe inne werden, daß...

Inhaltsverzeichnis

  1. Title Page
  2. Copyright
  3. Contents
  4. Vorwort
  5. Einleitung
  6. Teil 1: Wissenskonzepte
  7. Teil 2: Praktiken und RĂ€ume der Wissenserzeugung
  8. Teil 3: Kontexte der Wissensvermittlung
  9. AnhÀnge