Kämpf um deine Daten
eBook - ePub

Kämpf um deine Daten

  1. 221 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
eBook - ePub

Kämpf um deine Daten

Angaben zum Buch
Buchvorschau
Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

Europäisches Recht ist gut und schön, sagten ihm Datenschutz-Beauftragte großer Internet-Konzerne während eines Auslandssemesters im Silicon Valley, aber wir tun in Europa sowieso, was wir wollen. Als Max Schrems daraufhin von Facebook alle über ihn vorliegenden Daten verlangte, bekam er 1.200 DIN-A4-Seiten, darunter viele von ihm gelöscht geglaubte. Schrems zeigte Facebook bei der zuständigen irischen Datenschutzbehörde an und wurde zum international beachteten David, der gegen die Goliaths des Internet antritt. Jetzt legt der Student mit der Gabe, den Datenschutz so einfach zu erklären wie Jamie Oliver das Kochen, sein Wissen, das er unter anderem bei EU-Hearings gesammelt hat, als Buch vor. Was bedroht uns wirklich? Wie schützen wir uns? Was kann die Macht von Facebook oder Google noch auf ein vernünftiges Maß reduzieren?

Häufig gestellte Fragen

Gehe einfach zum Kontobereich in den Einstellungen und klicke auf „Abo kündigen“ – ganz einfach. Nachdem du gekündigt hast, bleibt deine Mitgliedschaft für den verbleibenden Abozeitraum, den du bereits bezahlt hast, aktiv. Mehr Informationen hier.
Derzeit stehen all unsere auf Mobilgeräte reagierenden ePub-Bücher zum Download über die App zur Verfügung. Die meisten unserer PDFs stehen ebenfalls zum Download bereit; wir arbeiten daran, auch die übrigen PDFs zum Download anzubieten, bei denen dies aktuell noch nicht möglich ist. Weitere Informationen hier.
Mit beiden Aboplänen erhältst du vollen Zugang zur Bibliothek und allen Funktionen von Perlego. Die einzigen Unterschiede bestehen im Preis und dem Abozeitraum: Mit dem Jahresabo sparst du auf 12 Monate gerechnet im Vergleich zum Monatsabo rund 30 %.
Wir sind ein Online-Abodienst für Lehrbücher, bei dem du für weniger als den Preis eines einzelnen Buches pro Monat Zugang zu einer ganzen Online-Bibliothek erhältst. Mit über 1 Million Büchern zu über 1.000 verschiedenen Themen haben wir bestimmt alles, was du brauchst! Weitere Informationen hier.
Achte auf das Symbol zum Vorlesen in deinem nächsten Buch, um zu sehen, ob du es dir auch anhören kannst. Bei diesem Tool wird dir Text laut vorgelesen, wobei der Text beim Vorlesen auch grafisch hervorgehoben wird. Du kannst das Vorlesen jederzeit anhalten, beschleunigen und verlangsamen. Weitere Informationen hier.
Ja, du hast Zugang zu Kämpf um deine Daten von Max Schrems im PDF- und/oder ePub-Format sowie zu anderen beliebten Büchern aus Politics & International Relations & Civics & Citizenship. Aus unserem Katalog stehen dir über 1 Million Bücher zur Verfügung.

Information

Bullshit-Bingo!

An inhaltsleeren und sich endlos wiederholenden Argumenten und Phrasen ist die Datenschutz-Debatte wirklich nicht arm. Die Lobbyisten, Politiker und irgendwelche Experten wiederholen sich immer wieder in den gleichen inhaltsleeren Worthülsen, die uns irgendwie einlullen sollen.
Wie für viele Phänomene haben die Amerikaner ein geniales Wort dafür, das alles sagt. Für den Versuch, möglichst kompetent wirkend totalen Blödsinn von sich zu geben und damit alle Gegenargumente im Keim zu ersticken, wurde liebevoll das Verb »bullshitting« kreiert. Auf Deutsch: Man müllt Leute so lange mit Blödsinn voll, bis sie am Ende wirklich glauben, was man sagt, oder einfach entnervt aufgeben.
US-Lobbyisten sind immer etwas überrascht, wenn dieses Konzept in Europa nicht ganz so einfach aufgeht, wie zuhause. Aber je weniger die Zuhörer selbst eine Ahnung haben und je peinlicher den Leuten blöde Fragen sind, desto besser funktioniert bullshitting auch mit den überkritischen Europäern. Im IT-Bereich sind die Karten für Bullshit daher auch in Europa recht gut: Die Zuhörer haben wenig Ahnung und wollen ja bei diesen neuen Dingen auch keine blöden Fragen stellen. Am Ende geht es einem womöglich so wie Angela Merkel, als sie meinte, dass das Internet für uns alle noch Neuland sei, alle lachen über einen, und es gibt einen neuen Hash-Tag auf Twitter. Da sagt man lieber nichts und lässt den Bullshit gewähren.
Warum aber nun »Bullshit-Bingo«? Ganz einfach: Ein paar Leute bei einer IT-Firma im Silicon Valley hatten es auch satt, sich immer wieder irgendwelche inhaltsleeren Phrasen anzuhören. Sie machten daraus ein Spiel: Jeder schrieb Bullshit-Phrasen auf ein Kärtchen. Jedesmal, wenn jemand bei einem Meeting oder einem Vortrag eine der aufgeschriebenen Bullshit-Phrasen sagte, wurde die gestrichen. Wer alle seine Phrasen von seiner Karte gestrichen hatte, der hatte: Bingo! Wie beim normalen Bingo, wenn Sie alle Zahlen haben.
Datenschutzdebatten sind ein wahres Eldorado für Bullshit-Bingo. Der Blödsinn, der von allen möglichen Seiten mit gespielter tiefer Überzeugung abgegeben wird, ist kolossal und oft auf den ersten Blick durchaus nicht als Bullshit zu erkennen. Noch schlimmer ist aber die kritiklose Übernahme dieser Argumente durch Medien, Politiker und Entscheidungsträger. Daher lade ich Sie recht herzlich zu einer Runde »Datenschutz-Bullshit-Bingo« ein. Mögen die Spiele beginnen!

11. … aber die Leute stellen ja alles ins Netz!

Die Zeitungen waren zu Beginn des »Web 2.0« (also jenen Plattformen wie Facebook, YouTube oder Flickr, die primär mit Nutzerdaten gefüllt werden) voll von skurrilen Datenschutzfällen. Der Boulevard berichtete über Mitarbeiter, die gekündigt wurden, weil ihre Schimpftiraden über den Chef direkt bei eben diesem aufschienen, oder über Leute, die Bilder von ihren betrunkenen Samstagabenden fröhlich verteilten und sich wunderten, warum sie keinen Job bekamen. Man bekam den Eindruck, den Menschen sei jede Art von Privatsphäre vollkommen egal. Wenn jeder jeden Dreck ins Netz stellt, kann Datenschutz ja wohl nicht mehr unser Problem sein, ließe sich daraus schließen. Die Nutzer haben ihre Privatsphäre also praktisch selbst aufgegeben, sie brauchen sie offenbar nicht – so die Theorie.
Nun ist zum Glück zu beobachten, dass sich die anfänglich extrem unbedachte Nutzung des Web 2.0 schon deutlich gebessert hat. Ein schönes Beispiel hierfür ist, dass nach einer Umstellung bei Facebook das Gerücht umging, private Nachrichten der Nutzer würden plötzlich auf den Seiten von Facebook-Nutzern öffentlich einsehbar sein. Sogar die prestigeträchtige Zeitung Le Monde saß diesem Internetgerücht auf und berichtete darüber, dass private Nachrichten auf den Profilseiten auftauchten. In Wirklichkeit waren dies alte und oft sehr private öffentliche Meldungen, die die Nutzer wirklich vor einigen Jahren so offen ins Netz gestellt hatten. Nur wegen einer Design-Umstellung waren die Meldungen nun leichter auffindbar. Weil die User sich heute nicht mehr vorstellen konnten, dass irgendjemand so etwas Privates einfach auf eine Facebook-Seite stellt, schien klar zu sein: Facebook muss schuld sein. In Wirklichkeit waren die Nutzer nur von ihrer eigenen Sorglosigkeit in der Vergangenheit überrascht. Sie haben also ihr Verhalten angepasst, wurden mit der Zeit sensibler und konnten sich gar nicht vorstellen, vor ein paar Jahren noch so nachlässig gewesen zu sein.
Trotzdem gibt es noch immer Nutzer, die Unmengen an persönlichen Daten offen ins Netz stellen. Die meisten von ihnen sind meiner Beobachtung nach aber vor allem süchtig nach menschlicher Zuneigung, ausgedrückt in »Likes«, »Retweets« und Kommentaren. Die Designer dieser Dienste sprechen hier von einer »positiven Nutzererfahrung«. Die Stimmlage erinnert dabei oft an Drogenhändler, die ihre Produktpalette spät nachts vor Clubs ebenfalls gerne mit den positiven Erfahrungen anpreisen. Alles wird warm, schön, und du wirst dich unglaublich geliebt fühlen. Das wollen wir doch alle, oder? Genau das ist das Konzept vieler Online-Dienste. Die Nutzer sollen sich geliebt fühlen. Sie sollen in Watte gepackt und mit positiven Erlebnissen bombardiert werden, soweit das durch einen Bildschirm möglich ist.
Haben Sie sich noch nie gefragt, warum Facebook nur »Likes« aber keine »Dislikes« erlaubt? Pillen, die das Gefühl geben, gehasst zu werden, sind schließlich auch kein Renner. Facebook baut also eine Traumwelt auf, in der alles gut ist. Negative, verstörende oder abweichende Dinge filtert der Algorithmus weg. Ein Besuch auf Facebook, Twitter und Co. soll am besten ein kurzer Glücksrausch sein. Ein kleiner LSD-Trip für zwischendurch, soweit das eine Webseite eben zulässt. Nicht von ungefähr hat Mark Zuckerberg Informatik und Psychologie studiert.
Der Mensch will aber nicht nur geliebt werden, er hat auch einen inhärenten Hunger nach Aufmerksamkeit und Interessenbekundungen. Im Web 2.0 bekommt er genau das. Jeder ist hier ein kleiner Star mit seiner kleinen Fangemeinde. Auch der durchschnittlichste Mensch bekommt die Bestätigung: Ich bin relevant! Wie viel Freunde haben Sie auf Facebook? Wie viele Follower auf Twitter? Wie relevant sind Sie?
Viele Nutzer freuen sich dann auch jedes Mal wie ein kleines Kind, wenn ein kleines rotes Symbol anzeigt, dass sie wieder geliked wurden, einen neuen Freund oder einen Kommentar auf ihr Foto bekommen haben, ihnen wieder jemand auf Twitter folgt, sie retweetet oder ihnen eine Nachricht geschrieben wurde. Auch ich muss zugeben, eine kleine Freude über meine ersten 500 Twitter-Follower empfunden zu haben, musste dann aber zum Glück auch über mich selbst lachen.
Ein weiterer Schlüssel zum Erfolg ist die unmittelbare Belohnung. Der Pawlow'sche Hund lässt grüßen. Bei klassischen Artikeln, Blogs oder E-Mails erhält der Verfasser nur sehr indirekte Rückmeldungen, wenn er überhaupt welche bekommt. Rückmeldungen sind auch oft schwer zu senden. Unsere Eltern mussten überhaupt noch sehnsüchtig auf den Postboten warten, um eine Rückmeldung zu bekommen, und hörten sich in der Zwischenzeit »Please Mister Postman« (je nach Geburtsjahr von den Marvelettes, den Beatles oder den Carpenters) an.
Das Web 2.0 hat positive Rückmeldungen hingegen leicht gemacht und zelebriert diese als Ereignis. Die Sehnsucht nach einem Like ist nicht kleiner geworden, die Hürde ist jedoch extrem gesenkt und die Frequenz extrem erhöht worden. Mit einem Klick kann man eine positive Rückmeldung auslösen. Technisch ist das die Umstellung einer Farbvariablen von ein paar Pixeln vom Code #000000 (weiß) auf #FF0000 (rot). Bei Menschen kann »FF« statt »00« jedoch echte Glücksgefühle auslösen.
Diese unmittelbaren roten Zuckerln, die Aufmerksamkeit, die Zuneigung und die Relevanz im Netz bekommt man aber natürlich nur, wenn man viele Dinge (und damit persönliche Daten) teilt. Was nicht geteilt wird, kann nicht gemocht, bemerkt und geliebt werden. Schweigen scheint im Newsfeed nicht auf. Am Ende gilt: Ich teile, also bin ich.
Im Kampf gegen die Hemmungen mancher Nutzer, Daten zu teilen, setzen viele Unternehmen nun auf diverse Knöpfe und Einstellungen, welche die Privatsphäre schützen sollen. Den Nutzern wird suggeriert, dass sie volle Kontrolle haben. So kann man auf Facebook Dinge sogar nur »mit sich selbst teilen« oder eben nur mit seinen »Freunden«, also der eigenen Fangemeinde. »Private Nachrichten« suggerieren, dass der User ganz vertraut mit einer anderen Person schreibt. In Wirklichkeit hat man meist noch einen mitlesenden »Freund«: Die Unternehmen, welche die Dienste betreiben. Diese nehmen sich regelmäßig das nichtexistente Recht, alle Inhalte auszuwerten. Eine Einstellung »Senden an: Alle außer Google« oder »Teilen mit: Allen Freunden, außer Facebook und der NSA« gibt es leider nicht.
Das stört viele Nutzer auch nicht weiter, denn sie empfinden diese Unternehmen sowieso als Freunde. Durch geschicktes Marketing wird suggeriert, dass man nicht Kunde, sondern Teil einer Bewegung, Teil einer Gemeinschaft ist. Wenn es nach den Unternehmen geht, dann tritt man einem Glaubensbekenntnis bei, wenn man sich für 900 Euro ein neues iPhone kaufen darf. Man wird Teil einer Gemeinschaft, wenn man sich ein Facebook-Profil anlegt, auch wenn diese Gemeinschaft eine Aktiengesellschaft ist, die am NASDAQ notiert. Der Mensch neigt dazu, emotionale Beziehungen zu Dingen und auch Unternehmen aufzubauen. Das wird geschickt ausgenützt. Die Nutzer haben immer öfter eine emotionale Bindung zu ihrem Smartphone oder zu einem Unternehmen. Eine Liebe, die selten erwidert wird, dafür aber die beste Basis für kommerzielle Ausbeutung ist.
Sie können sich vielleicht noch an Tamagotchis erinnern? Kleine hässliche Plastikeier mit einem Display von 32 mal 16 Pixel. Ende der 1990er hatte für kurze Zeit jedes Kind so ein Plastikei. Ein Spielzeug aus Japan, bei dem virtuelle Küken gefüttert und betreut werden mussten. Viele bauten eine absurde emotionale Beziehung zu diesen Dingern auf. Wenn das virtuelle Küken irgendwas wollte, wurde alles andere liegen und stehen gelassen. Permanent musste man nachsehen, ob das Küken nicht gerade im eigenen Dreck stirbt oder verhungert. Starb das Küken irgendwann doch, waren die Besitzer tagelang tief betrübt und von Selbstvorwürfen geplagt. Extrem absurd. Erinnert Sie das aber nicht auch an den Umgang vieler Leute mit ihren Smartphones?
Für eine BBC-Dokumentation wurde einmal ein devoter Apple-Fan in einen Hirnscanner geschoben. Als der Proband Bilder von Apple-Produkten gezeigt bekam, reagierte sein Hirn so, wie das Hirn tief gläubiger Menschen auf religiöse Objekte reagiert. Da verwundert es nicht, wenn Menschen tagelang vor einem Shop campieren, um die neueste Offenbarung eines Konzerns für absurde Summen kaufen zu dürfen. Am ersten Verkaufstag werden dann euphorisch wie bei Popkonzerten die Shops gestürmt. Alles ist inszeniert. Der Einzug geschieht unter dem Applaus der Shop-Mitarbeiter, die eher den Animatoren aus Ihrem letzten Urlaub gleichen, als Verkäufern. Die Kunden sind glücklich, Teil von etwas Größerem, einer Bewegung zu sein. Bei den Entwicklerkonferenzen von Facebook, Google oder Apple sieht es nicht viel anders aus. Der Messias des Konzerns tritt vor die Weltöffentlichkeit und verkündet die neueste Innovation. Hysterischer Applaus der Zuhörer kommt wie das Amen im Gebet. In den Medien werden schon Monate zuvor ganze Seiten mit Gerüchten gefüllt, wie das neueste Produkt oder ein neuer Dienst genau aussehen wird. Welche Farben? Runde oder kantige Ecken? Wo bekommt man das Ding oder den Dienst als erstes? Ist es auch bei uns erhältlich? Okkulte Euphorie und damit gratis Werbung auf allen Kanälen. In Wirklichkeit aber schon fast ein Fall für die Sektenberatungsstelle.
Für Nutzer, die in diesem Marketingstrudel sind oder zumindest am Rand sitzen und gern mal ihre Zehe hineinhalten, ist es umso unlogischer, diesen Freunden und Gemeinschaften zu misstrauen. Kann ein Handy, das man jeden Abend vorm Schlafengehen liebevoll streichelt, wirklich böse sein?
Natürlich ist das überspitzt ausgedrückt, und die meisten Menschen sind keine total willenlosen Zombies, aber wenn wir unsere Nutzung und unsere Reaktionen überdenken, schwingen genau diese Mechanismen mit, wenn wir »freiwillig« Daten herausgeben. Jedes IT-Unternehmen hat viele Designer, Techniker und Werbeleute, die mit unzähligen Tests und Auswertungen unsere Reaktionen messen, analysieren und darauf reagieren. Es ist ihre einzige Aufgabe, die Entscheidungen von Konsumenten zu beeinflussen.
Und glauben Sie, Facebook oder Twitter wissen nicht, wie lang Sie online bleiben, nachdem Sie etwas gepostet haben, in der Hoffnung, jemand reagiert darauf? Oder wie oft Sie die Benachrichtigungen neu laden in der Hoffnung, jemand retweetet ihren Beitrag? Natürlich wird genau analysiert, wie man die Nutzer bei der Stange hält, wie man die Webseite so lange anpassen kann, bis die Schafe, also die Nutzer, das tun, was man von ihnen will. Und die Millionenbeträge, die in solche Verbesserungen investiert werden, sind gut investiert, denn am Ende steckt in uns allen zumindest ein kleines Schaf.
Wer nun einwendet, dass einige Leute wirklich wissentlich, unabhängig von diversen tiefenpsychologischen Verführungen und mit vollem Bewusstsein alles online stellen, hat natürlich auch Recht. Diese Leute gibt es. Ich glaube aber, dass sie eine Minderheit sind. Trotzdem ist es natürlich das Recht jedes Menschen, im schönsten Sonnenschein nackt am Hauptplatz zu stehen und ein Selbstporträt davon als Wallpaper seiner Internetseite hinzuzufügen. Aber von diesem Recht kann man nicht darauf schließen, dass alle anderen Menschen kein Recht mehr haben, zur Totalüberwachung nein zu sagen.
Nur weil einige ihre Privatsphäre nicht nutzen oder sogar aufgeben, kann man nicht auf die Abschaffung des Rechts auf Privatsphäre an sich pochen. Nur weil einige eben alles ins Netz stellen, haben nicht andere Leute ihr Recht auf Privatheit automatisch auch aufgegeben. Nach der gleichen Logik könnte man sonst behaupten, dass eine große Spendenbereitschaft der Bevölkerung eine Erosion des Eigentumsrechts zur Folge hat. Nur weil viele Leute ihr Geld einfach verschenken, ist das noch keine Rechtfertigung für Diebstahl. Gleiches muss für den digitalen Diebstahl an unserer Daten gelten: Wir haben keine Kollektivschuld an der Sorglosigkeit anderer Nutzer.

12. Ihr habt doch zugestimmt!

Sehr ähnlich dem kollektiven »Die stellen ja alles ins Netz«-Argument ist das individuelle »Du hast ja zugestimmt«-Argument. Wie beim Pakt mit dem Teufel haben wir nach der Vorstellung vieler eben mal das Recht an unserer Persönlichkeit und Privatheit »weggeklickt«, wenn wir auf einen Zustimmen-Button drücken.
So ist das eben im Wilden Westen: Selbst schuld! Der Stärkere diktiert die Regeln. Wenn es Ihnen nicht passt, dann können Sie ja mit Ihrem Planwagen weiter westwärts ziehen …
Zum Glück leben wir eben nicht im Wilden Westen oder in einem rechtsfreien Raum. Der Mensch kann also weder seine Seele verkaufen, noch ein Kind oder sein Leben. Wir erkennen solche Zustimmungen schlichtweg nicht an, weil sie moralisch falsch sind. Ein Unternehmen kann auch nicht in seinen Vertragsbedingungen einen Passus verstecken, in dem ich eben mal mein Haus dem Online-Händler überschreibe, wenn ich eigentlich nur Kopfhörer kaufen wollte. Die Juristen nennen das dann je nach Situation unsachlich, sittenwidrig oder finden ein anderes wohlklingendes Wort für total absurd. In einem demokratischen System hat nämlich nicht automatisch der Stärkere recht, auch er muss fair und rechtskonform handeln.
Würden Sie allein die 15-seitige Datenschutzbestimmung von Facebook lesen, bräuchten Sie als schneller Leser mehr als 45 Minuten. Dann kommen noch die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) und diverse andere Dokumente von Facebook dazu, denen Sie mit einem Klick zugestimmt haben.
Als ich Facebook das erste Mal untersucht habe, haben diese Bestimmungen wiederum auf unzählige weitere externe Dokumente verwiesen, denen ich ebenfalls zugestimmt hatte. Diese externen Dokumente waren noch mal mehr als 200 Seiten lang. Sie müssten also schon allein zwei bis drei Abende Lesezeit einplanen, um Facebook wirklich zuzustimmen. Da ist noch nicht eingerechnet, dass kein Mensch die Klauseln beim ersten Lesen versteht. Hinzu kommt, dass sich die Bedingungen oft selbst widersprechen. Wenn Sie dann auch noch all diese Widersprüche auflösen wollten, würden Sie vermutlich Wochen vor dem Zustimmen-Button sitzen.
Das ist natürlich kein spezifisches Problem von Facebook. Es gibt Hochrechnungen, dass man mehrere Monate pro Jahr beschäftigt wäre, wenn man alle Verträge und Datenschutzbestimmungen lesen würde, die man in einem Jahr als normaler Konsument unterschreibt. Kein Mensch liest das alles. Nur die Unternehmen wissen, was in diesen Bedingungen drinnen steht, sie müssen ja auch nur ihre eigenen Bedingungen kennen. Die Idee, dass irgendjemand sich in seinen Lesesessel begibt, Wort für Wort alle Bedingungen liest, sich dann überlegt, ob er das wirklich will, und dann nach ein paar Stunden eine wohlerwogene, informierte und klare Zustimmung abgibt, ist reine Fiktion.
Ein schönes Beispiel ist der britische Online-Shop »Game Station«, der einen Tag lang in seine Bestimmungen reinschrieb, dass jeder, der über den Shop bestellt, seine Seele an den Shop verkauft. Keiner von über 7.500 Kunden beschwerte sich. Dem Online-Shop bescherte die Aktion kostenlose Werbung in vielen Medien, und wir haben einen weiteren schönen Beweis, dass AGBs nichts mit dem Willen und der Zustimmung der Nutzer zu tun haben.
Dieser AGB-Wahnsinn ist in der Realität nur deswegen tragbar, weil es in Europa extrem starke Einschränkungen gibt, was überhaupt in AGBs stehen darf. Die Bedingungen dürfen nicht grob benachteiligend sein, sie müssen fair sein, müssen klar, transparent und verständlich geschrieben sein, und der Inhalt darf für den Kunden auch nicht unerwartet sein. Sittenwidrige Klauseln sind sowieso verboten. Zusätzlich gibt es ganze Listen von Klauseln, die per se nicht erlaubt sind. Wenn es die Unternehmen übertreiben, wird sogar eine Klausel komplett unwirksam, selbst wenn sie zumindest teilweise legal gewesen wäre. Mit all diesen Maßnahmen sind die Auswüchse des Kleingedruckten etwas erträglicher. Als Kunde hat man eine gute Chance, dass absurde oder nachteilige Klauseln oft nicht wirksam sind. Die Kunden von »Game Station« können also beruhigt schlafen gehen.
Wenn wir nun aber einen Blick in die USA werfen, müssen wir feststellen, dass dort kein derart offensiver Kampf gegen das Kleingedruckte geführt wird. Als ich in Kalifornien lebte und die Bedingungen für mein lokales Bankkonto bekam, in Form eines kleinen Büchleins mit über 50 Seiten, kam ich aus dem Grinsen nicht heraus: Nicht nur, dass alle Gebühren jederzeit geändert werden konnten, diese waren auch nicht verbindlich. Die Bank kann also sagen, etwas kostet 5 Dollar, aber dann trotzdem verrechnen, was sie will. Noch schöner waren Klauseln, wonach die Bank jederzeit mein Geld einfrieren, einbehalten oder sich einverleiben konnte.
Zuerst dachte ich mir noch: klassisch amerikanisch. Man sichert sich einfach gegen alles ab und räumt sich pauschal Rechte ein, die man dann ohnehin nicht nützt. Als dann aber meine Überweisung aus Europa plötzlich das Fünffache einer ohnehin hohen Gebühr kostete, wurde mir klar: Die meinen das ernst. Für eine zuvor als kostenlos angepriesene Auszahlung wurden dann auch gleich mal 20 Dollar fällig. Ich löste als empörter und aktionistischer Europäer sofort mein Konto auf, was zum Schrecken meiner US-Freunde bedeutete, mit meh...

Inhaltsverzeichnis

  1. Umschlag
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Widmung
  5. Inhalt
  6. Einführung
  7. Warum Privatsphäre?
  8. Bullshit-Bingo!
  9. Andere Taktiken und Phänomene
  10. Zukunftsszenarien
  11. Was tun?