Elisabeth Schmitz:
Stiller Widerstand
»Sie hatte von Anfang an alle Juden im Blick und nicht nur die getauften.«
Der Falke ist schon eine Weile unterwegs, als eine größere Stadt in Sicht kommt. Langsam lässt er sich tiefer sinken und hält Ausschau. Als er die alte Karlsbrücke, die sich wie ein Bollwerk über die Moldau spannt, überquert, weiß er, dass er auf dem richtigen Weg ist. Mit kräftigen Flügelschlägen lässt er die Prager Burg hinter sich in der Abendsonne liegen, die Hälfte des Weges hat er nun geschafft.
Telefongespräch zwischen Karin Meyer und Tobias Müller über Elisabeth Schmitz, einer Frau, die Mitglied in der Bekennenden Kirche war, sich für die Rechte der Juden einsetzte, aber nie viel Aufhebens um sich gemacht hat.
Karin Meyer: Hallo, Herr Müller, schön, dass es heute mit dem Telefonieren klappt. Ich freue mich sehr, dass wir uns einmal persönlich unterhalten und nicht nur schriftlich austauschen können.
Tobias Müller: Die Freude liegt ganz auf meiner Seite. Schließlich forschen wir beide an der gleichen Sache. Gibt es etwas, das Sie besonders an Elisabeth Schmitz interessiert?
Karin Meyer: Ach, da gibt es so viel, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll. Aber vorab möchte ich Sie fragen, ob es für Sie in Ordnung ist, wenn ich mir einige Stichpunkte notiere? Daraus möchte ich später einen kleinen Vortrag schreiben.
Tobias Müller: Ja, sicher. Das begrüße ich sehr, denn über Frau Schmitz finden sich zwar mittlerweile einige Informationen auch im Internet, aber insgesamt noch immer zu wenig. Es ist gut, wenn wir gemeinsam daran arbeiten, dass sie und ihre Arbeit nicht in Vergessenheit gerät.
Karin Meyer: Sie war eine ganz besondere Frau, die es verdient, dass sie von den Menschen nicht vergessen wird.
Tobias Müller: Das stimmt. Wissen Sie, was mich schon immer brennend interessiert hat, ist, wieso Frau Schmitz nach dem Krieg nicht klargestellt hat, dass sie die Verfasserin der Denkschrift »Zur Lage der deutschen Nichtarier« war und nicht Marga Meusel.
Karin Meyer: Ich muss zugeben, dass ich diesen Umstand auch nicht verstehe, aber ich glaube, dass sie es einfach nach dem Krieg nicht mehr wichtig fand.
Tobias Müller: Sie meinen, dass sie einfach nur nach vorne schauen und sich nicht mit den alten Themen belasten wollte?
Karin Meyer: Ja, so etwas in der Art. Aber trotzdem, irgendwie ist es merkwürdig. Sicher, so wie ich das sehe, war Frau Schmitz eine zurückhaltende Frau und hat sich nie in den Vordergrund gedrängt, aber so eine Denkschrift, war doch damals absolut besonders. Immerhin hat sie ihre Kirche aufgefordert, sich klar zu der sogenannten »Judenfrage« zu äußern, aufzustehen und nicht tatenlos bei der Diskriminierung, der Verfolgung und Tötung von Andersgläubigen zuzuschauen. Sie hat sehr klare Worte gewählt und ihre Kirche richtiggehend angeklagt. Nach dem Krieg wäre es doch durchaus normal gewesen, sich zu diesem Schreiben zu bekennen.
Tobias Müller: Vielleicht hat sie sich geschämt, weil sie eine Pension von einem Staat bezogen hat, der Juden verfolgte und grausam ermordete und hat sich deshalb nicht zu erkennen gegeben. Oder sie fand es schlichtweg nicht wichtig, wer etwas Gutes bzw. Richtiges tat und dafür namentlich genannt wurde. Vielleicht hat sie es aber auch gar nicht gewusst, dass jemand anderes als Verfasserin ihrer Denkschrift galt.
Karin Meyer: Also, ich für meinen Teil glaube nicht, dass sie es nicht gewusst hat. Sie war Zeit ihres Lebens sehr interessiert an Literatur, Geschichte und dem Zeitgeschehen. Das muss sie mitbekommen haben. Aber warum sie das nicht klargestellt hat, weiß ich natürlich nicht. Aber bezüglich ihrer frühzeitigen Pension muss ich noch anmerken, dass Frau Schmitz sich einfach nicht in der Lage sah, ihren Schülerinnen nationalsozialistisches Gedankengut zu vermitteln und deshalb ihre Pensionierung beantragte. Und für mich ist es ganz klar ein Unterschied, ob man Geld von einem totalitären Regime bezieht oder ob man Kinder im Sinne dieses Regimes erzieht.
Tobias Müller: Für mich ist es auch nicht in Ordnung, Geld von einem derartigem Terror-Regime zu beziehen.
Karin Meyer: Ich würde da mal die Kirche im Dorfe lassen, denn wovon hätte Frau Schmitz leben sollen? Nur durch ihre regelmäßigen Pensionsgelder konnte sie ihre Wohnung weiterhin bezahlen, dort Juden verstecken und auch verköstigen.
Handschriftliche Notiz: Ohne Geld ist man hilflos und nicht handlungsfähig
Tobias Müller: Wahrscheinlich haben Sie recht, das ist wirklich eine Zwickmühle. Sie hätte auch an keiner anderen Schule im Deutschen Reich unterrichten können, ohne mit ihrem Gewissen in Konflikt zu geraten. Ohne ihre Pension hätte sie auch ihr Ferienhaus nicht halten können und soweit ich weiß, hat sie auch dort flüchtige und untergetauchte Juden erfolgreich versteckt. Das war schon eine mutige Leistung.
Handschriftliche Notiz: Hilfe im Untergrund
Karin Meyer: Frau Schmitz hat noch viel mehr getan. Sie ist den oberen Herren der Bekennenden Kirche damals ziemlich auf die Füße getreten, hat gemahnt, angeklagt und war ganz offensichtlich unbequem. Sie hat sich damit deutlich von der Mehrheit der Protestanten der damaligen Zeit abgehoben. Leider haben all ihre Bemühungen nicht wirklich gefruchtet.
Handschriftliche Notiz: Warum hat ihre Denkschrift nichts erreicht?
Tobias Müller: Was mich immer noch wundert, ist, wie sie es geschafft hat, dass sie bei ihrem Handeln und Tun nicht von der Gestapo verhaftet wurde.
Karin Meyer: Nun, nach Quellenlage wurde sie ja durchaus von den Nazis beobachtet und sie musste sich auch in einem Verhör verteidigen, weil sie eine Jüdin bei sich wohnen ließ. Ich glaube, sie war den Nazis ganz sicher ein Dorn im Auge, aber irgendwie hat sie es geschafft, relativ unbehelligt ihr Leben leben zu können.
Tobias Müller: Vielleicht kannte sie auch Leute, die sie geschützt haben?
Handschriftliche Notiz: Überprüfen, ob sie Freunde in den obersten Etagen hatte, die sie schützten
Tobias Müller: Sie hat die Denkschrift 200 Mal kopiert. Das hätte sie Kopf und Kragen kosten können. Und schließlich hat sie ihre Denkschrift eigenhändig an ausgewählte Pfarrer und führende Theologen geschickt. Das war sehr risikoreich. Sie hätte ja nur unangekündigten Besuch von der Gestapo erhalten müssen und schon wäre sie aufgeflogen.
Karin Meyer: Für mich hat diese Frau noch eine zusätzliche Aussagekraft: Sie hat als Frau an der Basis klarer gesehen als die Kirchenleitung und sie trübt heute ganz massiv das Bild, das man sich gerne von der Bekennenden Kirche machen möchte.
Tobias Müller: Stimmt, sie hat ja nicht nur mit ihrer Denkschrift gemahnt und die Gräueltaten des NS-Regimes an den Juden beklagt, sondern auch in ihren zahlreichen Briefen um Einsicht und Hilfe für die Juden gebeten. Und was ich ganz außerordentlich finde: Sie hat akribisch die Folgen, die die Nürnberger Gesetze für die Juden hatten, aufgesch...