Schulentwicklung braucht Raum
Karin Doberer, Jörg-Michael Brückner
Gebäudearchitektur, die pädagogische Architektur unterstützt!
Der Planungsprozess, erläutert anhand der Beruflichen Schulen Witzenhausen
Erzähle mir und ich vergesse.
Zeige mir und ich erinnere.
Lass es mich tun und ich verstehe.
(Konfuzius, chinesischer Philosoph, 551– 479 v. Chr.)
Der Text geht in sechs Schritten auf den gestalterischen Prozess von Schulbausanierungen bzw. Schulneubauprojekten und dessen Ausgangslage ein. Zunächst werden die Versäumnisse im Schulbau vor dem Hintergrund moderner Lernanforderungen aufgezeigt. Die räumlichen Voraussetzungen für Kooperation im Kollegium werden als unzulänglich charakterisiert. Vorgestellt wird das »Raumfunktionsbuch« als Instrument des gemeinsamen Planungsprozesses. Die Verfasser greifen einen Bezugspunkt des Planungsprozesses, das Klassenzimmer, heraus und zeigen dessen Veränderung zur »LernLandSchaft«. Am Beispiel der Sanierung der Beruflichen Schulen Witzenhausen werden schließlich die vorgestellten Planungsprämissen ins Bild gesetzt.
1 Der Status quo: Stückwerk und Makulatur
Interaktive oder mobile Tafeln, Sitzbälle, bunt gestrichene Wände – das alles findet man mittlerweile immer öfter in Klassenzimmern. Und glaubt man den Lehrerinnen und Lehrern, die sie einsetzen, sieht so der Fortschritt aus. Zumindest werden Mittel wie diese gern als Beleg für eine moderne Raumnutzung, die eine zeitgemäße Pädagogik unterstützt, angeführt. Überhaupt, so glauben viele Lehrerinnen und Lehrer, ist auf dem Gebiet des Schulbaus und der pädagogischen Architektur in den letzten Jahren bereits eine Menge in Bewegung geraten. Und sie selbst tragen mit den kleinen, aber feinen Maßnahmen, die sich im regulären Unterrichtsbetrieb eben durchsetzen lassen, ihr Scherflein dazu bei. Ist also bereits alles in bester Ordnung? Besteht in Wahrheit gar kein weiterer Handlungsbedarf?
Unsere Erfahrung zeigt: Das Gegenteil ist der Fall! Sieht man in den verschiedenen schulischen Einrichtungen nur ein klein wenig genauer hin, stößt man schnell auf Widersprüche. Allein die überzeugten Pädagogen werden auf Nachfrage verraten, dass sie die viel gelobten Mittel oft gar nicht so häufig einsetzen oder dass sie diese ausschließlich im Frontalunterricht nutzen. Nicht selten werden vergleichbare pädagogische Versuche auch abgebrochen. In gewisser Weise ist das verständlich: Denn welche Lehrerin oder welcher Lehrer möchte schon Kinder munter auf Sitzbällen durchs Klassenzimmer hopsen sehen, während sie eigentlich die vorgesehenen Matheaufgaben lösen sollen?
Dass diese Arrangements trotz allem nicht die gewünschte Wirkung zeigen, liegt daran, dass sie Stückwerk sind, Makulatur. Der große Rahmen, in dessen Kontext sie genutzt werden, ist schließlich in weiten Teilen gleich geblieben: Vergleicht man Fotos von heutigen Klassenzimmern mit Aufnahmen von Schulräumen des 20. Jahrhunderts, wird man feststellen, dass sich an dem zugrunde liegenden Prinzip wenig geändert hat.
Abbildung 1
Klassenzimmer Knabenschule Marienschule Alsdorf-Mitte im Jahr 1957
Quelle: privat (Peisen/Wagner)
Abbildung 2
Albrecht-Ernst-Gymnasium Juli 2010
Quelle: privat (Schmalisch)
Hier wie dort dominieren statische Bankreihen mit schwer beweglichen Stühlen, die frontal auf Tafel und Lehrerpult ausgerichtet sind. Und ganz wie anno dazumal erinnern düstere Schulflure in ihrer Ungemütlichkeit an Bahnsteige. Ganz offensichtlich hat der strukturelle und funktionale Wandel hier noch nicht stattgefunden. Bedenkt man jedoch, wie sehr sich unser Lern- und Kommunikationsverhalten allein in den letzten Jahrzehnten verändert hat, erscheint dieses Versäumnis einigermaßen fahrlässig. Kein Mensch würde heutzutage noch ein Telefon mit Wählscheibe benutzen oder eine Küche mit Holzherd, doch bei der Gestaltung von Klassenzimmern setzen wir noch immer auf überholte Raumkonzepte. Dabei – und das kann man nicht genug betonen – geht es hier um die Zukunftsperspektiven unserer Kinder!
2 Schule des 21. Jahrhunderts: Schlüsselerlebnisse schaffen Schlüsselkompetenzen
Denn eines ist völlig klar: Lehrerzentrierter Unterricht, der sich vor allem auf Erklären und Zeigen beschränkt, erschwert es Schülerinnen und Schülern, jene Schlüsselkompetenzen zu erwerben, die die OECD definiert hat (Salganik/Rychen, 2003) und die die Lehrpläne und später auch der Arbeitsmarkt von ihnen fordern. Keinesfalls sind sie das optimale Umfeld, um die interaktive Anwendung von Medien und Mitteln zu erlernen, also zum Beispiel die Nutzung neuer Technologien einzuüben oder die eigene Textkompetenz zu optimieren. Dasselbe gilt für das Interagieren in heterogenen Gruppen, bei dem dauerhafte Bindungen, Zusammenarbeit und Konfliktlösungskompetenzen im Vordergrund stehen. Und auch die Ausbildung der autonomen Handlungsfähigkeit wird durch ein andersartiges Raumkonzept erleichtert. Denn es fragt sich, wie man in größeren Kontexten handeln oder eigene Grenzen austesten kann, wenn man stundenlang auf demselben Platz fixiert ist und in diesem Zeitraum permanent mit Wissen konfrontiert wird.
Wohlgemerkt: In dem Schulraum, den wir oben vorgestellt haben, besteht die Gefahr, dass alle Kinder mit demselben Stoff konfrontiert werden. Dabei wissen wir längst, dass es unrealistisch ist, dass alle Schülerinnen und Schüler zur gleichen Zeit mit den gleichen Methoden den gleichen Stoff begreifen. Wissensvermittlung kann so nicht funktionieren. Es ist ein Irrglaube, dass eine Klasse eine homogene Gruppe ist, nur weil ihre Mitglieder biologisch gleich alt sind. Tatsächlich ist jeder Schüler und jede Schülerin anders. So wie jedes Kind eigene Vorlieben und Interessen hat, hat auch jedes Kind seine eigene Art, sich Wissen anzueignen.
Abbildung 3
Quelle: Hans Traxler
Nur bei 12 Prozent aller Schüler steht zum Beispiel das auditive Lernen im Vordergrund: Für eine aktive Wissensvermittlung müssen sie vor allem hören: Der Rest der Klasse dagegen ist in der Regel damit überfordert, über 45 Minuten aufmerksam dem Vortrag der Lehrerin oder des Lehrers zu folgen. 35 bis 40 Prozent der Lernenden verarbeiten ihre Eindrücke am besten visuell, das heißt, sie möchten sehen können, womit sie sich beschäftigen. Andere wiederum (30 Prozent) brauchen konkretes Unterrichtsmaterial – sie erzielen mit einer taktilen, also auf die Hände ausgerichteten Strategie den besten Lernerfolg. Die durchschnittlich 15 bis 20 Prozent Kinästheten in der Klasse müssen sich dagegen beim Lernen bewegen (Sütterlin, 2004; Dunn/Dunn, 1978). Viele der hier beschriebenen Lerntypen werden mit ausschließlichem Frontalunterricht nicht erreicht. Permanent besteht die Gefahr, dass Sch...