4 Bildung als Dienstleistung
Bildung wird hier als Dienstleistung verstanden, die Lern- und Entwicklungsschritte und darüber hinaus wirtschaftliche und soziale Prozesse unterstützt. Die Leistung erfolgt in der Form von Lehr- und Studiengängen, Kursen, Workshops, Coaching, Beratung usw. (Schlutz 2006; Müller 2009, 76). Bildungsdienstleistungen erzeugen qualifikatorische und monetäre Werte, also Nutzen für die Beteiligten und ihr weiteres Umfeld (Schöni 2012). Bei einer Bildungsdienstleistung ist die aktive Beteiligung der Kundin, des Kunden an der Leistungserbringung von zentraler Bedeutung. Leistungsprozesse der Bildung lassen sich daher nicht einseitig durch die Anbieterseite steuern. Der qualifikatorische Wert, den Bildungsdienstleistungen für ihre Kundinnen und Kunden schaffen, wird formell mit dem Ausbildungszertifikat bestätigt; sein praktischer Nutzen hängt aber in hohem Maße von der Qualität der Leistungsprozesse und der gelingenden Interaktion der Beteiligten ab.
Dabei bedeutet der Begriff »Kunde« Unterschiedliches: Lernende bzw. Teilnehmende, Abnehmerinnen und Abnehmer oder Auftraggeberinnen und Auftraggeber. Ihre Erwartungen, Nutzungsperspektiven und Verwertungsmöglichkeiten können auseinanderlaufen, und oft verändern sie sich mit der Abwicklung der Dienstleistung. Nur wenn die Erwartungen in diesem Prozess wenigstens teilweise zur Deckung kommen, kann eine Bildungsdienstleistung Werte schaffen. Bei stark divergierenden Erwartungen sind die Lernergebnisse und ihre Verwertung infrage gestellt.
Bildungsanbieterinnen und -anbieter sollten genauso wie andere Dienstleistungsbetriebe eine konsequente Dienstleistungshaltung unter Beweis stellen, das heißt: Kundenrollen und Erwartungen klären, Leistungspotenziale aufbauen und Leistungsprozesse zusammen mit den Beteiligten gestalten, damit die in der Angebotsausschreibung versprochenen Werte tatsächlich entstehen können. Zudem sollte sich ihr Leistungsangebot, das in der Regel die Lernorganisation vorgibt, an den allfälligen Vorteilen selbstorganisierten Lernens messen lassen. Hier zeigt das Weiterbildungsgeschäft häufig Defizite. Anbieter zielen auf Marktexpansion und auf rasch absetzbare Standardprodukte, und sie vernachlässigen häufig die Dienstleistungsoptik. Sie setzen den Kundennutzen fälschlicherweise mit der formellen Teilnahme und dem Erhalt des Kurszertifikats gleich und bauen darauf, dass die Kundinnen und Kunden unter den angebotenen Lernprodukten ihre Kaufentscheidung treffen und die vom Anbieter festgelegte Abwicklung befolgen. So werden jedoch Wertschöpfungspotenziale, die in selbstorganisiertem Lernen angelegt sind, preisgegeben. Dieses Kapitel geht unter anderem der Frage nach, inwieweit eine konsequente Dienstleistungsoptik der Verkaufs- und Konsumorientierung im Weiterbildungsgeschäft entgegenwirken könnte.
Kapitel 4.1 beginnt mit dem Begriff der Dienstleistung. Welches sind die Charakteristika einer Dienstleistung, was unterscheidet sie von der gewerblichen oder industriellen Güterproduktion? Und inwiefern kann man Bildungsangebote als Dienstleistung verstehen? Kapitel 4.2 fragt nach dem Spezifischen einer Bildungsdienstleistung: Welches sind ihre Kerndimensionen und Unterscheidungsmerkmale? Welche Anforderungen stellt sie an die Prozessbeteiligten und an ihre Zusammenarbeit? Kapitel 4.3 geht der Frage nach, welche Alternativen Weiterbildungsinteressierte zur Inanspruchnahme einer Bildungsdienstleistung haben. Es vergleicht das vom Dienstleister fremdorganisierte mit dem selbstorganisierten Lernen und erörtert Vor- und Nachteile beider Möglichkeiten aus Kundensicht. Kapitel 4.4 führt das Kundenbeziehungsschema ein. Es dient dazu, für eine Bildungsdienstleistung die Rollen der Beteiligten, Nutzenerwartungen, Lernressourcen und Restriktionen zu klären und daraus Folgerungen für das Wertschöpfungspotenzial zu ziehen. Der im Weiterbildungsgeschäft häufig verwendete Begriff der »Kundenorientierung« wird unter die Lupe genommen. Kapitel 4.5 hält die wichtigsten Punkte der Analyse von Bildungsdienstleistungen fest.
4.1 Dienstleistung und Güterproduktion
Zur Kategorie der Dienstleistungen zählen beispielsweise Reiseveranstaltungen, Theateraufführungen, juristische Beratung, Haareschneiden, die Fahrradreparatur und das Weiterbildungsangebot. In all diesen Fällen wird an einem Gut oder einer Person eine Leistung erbracht, deren Empfängerin oder Empfänger bei der Leistungserbringung selber mitwirkt, und zwar in einem vom Dienstleistungskonzept bestimmten Ausmaß.
Theoretisch unterscheidet sich die Dienstleistung von der Güterproduktion darin, dass Erstere in der Regel immaterielle Güter erzeugt, also z.B. praktisches Wissen, eine Instandstellung, Erlebnisse, Problemlösungen. Ergebnisse von Dienstleistungen sind in der Regel nicht lagerfähig, sie können nicht auf Vorrat erstellt und dann abgesetzt werden. Leistungserstellung und Aneignung der Resultate erfolgen vielmehr gleichzeitig, die Kundin oder der Kunde ist in den Dienstleistungsprozess integriert (Fließ 2006, 31f.). Dies impliziert, dass Anbieter ihre Dienstleistungsprozesse nicht völlig einseitig steuern und auch nicht routinemäßig abwickeln können. Die Steuerung muss zu jedem Zeitpunkt auf die aktuelle Situation und die Bedürfnisse der Kundenseite Bezug nehmen.
Eine allgemeine Definition der Dienstleistung lautet wie folgt: Dienstleistungen sind vermarktbare wirtschaftliche Leistungen, die nicht als fertige Produkte übergeben, sondern in Prozessen, in der Interaktion mit Kundinnen und Kunden erbracht werden und dabei Gebrauchswerte (Nutzen) und monetäre Werte erzeugen.
Unterschiede zur Güterproduktion bestehen auch in der Abfolge der Prozessschritte (Abb. 4.1): Güter werden für den späteren Absatz produziert; bei der Dienstleistung steht hingegen der Absatz, das heißt die Vereinbarung von Leistung und Abnahme, an erster Stelle. Erst danach kommt der Dienstleistungsprozess in Gang, also das Beraten, Problemlösen, Erleben, Instandhalten. Dienstleistungen werden in enger Zusammenarbeit mit den Kunden erbracht, während in der Güterproduktion die Kunden ein »fertiges« Produkt ausgeliefert erhalten. Natürlich müssen in beiden Fällen – in der Güterproduktion wie bei der Dienstleistung – die dafür erforderlichen Potenziale zuvor geschaffen werden, das heißt: Angebote werden vorgängig entwickelt, Know-how wird aufgebaut, und die Beschaffung von Hilfsmitteln wird sichergestellt.
Abb. 4.1: Abfolge von Güterproduktions- und Dienstleistungsprozessen
(idealtypisch, in Anlehnung an Schlutz 2006, 16)
Die Gegenüberstellung der beiden Abläufe in Abb. 4.1 dient der konzeptuellen Präzisierung und Typenbildung. In der wirtschaftlichen Praxis ist die Abgrenzung längst schwächer geworden, seit auch die Industrie ihre Prozesse vermehrt mit dienstleistenden Tätigkeiten anreichert: Produzenten binden ihre Kunden bereits in die Produktentwicklung ein; sie beschränken sich nicht mehr darauf, Produkte abzusetzen, sondern begleiten ihren Einsatz beim Abnehmer mit wertsteigernden Dienstleistungen. Auf der anderen Seite werben heute auch viele Dienstleister nicht mehr »nur« mit guten Leistungsprozessen und kompetenter Beratung, sondern mit Markenprodukten, deren Design für die Lösung von Kundenproblemen nicht entscheidend ist, deren Kauf dem Kunden aber Zusatzvorteile verspricht: das Renommee der Beratungsfirma färbt auf das Image des Kunden ab; technologiegestützte Beratungs- und Expertiseverfahren garantieren eine »moderne« Problemlösung; prestigeträchtige Bildungstitel, verliehen vom marktbeherrschenden Anbieter, verschaffen einen Karrierebonus am Arbeitsmarkt. In solchen Fällen verlieren spezifische Qualitäten von Dienstleistungsprozessen – auch bei Bildungsdienstleistungen – an Bedeutung. Hier zählt der Kauf einer »Marke«, von deren Imagewirkung die Kundin, der Kunde profitieren möchte, genauso wie bei einem anderen Konsumgut.
4.2 Merkmale von Bildungsdienstleistungen
Der Dienstleistungsbegriff bezieht sich also auf ganz verschiedene Arten von Tätigkeiten. Sie unterscheiden sich in Gegenstand, Prozess und Ergebnis der Leistungserbringung: Eine Fahrradreparatur richtet sich auf ein Gebrauchsobjekt, beinhaltet eine Abfolge von technischen Verrichtungen und ist im Ergebnis greifbar; eine Schulung oder Beratung richtet sich an Personen, sie erfolgt in interaktiven Handlungen, und ihr Ergebnis bedarf kundiger Einschätzung und des Vergleichs mit Ausgangslage und Zielsetzung. Eine Fahrradreparatur erfordert technisches Wissen, eine Sozial- oder Weiterbildungsberatung breites, multidisziplinäres Wissen. Die Fachliteratur (z. B. Fließ 2006, 37f.) führt mehrere solche Dimensionen auf, nach denen sich Dienstleistungen – auch Bildungsdienstleistungen – charakterisieren und unterscheiden lassen. Schlutz (2006, 20f.) beschreibt die Merkmalsdimensionen von Dienstleistungen durch einander entgegengesetzte Begriffspole; konkrete Dienstleistungen lassen sich zwischen den Polen einordnen.
Bildungsdienstleistungen lassen sich auf den Merkmalsdimensionen in Abb. 4.2 tendenziell rechts von der Mitte einordnen: Sie sind personenbezogen und oft erst in der Durchführung oder im Rückblick beurteilbar; die Leistungserbringung ist ohne eine starke Integration und Eigenaktivität der Kundinnen und Kunden, das heißt der Lernenden und der Abnehmer, nicht möglich; die Leistungsprozesse müssen individualisierte und damit vielfältige Lernwege zulassen, sie lassen sich daher nur bedingt standardisieren.
Abb. 4.2: Merkmalsdimensionen zur Charakterisierung von Dienstleistungen
(in Anlehnung an Schlutz 2006, 20)
Das konstruierte Setting der Leistungserbringung
Individualität, Vielfalt und Kundenintegration setzen Restriktionen für die wirtschaftliche Optimierung von Bildungsdienstleistungen. Prozessstandardisierung und Mengenausweitung von Leistungen sind nur in Grenzen möglich. Bildungsdienstleister versuchen, solche Restriktionen dadurch zu kompensieren, dass sie die Lehr-Lern-Leistungen ausschließlich in konstruierten, hinsichtlich des Aufwands kontrollierbaren Settings erbringen. Das Lernen der Erwachsenen wird überwiegend fremdorganisiert und findet in institutionellen Umgebungen statt, in denen der Anbieter die Regeln vorgibt. Geregelt werden Lernwege und Sequenzierungen, Verhalten und Interaktionen, Rollen (z. B. »Expertin« vs. »Novize«), Leistungsbeurteilung und Sanktionierung (würdigendes Feedback, disziplinarische Maßnahme). Die Anwendung solcher Regeln hat unter anderem zur Folge, dass sich das institutionelle Lernsetting vom alltäglichen Umfeld der Teilnehmenden mehr oder weniger scharf abhebt. Mit Bezug auf traditionelle Ausbildungsinstitutionen spricht Faulstich (2009, 14f.) von »Disziplinaranlagen des Lernens«. Während die Disziplinierung in der allgemeinen Weiterbildung (ohne Abschluss) nur noch im Hintergrund wirksam ist, hat man die Konstruktion und Inszenierung der Lernsettings mit normativen, methodischen und lerntechnologischen Mitteln inzwischen perfektioniert (vgl. Kapitel 8.2). Der »Transfer«, nämlich der Lerntransfer vom Setting ins berufliche Handlungsfeld und der Erfahrungstransfer zurück ins Lernsetting, ist da...