Voraussetzungen für einen gelungenen Unterricht
Voraussetzungen für einen gelungenen Unterricht
Die Birkenbihl-Methode ist ein vierstufiges Vorgehen. Jeder neue Lerninhalt wird grundsätzlich in den immer gleichen vier Schritten bearbeitet. Die Schülerinnen und Schüler eigenen sich damit auf eine Art und Weise neues Können und Wissen an, die der Funktionsweise des Gehirns entspricht. Wenn Sie als Lehrerin oder Lehrer die Methode in Ihrem Fremdsprachenunterricht anwenden möchten, müssen Sie diesen nicht völlig umkrempeln. Sie können weiterhin mit Ihrem Schullehrmittel arbeiten und vieles so gestalten wie bisher. Schulbücher für den Fremdsprachenunterricht sind üblicherweise in thematische Einheiten aufgeteilt. Orientieren Sie sich weiterhin daran, aber lösen Sie sich von der Reihenfolge der Aufgaben und Übungen innerhalb einer solchen Einheit. Ausgangspunkt für jeden vierstufigen Lernprozess – die Lernenden werden sich gleichzeitig in mehreren solcher Prozesse befinden – bildet immer ein Text. Aktivitäten wie Lesen und Schreiben führen Sie mit den einzelnen Texten erst nach dem dritten Lernschritt, dem passiven Hören durch. Erst dann ist das Gehirn bereit dafür, und Sie können dabei die bereits besprochenen Neuro-Mechanismen auslösen – also den Bedürfnissen des Gehirns gerecht werden. Stützen Sie sich auf die Grundlagen der Methode und kaufen Sie für Ihre Schülerinnen und Schüler keinen auf Erwachsene ausgerichteten Birkenbihl-Kurs. Das gilt auch, wenn Sie als Mutter oder Vater den Lernprozess Ihres Schulkindes zu Hause begleiten. Sie können Ihren Sohn oder Ihre Tochter optimal unterstützen, wenn Sie das Kind mit den Texten aus dem Schullehrmittel arbeiten lassen.
Ich empfehle Ihnen als Lehrperson, den Start mit der Methode gut vorzubereiten. Voraussetzung für einen gelungenen Unterricht mit der Birkenbihl-Methode ist, dass Sie über die nötigen Materialien verfügen und sich ein paar grundsätzliche Gedanken gemacht haben. Es ist wichtig, dass Sie in Ihrem Schulzimmer (oder auch zu Hause) ein angstfreies Lernklima schaffen und nicht auf zu hohem Niveau einsteigen. Und dass Sie die Lernenden mit Ihrer Begeisterung für gehirn-gerechtes Lernen anstecken.
Stufenorientiertes Lehren
Vera F. Birkenbihl verwendete stets die Metapher des Lernbergs, um das stufenorientierte Lehren zu erklären (vgl. Birkenbihl 2011, S. 40). Sind wir in einem Lerngebiet Einsteiger (z. B. im ersten Englisch- oder Französisch-Schuljahr), dann stehen wir ganz unten am Lernberg. Je weiter fortgeschritten wir sind, desto weiter nach oben kommen wir. Im Einsteiger-Bereich soll möglichst incidental, also beiläufig gelernt werden. In diesen Bereich gehören die vielen gehirn-gerechten Methoden, mit denen Lernen möglichst spielerisch und nebenbei vor sich geht. Je höher der Lernende am Lernberg ist, desto mehr wird das Lernen intentional, denn man lernt »mit Absicht«. Hier darf auch Grammatikunterricht stattfinden, der im Einsteigerbereich noch nichts verloren hat. Leider ist es in der Schule so, dass manche Lehrpersonen mit dem Schulstoff zu weit oben einsteigen, also gewissermaßen die Leiter ansetzen und im Fortgeschrittenenbereich beginnen. Die Lehrperson setzt einiges voraus, ist mit dem Schulstoff quasi im ersten Stock (oder noch weiter oben), während einige Lernende frustriert im Einsteigerbereich sitzen und bald nichts mehr verstehen.
Ich erlebe selbst immer wieder, wie sehr es sich lohnt, mit den Lernenden tatsächlich ganz unten zu starten. Damit kann ich alle abholen, ohne die neuronal schnellen Lerner oder diejenigen, die von zu Hause schon viel Vorwissen mitbringen, zu langweilen oder die langsameren Lernenden zu überfordern. Für den Einsteigerbereich eignen sich die später im Buch erläuterten Lerntechniken wie z. B. ABC-Listen, KaWas, passives Hören, Wissensquiz-Fragen. Diese Techniken entsprechen den Neuro-Mechanismen und ermöglichen incidentales Lernen.
Was mich an dieser Lernberg-Metapher von Vera F. Birkenbihl immer wieder beeindruckt: Es gibt keine Kritik im Einsteigerbereich. Hier lassen wir den Lernenden lernen und denken. Die vorgestellte Methode und die Techniken sind Denktools. Kritik hat hier nichts verloren. Oder möchten Sie bei Ihren ersten Versuchen, Finnisch zu lernen, gleich kritisiert werden? Je weiter oben wir am Lernberg sind, desto mehr Kritik ist erlaubt und angebracht. Ein fortgeschrittener Lerner möchte sogar ein Feedback von seinem Coach, Lehrer oder Ausbilder haben und kann die Rückmeldung dann auch besser einordnen.
Wichtig für einen guten Start ist also der Einstieg ganz unten am Lernberg, wo wir die Lernenden durch kooperative und gehirn-gerechte Methoden lernen lassen. Das heißt auch: Nicht dauernd in den Lernprozess eingreifen. Lassen Sie das Lernen einfach geschehen. Ich habe beobachtet, wie schnell Lehrpersonen »helfen« wollen. Weiß der Lernende eine Antwort nicht sofort oder kann eine Aufgabe nicht sogleich lösen, dann wird ihm sofort gezeigt, wie er es zu machen hat, wie der beste Lösungsweg funktioniert oder es am einfachsten geht. Dies ist zwar gut gemeint, verhindert das Lernen aber geradezu. Je länger ich gehirn-gerechte Methoden im Schulzimmer einsetze, desto öfter ziehe ich mich vertrauensvoll zurück, beobachte, lasse austauschen und lernen und komme immer mehr weg vom Unter-Richten (was für ein Wort!) hin zum Begleiten und Coachen.
Angstfreies Lernen
Wenn wir als Lehrpersonen tatsächlich im Einsteigerbereich beginnen und es schaffen, in diesem Bereich nicht zu kritisieren, ermöglicht dies eine entspannte Lernatmosphäre, in der angstfrei gelernt werden kann. Gegen Spannung und einen gewissen Erwartungskitzel ist nichts einzuwenden, doch Angst ist kein Lernpartner. Wer unter Angst Vokabeln paukt, lernt die Angst gleich mit und wird beim Abrufen der Vokabeln wieder ein ungutes Gefühl haben. Allen Lehrpersonen sollte inzwischen bewusst sein, dass Angst das Lernen verhindert. Dazu gibt es inzwischen unzählige wissenschaftliche Arbeiten und Studien. Von vielen Lehrpersonen erhielt ich schon die Rückmeldung, dass ihre Schülerinnen und Schüler angstfrei lernen. Doch ist die Angst aus unseren Schulzimmern wirklich verbannt? Beobachten Sie Ihre Lernenden genau. Auch ich habe dieses Thema anfänglich unterschätzt und war bei genauerer Betrachtung überrascht. Ich habe dann mein Lehren, mein Verhalten und meine Erwartungshaltung gegenüber den Lernenden überdacht und korrigiert. Auch heute noch beobachte ich meine Schülerinnen und Schüler immer wieder genau, um sicher zu sein, dass in unserem Schulzimmer angstfreies Lernen stattfindet.
Auch im Sprachunterricht wird nicht angstfrei gelernt, solange Lernende Hemmungen haben, in der Zielsprache zu sprechen, weil sie schon vorher spüren und auch wissen, dass sie den Erwartungen der Lehrperson nicht entsprechen können. Die Lernenden setzen sich selbst unter Druck, weil sie denken, immer korrekt und den Grammatikregeln folgend sprechen zu müssen. »Null Fehl...