Welche Bildung braucht die Wirtschaft?
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Welche Bildung braucht die Wirtschaft?

Antworten aus Wirtschaft, PÀdagogik, Wissenschaft, SpiritualitÀt und Politik

  1. 216 Seiten
  2. German
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  4. Über iOS und Android verfĂŒgbar
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Welche Bildung braucht die Wirtschaft?

Antworten aus Wirtschaft, PÀdagogik, Wissenschaft, SpiritualitÀt und Politik

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Über dieses Buch

Dieses E-Book enthĂ€lt komplexe Grafiken und Tabellen, welche nur auf E-Readern gut lesbar sind, auf denen sich Bilder vergrössern lassen.VerkĂŒrztes Gymnasium, PISA-Rankings, verschultes Studium: Im Namen wirtschaftlicher Effizienz haben Reformen die FreirĂ€ume des jugendlichen Engagements stark eingeschrĂ€nkt. Dient das der Wirtschaft tatsĂ€chlich, wenn doch Verantwortung nicht durch Auswendiglernen, sondern durch freiwilliges Engagement erwacht und reift? Und wie verhalten sich die Reformen zur WĂŒrde des Menschen und zu seinem guten Leben? Autorinnen und Autoren unterschiedlicher Fachrichtungen suchen in diesem Tagungsband nach Antworten auf die Frage, wie sich eine menschengerechte Bildung und nachhaltige Wirtschaft vereinbaren lassen.

HĂ€ufig gestellte Fragen

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Information

Jahr
2017
ISBN
9783035507386
Auflage
1
Thema
Bildung

Thomas Philipp: Synthese

Thomas Philipp
Synthese
»Zu einem Lehrer gehört nicht bloß Talent und Wissen, sondern auch MoralitĂ€t und PflichtgefĂŒhl, und zum Wissen selbst, wenn es nicht ein auswendig gelerntes sein soll, dessen Schule und UniversitĂ€t besser entrathen, wird die eine und das andere erfordert.«
Wilhelm von Humboldt (1809, 108)
Es ist ĂŒblich, ja zur leitenden Vorstellung der Bildungspolitik geworden, das Werden des jungen Menschen am Output zu messen und diesen kleinrĂ€umig zu kontrollieren und zu steuern. Damit gerĂ€t die menschliche Entwicklung unter bestĂ€ndigen Druck; die wirtschaftsförmige Sprache, die jene der Bildung ĂŒberschwemmt hat, spricht von Menschen und ihrer Reifung gar nicht mehr.
Ein dreifacher Kulturbruch
Das bedeutet einen dreifachen Bruch mit der westlichen Vorstellung vom Menschen. Erstens, so arbeiten mehrere BeitrĂ€ge heraus, mit dem Menschenbild der AufklĂ€rung. Der Mensch und sein Werden sind in ihrer Eigendynamik und Selbstbestimmung zu achten. Sie dĂŒrfen nicht instrumentalisiert werden, auch nicht fĂŒr angebliche SachzwĂ€nge.
Dieses Menschenbild geht normativ vor. Menschlich ist man nicht einfach, man wird es durch Arbeit an sich selbst: so Herders grundlegende Bestimmung von Bildung als »Emporbildung zur HumanitĂ€t«[20]. Dieses Menschenbild verlangt von der Vernunft MĂŒndigkeit durch Selbstbildung. Das Argument Michael Hengartners, schon die mittelalterliche UniversitĂ€t habe vor allem die Bereitstellung von Berufsleuten zum Ziel gehabt, gerĂ€t mit dieser Norm in Konflikt. Mit der AufklĂ€rung und den Menschenrechten ist ein neues, ethisch höherstehendes Denken in unsere Geschichte eingetreten, das zu Recht kategorische Geltung beansprucht. An ihm haben sich die Bildungsziele, die eine UniversitĂ€t verfolgt, zu messen.
Diese Norm schließt die Anerkennung des anderen als gleichberechtigten Partner ein und darum die Bereitschaft, von seinen Argumenten zu lernen. Von dieser Norm hĂ€ngt die Demokratie unmittelbar ab. Letztere gibt es, mit Julian Nida-RĂŒmelin (2013, 220), nicht ohne die verantwortliche Person, die sich am Gemeinwohl orientiert und die fĂ€hig ist, »sich vom eigenen Interessenstandpunkt zu distanzieren, auch ĂŒber InteressengegensĂ€tze hinweg zu kooperieren, Kompromisse einzugehen«.
Zweitens liegt ein Bruch mit der neuhumanistischen Bildung vor. Statt nĂŒtzliche FĂ€higkeiten fĂŒr die Welt strebt sie ein Gegengewicht zu den ZwĂ€ngen des NĂŒtzlichen und Machbaren an. Sie sucht und fördert die Freude am Wahrnehmen und Entdecken, am Schönen und am Gestalten, am Hören und am schöpferischen Ausdruck seiner selbst. Sie zielt auf den Aufbau starker Idealvorstellungen und Haltungen, die den Menschen aufrichten und seinen Charakter formen. In einer Zeit, welche »die Aufmerksamkeit mehr auf Sachen, als auf Menschen, und mehr auf Massen von Menschen, als auf Individuen, mehr auf Ă€ussren Werth und Nuzen als auf innere Schönheit und Genuss«[21] richtet, soll die Auseinandersetzung mit der antiken Dichtung, Philosophie und Ethik, mit Musik und Kunst ein Fundament hervorbringen, das den StĂŒrmen des Lebens trotzt. Der Humanismus rechnet mit mĂ€chtigen, aber wenig reflektierten Motivationen in Mensch und Welt und erzieht dazu, ihnen gegenĂŒberzutreten, z. B. mit stoischer Distanz. So jedenfalls das Ideal: Das individuelle Werden lĂ€sst sich natĂŒrlich auch mit altsprachlicher Grammatik ersticken.
Ebenso radikal fĂ€llt der Bruch mit den jĂŒdisch-christlichen Werten aus. Der Mensch soll nicht Schöpfungen seiner Hand zum Götzen erheben, soll keinen Tanz um das goldene Kalb veranstalten (Ex 32): Er ist ja selbst das Bild Gottes (Gen 1,26)! »Wisst ihr nicht, dass ihr der Tempel Gottes seid und der Geist Gottes in Euch wohnt? 
 Gottes Tempel ist heilig, und der seid ihr«, schreibt Paulus, und: »Zur Freiheit hat Euch Christus befreit. Bleibt daher fest und lasst Euch nicht von neuem das Joch der Knechtschaft auflegen!« (1Kor 3,16 f.; Gal 5,1). FĂŒr das Christentum geht es zuerst um Menschen, erst danach um das, was sie leisten und beitragen können. »Der Sabbat ist fĂŒr den Menschen da, nicht der Mensch fĂŒr den Sabbat« (Mk 2,27). Gewiss ist das Christentum oft genug als Machtanspruch der Priester aufgetreten; so blieb es hinter seinem Niveau zurĂŒck. Aber es waren auch oft Christen, die widersprachen, wo Menschen benutzt wurden.
Die NĂ€he der biblischen zu den kantischen Aussagen fĂ€llt ins Auge. Hier wie dort darf der Mensch keinem fremden Ziel unterstellt werden; er darf sich dem fremden Ziel auch selbst nicht unterordnen. Der Humanismus tritt eher auf wie eine Methode zu diesem Ziel: Indem der junge Mensch möglichst lange vom Sog des Verwertbaren ferngehalten wird, kann er sich gemĂ€ĂŸ seiner eigenen Anlage entwickeln. Dem Protest der Weimarer Klassik gegen den Rationalismus des 18. Jahrhunderts folgend, zog das deutsche 19. Jahrhundert deshalb – nach ausfĂŒhrlicher Debatte! – den Neuhumanismus dem Utilitarismus der Philanthropinisten vor.[22]
Wie kommt es zur Verwirrung der Sprache?
Auch wenn die Konsequenzen unterschiedlich ausfallen, sind sich doch fast alle Autorinnen und Autoren dieses Bandes einig, dass Rechnen, Messen und ZĂ€hlen nicht ausreichen, um unserem Bildungswesen Richtung zu geben. Das stellt die Frage hinter den Fragen: Wie kommt unsere Zeit eigentlich auf die eigenwillige Idee, die Sprache des Greifbaren derart stark zu machen, wenn sie vom Menschen und vom Ziel seines Werdens spricht? Das Vertrauen auf das Messen, Rechnen und ZĂ€hlen ist nicht selbstverstĂ€ndlich, auch wenn es – wie jedes Vertrauen – diesen Eindruck zu erwecken sucht. Es handelt sich um ein durchaus eigenartiges PhĂ€nomen. Die folgende Skizze sucht in vier Schritten die Verwirrung zu verstehen, die das erstaunliche Vertrauen in die Sprache der Technik und Kontrolle erst möglich und attraktiv macht.
Erstens ist die Zielvorstellung vom Menschen, auf die hin Bildung geschieht, seit Jahrzehnten im Schlingern begriffen. Seine UnfĂ€higkeit, den Hass in Nationalismus und Rassismus zu erkennen und ihm entgegenzuwirken, hatte das allzu unpolitische deutsche Bildungsideal entwertet. So verdrĂ€ngte das pragmatische amerikanische »Lernen« (J. Dewey) nach dem Krieg »Bildung« als Leitbegriff der PĂ€dagogik. Aber auch Tiere lernen, sogar Computer. Und wer dressiert, wer programmiert sie? Der Bildungsbegriff verlangt, dass das Subjekt, soweit möglich, selbst diese Verantwortung ĂŒbernimmt; er entspricht der Ethik der AufklĂ€rung klar besser.
Die Achtundsechziger setzten Erziehung und Gesamtschule ein, um »gesellschaftlich hergestellte Ungleichheit« (Klafki 1985, passim) zu ĂŒberwinden. Die Besserung der Gesellschaft wurde wichtiger als die Achtsamkeit fĂŒr das Wachsen des Einzelnen. Diese PĂ€dagogik unterstellte, wie schon Plato, das individuelle Werden dem besseren Wissen der Erzieher – oder ihrer Ideologie. GegenĂŒber Humanisten wie Humboldt, Montessori oder Baden Powell ein Niveauverlust: »Look at the boy« bietet dem Werden des Einzelnen mehr WĂ€rme und Raum. Die wirtschaftsförmigen Reformen konnte diese Verzweckung der Bildung ĂŒbernehmen. Selbst in der politischen Instrumentalisierung der Bildung verfangen, brachte die Linke keinen wirksamen Widerstand zustande.
Im Blick auf die Frage, wer und wie ein Mensch sein solle, herrscht Verwirrung. Sie macht anfĂ€llig fĂŒr kurzschlĂŒssige Ideologien. Symptom dessen sind die zahllosen Reformen, welche die Schulen seit Jahrzehnten heimsuchen. Unsere Zeit stellt sich der Verantwortung nicht, durch Dialog und Auseinandersetzung ein tragfĂ€higes und verbindendes Leitbild des gebildeten Menschen zu finden und es verbindlich festzuhalten. Damit bleibt unsere Epoche hinter dem Niveau zurĂŒck, das die AufklĂ€rung ihr aufgibt: ein markantes Ethikdefizit.
Zweitens gilt nach dem Ende der »Großen ErzĂ€hlungen« der Einsatz fĂŒr Ideale der Gemeinschaft als unĂŒblich und etwas kurios. Der damalige, 2015 verstorbene Rektor der UniversitĂ€t Bern, Urs WĂŒrgler, klopfte mir 2010 nach einem kontroversen Podium auf die Schulter: »No verruggd, wie idjalisdisch Dir sid!« – »Erstaunlich, wie idealistisch Sie auftreten!« Er sei heute dem letzten Idealisten an der UniversitĂ€t Bern begegnet. Die Szene wirkte etwas altvĂ€terlich; neben einigem Befremden drĂŒckte sie wohl auch Respekt aus.
Den Idealismus des persönlichen Einsatzes, des Herzblutes bezieht unsere Zeit auf die Inszenierung seiner selbst in einer Ă€sthetischen Gestalt – und auf den Raum des Privaten: Kleinfamilie, Freundeskreis, Konsum, Karriere. Als Ideal verfolgt werden zuallererst die Paarbeziehung und die Kinder, was beide hĂ€ufig ĂŒberfordert. Dass hingegen die gesellschaftliche Welt vom pragmatischen Gewinnstreben, vom Markt regiert wird, hinterfragt unsere Epoche kaum mehr – selbst wenn, etwa im Blick auf den Besitz an Grund und Boden, historisch ­bewĂ€hrte genossenschaftliche Organisationsformen bereitstĂŒnden und menschlichere VerhĂ€ltnisse versprĂ€chen. In gesellschaftlichen Fragen zeigt man keinen Idealismus, lieber gibt man sich desillusioniert. Der gemeinschaftliche Einsatz in Verein, Gewerkschaft und Kirche ist einem langfristigen AbwĂ€rtstrend gefangen. Den Einsatz misst man am zu erwartenden Ertrag; wer mit wenig Einsatz durchkommt, gilt als clever.
Nicht selten pflegen Idealisten ein unversöhntes VerhĂ€ltnis zu Wirklichkeit. Idealismus kann Hass verbergen. Der leuchtende Entwurf, die Identifikation mit ihm kann die Auseinandersetzung mit hĂ€sslichem Scheitern ersetzen. Nationalismus, Kommunismus und Faschismus dachten hoch idealistisch, sie wollten einer ungenĂŒgenden Wirklichkeit etwas Besseres entgegen- und kĂ€mpferisch durchsetzen. In der Magersucht wirkt ein idealisiertes Selbstbild autoaggressiv. Ja: Idealismus ist gefĂ€hrlich. Es gibt starke GrĂŒnde fĂŒr eine pragmatische Ethik, die den Ball flach zu halten sucht.
Aber ohne Idealismus gibt es auch die Liebe nicht. Zahlreiche Filme – etwa Monsieur Mathieu und seine Kinder, The Mission, Schindler’s list oder Der Club der toten Dichter zeichnen in geradezu messianischem Licht Einzelne, die Idealen folgen. Inmitten finsterer VerhĂ€ltnisse gibt ihr Idealismus der Menschlichkeit Raum zu keimen und sich selbststĂ€ndig zu entfalten. Unter Einsatz ihrer Existenz schĂŒtzen die Helden sie vor Ă€ußerem Druck, vor Verletzung und Vernichtung. Unser marktförmiger Pragmatismus stellt diese Figuren in unwirkliches Licht – wenn die Helden sich nicht, wie Frodo Beutlin, Gandalf der Graue oder Harry Potter, von vornherein genötigt sehen, in einen phantastischen Raum auszuweichen.
Ohne Idealismus gibt es auch keine Ethik. Im pragmatischen Gewurstel findet der Lebensprozess kein GegenĂŒber. Das Maß geht verloren. Es beginnt zu wuchern. Irgendwelche MĂ€chtige setzen ihre Interessen durch. Da griffige Kriterien fehlen, fĂ€llt das kaum auf, alles bleibt im Schatten, ist einfach so. Ganz normal. Irgendjemand profitiert immer davon, dass es so ist, wie es ist, auch dann, wenn die Bedingungen eigentlich fĂŒr alle ungĂŒnstig sind. Idealismus ist auch ein SchlĂŒssel, ein Werkzeug der Selbsterkenntnis. Der Mensch ohne Ideale ist blind fĂŒr die MachtverhĂ€ltnisse, in denen er lebt. Die Abrichtung der Jugend zu Pragmatismus, Effizienz, Anpassung und FlexibilitĂ€t dient Machtinteressen.
Der Pragmatismus gibt nur dem Ă€ußeren Menschen Form, seinem Streben nach sozialer Anerkennung und Weltbeherrschung. Den inneren Menschen aber, die Dynamik von Sehnsucht, Hoffnung und Hingabe lĂ€sst der ergebnisorientierte Pragmatismus und Utilitarismus orientierungslos. Er lĂ€sst ihn umstandslos ins Leere gehen.
Das Ideal ist die Form des inneren Menschen. Es schließt objektive Ziele ein, etwa hervorragende Forschung – und geht ĂŒber sie hinaus. Es bietet der formlosen menschlichen Freiheit eine Gestalt, mit der sie sich identifizieren und dadurch stabilisieren kann. In diesem Sinn nennt der Rektor der UniversitĂ€t Bern, Christian Leumann (2016b, 5), die wissenschaftlichen IntegritĂ€t das kostbarste akademische Gut, das es bedingungslos zu bewahren gelte: auch gegenĂŒber dem Versuch, Wissenschaft auf Wettbewerb, Konkurrenz oder Erfolg zu reduzieren.
Das bloß Ideale, im engen Sinn Idealistische, ignoriert die materielle und soziale Welt, die bleibend auf den Kompromiss angewiesen ist und damit das Ideale bricht. DemgegenĂŒber rechnet ein humaner Idealismus damit, gebrochen zu werden. Und steht immer wieder auf oder lĂ€sst sich wieder aufrichten. Sein Innerstes lĂ€sst sich in der sozialen Welt nie ganz realisieren. Wo er sich zeigt, verbirgt er sich auch.
Eine humane Gestalt hat, je neu, beide Elemente, Innen und Außen, Ideal und Pragmatismus, in eine lebendige und verantwortliche Synthese zu fassen. Dabei mĂŒssen beide Elemente in ihrer Eigenart respektiert werden. Sie mĂŒssen zugleich bewahrt, gebrochen und auf eine höhere Stufe gehoben, also im dreifachen Hegel’schen Sinne aufgehoben werden. Es ist also getrennt zu fragen, welche Ideale man verfolgen möchte, und was die soziale Welt erfordert. Erst auf dieser Basis lĂ€sst sich eine lebendige, humane Gestalt finden.
Darum trifft das Argument Michael Hengartners nicht, die Humboldt’sche UniversitĂ€t sei bloßes Ideal geblieben, sei ja nie realisiert worden. Ideale lassen sich nur im Raum des Idealen kritisieren, durch bessere Ideale, aber nie unmittelbar durch eine gegebene RealitĂ€t. Die Menschenrechte sind ein Ideal, das noch nie voll verwirklicht worden ist. Und kein Rechtssystem erreicht das Ideal der Gerechtigkeit. Es wĂ€re keine gute Idee, deshalb aufzuhören, auf der Geltung dieser Ideale zu bestehen. Ebenso sind die Bildungsideale Rousseaus oder Humboldts nie voll verwirklicht worden, verlangen aber dennoch zu Recht kategorische Geltung. Solange wir ein demokratische und aufgeklĂ€rte Kultur bleiben wollen, sind sie unser Schicksal.
Indem es die UniversitĂ€t heute unterlĂ€sst, ein Ideal des gebildeten Menschen zu formulieren und die damit verbundenen Spannungen auszutragen, lĂ€sst sie den werdenden jungen Menschen allein. ÜberlĂ€sst ihn einer schier undurchdringlichen Orientierungslosigkeit. Die wenigen, die sich ihr entziehen können, stehen in starken familiĂ€ren oder religiösen Beziehungen. Die große Mehrheit findet sich als Jemand, als Subjekt entmutigt und geschwĂ€cht, gegenĂŒber einer massiven Front, die soziale Anpassung fordert und fördert. FĂŒr das menschliche und ethische Wachsen und Reifen sind das sehr ungĂŒnstige Bedingungen. Die innere Entwicklung kommt, hierin genau wie die Kompetenzen der dinghaften und die QualitĂ€ten der sozialen Welt, ohne ausdrĂŒckliches Hinschauen, ohne Auseinandersetzung und Arbeit, ausdauernde Arbeit an sich selbst nicht voran. Ohne Ziele, ohne wenigstens vage Auseinandersetzung damit, wer und was fĂŒr ein Mensch der jugendliche Jemand sein sollte und möchte; ohne Sprache der IdentitĂ€tsbildung wĂ€chst die Person nicht. Hier liegt eine vordergrĂŒndige Anpassung derart nah, dass sich das Studium an der Bologna-UniversitĂ€t, mit den Worten einer klugen Psychologiestudentin, wie eine »Anleitung zur Selbstausbeutung« anfĂŒhlt. Es sei gar kein Problem, mit den vorgegebenen Stoffpensen umzugehen – solange man den Stoff nicht mit den eigenen Fragen konfrontiere, nicht zu zweifeln beginne, kurz: keinen Bildungsprozess zulasse.
Die vorsichtige ZurĂŒckhaltung gegenĂŒber einem großrĂ€umigen Engagement zeigt ein geschwĂ€chtes, entmutigtes Subjekt, das an sich, an der Möglichkeit tragfĂ€higer Ideale und der Hingabe an sie verzweifelt. Diese Spaltung zwischen Idealismus und politischen Raum zeigt wiederum die Weigerung, Verantwortung zu ĂŒbernehmen: ein Ethikdefizit.
Drittens prĂ€gt die subjektive Selbstwahrnehmung heute Bewusstsein und Handeln mit. Der Pluralismus erfordert von einem jedem eine psychologische Sprache. Denn um sich in der Flut der Möglichkeiten ĂŒberhaupt orientieren zu können, muss der Mensch wenigstens vage wissen, welches Selbst er verwirklichen möchte. So prĂ€gt er sich individueller aus, muss aber auch mehr Einsamkeit aushalten, ist schĂ€rfer mit sich selbst konfrontiert. Viele ringen mit Depressionen, machen Psychotherapien, befassen sich mit Esoterik. Sie halten sich an Imperative wie: »Sei mit dem Jetzt in Kontakt! SpĂŒre deine Lebendigkeit! Verhalte dich so, dass sie erfahrbar wĂ€chst!« Auch die etablierte PrĂ€senz der Frauen im öffentlichen Leben trĂ€gt zur achtsameren Wahrnehmung emotionaler ZustĂ€nde bei.
Die Kleinkindforschung lehrt, dass geteilte Emotionen der Ursprung allen menschlichen Werdens sind. »Das Kognitive nimmt seinen Ausgangspunkt in geteilten Emotionen, da die Interpretation des anderen emotionale Gemeinsamkeiten voraussetzt.«[23] Der Austausch von Intentionen, die lebendige, glĂŒckende Beziehung findet in einem vorsprachlichen Raum empfundener QualitĂ€ten statt. Die FĂ€higkeit, sich in GefĂŒhle, in ZustĂ€nde des Anderen hineinzuversetzen, ist darum Grundlage jeder gebildeten Praxis.
Die Empathie ist ein wichtiger Zugang zum Menschen geworden. Er ist mit der AufklĂ€rung und ihrer Sprache nicht leicht zu vermitteln, weil er nicht nur Inhalte, sondern auch Erkenntnistheorie und SelbstverstĂ€ndnis der Vernunft betrifft. Die aufgeklĂ€rte Vernunft versteht sich, auch noch als Ă€sthetische, durchweg als aktiv und beurteilend. Empathie hingegen bedeutet Hören und Entgegennehmen. Sie konfrontiert in Selbst- und Fremdwahrnehmung mit Grenzen, mit dem, was erlitten wird. Empathie schließt die Annahme des Fremden, WiderstĂ€ndigen und Schmerzenden ein. Sie ist schon etymologisch ein passiver Vollzug, etwas ganz anderes als AufklĂ€rung. Kant, der Meister der Kritik, war gegen Ende seines Lebens kaum mehr imstande, sich mit seinen Mitmenschen zu verstĂ€ndigen.
Diese Entwicklung stellt hohe Anforderungen an das Subjekt. Es dient nicht, vor ihnen die Augen zu verschließen. Der SchĂŒler, der die kritische Vernunft entwickeln soll, lebt bei seiner esoterischen Mutter, die Yoga unterrichtet. Die SchĂŒlerin in der Effizienzmaschine Gymnasium erlebt die Scheidung der Eltern. Sie ist ganz woanders: Sie weiß nicht, wohin sie gehört, auf welche Beziehungen sie bauen kann. NatĂŒrlich sind beide ĂŒberfordert, die Spannungen zusammenzuhalten. Sie erleben eine zerrissene Welt. Die Menschlichkeit verlangt, dass die Bildungspolitik Verantwortung ĂŒbernimmt, statt die Jugend alleinzulassen. Sie soll dem Wachsen des ganzen Menschen, nicht nur seines Denkens, dienen.
Es ist leicht nachzufĂŒhlen, dass die Hinwendung zu den eigenen ZustĂ€nden den Zusammenhalt der Vernunft bedrohen kann: wenn all die inneren, reichlich chaotischen Wahrnehmungen auf einmal Hausrecht im Raum der Vernunft bekommen – werden sie nicht einfach alles ĂŒberschwemmen? Ist es dann ĂŒberhaupt noch möglich, einen klaren Gedanken zu fassen und sich auf ihn zu verstĂ€ndigen? Dass namentlich MĂ€nner da freie RĂ€ume verschließen, die ZĂŒgel anziehen und sich am greifbar NĂŒtzlichen festhalten, liegt nahe. So betrachtet, liegen AttraktivitĂ€t und Macht des wirtschaftsförmigen Sprache im Wunsch, die Achtsamkeit fĂŒr den Zustand der Freiheit abzuwehren, sich die MĂŒhe der Auseinandersetzung mit sich selbst zu sparen: die Sprache der Machbarkeit als EpiphĂ€nomen einer weggeschobenen Verantwortung. Wieder zeigt sich ein markantes ZurĂŒckbleiben hinter dem Niveau, das die eigene Geschichte dem Westen aufgibt, ein Ethikdefizit.
Ignatius von Loyola hat zu Beginn der Neuzeit ein Leitbild der hörenden Vernunft entwickelt, die das Eigene achtsam wahrnimmt, verkostet, kritisch befragt und im ...

Inhaltsverzeichnis

  1. Welche Bildung braucht die Wirtschaft?
  2. Inhalt
  3. Niklaus Brantschen: Das Gras wÀchst nicht schneller, wenn man daran zieht
  4. Thomas Philipp: Wonach wir fragen
  5. Wirtschaftliche Stimmen
  6. Thomas Sattelberger: Bildung neu denken – Kreation und Transformation statt Ökonomisierung und Anpassung
  7. Annette Winkler: FĂ€higkeit zum Widerspruch in großen Hierarchien?
  8. Michael Heim: Reifen, Leisten, Leben – Erfahrungen mit Bologna-Absolventinnen und -Absolventen
  9. Ulrich Jakob Looser: Welche Bildung braucht die Wirtschaft?
  10. Eberhard von Kuenheim: Wider die Ökonomisierung der Bildung
  11. Studentische Stimmen
  12. Tobias Fissler: Bologna als Freiheit zur Unfreiheit – ein PlĂ€doyer fĂŒr mehr NĂŒchternheit
  13. Sandro Christensen: Bologna darf bleiben – die Debatte muss bleiben
  14. Mara-Magdalena HĂ€usler: Haben wir vergessen, was wir wollen?
  15. Gabriel S. Zimmerer: Über die Traurigkeit der Bildung und den Trost des inneren Raumes
  16. Adriana Hofer: StĂŒtzrĂ€der
  17. Selina AbĂ€cherli: Wissen – oder meine Fragen finden?
  18. Jonathan Gardy: »Ist das prĂŒfungsrelevant?«
  19. Philosophische und pÀdagogische Stimmen
  20. Helmut Geiselhart: Offener, spontaner, kreativer: unterwegs zu einem neuen Menschenbild
  21. Carl Bossard: Bildung lebt von Beziehung
  22. Klaus Mertes: Menschenbild und Bildung
  23. Thomas Philipp: FĂŒnf Thesen zur Bildungsethik
  24. Bildungspolitische Stimmen
  25. Michael Hengartner und Anna DĂ€ppen-Fellmann: Bologna und/oder Bildung?
  26. Josef Widmer: Folgerungen fĂŒr die (Bildungs-)Politik – ein systemischer Blick auf die Bildungslandschaft Schweiz
  27. Hans AmbĂŒhl: Bildung, Institution und Steuerung
  28. Ausblick
  29. Thomas Philipp: Synthese
  30. Tobias Karcher: Ein Ausblick auf die Arbeit des Lassalle-Institutes
  31. Literatur