Techniken der Täuschung
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Techniken der Täuschung

Eine Kultur- und Mediengeschichte der Bühnenzauberkunst im späten 19. Jahrhundert

  1. 334 Seiten
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Techniken der Täuschung

Eine Kultur- und Mediengeschichte der Bühnenzauberkunst im späten 19. Jahrhundert

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Über dieses Buch

Katharina Reins preisgekrönte kulturwissenschaftliche Dissertation widmet sich der Bühnenzauberkunst in ihrem "Goldenen Zeitalter" (ca. 1860–1900), das von wissenschaftlicher und technischer Innovation ebenso geprägt war wie von einer florierenden Medienkultur, den Umbrüchen der Industrialisierung oder den Erfahrungen von Globalisierung und Kolonialismus. Moderne Bühnenzauberei beansprucht keine übernatürliche Wirkung, vielmehr präsentiert sie technisch erzeugte Illusionen, deren Funktionsweisen sie allerdings verbirgt. Sie stellt damit eine spezifische Form des Mediengebrauchs dar, die mediale Effekte exzessiv ausstellt, während sie das dahinterstehende technische Geschehen zum Verschwinden bringt. Die Analyse von vier paradigmatischen Großillusionen ("Pepper's Ghost", "Vanishing-Lady"-, Levitations- und Telepathie-Illusion) eröffnet nicht nur schlaglichtartige Einblicke in die bislang weitgehend ungeschriebene Zaubergeschichte des späten 19. Jahrhunderts. Sie geben zugleich die Sicht frei auf einschneidende kulturelle Veränderungen und Innovationen, die in diese moderne, hoch technisierte Form von Magie Eingang fanden.

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Information

Jahr
2020
ISBN
9783963177286

1 Gespenster der Aufklärung. Phantasmagorie

The Enlightenment project of the modern, […]:
it must always be haunted by its own darkness.162
Medien untergraben die Unterscheidung zwischen An- und Abwesenheit. Einerseits bedingen Reproduktionsmedien wie Film, Phono- oder Photographie Effekte analog zu gängigen Gespenstervorstellungen, wenn Darstellende vergangener Zeiten als zur ewigen Wiederholung gezwungene Doubles auf die Kinoleinwände zurückkehren; andererseits produzieren technische wie spiritistische Medien konkrete Gespenster jenseits fiktionaler Welten. Erstere beispielsweise in der Sichtbarmachung beziehungsweise Herstellung von (Tonband)Stimmen und (Geister-)Bildern, Letztere indem sie (vermeintlich) mit Verstorbenen kommunizieren, was mittels visueller oder akustischer Manifestationen erfahrbar gemacht wird. Technische Geräte wie Grammophon oder Telefon erzeugen eine vor ihrer Erfindung nur in Mythos und Märchen imaginierte Trennung von Körper und Stimme.163 Selbst in technisierten Gesellschaften, in denen elektronische Geräte längst Bestandteil alltäglicher Praktiken sind, wird deren unheimliches Potenzial immer wieder in der Populärkultur thematisiert. »Daily use and familiarity with these devices may destroy their uncanny nature«, schreibt Tom Gunning, »but Fantastic fiction has often created uncanny scenarios by restoring their initial supernatural associations.«164
Dieses Kapitel widmet sich einem multimedialen Spektakel der Gespensterproduktion, der Phantasmagorie. Jenseits konkreter Vorführungen, die zeitlich mit der Blütezeit der Gothic Novel zusammenfielen und mit dieser ein ästhetisches und motivisches Repertoire teilten, durchzieht sie die westliche Literatur und Philosophie seit dem späten 18. Jahrhundert als Modell und Metapher. Taucht die Phantasmagorie bei Immanuel Kant als Modell transzendentaler Illusionen auf, so wird sie bei Karl Marx als negativ konnotiertes Sinnbild für Täuschung zu einem politischen Schlüsselbegriff. Er bezeichnet Ware im Kapitalismus als phantasmagorisch, da sie ein bloßes Trugbild sei, ohne reale Entsprechung. In dieser Bedeutung taucht der Begriff auch in der Kritischen Theorie auf, beispielsweise wenn Theodor W. Adorno den Warencharakter von Richard Wagners Opern beschreibt, deren phantasmagorische Eigenschaft für ihn in der »Verdeckung der Produktion durch die Erscheinung des Produkts«165 liegt. Verschleiert wird hier unter anderem die hinter dem Effekt stehende Arbeit: »Indem die ästhetische Erscheinung keinen Blick mehr durchläßt auf Kräfte und Bedingungen ihres realen Produziertseins, erhebt ihr Schein als lückenloser den Anspruch des Seins.«166
Auch die Laterna magica, technischer Bestandteil der Phantasmagorie, taucht als diskursive Figur in der Philosophie auf – darauf hat Stefan Andriopoulos in Anlehnung an Jonathan Crarys Untersuchung der Camera obscura hingewiesen.167 Ebenso wie die Phantasmagorie fungiert sie dabei als epistemologisches Modell – sie erweist sich, schreibt Oliver Grau, als »Modell für die ›Manipulation der Sinne‹, die Funktion des Illusionismus, die Konvergenz von Realismus und Fantasie, die doch so materiellen Grundlagen einer scheinbar immateriellen Kunst sowie die damit verbundenen Fragefelder für Epistemologie und Werk.«168 Noam Elcott verfolgt Grundzüge der Phantasmagorie, insbesondere die Nutzung schwarzer Hintergründe, über »Pepper’s Ghost«, das Schwarze Theater, die Geisterphotographie und den frühen Film bis in die zeitgenössische Kunst.169 Mag sie auch als konkrete Attraktion ausgestorben sein, »[a]s a commonplace description […] phantasmagoria suffuses the world«170, schreibt Elcott in »The Phantasmagoric Dispositif«.
Die Phantasmagorie als medienhistorische Praktik der Gespensterproduktion um 1800 ist Gegenstand des ersten Teils dieses Kapitels. Die Vorstellungen ihres prominentesten Vorführers, Robertson, waren weit mehr als schlichte Gespensterprojektionen. Es handelt sich um atmosphärische, multimediale, immersive Spektakel,171 die die Grenze zwischen Rationalität und Imagination ebenso verwischen wie diejenige zwischen Lebenden und Toten oder Wissen und Wahrnehmung. Der zweite Teil untersucht Jules Vernes 1892 erschienenen Roman Le Château des Carpathes (deutsche Fassung 1893 als Das Karpathenschloß) als Beispiel für eine Übersetzung der historischen Phantasmagorie in die fantastische Literatur. Ausschlaggebend im Kontext dieser Untersuchung ist hier eine spezifische, ambivalente Denkart, die sich bei der Phantasmagorie um 1800 erstmals beobachten lässt und die nicht nur Jules Vernes Roman, sondern auch moderne Zauberkunst durchzieht.

1.1 »Je vous ai offert des spectres«172

In den 1650er Jahren von Christian Huygens erfunden, erlangte die Laterna magica im 18. Jahrhundert eine große Popularität in unterschiedlichen Einsatzbereichen. Als Unterhaltungsmedium fand sie sich in den Repertoires (umherziehender) Schausteller, als pädagogisches Instrument wurde sie bis in die viktorianische Zeit hinein vor allem zu Missionszwecken im Rahmen des Kolonialismus eingesetzt.173 Detaillierte Darstellungen der Geschichte der Laterna magica und anderer Projektionstechniken liegen zu Genüge vor, weshalb der folgende Abschnitt sich auf eine kontextualisierende Beschreibung der Vorführungen Schröpfers und Philidors beschränkt, bevor diejenigen von Robertson ausführlicher behandelt werden.

1.1.1 Georg Schröpfer (1738–1774)

Der Freimaurer Georg Schröpfer war einer der ersten berühmten »Gespenstermacher«. Seine rauschhaften Inszenierungen Anfang der 1770er im Billardzimmer eines Leipziger Kaffeehauses (und in anderen Städten), die er als Kontaktaufnahmen mit der Totenwelt bewarb, erweisen sich als Vorläufer spiritistischer Séancen.174 Magische Symbolik aus Folklore und Literatur zitierend, zog Schröpfer einen Bannkreis mit Sand und bat die Anwesenden, die Linie zu ihrem eigenen Schutz nicht zu überschreiten.175 Das Publikum wurde zu Beginn mit »liberal quantities of hot punch«176 versorgt, was die Wirkung der Rauchprojektionen ins Halluzinatorische gesteigert haben mag, zumal die Zuschauenden aufgefordert waren, 24 Stunden vor der Beschwörung auf Nahrung zu verzichten. In einem schwarz drapierten Raum bat Schröpfer die berauschte Gemeinschaft, niederzuknien und zu beten, während er selbst Beschwörungsformeln rezitierte – ein Prozedere, das von einem schrillen Schrei unterbrochen wurde, der die Erscheinungen einleitete. Diese wurden auf vom Boden aufsteigendem Rauch sichtbar, begleitet von Geräuschen wie Zischen, Pfeifen und Geheul. Schröpfers Beschwörungen wuchsen mit der Zeit zu Dreiaktern heran, in denen zunächst wohlwollende, dann von Publikumsmitgliedern gewünschte und schließlich bösartige Gespenster zu sehen waren. Letztere ließen die Vorführung im Chaos versinken, was Mervyn Heard folgendermaßen beschreibt:
Throughout, Schröpfer threw himself, quite literally, into the role of necromancer, ranting and raving, challenging unwelcome ghosts with brandished knives, trancing, and finally collapsing in a heap on the carpet just as Satan himself was about to make his entrance. This was the cue for the audience to be hustled out of the séance chamber, if not the building and the neighbourhood, for their own safety.177
Nicht zuletzt der wahnhaft-frenetische Trancezustand erinnert an spätere spiritistische Praktiken. Beispielsweise war Eusapia Palladino, eines der berühmtesten Medien um 1900, für ihre turbulenten, exzessiven und erotisch aufgeladenen Séancen bekannt. »Tables fell over,« schreibt Ken Silverman dazu, »curtains bulged and shook, sparkles and human silhouettes appeared, Palladino all the time shouting in Italian, groaning, yawning, panting, weeping – and afterward occasionally vomiting.«178 Als Vorläufer der Phantasmagorie können Schröpfers Vorstellungen gelten, insofern sie Rauchprojektionen von zum Teil auf Publikumswunsch hin erscheinenden »Gespenstern« in einem »schwarzmagischen« Ambiente anboten. Allerdings waren seine Vorstellungen im Kontext der Freimaurerei von einem deutlich rituellen Charakter gekennzeichnet – inklusive diätetischer Auflagen und Exklusivität: Gemäß Freimaurertradition hatten anfangs ausschließlich Männer Zutritt zu Schröpfers Geisterbeschwörungen.179 Ihr Anspruch auf übernatürliche Wirkungen stellt sie in die Traditionslinie spiritistischer Séancen, während die Phantasmagorie sich dezidiert als illusionistische Praxis inszeniert und damit als eine Vorgängerin moderner Zauberkunst erkennbar wird.

1.1.2 Paul Philidor (17??–1829)

Der Zauberer Paul Philidor180 reiste mit einer stark von Giuseppe Pinettis Darbietungen inspirierten Vorführung durch Europa, mit längeren Aufenthalten in Wien und Paris, im Rahmen derer er neben Zauberkunststücken auch Automaten sowie hydraulische, pneumatische, aero­nautische und magnetische Demonstrationen präsentierte.181 Teil der Darbietung waren auch Laterna-magica-Vorführungen, die er ab etwa 1790 als »phantasmagorie« bewarb.182 Diese Sonderform der Laterna-magica-Vorführung weist sich durch folgende Merkmale aus: Der Projektionsapparat bleibt dank Rückprojektionstechnik für das Publikum unsichtbar; Variationen der Distanz zwischen dem mobilen Projektor und der Leinwand erzeugen Größenveränderungen der projizierten Figuren, die als Annäherung beziehungsweise Entfernung wahrgenommen werden. Die Laternbilder sind schwarz hinterlegt, wodurch sie plastisch erscheinen – das empfahl Johann Peter Eberhard bereits 1778, »[u]m allen Verdacht, daß hier eine Zauberlaterne gebraucht wird, zu vermeiden«.183 Darüber hinaus werden auch opake Objekte projiziert und es kommen weitere inszenatorische Elemente zum Einsatz wie Spiegel, Rauch, Schatten und Masken.184 (A Abb. 2)
War Philidors Rahmeninszenierung an die berühmt-berüchtigten Geisterbeschwörungen Schröpfers angelehnt, unterschied sich seine Vorführung von diesen durch einen pädagogisch-aufklärerischen Anspruch. Die Literaturwissenschaftlerin Terry Castle sieht diese Entwicklung in einem kultur- und wissenschaftshistorischen Paradigmenwechsel begründet: »The phantasmagoria was invented […] at a crucial epoch in the history of Western ghost belief – at precisely that moment when traditional credulity had begun to give way, more or less definitively, to the arguments of scientific rationalism.«185 Zugleich, darauf hat Stefan Andriopoulos hingewiesen, verlagerte sich der Schwerpunkt in der Nutzung der Laterna magica in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts von wissenschaftlichen Demonstrationen hin zu unterhaltungsorientierten Projektionen. Damit einhergehend fand die Laterna magica als Instrument zur Erzeugung von Trugbildern Eingang in die epistemologische Diskussion um die Unzuverlässigkeit der Sinne und die Grenzen philosophischer Erkenntnis.186 Statt sein Publikum wie Schröpfer zu betäuben, appellierte Philidor an dessen Neugier, Skepsis und kritische Urteilskraft. Seinen Zuschauenden war bewusst, dass er keine übernatürlichen Kräfte besaß, sondern eine Illusion vorführte. So konstatiert beispielsweise eine 1793 in La Feuille Villageoise erschienene Besprechung seiner Vorstellung, diese bestehe aus nichts als optischen Effekten.187 Ab 1792 sind Ansprachen wie die folgende belegt, in denen Philidor sich bewusst von der Täuschung distanziert und als Aufklärer positioniert:
I will not show you ghosts, because there are no such things; but I will produce before you enactments and images, which are imagined to be ghosts, in the dreams of the imagination or in the falsehoods of charlatans. I am neither priest nor magician; I do not wish to deceive you; but I will astonish you. It is not up to me to create illusions; I prefer to serve education.188
Philidor grenzte sich also dezidiert von Schröpfer ab, der »das Ansehen der Laterna magica bei den Gebildeten«, laut Klaus Bartels, »auf den Nullpunkt« gebracht hatte.189 Wie auch in Robertsons späteren Vorführungen paarte sich diese Beteuerung des Rationalismus jedoc...

Inhaltsverzeichnis

  1. Danksagung
  2. Einleitung
  3. 1 Gespenster der Aufklärung. Phantasmagorie
  4. 2 Erscheinen und Verschwinden. Spiegelillusionen
  5. 3 Die Krümmung von Raum und Zeit. Verschwinden
  6. Exkurs: Zauberkunst und früher Film
  7. 4 Techniken der Schwerelosigkeit. Levitation
  8. 5 Codes und Signale. Mentalmagie
  9. Exkurs: Magie und Medien um 1900. The Prestige
  10. Schlussbetrachtungen
  11. Bibliographie
  12. Filmographie
  13. Personenregister
  14. Stichwortregister
  15. Ergänzende Quellenangaben
  16. Bildteil
  17. Anmerkungen