TEIL III
Arbeitsprinzipien und Methoden
Jonglieren, balancieren, den Spagat wagen
Coaching in der Berufsintegration
Annamarie Ryter
»Coaching« gleicht einem schillernden Paradiesvogel. Der Begriff wird in verschiedensten Kontexten ganz unterschiedlich gebraucht, seine Bedeutung ist dadurch diffus. Seit die Berufsintegration aufgrund wirtschaftlicher und sozialer Veränderungen komplexer geworden ist, taucht Coaching auch in diesem Handlungsfeld auf. Wer heute Jugendliche im Prozess der Berufsfindung begleitet, nennt sich nicht selten Coach – im Bemühen, eine Beratung für Jugendliche attraktiv zu machen. Aber nicht jede Beratung ist ein Coaching. Für eine professionelle Begleitung der Jugendlichen im Sinne eines Coachings sollten ganz bestimmte Rahmenbedingungen gegeben sein. Dazu werden von Fachpersonen spezifische Kompetenzen gefordert. Der folgende Artikel beleuchtet Facetten, Rahmen- und Arbeitsbedingungen von Coaching in der Begleitung von Jugendlichen in der Berufsintegration und wagt eine Präzisierung dessen, was den Kern und die Qualität von Coaching in diesem Kontext ausmacht.
Facetten von Coaching in Abgrenzung zu anderen Formen der Beratung und Begleitung
Coaching als eine Form von personenzentrierter Beratung kommt vom englischen »coach« für Wagen oder Kutscher und weist auf ein wichtiges Prinzip dieses Ansatzes hin. Die Kundin oder der Kunde (Coachee) bestimmt das Ziel der Reise selbst, ein/e Kutscher/in ist verantwortlich für den zielführenden Weg dorthin. Im Deutschen hat sich der Begriff »Coaching« seit den 1980er-Jahren etabliert, zuvor wurde eher von Praxisberatung gesprochen. Von Coaching war zuerst im Spitzensport die Rede, im Sinne von individueller psychologischer und fachlicher Betreuung, später wurde damit ein entwicklungsorientierter Führungsstil und individuelle Beratung von Führungskräften in der Wirtschaft bezeichnet (vgl. Rauen, 2003, S. 20 ff.).
Die Entstehung im Umfeld des Leistungssportes prägt den Begriff noch heute. Mit Coaching wird meist eine klare Ziel- und Leistungsorientierung verbunden. In meist wenigen Sitzungen soll ein Coachee befähigt werden, die anstehenden Probleme eigenständig zu lösen. In Abgrenzung zur Fachberatung gibt ein Coach keine Ratschläge, er/sie positioniert sich auf Augenhöhe mit den Ratsuchenden und betrachtet diese klar als Expertinnen und Experten ihrer eigenen Lebenssituation. Mit gezielten Gesprächsmethoden und Fragetechniken bewirkt ein Coaching Klärung, ermöglicht den (erneuten) Zugang zu Ressourcen der Ratsuchenden und lässt kreative Lösungen entstehen. Für Pallasch und Petersen (2005) ist Coaching die anspruchsvollste Art von Beratung. Coaching arbeitet zum Teil mit ähnlichen Methoden wie die Psychotherapie, unterscheidet sich aber klar durch seine Ziel- und Handlungsorientierung und den Fokus auf dem Schnittpunkt zwischen beruflicher Aufgabe und persönlichen Kompetenzen. Psychotherapie ist längerfristig angelegt und zielt auf Veränderungen, welche die ganze Person mit ihrer Lebensgeschichte betreffen (vgl. Rauen, 2003, S. 65 ff.).
Im Handlungsfeld der Berufsintegration finden sich verschiedenste Beratungsangebote und -formen. Aufgrund von Erfahrungen in Weiterbildung und Beratung wagt die Verfasserin in der folgenden Tabelle einen verkürzten schematischen Überblick über die Angebote in der Schweiz und die angewandten Methoden.
Tabelle 1: Überblick über Beratungs- und Begleitangebote für Jugendliche im Berufswahlprozess
Bezeichnung/Beratung | Ziel/Hauptaufgaben | Zentrale Methoden und Verfahren |
1.Berufs- und Laufbahnberatung | Analyse von Fähigkeiten und Interessen (Diagnostik) und Beratung bei Berufs- und Laufbahnentscheidungen (meist individuell), Fachstellen für Bildungsinformation | Wissenschaftliche, psychologische Diagnostik, Vielfalt von Beratungsmethoden |
2.Berufswahlunterricht/Berufliche Orientierung | Unterstützung bei Berufswahl und Lehrstellensuche im Rahmen von Klassenunterricht, je nach Schulniveau und Bedarf auch individuell | Lernziel- bzw. kompetenzorientierter Unterricht, teilweise kombiniert mit Projektunterricht, Portfolioarbeit, kooperativem Lernen, Begleitung bei Praktika und Bewerbungen. Teilweise Coaching-Methoden |
3.Lerncoaching | Unterstützung beim Aufbau von fachlichen Kompetenzen, Förderung selbstverantwortlicher Lernstrategien und damit auch Förderung von Selbst- und Sozialkompetenzen (in der Klasse, zum Teil ergänzt mit Einzelsitzungen) | Individualisierender und kompetenzorientierter Unterricht (z. B. Portfolioarbeit, Projektunterricht, kooperatives Lernen) Beratungs- und Coaching-Methoden, vor allem im Hinblick auf Lernstrategien |
4.Berufswahlcoaching | Unterstützung bei Berufswahl und Lehrstellensuche, oft in der Klasse (zuweilen als Synonym für Berufswahlunterricht gebraucht) oder individuell nach Bedarf – teilweise für Jugendliche eines ganzen Schulhauses | Je nach definierter Funktion Lernziel- bzw. kompetenzorientierter Unterricht, Begleitung bei Praktika und Bewerbungen, diverse Beratungsmethoden, ansatzweise auch Coaching-Methoden |
5.Berufsintegrationscoaching Übergangscoaching | Unterstützung bei Berufswahl und Lehrstellensuche, Förderung von Fach-, Selbst- und Sozialkompetenzen im Hinblick auf berufliche (und soziale) Integration. Meist in Lerngruppen und individuell | Je nach professionellem Hintergrund der Fachpersonen und Angebot: Coaching-Methoden, Kompetenzorientierung, Ressourcenansatz, Methoden des Lerncoachings, diverse Beratungsmethoden, lebensweltorientierte Ansätze, Arbeitsagogik und Sonderpädagogik. Systemische Vernetzung, Coaching-Methoden |
6.Mentoring | Ehrenamtliche, persönliche, individuelle Begleitung von Jugendlichen bei der Lehrstellensuche durch erfahrene Berufspersonen | Je nach Profil der Mentoren/innen: Lernberatung, Hilfe bei Bewerbungen und mit persönlichem Beziehungsnetz (Türoffnende), vielfältige Unterstützungen, auch aus Alltagswissen |
7.Fachkundige Individuelle Begleitung (FiB) | Förderangebot (Fach-, Selbst- und Sozialkompetenzen) für Lernende in der zweijährigen Grundbildung (EBA) mit dem Ziel, den Abschluss erfolgreich zu bestehen. Unterricht und individuell | Ressourcenansatz und Kompetenzorientierung, lerntherapeutische Ansätze, Coaching-Methoden im Hinblick auf Lernstrategien, Lebensweltorientierung, systemische Vernetzung |
8.Supported education/employment | IV-finanzierte Begleitung bei der beruflichen Ausbildung von Lernenden mit einer beeinträchtigten Leistungsfähigkeit | Coaching-Ansätze, Ressourcenorientierung, Lernunterstützung, Case-Management, Koordination von involvierten Stellen. |
9.Case-Management Berufsbildung | Individuelle, system- und institutionsübergreifende Unterstützung von als »gefährdet« eingeschätzten Jugendlichen und jungen Erwachsenen von der Schule bis zum erfolgreichen Abschluss auf Sekundarstufe II | Je nach Herkunft der Fachperson: Fallführung, systemische Vernetzung, psychologische Diagnostik, Vielfalt von Beratungsmethoden, Lebensweltorientierung |
Die Tabelle zeigt eine Vielzahl von Begleitangeboten für Jugendliche im Prozess der Berufsintegration – und die Liste ist nicht vollständig. Zu ergänzen wären etwa noch die Schulsozialarbeit oder der schulpsychologische Dienst, die Jugendliche zuweilen auch im Hinblick auf Berufsintegration unterstützen, sowie die Berufsberatung der Invalidenversicherung (IV). Die Beratungsangebote unterscheiden sich in ihren Zielsetzungen beziehungsweise in der Zielgruppe. Zugleich wird deutlich, dass bei Verfahren und Methoden viele Überschneidungen bestehen. Das hängt auch mit der unterschiedlichen Herkunft pädagogischer Fachpersonen in den Angeboten zusammen. Klar positionieren sich Berufsberatende mit einer eigenen Ausbildung und spezifischen Methoden. Berufswahl oder berufliche Orientierung wird generell von Lehrpersonen der Sekundarstufe I und II unterrichtet, Lerncoaching meist auch, wobei in integrierten Klassen zunehmend heilpädagogisch ausgebildete Fachpersonen wichtige Elemente der Prozessbegleitung übernehmen. Für viele Beratungsangebote (z. B. im Berufsintegrationscoaching, Case-Management) ist es typisch, dass multiprofessionelle Teams zusammenarbeiten. Entsprechend breit ist in der Praxis auch das Methodenrepertoire; eine strikte, ausschließende Zuordnung von Methoden zu Angeboten ist deshalb weder möglich noch sinnvoll.
Welche Fachpersonen in der Praxis systematisch mit Coaching-Methoden arbeiten, ist nicht einfach zu bestimmen. In der fachkundigen, individuellen Begleitung ist die Anwendung von Coaching-Methoden dokumentiert, obwohl »Coach« als Funktionsbezeichnung nicht verwendet wird (Hanselmann, 2009; Pool Maag & Baumhoer-Marti, 2012). Zugleich zeigt die Praxis, dass Personen, die sich Coach nennen, nicht immer über eine Coaching-Ausbildung verfügen. »Coach« ist bislang kein geschützter Titel, das Verständnis von Coaching entsprechend breit und noch wenig gefestigt. Die Professionalisierungsdebatte und die Etablierung einer Coaching-Forschung sind erst seit einigen Jahren im Gange (vgl. Fietze, 2012; Wegener, Fritze & Loebbert, 2012 und 2013). So lässt sich kritisch fragen, ob alle, die sich Berufswahlcoachs, Berufsintegrationscoachs oder Übergangscoachs (PHTG, 2014; Schaffner & Ryter, 2013; Wiethoff, 2011) nennen, konsequent eine Coaching-Haltung vertreten und Coaching-Methoden anwenden, wie es der aktuellen Professionalisierungsdebatte entspricht. Zu vermuten ist, dass auch pädagogische Fachpersonen »Coaching« zuweilen als Containerbegriff (Geißler 2011, S. 95) verwenden beziehungsweise unspezifisch als Synonym von »Beratung« oder »Begleitung«.
Rahmenbedingungen von Coaching im Übergang
Was macht nun die spezifischen Rahmenbedingungen von Coaching in der Berufsintegration aus? In der Regel handelt es sich um ein Coaching »fernab der Elite« (Zechner, 2012). Gewisse klassische Rahmenbedingungen von Coaching wie Diskretion, Freiwilligkeit, Akzeptanz der Coachenden und Transparenz sind nicht gegeben.
Freiwilligkeit und Wahlmöglichkeit
Im klassischen Coaching ist »vollkommene Freiwilligkeit« Voraussetzung für den Erfolg (Radatz, 2010, S. 31). Dies gilt nach Birgmeier auch beim Coaching für »jugendliche Berufseinsteiger« (Birgmeier, 2010, S. 222). Tatsache ist jedoch, dass Jugendliche im Berufsfindungsprozess eher selten ganz freiwillig in ein Coaching kommen. Für die berufliche Orientierung auf der Sekundarstufe I ist klar: Sie ist Teil des obligatorischen Unterrichts. Die Jugendlichen können weder wählen, ob sie mitmachen, noch wer ihre (Berufswahl-)Lehrperson ist. Auch bei speziellen Berufsintegrationsangeboten ist eine Wahl oft nicht möglich, Jugendliche werden zugeteilt. In Brückenangeboten und Motivationssemester treten Jugendliche nach der obligatorischen Schulzeit ein, also im Prinzip freiwillig. Doch das Finden eines Ausbildungsplatzes ist zuweilen eher Ziel der Eltern oder der platzierenden Behörden als das der Jugendlichen selbst.
Voraussetzungen der Zielgruppe
In der Literatur wird diskutiert, für welche Zielgruppe Coaching geeignet ist. Vogelauer (2009, S. 190 f.) argumentiert, für ein erfolgreiches Coaching müssten gewisse Voraussetzungen aufseiten der Ratsuchenden wie »(Selbst-)Reflexions-Fähigkeit«, »Lern- und Veränderungsbereitschaft« und »Selbst-Verantwortlichkeit« vorhanden sein. Gerade diese Fähigkeiten sind bei (benachteiligten) Jugendlichen im Berufswahlprozess und in der Lehrstellensuche oft nicht vorhanden. Diese Kompetenzen sollen vielmehr durch ein Coaching erst erlernt werden. Zechner (2012, S. 178) weist darauf hin, dass auch in Arbeitsmarktmaßnahmen die Ratsuchenden in Bezug auf Veränderungsbereitschaft, Vertrauen und Selbstmanagement keine...