Die Burnout-Lüge: Ganz normaler Wahnsinn
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Die Burnout-Lüge: Ganz normaler Wahnsinn

Wie man mit Coolness sein leben ruiniert

  1. 150 Seiten
  2. German
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Die Burnout-Lüge: Ganz normaler Wahnsinn

Wie man mit Coolness sein leben ruiniert

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Über dieses Buch

Das so genannte Burnout-Syndrom wurde zu einem Wort des Jahres 2011 und avancierte zum Synonym für individuelle Überforderung und totale Erschöpfung. Die arbeitspsychologische Perspektive auf den Burnout-Prozess verdeckt allerdings den Blick auf die tatsächliche Reichweite der gegenwärtigen Epidemie: Eine krank machende Dimension der postmodernen Kultur, die jeden erreicht und alle betrifft. Raimund Allebrand entlarvt jene Coolness, die den Menschen seiner selbst entfremdet und ihn abhängig macht von Produkten und Symbolen der Konsumwelt - vom käuflichen Ersatz für die eigene Gefühlswelt. Das Buch demontiert Emotionen, die keine sind, und entdeckt Gefühle, wo keine waren.

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Ausgebrannt

Im Biotop des Marktes – Die Stunde der Spekulanten – Der spekulative Charakter – Narzisstische Epidemie? – Die marktorientierte Persönlichkeit – Ein erschöpftes Selbst – Die Burnout-Lüge – Störungen haben Vorrang

Im Biotop des Marktes

Im Bewusstsein wachsender Bevölkerungsgruppen wurde die Krise längst zum Dauerzustand, mit sinkenden sozialen Temperaturen kündigte sich Eiszeit an. Wer in sich selbst wenig Wert findet, greift zunehmend auf fremde Wertschöpfung zurück und versucht, diese zu enteignen: Die Inszenierungen eines spekulativen Charakters bedrohen Wirtschaft und Gesellschaft.
Schwache Bindungen und ein Rückzug auf die positiven Möglichkeiten des eigenen Selbst wurden zum Merkmal einer persönlichen Orientierung, die der Sozialpsychologe Rainer Funk als postmodern skizziert. Entsteht damit tatsächlich ein neuer Charakter, der womöglich bereits die derzeitige soziale Landschaft dominiert – weil tonangebende Eliten zunehmend mit realitätsfernem Anspruchsdenken auftreten und gleichzeitig ihre Marktchancen nutzen? Oder akzentuiert sich unter den heutigen Bedingungen einer sozialen Abkühlung lediglich ein ohnehin verbreitetes Persönlichkeitsmuster, das jetzt im sozialen Verteilungskampf aber deutlich an Konturen gewinnt? Aufschlussreich für diese Frage nach dem heutigen Mainstream im Biotop des Marktes ist der sogenannte Zehn-Euro-Versuch.
Bei diesem Ultimatum-Experiment einigen sich zwei Versuchspersonen spontan über die Aufteilung eines Geldbetrages von 10 Euro, für den sie keine Gegenleistung erbringen. Gelingt ihnen die Übereinkunft, so werden die jeweiligen Teilbeträge ausgehändigt. Kommt keine Einigung zustande, so verfällt die in Aussicht gestellte Summe.
Da keinerlei Investition und Vorleistung erforderlich ist und beide Partner somit unter gleichen Voraussetzungen ins Rennen gehen, wäre eine schnelle Verständigung auf gleiche Zuteilungssummen plausibel. Während in entsprechenden Versuchsreihen extreme Angebote von lediglich ein oder zwei Euro vom Partner zumeist mehr oder minder entrüstet abgelehnt wurden, gelang tatsächlich öfters die Verständigung über einen gleichberechtigten Anspruch von jeweils fünf Euro.
Die faire Fifty-fifty-Verteilung wird allerdings überraschenderweise nur als zweithäufigste vorgeschlagen – die meist gewählte Lösung ist ein Verhältnis von vier zu sechs. Weil einer der Partner einen höheren finanziellen Anspruch hartnäckig geltend macht, gibt der andere schließlich nach und verzichtet auf die ihm theoretisch zustehende gerechtere Lösung, um überhaupt in den Genuss einer Zuteilung zu kommen und seinen Anteil nicht zu verlieren.
Dieses Experiment erweist eine Veranlagung zum Homo oeconomicus, wie sie vielleicht in jedem schlummert und aktiviert werden kann, wenn es um die Gewinnung persönlicher Vorteile geht. Einfacher haben es allerdings Charaktere, die auf eine chronische marktwirtschaftliche Orientierung ihrer Persönlichkeit zurückgreifen können und damit auch unter verschlechterten sozialen Bedingungen weiterhin erfolgreich sind. Dies wird besonders deutlich im Blick auf mancherlei Begleiterscheinungen der seit Jahren schwelenden Wirtschafts- und Finanzkrise.

Die Stunde der Spekulanten

Hervorstechender Aspekt, der von Kritikern immer wieder hervorgehoben wird, ist hier bekanntlich ein deutliches Auseinanderklaffen von Sektoren der Real- und der Finanzwirtschaft. Demnach trat neben die volkswirtschaftliche Wertschöpfung ein paralleles System, das über Wetten und Einsätze scheinbare Werte in immer höhere Dimensionen katapultiert.
Eine besondere Rolle spielen in diesem Zusammenhang der Immobilienmarkt und seine kreditfinanzierte Absicherung. Aufgrund globaler Verbindungen werden Investoren in spekulative Geschäfte eingebunden, die weder sie selbst überschauen noch die Finanzinstitute als Agenten des Systems. Längst schon spricht man deshalb von einem globalen Finanzkasino.
Wer also gestern noch überzeugt war, seine langjährig bekannte Hausbank zu besuchen, deren seriöse Adresse sich nicht geändert hat, betritt womöglich heute ohne sein Wissen am selben Ort ein Casino und darf froh sein, wenn seine hinterlegten Werte zufällig noch vorhanden sind. Wertpapiere bestehen eben, wie der Name sagt, vor allem aus Papier.
Neben dem spekulativen Charakter eines Systems, das an der Realwirtschaft vorbei (und de facto gegen die reale Wertschöpfung) enorme Profitraten in Aussicht stellt, wie sie mit seriöser Erwerbsarbeit niemals erreicht werden, sticht ein weiterer Faktor ins Auge: die ebenso horrenden Verdienstmöglichkeiten von Finanzmanagern, wie sie vorwiegend über Bonus-Systeme ausgeschüttet werden. Letztere werden zum hauptsächlichen Anreiz, riskante Operationen einzugehen, und eben deshalb stehen sie zu Recht im Mittelpunkt einer erbitterten Kritik:
Innerhalb eines parallelen Finanzsystems wird kein realwirtschaftlicher Mehrwert geschaffen. Beträge werden lediglich auf spekulativem Wege umverteilt und Provisionen nicht an der materiellen Wertschöpfung gemessen, sondern am erhofften Spekulationsgewinn. Unvorstellbare Summen werden auf dem Geldmarkt aufgenommen und für Wetten eingesetzt, Eigenkapital ist nicht erforderlich. Andererseits betrachtet man im Vorhinein ausgehandelte astronomische Vergütungen auch bei erfolglosem Agieren des Managements selbstverständlich als die eigenen. Bei inzwischen untersagten Leergeschäften wurden Papiere verschachert, die man gar nicht erworben hatte, sondern lediglich nominell als Option besaß. Generell geht es aber auf diesem Markt nicht um eigenes, sondern um fremder Leute Kapital, das im Zweifelsfall vernichtet wird.
Für den Hedgefonds-Manager John Paulson beispielsweise war das Vorkrisenjahr 2007 äußerst profitabel: Während die Banken bereits Milliarden abschrieben, machte der Gründer von Paulson & Co. das Geschäft seines Lebens und verdiente die Rekordsumme von 3,7 Milliarden Dollar. Zufolge einem Ranking des US-Magazins Alpha war er damit der bestbezahlte Hedgefonds-Manager. Nach der Krise, im Jahre 2011, führt Ray Dalio von der Gesellschaft Bridgewater mit 3,9 Milliarden Dollar die Liste der Spitzenverdiener dieser Branche an (FAZ 31.3.2012).
In Deutschland sind vergleichbare Gewinnchancen deutlich niedriger. Dennoch öffnet sich hier die Schere zwischen Managern und Mitarbeitern auch in der sogenannten Realwirtschaft seit Jahren immer weiter. Im Jahr 1987 verdienten DAX-Vorstände im Vergleich zum Durchschnittsgehalt der Beschäftigten noch das 14-Fache, zwanzig Jahre später (2006) war es das 44-Fache. Einschließlich Aktienoptionen beträgt der jeweilige Wert bei der Telekom 47, bei Siemens 59, bei Volkswagen 61, bei Lufthansa 94, jeweils im Verhältnis zum Durchschnittsverdienst der Angestellten (www.fokus.de am 2.1.2008).
Von amerikanischen Verhältnissen war allerdings selbst Deutschlands zeitweiliger Spitzenverdiener Josef Ackermann zu seinen besten Zeiten weit entfernt. Der Deutsche Bank-Chef erhielt etwa im Jahre 2006 inklusive Aktienoptionen lediglich das 174-Fache eines durchschnittlichen Angestellten seines Instituts: rund 14 Mio. Euro. Nach der Krise war er mit 9,6 Mio. Euro im Jahre 2009 wiederum der bestbezahlte DAX-Vorstand. Im selben Jahr hat die Deutsche Bank ihren Vorständen insgesamt 39 Mio. Euro ausgeschüttet, gegenüber 4,5 Mio. im Krisenjahr 2008; davon firmieren 17 Prozent als feste Gehaltsbestandteile, 83 Prozent der Einkünfte sind erfolgsabhängig. Im Jahre 2011 wird Ackermann schließlich von VW-Vorstandschef Martin Winterkorn abgehängt, der mit Gesamtbezügen von 16,6 Mio. Euro in die weltweite Spitzengruppe der Vorstandsbezüge aufsteigt.
Am 9. September 2009 überrascht die Deutsche Presse Agentur (dpa) mit folgender Meldung: Die Mitarbeiter der früheren Dresdner-Bank-Investmentsparte Dresdner Kleinwort wollen insgesamt 34 Millionen Euro ausstehender Boni einklagen. Ursprünglich habe bei Dresdner Kleinwort für 2008 ein Bonusbudget von 400 Millionen Euro bereitgestanden, hieß es. Angesichts des Gewinneinbruchs im Zuge der Finanzkrise habe die in Deutschland mittlerweile teilverstaatlichte Commerzbank (als Eigner des Dresdner Instituts) die Zusatzvergütungen auf einen Bruchteil gekürzt.
Mit juristischen Ansprüchen reagieren bekanntlich auch die Manager der Hypo Real Estate, kurz nachdem sie durch staatliche Garantien von über 100 Milliarden Euro stabilisiert wird. Der entlassene Vorstandsvorsitzende der maroden Bank, Georg Funke, klagt ungeachtet strafrechtlicher Ermittlungen gegen seine Person auf eine Gehaltsfortzahlung in Höhe von 3,5 Mio. Euro sowie Erfüllung seiner Pensionsansprüche. Für das Jahr 2009 erhalten Mitarbeiter dieses Instituts, das mittlerweile 142 Milliarden Euro an Deckungsgarantien verschlang, Vergütungen in Höhe von insgesamt 25 Millionen Euro. Proteste aus Politik und Öffentlichkeit bleiben nicht aus, helfen aber wenig.
Im Herbst 2010 wird bekannt, dass etwa 200 Banker mit staatlichen Mitteln gestützter Institute Jahresgehälter von mehr als 500.000 Euro beziehen. Gesamtbezüge von bis zu 10 Millionen Euro seien wieder an der Tagesordnung, teilten Wirtschaftsprüfer mit. Der Rettungsfonds Soffin hatte lediglich für die Vorstandsebene der Banken eine Gehaltsobergrenze vorgeschrieben, auf den darunter liegenden Ebenen gab es keine entsprechende Deckelung – ein Versäumnis, das jetzt teuer zu stehen kam.
Freilich lautet ein Gemeinplatz: Was ist der Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank? (Bertolt Brecht). An dieser Stelle gilt jedoch eher die Mahnung des Soziologen Max Weber: Ausnahmslos jede wie immer geartete Ordnung der gesellschaftlichen Beziehungen ist, wenn man sie bewerten will, letztlich auch daraufhin zu prüfen, welchem menschlichen Typus sie […] die optimalen Chancen gibt, zum herrschenden zu werden (Weber 1973).

Der spekulative Charakter

Um den derzeit vorherrschenden Typus (nach Weber) oder gegenwärtigen Gesellschaftscharakter (mit Fromm) zu verstehen, lohnt es sich, einen weiteren Moment im Umkreis des Finanzmarktes zu verweilen. An ein verbales Jonglieren mit unvorstellbaren Summen und eine wenig appetitliche Geldgier in Vorstandsetagen musste man sich im Gefolge der sogenannten Bankenkrise gewöhnen:
Einen erheblichen Gehaltssprung zwischen der Vorstands- und der Leitungsebene von Konzernen hat die Beratungsgesellschaft Towers Watson festgestellt. Die Vorstandsvorsitzenden der 30 DAXUnternehmen verdienten demnach 2010 knapp zwanzigmal mehr als ihre Abteilungsleiter. Kann ein Bereichsleiter durchschnittlich 442.000 Euro mit nach Hause nehmen, ein Abteilungsleiter 199.000 Euro, so bringt es der Vorstandsvorsitzende im Mittel auf 3,85 Mio. Euro, die übrigen Vorstandsmitglieder der DAX-Konzerne auf 2,28 Mio. Euro. Dazu meint der Psychologe Rüdiger Hossiep aus Bochum: Dieser Abstand hat mit Leistung nichts zu tun. Ginge es allein um höhere Qualifikation, Arbeitspensum und Verantwortung, wäre womöglich das Doppelte bis Dreifache gerechtfertigt. Hier handelt es sich aber um so genannte Marktpreise, was bedeuten soll: Man nimmt, was man kriegen kann (FAZ v. 14.3.2010).
In diesem Zusammenhang fordert der Aufsichtsratsvorsitzende der Commerzbank, Klaus-Peter Müller, eine generelle Deckelung von Vorstandgehältern; Lufthansa-Aufsichtsratschef Jürgen Weber postuliert das Hundertfache des Durchschnittsgehaltes eines Mitarbeiters als Obergrenze in der Vergütung des lediglich angestellten Vorstandschefs, und da muss er seine Sache wirklich gut machen (FAZ vom 9.5.2012). Bei einer Bezugsgröße von 50.000 Euro ist allerdings die Rede von immerhin 5 Millionen Jahresgehalt. Warum aber das Hundertfache, nicht etwa das Fünfzig- oder das Tausendfache? Eine aus Leistung, Verantwortung und Verhältnismäßigkeit ableitbare Gehaltsdimension ging hier längst verloren, es gilt das Diktat der Spekulanten: ganz normaler Wahnsinn.
Was wird man von einem Schuldirektor halten, der das 20-fache Gehalt seines Stellvertreters beansprucht? Wer unter derartigen Vorstellungen leidet, findet sich früher oder später umzingelt von weißen Kitteln in vergitterten Räumen wieder, sollte man denken. In gewissen Sektoren unserer Gesellschaft gilt ein absurdes Anspruchsdenken allerdings offenbar nicht als pathologisch, sondern wird als normal und tendenziell vorbildlich eingestuft. Eine drastische Besteuerung von Jahresbezügen oberhalb von 500.000 Euro ist vermutlich der einzige Weg, diesem Spuk noch halbwegs rechtzeitig ein Ende zu setzen.
Bezeichnend ist, dass ein entsprechendes Malus-System, wie es konsequenterweise Fehlleistungen bestrafen könnte, nicht in Betracht kam und erst in jüngster Zeit überhaupt diskutiert wurde. Der ehemalige Chef der Deutschen Bank Ackermann sieht in diesem Zusammenhang nach mehr als zwei Jahren Finanzkrise zwar grundsätzlich Veränderungsbedarf in den Vergütungssystemen. Er hält gleichwohl Prämienzahlungen, die als eine psychologische Hauptursache der Finanzkrise gelten, für unverzichtbar beim Anheuern von Topbankern. Der Krieg um Talente ist wieder im vollen Gang, sagt er im September 2009 auf einer Branchentagung in Frankfurt. Talentierte Mitarbeiter zu verlieren, wäre fatal, so Ackermann. Welche Talente sind aber hier gefordert? Oder anders gefragt: Welcher Typ verursachte die Krise? Denn die sogenannte Finanzkrise ist nicht vom Himmel gefallen, sie wurde von Menschen gemacht, somit von Personen und mithin von Charakteren.
Kann sich ein beliebiger Finanzmarktmanager allen Ernstes der Illusion hingeben, er sei 50-mal talentierter als der Durchschnitt aller Erwerbstätigen, weil er über Spekulationsgeschäfte 50-mal mehr verdient? In der Tat, so unwahrscheinlich es klingt, er kann noch mehr, denn auf einer nach oben offenen Selbstwertskala sind keine Grenzen gesetzt, wenn man nur gelernt hat, Realitäten rechtzeitig auszublenden. Was aber vermag im Vergleich dazu der Durchschnittsverdiener?
Ein normaler Arbeitnehmer, der über eine Netto-Stundenvergütung von, sagen wir, 10 Euro verfügt, wird mit seiner nächsten Arbeitsstunde wiederum 10 Euro verdienen. Sollte sein Arbeitsplatz aber im Zentrum der Ruhrstadt Duisburg angesiedelt sein, so kann ihn ein kurzer Weg in die dortige Spielbank führen. Nach telefonischer Auskunft der Kasinobetreibergesellschaft liegt der höchstmögliche Gewinn im Roulettespiel beim 35-fachen des Einsatzes, nämlich bei Spiel auf Zahl.
Setzt unser Durchschnittsverdiener also seine 10 Euro Stundenlohn entsprechend ein, so gewinnt er in der Mittagspause womöglich 350 Euro und damit das 35-fache seiner Kollegen am Arbeitsplatz. Wenn er innerhalb einer Stunde mehrmals 10 Euro riskiert und dabei unverschämtes Glück hat, kann sich sein spekulativer Stundenlohn sogar auf das 200-Fache oder 500-Fache seiner Kollegen steigern, nach oben sind theoretisch keine Grenzen gesetzt.
Mit dieser enormen Wertsteigerung seiner Arbeitszeit wird aber keinerlei realer Wert geschaffen; was stattfindet, ist lediglich ein Griff in die Kasse zuungunsten der Bank und vor allem der Mitspieler, die das vom Spekulanten eingestrichene Vermögen schließlich einzahlen müssen – andernfalls wäre die Bank schnell pleite und das Spiel jäh beendet. Vermutlich wird sich aber kein Roulettespieler einbilden, seine Zeit und damit er selbst sei 500-mal mehr wert als ein normaler Mensch, nur weil er ein- bis zweimal Glück hatte, was anderen Zeitgenossen nicht in dieser Form widerfuhr. Oder glaubt der Glücksspieler etwa an eine Einzigartigkeit seiner Person, die jetzt durch Erfolge am Roulettetisch bewiesen wurde? Womöglich ist dies tatsächlich der Fall.
Wie auch immer und gleich ob Hedgefonds-Manager oder Roulettespieler – an die Stelle eigener Arbeitssubstanz, die Werte schaffen kann, tritt in beiden Fällen ein nach oben offenes Zocken auf dem Markt der scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten; freilich soll dieses Va-Banque-Spiel als Arbeit und sogar als Leistung verstanden werden. Der jeweilige Spieler schöpft aus einem Potenzial, das nur in der Spekulation existiert, und bedient sich dabei fremder Substanz, deren reale Leistung innerhalb eines spekulativen Systems systematisch vernichtet wird. Wer aber sich und seine Realitäten ohne Rücksicht auf soziale Verpflichtungen neu erfindet, muss damit rechnen, dass seine Existenz auf Sand baut, weil ein Fundament niemals vorhanden war.
Mithin gleicht der spekulative Charakter einem Zirkusakrobaten, der für seine Darstellung im Vorhinein hohe Gagen aushandelt, um dann vor aller Augen mit Luftblasen zu jonglieren, die jederzeit platzen. Vor allem aber streicht er enorme Profite ein, ohne Werte zu schaffen, und ist für mögliche Folgen nicht haftbar. Stattdessen ruft er nach Sonderbehandlung und klagt vermeintlich geschuldete Vergütungen ein, obgleich er keinerlei Wertschöpfung erzielt, sondern eine enorme Wertvernichtung verursacht. Das Verhalten nicht weniger Manager im Zusammenhang mit der Bankenkrise lässt sich anders kaum charakterisieren. Folge eines spekulativen Finanzmark...

Inhaltsverzeichnis

  1. Umschlag
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Einleitung: Burnout – meine postmoderne Existenz
  6. Unsere tägliche Prominenz
  7. Der Trend zum Event
  8. Geborgte Leidenschaft
  9. Coolness
  10. Normaler Wahnsinn
  11. Ausgebrannt
  12. Nachtrag: Erinnerung an die Zukunft
  13. Literatur
  14. Zum Autor