Angriff auf die Demokratie
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Angriff auf die Demokratie

Wie Rechtsextremisten die sozialen Medien unterwandern

  1. 272 Seiten
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Angriff auf die Demokratie

Wie Rechtsextremisten die sozialen Medien unterwandern

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Über dieses Buch

Er wühlt sich den ganzen Tag durchs Internet und entlarvt Fake News, Verschwörungstheorien und rechtsextreme Machenschaften. Doch er ist mehr als nur ein engagierter Nerd. In diesem Buch zeigt Andre Wolf, bekannt durch die Rechercheplattform Mimikama und ausgezeichnet mit dem Menschenrechtspreis 2020, mit welchen Tricks, Techniken und Strategien Rechtsextremisten das Internet unterwandern und warum die Regierungen die Gefahr unterschätzen.

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DIE NOT BRINGT UNS INS TAUMELN!

Wie an anderen Tagen auch streifte ich am 6. Januar 2021 durch den Newsstream auf Twitter.
Ich gebe zu, ich gehöre zu diesen Dinosauriern, die sehr gerne auf Twitter unterwegs sind. Auch wenn dort viel Mist, Meinungsmache, genügend Falschmeldungen und auch eine große Portion Eitelkeiten und Häme unterwegs sind, sind die Informationen dort schnell. Zudem kann ich anhand der Trends erkennen, was gerade in der Social-Media-Welt los ist. Und vor allem: Was in drei Stunden dann auf Facebook los sein wird. Denn oft erscheinen Trends zuerst auf Twitter und dann mit etwas Verzögerung auf Facebook.
Ich schaute also auf die Leiste mit den angezeigten Trends und las die Hashtags #capitol und #capitoldown. Bei solchen auf Twitter üblichen sogenannten Hashtags handelt es sich um Schlagworte. Diese Schlagworte kategorisieren ein Thema. Ich fragte mich, ob wieder irgendein alberner Blockbuster in den Kinos angelaufen war, der von einem Anschlag auf das Kapitol in den USA handelte. Doch fiel mir ein, dass aufgrund der Corona-Maßnahmen wohl eher wenige große Kinofilme anliefen. Also klickte ich immer noch nichtsahnend die Trends an. Was ich nun sah, verschlug mir den Atem. Eiskalt lief es mir über den Rücken und ich fragte mich, ob das wirklich real war.
Eine große Menschenmenge bewegte sich die Stufen zum Kapitol hinauf. Ganz vorne waren Menschen teils mit militärischer Ausrüstung, die Fensterscheiben einschlugen und in das Gebäude eindrangen. Sie stürmten das Kapitol, eines der Wahrzeichen westlicher Demokratien. Drinnen tagten gerade in parallel stattfindenden Sitzungen das Repräsentantenhaus und der Senat unter dem Vorsitz des US-Vizepräsidenten Mike Pence. Dieser Staatsakt diente dazu, das Ergebnis der Präsidentschaftswahl von 2020 zu bestätigen. Es war der letzte formelle Schritt vor der Angelobung des neuen US-Präsidenten Joe Biden. Das wollten die hereinstürmenden Anhänger des amtierenden Präsidenten Donald Trump verhindern. Trump hatte zwar sämtliche von ihm angestrengten Gerichtsprozesse zur Anfechtung der Wahl verloren. Er hatte jedoch nicht aufgehört, zu behaupten, es hätte ein Wahlbetrug stattgefunden, der ihn den Sieg gekostet habe.
Allerdings hatte die Mehrheit der Abgeordneten auch in seiner eigenen republikanischen Partei schon im Vorfeld deklariert, dass sie Joe Biden als neuen Präsidenten bestätigen wollten. Auch Vizepräsident Mike Pence hatte sich laut Medienberichten bereits offen geweigert, seine Sitzungsleitung zu benutzen, um die Bestätigung von Biden zu verhindern, was Trump ihm nahegelegt hatte.
Trump hatte für diesen Tag seine Anhänger aus dem ganzen Land zu einer Demonstration vor dem Weißen Haus eingeladen. Mehrere Zehntausend waren zu dieser Protestversammlung gekommen. In seiner Rede forderte Trump seine Anhänger auf, die Pennsylvania Avenue hinunter zum Kapitol zu ziehen, um zu verhindern, dass die Abgeordneten das Votum der Wahlmänner und -frauen zugunsten von Biden bestätigen.
Es war nicht einfach irgendeine Gruppe, sondern eine extrem skurrile Mischung an Menschen, die in das Kapitol eindrang. Ich scrollte durch die Twittermeldungen unter dem Hashtag #capitol. Auf den Bildern stach mir ein sonderbarer Mann ins Auge. Dieser Mann trug eine Fellmütze mit großen Hörnern. Er trug keine Oberbekleidung. Auf seinem nackten Oberkörper prangten allerlei Tattoos und Zeichen, die bedeutungsschwanger und mystisch erschienen. Sein Gesicht war bemalt in den Farben der USA. In der Hand hielt er einen Speer, an dem der Stars-and-Stripes-Banner hing. Auf den Fotos mutete es an, als heule er wie ein Wolf. Verschiedene Medien bezeichneten diesen Mann später als QAnon-Schamanen.
Ich entdeckte auch einen Mann um die Fünfzig mit einem ganz besonders widerlichen T-Shirt. Er hatte lange Haare und einen glatten, längeren Bart. Auf seinem schwarzen Shirt stand die Aufschrift »Camp Auschwitz«. Darunter ein Totenkopf, welcher dem Symbol der SS-Division Totenkopf ähnelte. Abschließend prägte der Untertitel »Work brings freedom« das Shirt. Arbeit macht frei. Genau jener Satz, welcher als Toraufschrift mehrerer NS-Konzentrationslager bekannt ist.
Die Hereinstürmenden drangen immer weiter in das Gebäude vor. Die wenigen Sicherheitskräfte waren überfordert und gaben den Eindringlingen teilweise den Weg frei. Sowohl Senat als auch Repräsentantenhaus mussten ihre Sitzungen unterbrechen. Der Sicherheitsdienst führte die Abgeordneten und Senatoren teilweise nur wenige Meter an den Eindringenden vorbei in andere, verteidigbare Bereiche des Gebäudes.
Die Plenarsäle konnten die Sicherheitskräfte nicht verteidigen. Die Bilder von den ersten Eindringlingen in die Säle zeigten Männer, die bündelweise Kabelbinder an den Hüften trugen. Diese Kabelbinder waren bereits zu zwei Schlaufen zusammengesteckt und somit als Handschellen verwendbar. Offensichtlich wollten diese Männer die Abgeordneten in Gefangenschaft nehmen. Draußen johlte die Menge: »Hängt Mike Pence! Hängt Mike Pence!«, da sie in dem Vizepräsidenten offenbar einen Verräter sahen. Drinnen spielten sich an manchen Korridoren, an denen die Sicherheitskräfte Widerstand leisteten, dramatische Szenen ab.
Bei der Verteidigung eines Durchgangs schoss ein Polizist auf eine Trump-Anhängerin, die als Erste durch ein eingeschlagenes Fenster in einer Flügeltür klettern wollte. Diese Frau, eine Air-Force-Veteranin, starb später an der Schussverletzung.
Ein unbekannter Täter schlug mit einem Feuerlöscher auf einen Polizisten ein. Dieser erlag später seiner Kopfverletzung. Eine Frau wurde von der Menge zu Tode getrampelt.
Es war eine verrückte, aufgeheizte und brandgefährliche Mischung aus Personen, die in das Kapitol eindrang. Die Meute suchte nach den Abgeordneten. Manche durchwühlten in den Sitzungssälen zurückgelassene schriftliche Unterlagen auf der Suche nach Beweisen für Verrat.
Viele filmten und fotografierten, auch sich selbst. Die Eindringlinge inszenierten förmlich ihren Einzug und verbreiteten die Fotos und Videos auf Social Media. Teilweise waren die Menschen verkleidet und erinnerten damit an Figuren mit Spezialfähigkeiten aus Online-Rollenspielen. Für ihren Auftritt und ihre Übertragungen ließen sie sich online feiern.
Präsident Trump verfolgte diese Live-Berichterstattung und fand dennoch keine klaren Worte. Er sagte seinen Unterstützern: »We love you«. Er ermahnte sie, die Sicherheitskräfte zu respektieren und twitterte sinngemäß: Das passiert, wenn großen Patrioten ein Wahlsieg gestohlen wird. »Geht heim in Liebe und in Frieden. Erinnert euch an diesen Tag für immer.« Trump weigerte sich, die Nationalgarde zu entsenden. Das übernahm schlussendlich Vizepräsident Pence. Am Abend zerstreute sich die Menge schließlich auch wegen einer Ausgangssperre, die die Bürgermeisterin von Washington D.C. verhängt hatte. Die Abgeordneten konnten ihre Sitzung fortsetzen und bestätigten in den frühen Morgenstunden des darauffolgenden Tages Joe Biden als neuen US-Präsidenten.
Die Eindringlinge ließen das Kapitol vermüllt zurück. Zur Sachbeschädigung an Türen und Fenstern kamen noch ein paar gestohlene Computer. Ein Mann nahm sogar ein Rednerpult mit.
In den darauffolgenden Tagen nahm die Polizei rund fünfzig Männer und Frauen fest. Zwei Männer begingen Selbstmord. Insgesamt forderte der Sturm auf das Kapitol fünf Tote und Dutzende Verletzte.
Parallel dazu fahndete die Polizei nach unbekannten Tätern, die im Kapitol und nur wenige Kilometer entfernt vor den zentralen Büros der Demokraten und der Republikaner in Washington D.C. Rohrbomben bzw. Bombenattrappen platziert hatten. Das rechtzeitig alarmierte FBI konnte die mit Zeitzünder versehenen Bomben entschärfen.
Präsident Trump erntete als erster US-Präsident in der Geschichte ein zweites Amtsenthebungsverfahren wenige Tage vor der Inauguration seines Nachfolgers. In der Folge fragten sich viele Menschen: Wie konnte es so weit kommen?

Auf einmal sind wir alle betroffen

Ein Jahr davor. Als im Januar 2020 von einer mysteriösen Lungenkrankheit in China die Rede war, ahnte niemand, welche globalen Auswirkungen diese Krankheit haben würde. Gleichzeitig dürfte zu diesem Zeitpunkt auch niemand daran gedacht haben, welche Arten von Falschmeldungen und Mythen im Fahrwasser dieses Virus mitschwimmen würden. Im Frühjahr 2020 verbreitete sich das Corona-Virus mit großer Geschwindigkeit in Europa. Manche Menschen erkrankten schwerer als andere, manche mussten auf die Intensivstation, manche starben an dieser Krankheit. Die USA waren aufgrund der Untätigkeit der Regierung noch stärker betroffen.
Die Coronakrise ist eine ideale Ausgangsposition für Rechtsextremisten und ihre rechtspopulistischen parlamentarischen Arme. Systemkrisen schaffen Verunsicherung und verschaffen den Rechtsextremen mit ihren scheinbar einfachen Lösungen Aufwind.
Das war bereits 2015/16 zu beobachten, als viele Flüchtende nach Europa kamen. Damals gab es eine kurze Phase, in der die Grenzregime in Mitteleuropa außer Kraft gesetzt waren, um bis zu einer Million Menschen die Durchreise ins aufnahmewillige Deutschland zu ermöglichen. Es flammte eine Willkommensbewegung auf, die dieses Durchwinken der Flüchtlinge unterstützte und feierte. Langfristig jedoch gewann eine Interpretation der Ereignisse die Oberhand, die in der kurzfristigen Öffnung der Grenzen ein Versagen des Staates sah.
Wie bereits ausgeführt, tauchten damals viele Falschmeldungen auf Social Media auf, vor allem rund um den Mythos vom Bevölkerungsaustausch. Damit gelang es, die ohnehin schon schwierige Situation noch weiter aufzuheizen. Das brachte den Rechtsextremen Aufwind, wenngleich sie von Massenprotesten und Gelegenheiten zum gewaltsamen Umsturz noch weit entfernt waren.
In den Jahren danach war das Feindbild »der Islam«. Die geschürte Angst vor einer vermeintlichen Islamisierung des Abendlandes verschaffte den Rechtsextremen weiteren Auftrieb.
Das zeigte sich auch bei den nachfolgenden Wahlen. Es gab einen deutlichen Ruck nach Rechtsaußen. In Deutschland lag die AfD bei der Wahl 2013 noch unter fünf Prozent. Bei den Wahlen 2017 schaffte sie 12,6 Prozent. In Österreich konnte die FPÖ im selben Zeitraum von 20,5 auf 26 Prozent in der Wählergunst zulegen, wobei die ÖVP noch stärker gewann. Mit ihren Wahlkampfbotschaften – Schließung der Balkanroute – okkupierte die ÖVP ebenfalls das mittlerweile hauptsächlich islamfeindlich verhandelte Migrationsthema. Nach den Wahlen 2017 kam es zur zweiten rechtsrechtsextremen Koalition in Österreich nach dem zweiten Weltkrieg. Diese Koalition scheiterte allerdings im Frühjahr 2019 am Ibiza-Skandal. Bei den nachfolgenden Wahlen im Herbst 2019 legte die ÖVP weiter zu, während die gespaltene FPÖ stark verlor.
Bei den Wahlen in den USA 2016 wurde Donald Trump US-Präsident, was Rechtsextreme weltweit als Erfolg feierten. Trump verlor das Amt bei den Wahlen 2020 jedoch wieder, was zum Umsturzversuch 2021 kurz vor der Amtsübergabe führte.
Hier zeigt sich, dass Rechtsextremisten für einen gewaltsamen Umsturz eine Situation benötigen, in der möglichst viele, am besten alle Menschen verunsichert sind und das Land tief gespalten ist. Nicht von ungefähr ereignete sich der Sturm auf das Kapitol nach einigen Monaten, in denen die Corona-Pandemie in den USA gewütet hatte.
Selten zuvor war die allgemeine Betroffenheit, Verunsicherung und Spaltung der Bevölkerung so groß und so spürbar wie am Ende von Trumps Amtszeit. Das Virus bedroht die physische und wirtschaftliche Existenz aller Menschen besonders in einem Land, dessen institutionelle soziale Netze schwach sind und dessen Gesundheitssystem keine allgemeine Krankenversicherung kennt. Auf diesem Nährboden schaffen es Rechtsextreme und Populisten sehr gut, mit manipulativen Botschaften die Ängste und Sorgen noch weiter zu verstärken.
Dass sich Rechtspopulisten in ihrer Anti-Haltung teilweise widersprechen, scheint vernachlässigbar zu sein. Hauptsache dagegen sein. Zur Veranschaulichung: Alice Weidel, Co-Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion, forderte im März 2020 einen Lockdown und schimpfte über die deutsche Regierung:
Dänemark, Tschechien, Italien und weitere EU-Länder reagieren: Sie stellen das öffentliche Leben praktisch ein. Nur in Deutschland kann sich #COVID19 ungehindert ausbreiten. Das wird fatale Folgen haben! Die Regierung muss jetzt endlich angemessene Schritte einleiten! #coronadeutschland
Im November, als ein Lockdown in Deutschland anbrach, schimpfte sie über die Maßnahmen:
Die arrogante Gouvernanten-Rhetorik, mit der die Exekutive sich anmaßt, immer tiefer in das Privatleben der Bürger und in die Familien hineinzuregieren, ist übergriffig und schwer erträglich.
#AfD #Regierungserklärung #Weidel
Die Strategie dahinter ist recht einfach zu durchschauen. Rechtspopulisten versuchen mit allen Mitteln, eine Situation schlechtzureden. Die protestierend vorgetragene destruktive Kritik mündet oft in scheinbar einfache, und daher umso empörter präsentierte Lösungen. Mithilfe dieser Aussagen stacheln sie ihre Anhänger auf, die dann mit derselben Verve auf Social Media und im privaten Umfeld diese Kritik und die einfachen Lösungen vertreten. Über Social Media erreichen diese Botschaften eine hohe Reichweite. Denn diese destruktiven Botschaften polarisieren und provozieren.
Das destruktive Verhalten ist natürlich auch eine politische Methode. Der langjährige Pressesprecher der AfD Christian Lüth hat in einem Moment, in dem er sich sicher fühlte, dargelegt: »Je schlechter es Deutschland geht, desto besser für die AfD.« Diese klare Aussage verdeutlicht, warum Rechtspopulisten zumeist mit negativen und destruktiven Aussagen auf Social Media auffallen.
In der Coronakrise war folgende Entwicklung zu beobachten. Die ersten Falschmeldungen tauchten recht früh auf. Es war im Februar und Anfang März 2020 noch recht einfach, diese Falschmeldungen zu identifizieren, zu beschreiben und als Falschmeldungen zu deklarieren. Doch der Charakter dieser Meldungen änderte sich stetig. Die seit 2015/16 bekannten, vom rechten Rand kommenden Narrative und Verschwörungsmythen verbanden sich binnen weniger Monate mit den Diskursen zum Coronavirus. Es lässt sich sehr gut beobachten, wie die Geschichten und Erzählungen auf Social Media stufenweise eine neue Qualität angenommen haben, wie Radikalisierung und Fanatismus rund um das Thema Corona voranschreiten.
Die Coronakrise verdichtet alles, was wir bereits verstreut über einen langen Zeitraum hinweg beobachten konnten. Nie zuvor zeigte sich, wie gefährlich Falschmeldungen werden können, wenn sie gezielt zusammentreffen, eine gemeinsame Dynamik entwickeln und ihre Narrative verschmelzen. Heute stehen wir an einem Punkt, wo die verbreiteten Mythen Menschenleben gefährden, weil Menschen sich trotz Pandemie weigern, rudimentäre Regeln zu beachten, um sich und andere vor Ansteckung zu schützen.
So verbreiten Menschen zum Beispiel die Behauptung, der Staat würde bei Todesfällen neuerdings die Hälfte der Begräbniskosten übernehmen, wenn die Hinterbliebenen zustimmen, dass auf dem Totenschein Corona als Todesursache steht. Dieses Verschwörungsmärchen zielt offensichtlich darauf ab, Zweifel an den Statistiken zu den Corona-Todesfällen zu säen. Wenn die Menschen denken, Corona sei gar nicht so schlimm, sind sie eher geneigt, die Corona-Maßnahmen außer Acht zu lassen, was das Ansteckungsrisiko und das Risiko für mehr Todesfälle erhöht. Diese Mythen sind eine Gefahr für die Gesellschaft, die Gesundheit, die medizinische Infrastruktur und die Demokratie an sich.
Diese Mythen und Verschwörungsgeschichten können sich durchaus auch widersprechen. Mal ist eine Regierung angeblich nicht in der Lage, die Situation in den Griff zu bekommen. An anderer Stelle heißt es, die Regierung sei Teil des Plans, um mithilfe des Virus und der Kontaktbeschränkungen – gerne auch Ausgangssperren genannt – die Bevölkerung zu kontrollieren und zu täuschen. Das ist prinzipiell kein neues Phänomen. Neu ist, welchen Stellenwert auf einmal die Messenger bekommen.

Die Rolle der Messenger in der Coronakrise

Seit 2018 sinkt in Europa die Zahl der Facebook-Nutzer. Dafür erobern andere Social-Media-Plattformen den Markt. Die neuen Gewinner sind insbesondere Messenger wie WhatsApp und Telegram. WhatsApp ist der derzeit meistgenutzte Messenger in Deutschland und Österreich quer durch alle Altersgruppen. In der Gruppe Fünfzig plus ist WhatsApp sogar die beliebteste Social-Media-Plattform. Laut einer Studie von ARD und ZDF nutzen 54 Prozent der fünfzig- bis 69-Jährigen WhatsApp täglich. Ja, sogar 22 Prozent der Über-Siebzigjährigen schauen täglich in den Messenger. Über Messenger lassen sich also besonders viele Menschen erreichen. Diese Veränderung im Bereich Social Media spielt dem Angriff auf die Demokratie in die Hände. Tatsächlich macht es einen Unterschied, auf welcher Social-Media-Plattform die Rechtsextremen ihre Inhalte verteilen. Dieser Unterschied resultiert aus der Vertraulichkeit.
Auf offeneren Plattformen wie Twitter oder Facebook gießen sie Verschwörungsmythen im Gießkannenprinzip aus. Sie können die Mythen überall platzieren, aber gleichzeitig können sie auch überall auf Gegner stoßen, die sehr schnell über die Mythen diskutieren, diese kritisieren und widerlegen. Auf diesen Formaten ist eine Gegenrede durchaus möglich. Einzelne Interessensgruppen betreiben auch gemeinsam Gegenrede.
Im Zweifel greifen neuerdings die Plattformbetreiber ein und löschen Falschmeldungen bzw. blenden einen Beitrag eines Faktenprüfers dagegen ein. Das war nicht immer so. Falschmeldungen haben auf Social Media lange Jahre völlig freie Bahn gehabt. Erst wegen der zunehmenden Irritation der Nutzer suchten die Plattformbetreiber nach Lösungen, um die Falschmeldungen ein...

Inhaltsverzeichnis

  1. Umschlag
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Zitat
  5. Inhalt
  6. Das schleichende Gift
  7. Was ich mir mit diesem Buch vornehme
  8. Der Angriff auf die Demokratie
  9. Zunehmendes Schweigen in Eleutheria
  10. Die Not bringt uns ins Taumeln!
  11. Wohin gehen wir?
  12. Leseempfehlungen