Das Zeitalter des Barock
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Das Zeitalter des Barock

  1. 826 Seiten
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Das Zeitalter des Barock

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Über dieses Buch

Eine Gesamtdarstellung der vielfĂ€ltigen Beziehungen zwischen Kunst und Religion vom SpĂ€tmittelalter bis ins 18. Jahrhundert fehlt bisher. Das vorliegende Werk geht diesen Beziehungen in den Bereichen der bildenden Kunst, der Literatur und der Musik nach. Die Kunst dieses Zeitraums ist weitgehend religiös, genauer gesagt: christlich geprĂ€gt. Das gilt nicht nur fĂŒr das Mittelalter, dessen scholastische Theologie ihren dichterischen Niederschlag in Dantes "Göttlicher Komödie" findet, sondern auch fĂŒr die Renaissance. Die christliche PrĂ€gung betrifft Werke der bildenden Kunst, aber auch musikalische Kompositionen wie Messen, die entweder kirchliche Auftraggeber haben oder fĂŒr Kirchen und kirchliche Einrichtungen in Auftrag gegeben werden.

Die Reformation bedeutet in dieser Hinsicht keinen grundlegenden Wandel, nur dass das Christliche jetzt konfessionelle AusprÀgungen erhÀlt, die sich auch in der Kunst manifestieren. Gerade in der bildenden Kunst wird der Bruch bemerkbar, den die Reformation religiös bedeutet. Denn deren Kritik richtet sich gegen Kultbilder und Bilderverehrung und kann sich bis zum Ikonoklasmus steigern. WÀhrend der Calvinismus die Bilder aus der Kirche vertreibt und die Malerei sich andere Felder suchen lÀsst, bedient sich der nachtridentinische Katholizismus je lÀnger desto mehr der bildenden Kunst als eines religiösen Propagandamittels. Auch die verschiedenen Gattungen der Literatur, vom Gedicht, Epos und Roman bis hin zum Schauspiel, widmen sich nicht nur christlichen Themen, sondern treten vielfach in den Dienst der konfessionellen Apologetik und Polemik.

Und konfessionell geprĂ€gt ist schließlich auch die kirchliche Musik, insofern sich mit der Reformation die einheitliche Form des Gottesdienstes auflöst. Neben die musikalische Gestaltung der tridentinischen Messe tritt jetzt im lutherischen Gottesdienst der Choral, im calvinistischen der Psalter. Die konfessionelle PrĂ€gung der europĂ€ischen Kunst bleibt bis ins 18. Jahrhundert erhalten und verliert erst mit der AufklĂ€rung an Bedeutung. Wer einen allgemeinen Überblick ĂŒber die unterschiedlichen Beziehungen zwischen Kunst und Religion vom Mittelalter bis zur Epoche des Barock gewinnen möchte, muss zu dem vorliegenden Werk greifen.

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Information

Jahr
2021
ISBN
9783110699418
Auflage
1
Thema
Art

1 Das barocke Rom

Gegenreformation und Barock

Rom war das Zentrum der Gegenreformation und des nachtridentinischen Katholizismus, der sich nicht nur von der Reformation in ihren unterschiedlichen Schattierungen abgegrenzt hatte, sondern auch zu neuer Geschlossenheit und StĂ€rke gelangt war. Dem versuchten die PĂ€pste durch die architektonische Neugestaltung der Stadt, durch Bauwerke und sonstige kĂŒnstlerische Auftragswerke Ausdruck zu verleihen. Doch es waren nicht nur die PĂ€pste, die seit dem Beginn des 17. Jahrhunderts das Bild des barocken Rom prĂ€gten, sondern ebenso trugen die namhaften Adelsfamilien und KardinĂ€le sowie die verschiedenen Orden, nicht zuletzt der auf Papsttreue eingeschworene Jesuitenorden, dazu bei. Rom wurde so zum glanzvollen kĂŒnstlerischen Mittelpunkt Europas und behielt diese Stellung bis weit ins Jahrhundert hinein, bevor es im 18. Jahrhundert mit dem politischen Niedergang des Papsttums zusehends musealen Charakter annahm. Dabei standen sich in Rom zu Beginn des 17. Jahrhunderts zwei Richtungen der Malerei gegenĂŒber, die sich von der manieristischen Malweise abgrenzten und beide gleichermaßen den römischen Barock prĂ€gten. ReprĂ€sentiert wurden sie durch zwei Nichtrömer, nĂ€mlich durch den aus Caravaggio bei Mailand stammenden Michelangelo Merisi und den Bologneser Annibale Carracci. Vertrat Caravaggio einen naturalistischen Malstil, der auf Michelangelo zurĂŒckgriff, so orientierte sich Carracci mit seinem klassischen Stil an der Malerei Raffaels. Mit seinem dramatisch aufgeladenen Naturalismus revolutionierte Caravaggio die Malerei, und er ĂŒbte einen nachhaltigen Einfluss nicht nur auf die italienische, sondern auch auf die spanische und niederlĂ€ndische Kunst aus. FĂŒr das VerstĂ€ndnis seiner Bilder ist entscheidend seine Herkunft aus der Lombardei, wo er seine Ausbildung bei Simone Peterzano in Mailand erhielt, bei dem sich venezianische Farbigkeit mit lombardischem Interesse an NatĂŒrlichkeit und Alltagswelt verband. Auch der Sinn fĂŒr nĂ€chtliche Szenen mit dem Kontrast von Hell und Dunkel dĂŒrfte Caravaggio in Mailand durch Maler wie Antonio Campi und Giovanni da Monte vermittelt worden sein. Zugleich war Mailand ein Zentrum der nachtridentinischen Reformbewegung, die durch den Kardinal Carlo Borromeo reprĂ€sentiert wurde. Als Bischof bemĂŒhte er sich mit Hilfe der von ihm nach Mailand geholten Jesuiten, durch Visitationen und Synoden die Trienter ReformbeschlĂŒsse in seiner Diözese wirksam umzusetzen. Außer an der Ausbildung und LebensfĂŒhrung der Priester sowie an der Förderung der karitativen TĂ€tigkeit war er daran interessiert, die Frömmigkeit der Laien zu heben und sie fĂŒr die Kirche zu gewinnen. Diesem Ziel sollte auch die bildende Kunst dienen. Dabei orientierte er sich wie auch sein Bologneser Bischofskollege Gabriele Paleotti an den tridentinischen Bestimmungen zu sakralen Bildern. Paleotti hatte 1582 seinen „Discorso intorno alle immagini sacre e profane“ veröffentlicht, der 1594 erneut auf Lateinisch erschien. Dort betonte er, wie wichtig die Bilder fĂŒr den Volksunterricht seien, und bekĂ€mpfte die Auffassung der HĂ€retiker – gemeint sind die Calvinisten –, die den Gebrauch von Bildern verwerfen, als ob sie der geistigen Gesundheit des Menschen schaden wĂŒrden. Denn Paleotti zufolge helfen die Bilder dem Menschen bei seiner Erlösung, da die Glaubensartikel durch sie noch besser verstanden werden als durch wörtliche ErklĂ€rungen. Allerdings warnte er auch vor Bildern, die vom Glauben der Kirche abweichen, und erinnerte den Maler an seine Aufgabe, die Natur nachzuahmen8. Das hieß zugleich, dass der Maler bei der Darstellung biblischer Szenen realistisch statt allegorisch verfahren mĂŒsse. Als Vorbild fĂŒr eine derartige realistische oder naturalistische Malweise diente in Mailand vor allem Leonardos „Abendmahl“ in Santa Maria delle Grazie.
Ganz auf dieser Linie der tridentinischen Verteidigung religiöser Bilder vor allem gegenĂŒber der calvinistischen Bilderkritik argumentierte auch Federico Borromeo, der 1595 seinem Vetter Carlo auf dem MailĂ€nder Bischofsthron folgte. Bevor er 1601 endgĂŒltig nach Mailand ĂŒbersiedelte, verbrachte er mehrere Jahre in Rom, und wĂ€hrend seiner römischen Zeit entstand seine Abhandlung „De pictura sacra“, die er allerdings erst 1624 publizierte. Ein Jahr spĂ€ter folgte die Veröffentlichung seines „Musaeum“, einer Beschreibung der GemĂ€lde, die in der 1618 von ihm gegrĂŒndeten MailĂ€nder „Ambrosiana“ ausgestellt waren. Borromeo teilte die tridentinische Auffassung, dass die Bischöfe das Volk nicht nur mit Worten, sondern auch mit Bildern in den Geheimnissen des Glaubens und den heiligen Geschichten unterrichten sollten9. Allerdings mĂŒssten die Maler oder Bildhauer bei der Herstellung sakraler Kunstwerke bestimmte Regeln befolgen. So mĂŒssten sie sich an die tatsĂ€chliche Wahrheit halten, was fĂŒr Borromeo etwa implizierte, dass ein Bild, das zeigt, wie der junge Jesus in Gegenwart seiner Mutter das Lesen lernt, falsch ist, weil dies der Allwissenheit des Gottmenschen widerspricht. Der historischen Wahrheit widerspricht es in seinen Augen auch, wenn man den heiligen Franziskus bei der Geburt Christi anwesend sein lĂ€sst10. Auch haben pagane Elemente auf sakralen Bildern nichts verloren. Daher schließt sich Borromeo, wenngleich er den KĂŒnstler ansonsten hoch schĂ€tzt, der verbreiteten Kritik an Michelangelos „JĂŒngstem Gericht“ an und ist glĂŒcklich darĂŒber, dass Charons Nachen durch den Hochaltar verdeckt wird. Die bei heidnischen Statuen ĂŒbliche Nacktheit ist fĂŒr ihn bei christlichen Bildern unangemessen, und die Kleidung der einzelnen Personen soll deren Stand entsprechen. Er hĂ€lt es deshalb fĂŒr falsch, wenn Maria und Joseph kostbar gekleidet sind, da sie ein Leben in Armut fĂŒhrten. Der historischen Wahrheit widerspricht es zudem, wenn man das Alter der Heiligen nicht beachtet. So ist es beispielsweise inkorrekt, wenn man Paulus bei seiner Bekehrung bĂ€rtig als alten Mann darstellt, da er damals noch jung war. FĂŒr Borromeo verlangt es die Aufgabe sakraler Bilder, die Frömmigkeit der Betrachter zu fördern, dass die KĂŒnstler selbst fromm sind, damit sich diese Frömmigkeit in ihren Kunstwerken niederschlĂ€gt11. In dieser Hinsicht empfiehlt er sogar die paganen Bildhauer und Tragödiendichter als Vorbilder, die nach antiken Zeugnissen fasteten, bevor sie schöpferisch tĂ€tig wurden. Nach den allgemeinen Regeln, an die sich KĂŒnstler bei der Herstellung sakraler Bilder und Skulpturen zu halten haben, wendet sich Borromeo im zweiten Teil seines Werkes der Behandlung der verschiedenen Sujets dieser Kunstwerke zu, angefangen von der TrinitĂ€t bis hin zu den Heiligen. Sie verlange von jedem KĂŒnstler eine Kenntnis der religiösen Literatur, also eine theologische Bildung, wie er sie trotz mancher EinwĂ€nde gegen seine GemĂ€lde exemplarisch bei Michelangelo gegeben sieht12. Die Darstellung des Vaters als bĂ€rtiger Greis oder des Heiligen Geistes als Taube hĂ€lt Borromeo nur dann fĂŒr gerechtfertigt, wenn man sich ihres metaphorischen Charakters bewusst ist. Beim letzten Mahl Jesu mit seinen JĂŒngern mĂŒsse man sich bei den Speisen auf Brot und Wein beschrĂ€nken, da in der Schrift von dem beim jĂŒdischen Passah ĂŒblichen Lamm nicht die Rede sei. Borromeo empfiehlt Leonardos MailĂ€nder GemĂ€lde als vorbildhafte Darstellung des Abendmahls Jesu und erwĂ€hnt dabei auch, dass er wegen des fortschreitenden Verfalls des WandgemĂ€ldes eine Kopie davon fĂŒr die Ambrosiana habe anfertigen lassen13. In seinem „Musaeum“, in dem er die einzelnen GemĂ€lde der Ambrosiana, darunter auch zahlreiche Bilder des mit ihm befreundeten Jan Breugel d. Ä., beschreibt, rĂŒhmt er an Leonardos Darstellung vor allem die naturalistische Fassung der gestikulierenden JĂŒnger, die auf Jesu AnkĂŒndigung des Verrats reagieren14.

Caravaggio und Carracci

WĂ€hrend seines römischen Aufenthalts freundete sich Borromeo nicht nur mit dem Maler Federico Zuccaro an, den er als Principe der dortigen Accademia di San Luca förderte. Vielmehr gab er vermutlich auch selbst GemĂ€lde in Auftrag, die seinem eigenen naturalistischen Geschmack entsprachen. Er erwĂ€hnt unter anderem Caravaggios „Fruchtkorb“, ein um 1597/98 entstandenes Stilleben mit Trauben und Äpfeln, das er fĂŒr die Ambrosiana erwarb15. Stilleben und gemalte Landschaften waren fĂŒr ihn Bilder der göttlichen Schöpfung, deren Darstellung in seinen Augen einen naturalistischen Stil geradezu erforderte. Daher unterstĂŒtzte er, der 1620 in Mailand eine eigene Kunstakademie grĂŒndete, auch die Abkehr vom Manierismus und die Hinwendung zum Naturalismus, die in den achtziger und neunziger Jahren von den Carracci ebenso vollzogen wurde wie von Caravaggio. Gerade mit ihrer naturalistischen Malweise, ihrer an den Venezianern geschulten Hell-Dunkel-Malerei und ihrer Darstellung alltĂ€glicher Szenen wirkten die Mitglieder der Carraccifamilie, die in Bologna eine eigene Akademie unterhielten, auf Caravaggio ein16. 1592 kam dieser nach Rom, wo er schon bald in Kardinal Francesco Maria del Monte seinen ersten MĂ€zen fand, der ihn im Palazzo Madama nahe der Piazza Navona aufnahm. Hier entstanden 1594 auch seine ersten religiösen Bilder: „Die Reuige Magdalena“, „Ruhe auf der Flucht nach Ägypten“ und „Die Ekstase des hl. Franzsikus“. Besonders beliebt war die Darstellung der bĂŒĂŸenden Magdalena, die ĂŒber ihre SĂŒnden TrĂ€nen vergießt, sich ihres Schmucks entledigt und ihr Haar abgeschnitten hat, weil sie den Betrachter dazu aufforderte, sich selbst zu einem frommen Lebenswandel zu bekehren. 1597/98 begegnet Magdalena erneut, dieses Mal in dem GemĂ€lde „Martha bekehrt Magdalena“. WĂ€hrend Martha noch die GrĂŒnde fĂŒr die Abwendung von ihrem bisherigen sĂŒndhaften Leben an den Fingern aufzĂ€hlt, ist Magdalene lĂ€ngst vom Strahl des göttlichen Lichts getroffen, das aus dem Rundspiegel reflektiert. Prachtvolle Kleidung sowie Schminkutensilien und Kamm weisen sie als Prostituierte aus, wĂ€hrend die OrangenblĂŒte, die sie vor ihre Brust hĂ€lt, sie als mystische Braut Christi identifiziert17. Was die von Borromeo vom Maler verlangte historische Wahrheit angeht, so ist Caravaggios „Hl Katharina“, gleichfalls 1597/98 fĂŒr Del Monte gemalt, ein treffendes Beispiel. Denn traditionell wurde die Ă€gyptische Königstochter mit dem Rad, auf dem sie als bekennende Christin hingerichtet werden sollte, dargestellt. Sie ĂŒberlebte aber dank ihres Gebets das Rad und wurde anschließend enthauptet, so dass das Schwert das Werkzeug ihres Martyriums ist. Daher erforderte es die historische Wahrheit, sie statt mit dem Rad mit dem Schwert darzustellen. Genau dies geschieht bei Caravaggio, der der prachtvoll gekleideten Königstochter das Schwert in die Hand gibt, das den Palmzweig am Boden – das Symbol des Martyriums – berĂŒhrt, wĂ€hrend das Rad in den seitlichen Hintergrund gedrĂ€ngt wird18. Caravaggio war schon frĂŒh daran interessiert, affekterregende grausame Szenen darzustellen, um beim Betrachter jenes Schaudern auszulösen, das der Steigerung der Frömmigkeit dienen sollte. Das gilt fĂŒr seine „Judith“, die die mutige Israelitin bei der Enthauptung des Holofernes zeigt, ebenso wie fĂŒr „Isaaks Opfer“, das er 1597/98 fĂŒr Matteo Barberini, den spĂ€teren Papst Urban VIII. malte. Das letzte GemĂ€lde stellt den Augenblick dar, in dem der Engel mit dem Verweis auf den Widder Abraham im letzten Moment davon abhĂ€lt, den von ihm niedergedrĂŒckten, keineswegs ergebenen, sondern qualvoll schreienden Isaak mit dem Messer zu töten. Caravaggio portrĂ€tierte Barberini kurz nach 1600, zu einer Zeit, als er 1601 zunĂ€chst als außerordentlicher Gesandter und seit 1604 als pĂ€pstlicher Nuntius in Frankreich weilte. Der spĂ€tere Papst hegte eine besondere AffinitĂ€t zu Frankreich, zumal er bereits 1595 von Clemens VIII. den Auftrag erhalten hatte, die Absolution des zum Katholizismus konvertierten ehemaligen HugenottenfĂŒhrers Heinrich von Navarra vorzubereiten.
Caravaggios Stunde schlug, als er 1599 den Auftrag erhielt, jene Kapelle in der Kirche San Luigi dei Francesi auszumalen, die Kardinal Mathieu Cointrel – italianisiert Matteo Contarelli – 1565 erworben hatte. Nachdem sich dessen ursprĂŒngliche PlĂ€ne zur Ausstattung der Kapelle, die seinem Namenspatron gewidmet war, zerschlagen hatten und nur die Decke inzwischen mit einem Fresko Guiseppe Cesaris versehen worden war, vermittelte Del Monte den jungen Caravaggio als Ersatzmaler. Dieser begann mit dem AltargemĂ€lde, das gemĂ€ĂŸ den prĂ€zisen Anweisungen des Auftraggebers einen sitzenden MatthĂ€us mit Buch darstellen sollte, der schreibt oder schreiben will, neben ihm ein ĂŒberlebensgroßer stehender Engel, der mit ihm argumentiert oder Ă€hnliches tut19. In der ersten Version von 1599 sieht man den physiognomisch an Sokrates erinnernden bĂ€rtigen Evangelisten mit ĂŒbereinandergeschlagenen bloßen Beinen und barfĂŒĂŸig, wie er sitzend sein Evangelium in ein Buch eintrĂ€gt. Der rechts neben ihm stehende geflĂŒgelte Engel, das traditionelle Symbol des MatthĂ€us, fĂŒhrt ihm dabei die rechte Hand. Diese Fassung stieß allerdings auf wenig Gegenliebe, und Caravaggio fertigte 1602 eine zweite Version an. Hier sieht man MatthĂ€us, mit dem einen Bein auf einer Holzbank kniend, mit dem anderen stehend und die Feder in der Hand, ĂŒber einem Buch. Der Kopf blickt schrĂ€g nach oben, wo ein Engel herabschwebt, der mit den Fingern so gestikuliert, als zĂ€hle er etwas auf. Dies deutet auf die Mitteilung der Genealogie Jesu zu Beginn des Evangeliums hin. Der Unterschied zwischen den beiden Fassungen liegt in der theologischen Interpretation der Inspiration des Evangeliums. Dass es durch den Engel als göttlichen Boten inspiriert ist, wird in beiden FĂ€llen vorausgesetzt. Aber wĂ€hrend in der ersten Version der Evangelist nur als passives Instrument des Engels erscheint, der ihm die Hand fĂŒhrt, rĂ€umt die zweite Fassung MatthĂ€us mehr Freiheit bei der Abfassung des Evangeliums ein. Möglicherweise spielt dabei die zwischen Protestanten und Katholiken strittige Frage nach dem VerhĂ€ltnis von Gnade und freiem Willen oder auch der Unterschied zwischen Verbal- und Sachinspiration eine Rolle. In beiden Versionen wird der Evangelist als einfacher muskulöser Mann, daher auch mit bloßen verschmutzten FĂŒĂŸen dargestellt. Das entsprach nicht nur dem gegenreformatorischen Armutsideal, sondern auch der Forderung nach historischer Wahrheit. Denn die JĂŒnger waren einfache Leute und sollten auch so dargestellt werden, wodurch sich besonders einfache Leute angezogen fĂŒhlen mussten.
In der zweiten Version ist MatthĂ€us Ă€ußerlich dem Evangelisten angeglichen, wie er auf den beiden ĂŒbrigen großflĂ€chigen Historienbildern der Kapelle erscheint, der „Berufung des hl. MatthĂ€us“ von 1600 und dem bereits 1599/1600 entstandenen „Martyrium des hl. MatthĂ€us“ (Abb. 1).
Abb. 1: Caravaggio, Das Martyrium des MatthÀus (1599/1600); Rom, San Luigi dei Francesi, Capella Contarelli.
Das frĂŒhere GemĂ€lde stellt jene Szene dar, in der der Evangelist im Auftrag des Ă€thiopischen Königs getötet wird. Die „Legenda aurea“ berichtet von der missionarischen TĂ€tigkeit des MatthĂ€us in Äthiopien, wo er bei dem KĂ€mmerer wohnte, den laut Apg 8, 26–40 Philippus getauft hatte. Als er den plötzlich verstorbenen Sohn des Königs Egippus durch sein Gebet auferweckt, wollen ihn der König und das Volk als den in Menschengestalt erschienenen Gott verehren. MatthĂ€us wehrt das mit dem Hinweis ab, dass er beileibe kein Gott, sondern der Diener Christi sei. Daraufhin wird ihm eine kostbare Kirche errichtet, in der er 33 Jahre wirkt und Ägypten zum wahr...

Inhaltsverzeichnis

  1. Title Page
  2. Copyright
  3. Contents
  4. Einleitung
  5. 1 Das barocke Rom
  6. 2 Oper und Oratorium in Italien
  7. 3 Die ErzĂ€hlliteratur des spanischen Siglo de Oro
  8. 4 Tirso de Molina und Calderon
  9. 5 Die spanische Barockmalerei
  10. 6 Rubens und die flĂ€mische Malerei
  11. 7 Die niederlĂ€ndische Literatur im Goldenen Zeitalter
  12. 8 Rembrandt und die hollĂ€ndische Malerei
  13. 9 Englische Dichtung zwischen BĂŒrgerkrieg und Restauration
  14. 10 Milton
  15. 11 Von der Restauration zur Glorious Revolution
  16. 12 Der französische Barock in Architektur und Malerei
  17. 13 Corneille und Moliùre
  18. 14 Der Jansenismus, Pascal und Racine
  19. 15 Die Querelle des Anciens et Modernes
  20. 16 Musik in Paris, Rom, Neapel und Venedig
  21. 17 SchĂŒtz und die Musik in Sachsen
  22. 18 Opitz und die schlesische Dichtung
  23. 19 Zesen und der NĂŒrnberger Dichterkreis
  24. 20 Das geistliche Lied
  25. 21 Schultheater und Trauerspiel
  26. 22 Der deutsche Barockroman
  27. 23 Grimmelshausen
  28. 24 Katholische Kirchen, Klöster und geistliche Residenzen
  29. 25 Protestantischer Kirchenbau in Deutschland und England
  30. 26 Das Kirchenlied im Pietismus
  31. 27 Die deutsche Barockmusik
  32. 28 HĂ€ndel und das biblische Oratorium
  33. 29 Bach
  34. GesamtĂŒbersicht – Kunst und Religion zwischen Mittelalter und Barock: Von Dante bis Bach
  35. Personenregister
  36. Ortsregister