Sehnsucht nach Gott
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Sehnsucht nach Gott

Warum die Rückkehr der Religion gut für unsere Gesellschaft ist

  1. 128 Seiten
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Sehnsucht nach Gott

Warum die Rückkehr der Religion gut für unsere Gesellschaft ist

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Über dieses Buch

Das Ende der globalen Säkularisierung und das Comeback der Religion.Gott kehrt zurück. Nicht nur als philosophische Kategorie, wiederbelebte Tradition, theologische Überzeugung oder spirituelle Kraft. Er kommt mitten hinein in unser Leben. Das 20. Jahrhundert war – religiös betrachtet – eines der gottlosesten der Menschheitsgeschichte. Politisch gesehen wurde es auch deswegen zur humanitären Katastrophe. Doch die Zeiten ändern sich und Gott kehrt mit Macht zurück.Mit seinem Debattenbuch analysiert der Publizist Wolfram Weimer, weshalb wir derzeit Zeuge einer weltweiten Renaissance der Religion werden, die kaum einer für möglich gehalten hätte: - Warum wir gerade jetzt das Ende des Alltags-Atheismus erleben- Wieso die Rückkehr des Glaubens mehr als Rückbesinnung auf Werte bedeutet- Weshalb die Trennung von Politik und Religion weltweit zusammenbricht- Welche Rolle Europa in der globalen religionspolitischen Überhitzung spielt- Wie sich unsere Gesellschaft dadurch verändern und verbessern wirdWarum das 21. Jahrhundert ein Zeitalter der Religion wird: Je weiter man sich persönlich oder als Gesellschaft von Gott entfernt, desto größer wird die Sehnsucht. Die Ereignisse der letzten Jahre verstärken diesen Prozess. So, wie das Erdbeben von Lissabon 1755 den kollektiven Gottesglauben erschütterte, so erschüttern Pandemie und Klimawandel Überzeugungen von Machbarkeit, Globalisierung und Autonomie des Menschen. Damit bricht das Gefühl des Die-Welt-Im-Griffhabens in sich zusammen. Plötzlich wird der Blick frei für die Realität einer anderen Welt, für den Tod und die Endlichkeit, für Kategorien wie Schicksal und Glaube und für Werte, die unseren Kulturkreis prägen.Wolfram Weimer, Gründer des Politik-Magazins "Cicero" und Verleger des Meinungs- und Debattenmagazins "The European", zeigt, wie und warum Religion sich den Weg in unsere säkularisierte Welt bahnt. Europa wechselt vom post-modernen ins neo-religiöse Zeitalter – es ist Zeit, dass wir den Wandel aktiv mitgestalten!

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Information

Jahr
2021
ISBN
9783897109568

Die Rehabilitation

Person würdigen

„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Artikel 1 des Grundgesetzes ist zugleich Artikel 1 der religiösen Lebensmaximen. Der zweite Satz im Grundgesetz, „Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“, liest sich gar wie ein politisches Programm des christlich grundierten Staates. Denn die Würde des Einzelnen zum Ausgangspunkt aller Überzeugungen zu machen und zu setzen, ist ein Widerspruch gegen alle Kollektivisten und Ideologen, aber auch gegen Utilitaristen und Materialisten.
Der Religiöse denkt so: Gott und das Individuum sind früher da als die Gesellschaft. Das Individuum ist zeitgleich der finale Bezugspunkt, um den es in der Gesellschaft immer gehen sollte – am Individuum entscheidet sich die Qualität einer Gesellschaft. Der Religiöse folgt dem uralten Bild vom Menschen als eines Un-teilbaren – eben eines In-Dividuums.
Er achtet den Wert des Einzelnen und der einzelnen Familie in besonderer Weise. Er denkt die Gesellschaft vom Einzelnen zum Ganzen, subsidiär, er steht der Masse, der Klasse oder Rasse und ihrem potentiell autoritären Charakter prinzipiell skeptisch gegenüber. Er sieht im vernünftigen Einzelnen – der „gesunde Menschenverstand“ ist eine Lieblingsvokabel aller Konservativen – gar eine Gewähr vor Extremen und Fanatismen. Ganz im Geiste Theodor Fontanes: „Ein leidlich gescheites Individuum kann eigentlich gar nicht fanatisch sein.“
Die meisten politischen Ideologien denken genau andersherum, sie betrachten das Individuum skeptisch, wähnen es egoistisch oder gefährlich und setzen auf Kollektivismus zu seiner Einhegung. Sie vertrauen nicht dem gesunden Menschenverstand, sondern übergeordneten Ideen. Kommunismus, Sozialismus, Nationalismus, Nationalsozialismus oder Islamismus. Sie alle gehen von einer Gruppe, einer Klasse, Rasse, Nation – einem Kollektiv aus, das letztlich wichtiger sei als der Einzelne. Sie denken nicht in Kategorien von Würde des Einzelnen, sondern von Gerechtigkeit oder Erfolg oder Bestimmung einer Gesellschaft. Der Religiöse hält sich also an Seneca: „Es kommt darauf an, sein Streben nach dem richtigsten Handlungsziel auszurichten, und nicht nach dem, was allgemein üblich ist. Die Masse ist der schlechteste Übersetzer der Wahrheit.“
„Würde“ kommt aus dem Althochdeutschen „wirdi“, und dem Mittelhochdeutschen „wirde“, es ist dem Begriff „Wert“ verwandt. Werte schätzt der Religiöse ohnedies mehr als andere. Für Religiöse ist die Würde daher ein Ur-Wert. Die Geschichte des religiösen Ur-Begriffs als ethisches Konzept beginnt mit dem römischen Philosophen Cicero. Er ist der antike Vor-Denker, der dem Menschen allein aufgrund seiner Vernunftbegabung eine besondere Stellung zuweist. Allerdings meint Cicero, man müsse sich seine Würde durch sittliche Lebensführung erst erwerben. Im Mittelalter kommt ein christlicher Aspekt hinzu: Was den Menschen aus der Schöpfung heraushebt, ist seine Existenz als Ebenbild Gottes.
Mit der Fähigkeit zur Selbstbestimmung bringt später das Zeitalter der Aufklärung ein weiteres Kriterium ins Spiel: die Freiheit. Immanuel Kant geht noch einen Schritt weiter und definiert die Würde als das Merkmal eines jeden Menschen, das unvergänglich, unveräußerlich und un-bedingt sei. Er meint, dass sich der Mensch durch seine ihm eigene Moralität als würdig erweise. Die Würde liege jenseits des „Reiches der Zwecke“.
Der Religiöse hat ein tiefes Empfinden dafür, dass die Würde des Einzelnen weder durch ein „Reich der Zwecke“ (Kant), durch die „Maschinenwelt“ (Nietzsche) noch durch irgendwelche „Gehäuse der Hörigkeit“ (Max Weber) zerstört werden dürfe. Er vertraut mit John Stuart Mill der individuellen Kraft: „Das große, schöpferische Individuum ist zu mehr Weisheit und Tugend fähig, als es der kollektive Mensch je sein kann.“
Es gab zwar Zeiten in den letzten 300 Jahren, in denen religiöse Menschen der Monarchie, dem Kaisertum oder dem starken Ordnungsstaat nachgehangen haben. Heute aber halten sie sich, skeptisch geworden, an Gott und ans Individuum und nicht an die Zwischenwelt der heilbringenden Gesellschaft. Die Geschichte der modernen Religiosität hat in der Anthropologie ihr „liberales Finale” erreicht. Anders ausgedrückt – das Leben selbst ist dem Religiösen der Orientierungspunkt seiner Skepsis gegenüber den Ideologen und Modernisierern geworden. So wie Thomas Mann in seinen „Betrachtungen eines Unpolitischen“ schrieb: „Leben“ sei der „im höchsten, religiösen Sinn konservative Begriff“. So neigt der Religiöse zum Einzelnen, zum Lebendigen und zum Konkreten. Er misstraut der Abstraktion, der Weltverbesserung, der Gleichmacherei mit Plänen und Utopien. Er steht dem Sein näher als der Möglichkeit, dem Leben näher als der Theorie, dem Einzelnen näher als der Gesellschaft. Denn es ist ihm der Nächste, den er lieben will.
Indem der Religiöse den Einzelnen zum Ausgangspunkt seiner Gesellschaftsidee macht, bleibt er gegenüber allen großen überpersonalen Utopien von Gesellschaft skeptisch. Er folgt lieber der sokratischen Logik vom „kleinen Übel“. Eine solche Maxime gewinnt an Plausibilität angesichts der historischen Erfahrung, dass alle menschheitsgeschichtlichen Versuche, ein vermeintlich „höchstes Gut“ politisch verbindlich zu machen, grausam ausgegangen sind. Für die politische Sphäre trifft Winston Churchill diese Einsicht mit seinem Satz, die Demokratie sei „die schlechteste aller Regierungsformen, abgesehen von allen anderen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert worden sind“.
Die neue Religiosität kommt also aufgeklärt, nüchtern und bescheiden daher in ihrem Blick auf politische Entwürfe. Sie hält sich an die Würde und verachtet bloße Würfe. Der französische Philosoph Jean-Claude Michel nennt die neu-bürgerliche Gesellschaft das „Reich des kleineren Übels“. Der religiöse Konservativismus von heute steht wie der klassische Liberalismus für die Idee einer „minimalen Gesellschaft bei einer maximalen Achtung der Würde des Einzelnen“. Ihn zeichnet ein Pessimismus der Intelligenz aus.

Familie lieben

Für den Religiösen ist die Familie „das erste, das der Mensch im Leben vorfindet, das letzte, wonach er die Hand ausstreckt, das Kostbarste, das er im Leben besitzt“. Diese Sentenz von Adolph Kolping beschreibt den überragenden Wert, den religiöse Menschen der Familie beimessen. Modernisierer und linke Ideologen des 20. Jahrhunderts haben die Familie kritisch hinterfragt, dekonstruiert, als Unterdrückungs- oder Entfremdungsstruktur oder als Leitbild der bürgerlichen Gesellschaft bekämpft. Doch sie hatten keinen nachhaltigen Erfolg damit. Für die atheistische Generation der Achtundsechziger stellt die Rückkehr der Familie eine große Verblüffung dar. Sie hatten zeitlebens Familienkritik betrieben, auf Emanzipation und Distanz gesetzt. „Anti-Autorität“ war das Schlagwort seit den sechziger Jahren, und eine ewige Pubertät wurde proklamiert. Familie sei ein Hort der latenten Repression, dagegen brauche die Jugend „Kritikfähigkeit“, „Selbstbestimmung“, „Ich-Stärke“.
Nun passiert freilich das Gegenteil. Die neue Jugend des 21. Jahrhunderts wendet sich in der Familienfrage massiv konservativen Werten zu. Sie sucht vor allem Einvernehmen mit den Eltern. Wir-Stärke statt Ich-Stärke ist angesagt. In der Shell-Jugendstudie stellen die Forscher verblüfft fest: „Im Unterschied zur Generation der Eltern selbst, die meist eine kritische Einstellung zum Lebensstil ihrer Väter und Mütter pflegen oder pflegten, haben junge Leute ein überwiegend entspanntes und zugewandtes Verhältnis.“
Kaum eine andere soziale Institution hat in den letzten zwanzig Jahren einen solch hohen Zustimmungszuwachs erhalten wie die Familie. Für 80 bis 90 Prozent der jungen Menschen ist Familie wichtig bis sehr wichtig. Ebenso viele wollen selbst eine Familie gründen und auf Dauer mit einem Partner zusammenleben, und die meisten wollen Kinder.
Der Studie zufolge kommen 92 Prozent der deutschen Jugendlichen derzeit gut oder sogar bestens mit ihren Eltern aus. Diese Werte sind in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Haben im Jahr 2002 immerhin 32 Prozent der Jugendlichen gesagt, ihr Verhältnis zu den Eltern sei „bestens“, so sind es heute 40 Prozent.
Interessant ist auch, dass der Erziehungsstil der Eltern große Zustimmung erfährt. Auf die Frage „Würdest du dein Kind einmal genauso erziehen, wie deine Eltern dich erzogen haben?“, sagen heute 74 Prozent der Jugendlichen ja. Das ist ein Rekordwert. Die Forscher resümieren: „Damit ist seit 2002 der Anteil der Jugendlichen, die die Erziehung der eigenen Eltern zum Vorbild nehmen, kontinuierlich angestiegen.“
Kurzum: Das Verhältnis von Eltern und Kindern ist so gut wie lange nicht mehr.
Damit sind nicht nur die Ideologen der kritischen Theorie widerlegt. Auch Kulturpessimisten und Zerfallspropheten dürften staunen. Denn trotz hoher Scheidungsraten, einer Vielzahl von Patchwork-Familien und schwerer Belastungen durch die moderne Arbeitswelt ist die Familie stark wie nie.
Das vierte Gebot trägt gewissermaßen einen Sieg davon. Christen wussten schon immer, dass das Ehren der Eltern nicht einfach Gehorsam bedeutet. Vielmehr ist das Gebot ein Wegweiser hin zur Liebe, der uns zeigt, wie unser Leben gelingen soll. Das hebräische Wort für „ehren“ kommt aus der Wortfamilie „schwer sein, eine Last sein und tragen“. Wenn man sich ehrt, trägt man sich gegenseitig durch das Leben. Das Schwere wird ein Reichtum. Und wer in der Familie Liebe spürt, der fühlt sich im Leben getragen und beschützt. Die Renaissance von Elternliebe und Familienorientierung bei der Jugend ist für religiös gebundene Menschen eine Folge wertegebundenen Denkens. Für lebensweltlich Religiöse eine gute Nachricht.
Für den religiös gebundenen Menschen ist die Familie kein soziales Konstrukt oder eine Zufälligkeit der bürgerlichen Gesellschaft. Er sucht und findet in der Familie Liebe, Geborgenheit, Glück, Grundvertrauen und gegenseitige Hilfe. Zugleich sieht er die Familie als Garanten für die Weitergabe von Grundwerten und den Zusammenhalt der Gesellschaft von Generation zu Generation. Die Familie kann dabei natürlich vielfältige Gesichter und Formationen besitzen. Doch wie bunt Familie auch sein kann, sie ist immer ein Vaterland des Herzens. Selbst, wenn sie räumlich getrennt sind, halten Familien zusammen und übernehmen gegenseitige Verantwortung und Fürsorge. Das Vertrauen, sich auf den Mitmenschen und seine Fürsorge verlassen zu können, aber auch die Vermittlung von Durchsetzungskraft und Teamfähigkeit sind für eine vitale und solidarische Gesellschaft unersetzlich. Die Familie ist das fundamentale Band zwischen den Menschen, auf das Nation und Staat aufbauen können. Politik und Sozialstaat können die familiären Bindungen und die menschliche Fürsorge weder ersetzen noch schaffen. „Die Familie ist die älteste aller Gemeinschaften und die einzige natürliche.“ (Jean-Jacques Rousseau)
Rousseau verweist nicht bloß auf „Arterhaltung“ und die Sicherstellung von Geburt und Betreuung von Kindern, sondern auch darauf, diesen Kindern die Entwicklung zu „sittlichen“ Wesen zu ermöglichen. Georg Wilhelm Friedrich Hegel sieht die Familie als Ort „unmittelbarer Sittlichkeit“.
Ehe und Familie sind dem Religiösen keine zufällige soziologische Konstruktion, sondern die „Wiege“ der Gemeinschaft, jener Raum, in dem sich soziale Kompetenz und Ethik entwickeln. Linke Ideologen wollen diese Aufgaben tendenziell kollektivieren und den Kitas, Schulen, Staatsinstitutionen familiäre Kompetenzen zuweisen. Der Religiöse hält sich an Hegel und will die „Unmittelbarkeit“ der Sittlichkeit leben lassen. Das mag mit Blick auf den sozialen Wandel, insbesondere der modernen Arbeitswelt, als romantische Reminiszenz wirken. Doch ohne die Familie als Wiege drohen aus konservativer Sicht entkernte, entseelte Gesellschaften.
Der Trend zur Verzweckung des Menschen ist dem Gläubigen zutiefst fremd. Gerade sein Familienbild bezieht den autonomen moralischen Wert von Schwachen, Alten, Kranken als Teil der liebens- und schützenwerten Familie mit ein. Nützlichkeitsmaßstäbe lehnt der Religiöse daher ebenso ab wie theoretische Ersatzkonzeptionen oder Ideologien für Ehe und Familie, etwa die Gender-Ideologie der vergangenen Jahre, die den Unterschied und die natürliche Aufeinander-Bezogenheit von Mann und Frau leugnet. Sie stellt eine Gesellschaft ohne Geschlechterdifferenz in Aussicht und höhlt – aus konservativer Sicht – die anthropologische Grundlage der Familie aus. Die biologische Verschiedenheit zwischen Mann und Frau ist dem Religiösen keine Frage individueller Wahlfreiheit. Sie ist ihm schiere Realität. Wenn ihm die Familie das Heiligtum des Lebens ist, der Ort, an dem das Leben hervorgebracht und gehütet wird, dann kann man das von biologischer Evidenz nicht radikal abkoppeln.
Die Familie ist dem Gottesgebundenen dabei auch ein Garant des Gültigen, der ewigen Werte von Liebe, Treue und Hingabe. Sie ist eine Bastion gegen die modernistische Kultur des Provisorischen. Ihm ist die Schnelligkeit, mit der manche Menschen Liebesbeziehungen und Partner wechseln, ein- und ausschalten, suspekt. Er hat eine tiefe Skepsis gegenüber affektiven Beziehungen zu dem, was in einer Kultur des Provisorischen mit Menschen, aber auch mit Dingen und der Umwelt geschieht: „Alles kann man wegwerfen; jeder gebraucht und wirft weg, verbraucht und zerschlägt, nutzt und presst aus, solange es dienlich ist.“ (Papst Franziskus in seinem Apostolischen Schreiben „Amoris Laetitia“) Dagegen gilt: Das Füreinander-Einstehen in Ehe oder Lebenspartnerschaft und die Bereitschaft von Eltern und Kindern, lebenslange Verantwortung füreinander zu übernehmen, sind Existenzgrundlagen einer Gesellschaft. Oder wie Giuseppe Mazzini sagt: „Die Familie ist das Vaterland des Herzens.“

Religion prägt den Kulturkreis

Der Religiöse hat ein Empfinden für Zivilisation, für die langen Linien von Herkunft und Zusammenhang, von der tiefen Melodie einer Kultur. Er fühlt als Christ das Abendland als (s)eine Heimat. Dieser zivilisatorische Zusammenhang ist ihm mehr als eine Nation, mehr als Europa, denn schon Europa sieht er mehr als kulturelle denn als eine geographische Größe an. Er lebt in einem westlichen „Kulturkreis“ mit verwandten Wertvorstellungen, sozialen Normen, Sitten, einem gemeinsamen religiösen Unterbewusstsein. Dieser Kulturkreis ist durch eine große Vielfalt bestimmt. Nur seine kulturelle und religiöse Geschichte begründet, warum wir Europa einen Kontinent nennen, warum wir den „Westen“ als eine Wertegemeinschaft erkennen.
Dieses Abendland steht aus Sicht des religiös Gebundenen mit seiner Identität auf drei Hügeln: Golgatha, Akropolis und Kapitol. Aus Christentum, griechischer Philosophie sowie römischem Recht ist sein Abendland geformt.
Den Griechen verdankt der europäische Kulturkreis den Geist der Philosophie, den Aufbruch zur Wissenschaft, die Offenheit für die Künste. Die griechische Polis, vor allem Athen, bedeutet deshalb einen „Neubeginn der Weltgeschichte“ (Christian Meier), weil sie die Idee eines auf wechselseitige Rechenschaft und Vernünftigkeit bezogenen politischen Gemeinwesens etabliert.
Den Römern verdankt Europa die Stiftung einer Rechtsordnung, den Sinn für sozialen Aufstieg, Bürgerrecht und Toleranz und gestaltete Verwaltung bis hin zum Dezimalsystem.
Jerusalem schließlich verdankt Europa die Bibel, die prägende Religion, die Botschaft der Liebe, das bestimmende Bild vom Verhältnis zwischen Gott und Mensch. Das Christentum ist aus dem Judentum hervorgegangen; die Bibel der Christen schließt die Hebräische Bibel ein.
Dem Religiösen ist der jüdisch-christliche Glaube integraler Bestandteil seines abendländischen Hauses. Er erkennt, dass es kein europäisches Land gibt, das nicht mindestens vor einem Jahrtausend zum Christentum übergetreten ist. Eine solche Bindung an das Christentum stellt daher einen wichtigen Bestandteil der europäischen Identität dar. Das Gesicht Europas, seine Moral, seine geistige Ordnung, sein Unterbewusstsein und sein kulture...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Die Diagnose
  6. Die Anamnese
  7. Die Therapie
  8. Die Rehabilitation
  9. Das Heimweh
  10. Literaturinspirationen