Ich komm, weiß wohl woher!
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Ich komm, weiß wohl woher!

Eine Reise zu Martin Luther

  1. 208 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
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Ich komm, weiß wohl woher!

Eine Reise zu Martin Luther

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Inhaltsverzeichnis
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Über dieses Buch

Das Buch nimmt Leserinnen und Leser mit auf eine biografisch-theologische Reise zu den Lebensorten und Wirkungsstätten Martin Luthers. Es beleuchtet aus der Sicht des Pfarrers und passionierten Reiseleiters Rainer Köpf die persönliche Entwicklung des Reformators und die großen Themen des Glaubens, die ihn umtrieben.Zugleich ist das Buch ein praktischer Wegbegleiter für alle, die sich auf eine eigene Reise auf den Spuren Luthers begeben wollen.Mit einem Reisevorschlag durch das Luther-Land!

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Information

Verlag
Calwer
Jahr
2015
ISBN
9783766843609
Wittenberg
Ins Licht
Der optische Eindruck war wohl namengebend. Den sächsischen Stadtgründern erschien die Sicht auf die hellschimmernde Landschaftserhebung zwischen Fläming und Dübener Heide wie eine Schau ins Licht: Wittenberg, weißer Berg, so bezeichneten sie die bleichen, kaum merklichen Sandhügel am Nordufer der Elbe. Die späteren Humanisten übersetzen den Ortsnamen ins Griechische. Die neu gegründete Universität wird zur wohlklingenden „Leucorea“, der „leuchtenden Stadt auf dem Berge“. Auf dieser unscheinbaren Anhöhe beginnt Luther den Kampf mit dem übermächtigen Papsttum. Zuvor schreibt er noch demütig an seinen Erzbischof. Vergeblich sucht er das Gespräch mit dem Kirchenfürsten. Er betont, dass in der von ihm erbetenen Diskussion nur „die Wahrheit ans Licht“ gebracht werden solle. An seinem Widerstand gegen den Ablasshandel entzündet sich der Streit. Der kleine Wittenberger Funken wird zu einem europaweiten Lichtermeer. Die Augen des christlichen Abendlandes schauen nun hierher. Der reformatorische Aufbruch führt zu einem Boom in der Stadt. Die Wissenschaft erstarkt durch Luthers blitzenden Geist. Das Druckerwesen profitiert von seinen auflagenstarken Veröffentlichungen. Die gewerbliche Wirtschaft wächst – auch durch Luthers geschäftstüchtige Frau. Ein damaliger Zeitgenosse bestaunt rückblickend das gewaltige Aufblühen der Stadt: „Ein kleiner Berg dazumal war Wittenberg, die kleine Stadt, einen großen Namen itzund hat.“ Der Dichter meint zuversichtlich, dass die Stadt nun mit „Jerusalem verwandt“ sei. Es geht aufwärts ins Licht.
Martin Luther bekommt allerdings keine leuchtenden Augen, wenn er auf Wittenberg schaut. 1508 betritt der junge Akademikermönch zum ersten Mal die Stadt. Aus der „am besten Platz liegenden“ Metropole Erfurt kommt er in ein heruntergekommenes Dorf, ein dunkles Loch mit Lehmhütten und kotverschmutzten Straßen. Er stellt fest: „Unser Markt ist ein Dreck“ und „Wir sitzen hier in Wittenberg wie auf einem Schindanger“ Nördlich der Stadt beginnt gleich der Sumpf. Die Umgebung ist öde und unfruchtbar. Auch 1521 scheint sich die Situation nicht verbessert zu haben. Ein frustrierter Student resümiert: „Die Gegend ist reizlos, die Bevölkerung ungebildet, der Tisch alles andere als üppig, der Wein eine unbekannte Sache.“ In den vierhundert Wohneinheiten leben damals rund zweitausend Menschen. Mehr als die Hälfte der steuerpflichtigen Bürger besitzt das Braurecht. Ein zeitgenössischer Beobachter schreibt, die Wittenberger seien „roh, gefräßig und versoffen“. Erst im weiteren Verlauf des 16. Jahrhunderts entwickeln sich die Gebäude zu dem, was wir heute sehen. Der spätere Luther tröstet sich in dieser lokalen Tristesse mit kleinen Oasen des Glücks. Im Keller des älteren Reformators lagern edle Tropfen vom Rhein und aus Franken. Er freut sich über die eingelegten Salzheringe, die ihm Dänemarks König Christian verehrt hat, und er genießt den Torgauer Most seines Kurfürsten. Er pflanzt einen Weinberg und züchtet Südfrüchte im Garten. Es ist ihm eine tägliche Lust, „zu spazieren in Gottes Werken“. Er erlebt die belebenden Gaben Gottes wie das Manna des wüstenwandernden Volkes Israel. Im ungeliebten Wittenberg vollbringt er sein gigantisches Lebenswerk. Nirgends ist er länger zu Hause als hier. Doch auch nach 32-jähriger Ortsansässigkeit entwickelt er keine Heimatgefühle: Während die Schwaben sehr „gastfreundlich“ seien, würde hier „ein unfreundlich Volk“ leben. Seine vielen kostenlosen Dienste seien „nur mit Hass und Schikanen“ quittiert worden und die Stadt würde „am Rand der Zivilisation“ liegen. „Wären sie nur ein wenig weiter gezogen, so wären sie mitten in der Barbarei angekommen.“ Was an der Leucorea für ihn leuchtet, sind nicht die renovierungsbedürftigen Mauern, sondern das Evangelium, das er dahinter gefunden hat.
Die von Luther erwähnte Randlage Wittenbergs hängt mit der politischen Entwicklung Kursachsens zusammen. Durch Landesteilungen und Grenzverschiebungen war der Ort in den Windschatten der Geschichte geraten. Noch dreihundert Jahre zuvor durfte sich Wittenberg zu den bevorzugten Wohnplätzen der Askanier zählen. Die aus dem Harz stammenden Herzöge gehörten zum sagenumwobenen Uradel des Reiches. Ihnen wurden antike, altgriechische Vorfahren angedichtet. Sie beherrschten von hier aus ein „Sachsen“, das zeitweise ganz Ostdeutschland umfasste. 1356 erhielten die Askanier die begehrte Kurwürde. Als Mitglieder des siebenköpfigen Wahlgremiums der Kurfürsten besaßen sie nun das Recht, den nächsten Kaiser mitzubestimmen. Nachdem Herzog Albrecht „der Arme“ ohne männlichen Nachfolger gestorben war, erlosch die sächsische Linie der Askanierfürsten. Wie sein trauriger Beiname andeutet, hinterließ Albrecht ein kriegserschöpftes Land und ein verarmtes Wittenberg. 1423 vergab Kaiser Sigismund das herrenlos gewordene Kurfürstentum an den Wettiner Markgrafen Friedrich „den Streitbaren“. Streitbar hatte dieser an der Seite des Souveräns gegen die böhmischen Hussiten gekämpft. Die kursächsischen Lande erhielt er nun als kaiserliche Belohnung für seinen militärischen Einsatz.
Die Nachfolge des streitbaren Friedrich übernahmen seine beiden zunächst friedlich zusammenarbeitenden Söhne Ernst und Albrecht. Sie regierten den großen askanischen und wettinischen Besitz anfangs erfolgreich gemeinsam bis zur Leipziger Teilung im Jahr 1485. Bei dieser politisch nachhaltigen Gebietstrennung wurde das seitherige „Großsachsen“ in zwei völlig neu zusammengewürfelte Gebiete auseinandergeschnitten. Die beiden eigenständigen Länder wurden nach ihren wettinischen „Vätern“ Ernst und Albrecht benannt: Es entstand nun ein ernestinisches und ein albertinisches Sachsen. Albrecht war der jüngere der beiden. Er und seine albertinischen Nachfolger erbten zunächst nur die sächsische Herzogswürde. Das südöstlich liegende Dresden machten sie zu ihrer neuen Hauptstadt. Die Kurfürstenwürde verblieb beim älteren Bruder Ernst. Das Kaiserwahlrecht war mit dem Besitz der Stadt Wittenberg verbunden. Die weißen Sandhügel an der Elbe gehörten zu seinem Gebiet. Durch die komplizierte Teilung Sachsens war nun ein langgestrecktes Kurfürstentum entstanden. Es ragte von der Elbe bis nach Coburg, vom Eisenacher Land bis kurz vor Eger. Die räumlichen Schwerpunkte des ernestinischen Sachsens befanden sich jetzt in Meißen und Thüringen und damit vor allem südwestlich von Wittenberg. Damit rückte die Hauptstadt an die nördliche Landesgrenze. Das „ausländische“ Brandenburg war nur noch ein paar Meilen entfernt. Trotz dieser ungünstigen, dezentralen Ausgangslage investiert der neue Kurfürst Friedrich der Weise bewusst in die Stadt. Kurfürst Ernsts ältester Sohn hat Wittenberg geerbt und erklärt es neben Torgau zur landesherrlichen Residenz.
In einer Art „Länderfinanzausgleich“ fließt nun Geld aus dem ertragreichen sächsischen Süden hierher. Einnahmen aus dem erzgebirgischen Bergbau ermöglichen den strategischen Ausbau der Stadt. Friedrich beginnt mit der Errichtung eines Schlosses. Mit dem Allerheiligenstift und dessen Reliquien beschert er dem Ort eine religiöse Attraktion. Er bringt Baumeister und Künstler hierher und gründet 1502 die neue Universität, die er für seinen Beamtennachwuchs und den Ausbau des Territorialstaates braucht. Friedrich der Weise stellt sich also politisch hinter die Stadt und befreit sie aus ihrem Dornröschenschlaf. So beschaulich und abgelegen der „arme“ Ort sich anfangs noch gibt: es ist eine Stadt „am Start“. Wie bei einer abziehenden Fregatte füllen sich langsam die Segel zum Verlassen des Hafens. Es ist der richtige Platz für Leute mit einer Sehnsucht nach der Weite des Meeres, für Menschen im Aufbruch, wie Martin Luther. Hier findet er den nötigen politischen Rückenwind für die Fahrt zu neuen Ufern des Glaubens.
Kurfürst Friedrich der Weise
Ohne Kurfürst Friedrich den Weisen wäre Luthers reformatorisches Wirken undenkbar gewesen. Hätte der Landesherr nicht seine schützende Hand über den ungestümen Augustinermönch gehalten, wäre dieser schon früh auf dem Scheiterhaufen gelandet. Friedrich steht anfangs noch mit beiden Beinen auf dem Boden spätmittelalterlicher Frömmigkeit. Zu Beginn seiner Herrschaft hat er die dramatischen späteren Wendejahre kaum vorausgesehen. Der päpstliche Sturm bringt den begabten fürstlichen Steuermann nicht aus der Fassung. Unaufgeregt und „weise“ begleitet er die geschichtliche Entwicklung und bleibt in wechselnden Situationen lernfähig. Er tastet sich vorsichtig, aber entschlossen nach vorne. Er beobachtet und handelt mit dem Gespür für die richtige Zeit. Friedrich sollte zum politischen Paten der Reformation werden. Den charakterisierenden Beinamen „der Weise“ verdankt er seiner diplomatischen, ausgleichenden Art. Der Schauspieler Peter Ustinov setzt ihm im Lutherfilm von 2003 ein treffendes Denkmal. Ustinov zeigt den Wittenberger Kurfürsten als nachdenklichen Vertreter einer „Politik der kleinen Schritte“.
Beim Wormser Reichstag will ihn der römische Nuntius Hieronymus Aleander auf die Seite des Papstes ziehen. Er scheitert an Friedrichs phlegmatischer Beharrlichkeit. Auch wegen seines enormen Leibesumfanges bezeichnet ihn Aleander spöttisch als „fettes Murmeltier“. Hinter der dicken Haut des schüchtern wirkenden Menschen verbirgt sich allerdings die geistige Beweglichkeit eines weitgereisten, gebildeten Herrn. Mit klarem Verstand wehrt er sich gegen Kriege, die man ihm aufzwingen will. Ein militärisches Vorgehen gegen die protestierenden Bauern lehnt er ab. Erst nach seinem Tod beginnt das Blutbad der Söldner unter dem Volk. Friedrich sucht den Frieden. Wo nötig, setzt er aber dem Machtgebaren seiner Nachbarn deutliche Grenzen. Dem ämtergierigen brandenburgischen Erzbischof und den unberechenbaren Dresdner Vettern schaut er genau auf die Finger. Der unverheiratete Fürst spricht fließend Latein und Französisch. Er ist sprachfähig auch im Blick auf die philosophischen Fragen des Lebens. Die Humanisten Reuchlin und Erasmus zählen zu seinen Briefpartnern. So loyal er dem Kaiser dient, so entschieden verteidigt er doch auch die Eigenständigkeit der deutschen Territorialstaaten. Seine geschickte Verhandlungstaktik im Zusammenhang mit der Nachfolge Kaiser Maximilians eröffnet dem reformatorischen Wirken seines Wittenberger Professors das notwendige Zeitfenster. In diesem reichspolitischen Machtvakuum können Luthers 95 Thesen in Ruhe „ausschlüpfen“. Nun ist der Flug der Gedanken nicht mehr zu halten.
Friedrich der Weise war damals der mächtigste Kurfürst und galt als deutsches Gegengewicht zum Habsburger Kaiser. Seine finanzielle und persönliche Unabhängigkeit erlaubten es ihm, in einem nicht standesgemäßen Liebesverhältnis mit einer „Bürgerlichen“ zu leben. Drei uneheliche Kinder wurden unter seinen Augen groß. Trotz dieses moralischen Makels war Friedrich ein frommer Christ und bis zu Luthers Auftreten ein treuer Gefolgsmann seiner römischen Kirche. Er feierte täglich die Messe, suchte das Heil in den Werken und erflehte den Beistand der Heiligen. Nur zögerlich öffnete er sich der evangelischen Lehre. Erst auf dem Sterbebett ließ er sich das Abendmahl unter beiderlei Gestalt reichen. Bis zum Thesenanschlag 1517 war er ein begeisterter „Devotionaliensammler“. Friedrich besaß die drittgrößte deutsche Reliquiensammlung. Der kunstsinnige Fürst liebte den sichtbaren Gott, der sich in Reliquien anfassen ließ. Auf der Empore der Wittenberger Schlosskirche hatte er fast 20 000 Partikel aus Märtyrerdramen und Bibelhistorie zusammengetragen. In neun Durchgangspassagen waren diese sakralen Trophäen ausgestellt wie Pflastersteine zum Himmel.
Der Grundstock seiner Sammlung stammte aus dem Familienerbe. Manche Reliquie hatte er als Souvenir aus dem Heiligen Land Israel mitgebracht. Die meisten Neuerwerbungen gelangten über einen venezianischen Mittelsmann in seinen Besitz und waren mit einem exotischen Beigeschmack behaftet. Ein Inventarkatalog des Malers Lucas Cranach zählt die Kuriositäten auf: Da finden sich Stacheln aus der Dornenkrone des Gekreuzigten, Stoffreste von Jesu Windeln, Strohhalme aus Bethlehems Krippe und Flaschen mit der getrockneten Muttermilch Marias. Reliquien galten als Überbleibsel vom Heiligen, eine ins Irdische hineinragende Energie des Himmels. Wer am Eingang spendet und das Heilige anschaut oder gar betastet, wird „neu gepolt“ wie ein Stück Eisen beim Berühren eines Magneten. Fast um zwei Millionen Tage wurde das Konto der abzuleistenden Strafzeit im Fegefeuer heruntergefahren. Nur an besonderen Tagen hatte die Ausstellung geöffnet und ermöglichte eine Art „Frühjahrs- und Herbstputz der Seele“. Jedes Mal gab es einen Riesenansturm von Menschen. Die Wallfahrt nach Wittenberg war ein bewegendes spirituelles Ereignis und ein einträgliches Geschäft für den Kurfürsten. Er verstand es, sein frommes „Hobby“ auch wirtschaftlich fruchtbar werden zu lassen.
Clever zeigte sich Friedrich auch bei der Wittenberger Universitätsgründung. Die seitherige sächsische Universitätsstadt Leipzig war bei der Landesteilung an die Albertiner gefallen. So strebte der Kurfürst eine eigene, ernestinische Bildungsanstalt an. Friedrich fand eine kostengünstige Lösung, indem er mehrere Professorenstellen den örtlichen Mönchsorden übertrug. Sie wurden durch Pfründe des Allerheiligenstiftes und über die Einkünfte der Klöster finanziert. Neben Friedrichs Leibarzt Martin Pollich gehörte auch Luthers Beichtvater Johann von Staupitz zu den gelehrten Männern der ersten Stunde. Unter ihrer Beratung und Leitung wurde im Oktober 1502 die Hochschule eröffnet. Wie ein musikalisches Vorzeichen sollte der Kirchenvater Augustin die theologische Tonart angeben. Er wurde zum geistlichen Patron der Universität bestimmt. An ihm sollte sich alles Lehren und Lernen orientieren. Augustins bodenständige Intellektualität beeindruckte den Kurfürsten.
Das Nebeneinander von Weltferne und Weltzuwendung, von theologischem Denken und kirchenpolitischem Handeln entsprach dem frommen Pragmatismus des weisen Friedrich. Die Wittenberger Universität galt von Anfang an als eine moderne, aber „politisch korrekte“ Hochschule. Rektor Dr. Pollich war ein Kritiker der mittelalterlichen Scholastik. Mehrere der neu berufenen Professoren waren innovative Jungakademiker und kamen aus dem kirchenkritischen Humanismus. Dass der katholische Glaube reformiert werden musste, stand somit schon „vor Luther“ im Herzen der Universität geschrieben. Der Rückgriff auf den paulinischen Theologen Augustin zeigt eine antischolastische Spitze. Augustins kirchliche Autorität ist indes unangreifbar. Die Entscheidung für gerade diesen Kirchenpatron sollte nachhaltige Folgen haben. Augustins Erbsündenlehre wurde für den wahrheitssuchenden Luther zur theologischen Treppenstufe ins Licht. Der bibeltreue Reformator schätzt an dem afrikanischen Bischof, dass er „alle unter die Schrift gezwungen und gefangen“ habe.
Die nach dem Kirchenlehrer benannten Augustiner-Eremiten-Mönche kamen mit der Universitätsgründung hierher. Sie sammelten sich im Schwarzen Kloster beim Elstertor, das noch lange Zeit eine Baustelle bleiben sollte. Die rund dreißig Brüder, die hier lebten, waren mit wissenschaftlichen Studien beschäftigt. Zwei akademische Lehraufträge waren dem Kloster übertragen. Beide Professorenstellen hat Martin Luther nacheinander inne gehabt. Und in beiden Fällen war er Wunschkandidat und Nachfolger seines Ordensoberen Johann von Staupitz. 1508 kam er erstmals nach Wittenberg und übernahm die Stelle an der Artistenfakultät. Als Dozent für Moralphilosophie hatte er Vorlesungen über Dialektik und Aristoteles zu halten. Als ausgeliehener Erfurter blieb er allerdings seinem Heimatkonvent verbunden. Dorthin kehrte er nochmals zurück, um auf dem Domberg über die Sentenzen des Petrus Lombardus zu lehren.
Luther als Mönch
Die Verbindung zum Erfurter Konvent war auch der Grund für Luthers Romreise im Jahr 1510. Ein Klosterstreit zwang Martin auf die winterliche Tour. Die strengen Erfurter Augustinermönche wehrten sich gegen Vereinigungsbestrebungen ihres Generalvikars Johann von Staupitz. Luthers einfühlsamer Seelsorger suchte auch im klosterpolitischen Bereich zu vermitteln. Er wollte die verschiedenen Parteien miteinander versöhnen. Obwohl er selbst zur strengen Richtung zählte, sollten die Laxen und die Strengen, die Konventualen und Observanten, wieder zusammengeführt werden. Er hoffte, dass sich die ursprüngliche Regel als gemeinsamer tragender Grund durchsetzen und der Orden dadurch wieder glaubwürdiger werden würde. Diese Zwangsvereinigung lehnten aber rund ein Viertel der observanten Konvente ab. Sie befürchteten eine Verweltlichung des Ordens und die Verwässerung ihrer Ethik. Als Vertreter der Opposition sollte Martin Luther, der in dieser Frage anders dachte als sein Vertrauter Staupitz, ihre Sache beim Papst vertreten. Man schickte ihn ins Machtzentrum des Ordens, in die Ewige Stadt Rom. Dem obersten Klostergeneral der Augustiner, Aegidius de Viterbo, sollte Luther ihre Protestschrift überreichen und deren Widerstand begründen. Da der Besuchte jedoch selbst zu den Initiatoren der neuen Vereinigungspolitik gehörte, war die Sache von vornherein aussichtslos. Als die augustinisch-observanten Botschafter in Rom angekommen waren, verbot man ihnen, sich direkt an den Papst zu wenden. Ihre Eingabe landete im Papierkorb. Die Reise war ein erfolgloses, doch unvergessliches und von Luther öfters zitiertes Erlebnis seiner Biographie.
Gemeinsam mit einem Begleiter macht sich Luther auf den Weg in den Süden. Wagen und Pferd darf er als Augustinermönch nicht benutzen. Trotz körperlich anstrengender Wanderschaft muss er die adventlichen Fastengebote einhalten. Zu Fuß bricht er auf im kalten November. Aus späteren Zitaten lässt sich die Reiseroute in etwa erschließen. Vorbei am Thüringer Wald geht es zunächst ins Augustinerkloster nach Nürnberg. Dort wird beraten und formuliert. Die Reisenden decken sich mit den notwendigen Pässen und Begleitschreiben ein. Ein Betrag von zehn Gulden wird ihnen als schmales Reisebudget mit auf den Weg gegeben. Man übernachtet in Klöstern und Pfarrhäusern. Durch Mittelfranken kommen die beiden über Heidenheim bis in die freie Reichstadt Ulm. Das ihnen freundlich gesinnte Oberschwaben durchqueren sie in wenigen Tagen.Vom Bodensee aus geht es hinein in die Schweizer Berge. Bei Schnee und Eis überqueren die beiden den zweitausend Meter hohen Septimerpass. Die alte Römerstraße führt sie vorbei am Comer See bis nach Mailand. In Italien werden sie von Wind und Kälte empfangen. In Papua holt sich Luther eine fiebrige Erkältung. Er hatte bei offenem Fenster geschlafen. In Florenz muss er ins Spital. Nach eigener Einschätzung lässt ihn der Genuss exotisch anmutender Granatäpfel wieder gesunden. Ein Gastwirt hatte ihm dieses Heilmittel empfohlen. Luthers Horizont weitet sich. Er staunt über die mediterrane Natur und bewundert die Ölbäume, die er seither nur aus der Bibel kannte. Er übernachtet in prachtvollen norditalienischen Klöstern und beobachtet die verweltlichten, genussfreudigen südländischen „Brüder“. Ih...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titelblatt
  3. Urheberrecht
  4. Inhalt
  5. Geleitwort
  6. Einführung
  7. Möhra
  8. Mansfeld
  9. Magdeburg
  10. Eisenach
  11. Erfurt
  12. Wittenberg
  13. Wartburg
  14. Eisleben
  15. Lebensdaten von Martin Luther
  16. Ein Reisevorschlag
  17. Ausgewählte Literatur
  18. Bildnachweis