Die Wohlwollenden
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Ein Tanz zur Musik der Zeit – Band 6

  1. 288 Seiten
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Ein Tanz zur Musik der Zeit – Band 6

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Über dieses Buch

Der zwölfbändige Zyklus »Ein Tanz zur Musik der Zeit« —­ aufgrund­ seiner inhaltlichen­ wie formalen Gestaltung immer wieder mit Mar­cel Prousts »Auf der Suche nach der verlorenen Zeit« verglichen —­ gilt­ als­ das­ Hauptwerk des­ britischen Schriftstellers Anthony Powell und gehört zu den bedeutendsten Romanwerken des 20. Jahrhunderts. Inspiriert von ­dem ­gleichnamigen Bild des französischen Barockmalers Nicolas Poussin, zeichnet der Zyklus ein facettenreiches Bild der englischen Upperclass vom Ende des Ersten Weltkriegs bis in die späten sechziger Jahre. Aus der Perspektive des mit typisch britischem Humor und Understatement ausgestatteten Ich­-Erzählers Jenkins — der durch so­ manche­ biografische­ Parallele­ wie­ Powells­ Alter ­Ego­ anmutet — bietet der »Tanz« eine Fülle von Figuren, Ereignissen, Beobachtungen und Erinnerungen, die einen einzigartigen und auf­schlussreichen Einblick geben in die Gedanken­welt der in England nach wie vor tonangebenden Gesellschaftsschicht mit ihren durchaus merkwürdigen Lebensgewohnheiten. Im sechsten Band bildet der Vorabend des Zweiten Weltkriegs den historischen Hintergrund, die Zeit also zwischen Münchner Abkommen und Hitler-Stalin-Pakt.

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Information

Jahr
2016
ISBN
9783941184817
1

Albert – feist, bleich, mit bläulichem Kinn, schwer atmend, ein wenig schwitzend – schob eine ­Eisenstange in die Halterungen an den beiden Seiten der Holzläden, die er gerade vor dem letzten Fenster des Stallgebäudes geschlossen hatte. Aufgerollte Hemdsärmel und eine grüne Friesschürze ver­liehen ihm das irreführende Aussehen eines kleinen Geschäftsinhabers, das jedoch sogleich durch die unsagbare Schä­big­keit der Hauspantoffeln, die seine großen, chronisch kränkelnden Füße umschlossen, konterkariert wurde. Jede Art von Arbeit außer Kochen verabscheuend, verrichtete er die notwendigen Handgriffe mit einer Aura der Lustlosigkeit, ja fast der Verzweiflung. Er muss damals Mitte bis Ende dreißig gewesen sein. Wir kamen gut miteinander aus, obwohl er Kinder eigentlich nicht besonders mochte. Jetzt wollte ich ihm dabei helfen, die Nebengebäude für die Nacht zu verschließen – eine Aufgabe, die aus einem unbekannten Grund fast immer schon am späten Nachmittag erledigt wurde. Bis zu diesem Augenblick hatte ich jedoch nichts anderes getan, als mir ein farbiges Bild anzusehen, das mit vier rostenden Heftzwecken an der Wand befestigt war. Es zeigte eine stilisierte Darstellung des Schatzkanzlers Lloyd George, wie er gerade eine enorme, scharlachrote Zunge herausstreckt, auf deren nass glänzender Oberfläche ein Dienstmädchen in Häub­chen und Schürze herzlich lachend, so als ob ihr dieser Kontakt riesigen Spaß bereite, mit kräftigen Bewegungen die Gummierung einer Klebemarke der gesetzlichen Kranken­versicherung anfeuchtet. Ich war noch in dieses lebhafte Bild staatlich unterstützter sozialer Fürsorge vertieft – das in gewisser Weise auf ein ungehöriges, ja ganz und gar unzulässiges Betragen hinzudeuten schien –, als die Nacht, so als ob sie zu dieser viel zu frühen Stunde durch Alberts lethargische Verrichtungen willkürlich eingeleitet sei, abrupt in den nun durch die Läden geschlossenen Raum fiel und plötzlich die Umrisse der politischen Allegorie des an­ony­men Künstlers verwischte. Albert verließ umständlich die uns nun umgebende Dunkelheit, und ich folgte ihm in das helle Tageslicht des Hofes, wo hohe Pinien mit ihrem harzigen, ir­gendwie fremdartigen Duft die Sommerluft erfüllten – ein sanftes Desinfiziens, wie in den Gärten eines Sanatoriums außerhalb Englands.
»Wir wollen doch nicht, dass eine von diesen Jungfrau Marias herkommt und uns abbrennt«, sagte Albert.
Mich überkam ein leichter Schreckensschauer angesichts einer so monströsen, rätselhaften und in dem ketzerischen Ge­brauch des Plurals sicher sündigen Eventualität. Ich bat um eine Erklärung.
»Suffragetten.«
»Aber sie kommen doch nicht hierher?«
»Man kann nie wissen.«
»Glaubst du doch?«
»Man kann überhaupt nicht sagen, was diese Flittchen nicht noch alles anstellen.«
Ich fühlte eine tiefe Übereinstimmung mit Albert darin, dass die Unsicherheiten des Lebens grenzenlos seien. Ich dachte über seinen ersten Satz nach. Er war beunruhigend. Warum hatte er die Suffragetten ›Jungfrau Marias‹ genannt? Dann erinnerte ich mich an etwas, das vielleicht Licht in diese Dunkelheit bringen konnte. Im Schulunterricht an jenem Morgen – das Thema war klassische Mythologie gewesen – hatte Miss Orchard davon gesprochen, dass die Griechen, weil sie eine so große Furcht vor den Furien gehabt hätten, diese ›Eumeniden‹ – Wohlwollende – nannten, um mit jener schmeichelnden Bezeichnung ihren schrecklichen Zorn zu besänftigen. Alberts Redewendung in Bezug auf die Suffragetten war zweifellos mit ähnlicher Absicht gebraucht. Er war von Na­tur aus ein ängstlicher Mann, sprach auch gerne in Rätseln. Ich erinnerte mich an Miss Orchards Bericht über die Furien. Sie vollstrecken die Rache der Götter und bringen in ihrem Gefolge Krieg, Pestilenz und Zwietracht auf die Erde; und auch Gewissensqualen. Allein diese letzte Eigenschaft, das verstand ich sehr wohl, machte sie zu äußerst unwillkommenen Gästen. Sie waren so sehr gefürchtet, hatte Miss Orchard gemeint, dass kein Mensch je ihren Namen erwähnte oder seine Blicke auf ihre Schläfen richtete. Wenigstens in dieser Hin­sicht unterschieden sich die Furien von den Suf­fragetten, deren Niedertracht ein dauernder Gesprächsgegenstand von Personen wie Edith und Mrs. Gullick war, zumal die Erstere der beiden sogar Suffragetten während ihrer Umzüge mit ihren mauve-grünen Transparenten gesehen hatte. Andererseits ließ sich die Aggressivität der Suffragetten insofern sehr wohl mit der der Furien – auch femininen Geschlechts, soweit man das sagen konnte – vergleichen, als jene ebenfalls als Vorboten von Feuer und Zerstörung auftraten. Die Gedanken an sie brachten mich dann auf andere, nicht weniger Furcht einflößende, in gewisser Weise sogar faszinierendere Schrecken örtlicher Natur, gegen die es sich vielleicht während der Stunden der Nacht zu behaupten galt.
»Hat Billson den Geist wieder gesehen?«
Albert schüttelte den Kopf und gab mir zu verstehen, dass er das Thema Gespenster weit weniger interessant finde als ich. Er bewohnte eines der zwei oder drei kleinen Zimmer jenseits der Pferdeboxen, wo er weit weg von dem übrigen Haus­­halt schlief. Die gelegentliche Belegung eines anderen dieser Zimmer im Pferdestallgebäude durch Bracey bot nur geringe Unterstützung, wenn es um Geister ging. Bracey wohnte nur in unregelmäßigen Abständen dort, und das Kameradschaftsgefühl zwischen den beiden war sowieso nicht ausreichend genug entwickelt, um einen soliden Widerstand gegen derartige Visitationen bilden zu können. Es war deshalb ganz vernünftig von Albert, dass er, da er ein so einsames Quartier bewohnte, es vorzog, dass nicht dauernd von der Möglichkeit übernatürlicher Erscheinungen die Rede war, auch wenn sich diese vielleicht nur im Wohnhaus selbst ereignet hatten. Um die Wahrheit zu sagen, auch während des Tages lag immer etwas leicht Furchterregendes über dem Stallgebäude. In meiner Fantasie hatte ich die hölzerne Nacktheit seines Inneren lustvoll in eine Holzhütte oder Palisade mit Schießscharten und Einschusslöchern umgestaltet, die gegen Zulus oder Indianer verteidigt werden musste. An solch einem Ort mochte selbst der Tapferste einer namenlosen Furcht vor der okkulten Welt nachgeben – einer Welt, die gewiss mehr zu fürchten war als eine krude physische Attacke seitens der Suffragetten, deren äußerst weit hergeholte Manifestationen von Bosheit und Unvernunft sich wohl kaum zu Brandanschlägen auf die Stallgebäude von Stonehurst ausweiten würden.
Andererseits waren die ›Geister‹ von Stonehurst ein anerkanntes Merkmal, in meinen Augen nahezu ein fester Bestandteil, des Hauses, etwas weit Realeres als die Suffragetten. Billson, das Stubenmädchen, war nur ein oder zwei Wochen zuvor früh morgens aufgewacht und hatte eine weiße Gestalt von immen­ser Größe vor ihrem Bett stehen sehen, die dann sogleich wieder verschwand, ehe Billson voll zu sich gekommen war. Für sich allein genommen hätte das als bloße Einbildung abgetan werden können, als etwas, das eher Anlass zu Neckereien gibt, als dass es Sympathie oder Interesse weckt. Billson aber gestand, dass sie schon bei einer früheren Gelegenheit dieser oder einer sehr ähnlichen anderen Erscheinung begegnet sei, einem Gespenst, von dem unglücklicherweise von Billsons unmittelbarer Vorgängerin in fast den gleichen Worten berichtet worden war. Kurz gesagt, es sah ganz danach aus, dass unser Haus eines war, in dem es eindeutig spukte. Dienstmädchen, die auch bereit waren, in dem Haus zu wohnen, waren in einem so abgelegenen Ort wie Stonehurst ohnehin sehr schwer zu bekommen. Geister bildeten da keine besondere Empfehlung. Vielleicht war es ein Zufall, dass zwei außergewöhnlich leicht erregbare Personen unmittelbar nacheinander dasselbe Dienstmädchenzimmer bewohnt hatten. Weder Albert selbst noch Mercy, das Hausmädchen, waren allerdings je einem solchen Martyrium ausgesetzt gewesen. Andererseits hatte mein Kindermädchen Edith (vor meiner Geburt selbst ein Hausmädchen) von Zeit zu Zeit ein rätselhaftes Klopfen im Kinderschlafzimmer gehört, Geräusche, die nicht – wie zunächst angenommen wurde – mir selbst zugeschrieben werden konnten. Außerdem bekannte sich meine Mutter zu der manchmal auch während des Tages wiederkehrenden unbehaglichen Empfindung, dass noch jemand in ihrem Schlafzimmer anwesend sei. In der Nacht sei sie dort einige Male von einem unerklärlichen Gefühl des Unheils und Schreckens überwältigt aufgewacht. Ich berichte diese Dinge nur als eine damals bei uns durchaus akzeptierte Situation. Sol­che Gegebenheiten wären vielleicht in einer rationaler aus­gerichteten Familie völlig ignoriert worden; in einer, die me­ta­physisch weniger flexibel war, hätten sie möglicherweise starke Erregungen ausgelöst; in meiner eigenen wurden sie ohne Skepsis, aber gleichzeitig auch ohne unangemessene Beklommenheit einfach hingenommen. Alle Diskussionen über dieses Thema fanden gewöhnlich hinter verschlossenen Türen statt, und zwar aus dem simplen Grund zu vermeiden, dass das Haus einen Ruf erlangte, der die Quellen, aus denen Dienstpersonal geschöpft werden konnte, vielleicht völlig austrocknen würde. Es wurde nichts unternommen, um solche Gespräche von meinen Ohren fernzuhalten. Meine Mutter hatte – als sie und ihre Schwestern noch unverheiratet waren – zusammen mit diesen stets einer Neigung nachgegeben, die ›Unsichtbare Welt‹ zu erforschen – einer Neigung, die auch die drohenden Unannehmlichkeiten der ›Stonehurst-Geister‹ nicht gänzlich zu unterdrücken vermochten. Mein Vater, nicht in gleichem Maße vertraut mit den verborgenen Kräften, war deshalb aber nicht weniger erfüllt von dem Glauben an sie. Kurz gesagt, die ›Geister‹ waren ein integraler, ein essentieller Teil des Hauses, ja sein herausragendes Merkmal.
Dennoch, Geistererscheinungen waren kaum zu erwarten in diesem ziegelroten Bungalow, der aufgrund seiner extremen, unnatürlichen Ausdehnung fast geräumig war, oder jedenfalls schien es mir damals so. Er war erst dreizehn oder vierzehn Jahre zuvor – um 1900, genauer gesagt – von einem pensio­nier­ten Soldaten gebaut worden, der in seiner endgültigen Zu­rückgezogenheit Wert darauf legte, sich eine anschauliche Erinnerung an seinen Dienst in Indien zu erhalten, gleichzeitig aber von der Architektur erwartete, dass sie alles vermied, was beunruhigend auf den exotischen Glanz östlicher Fabelwelt hin­deuten könnte. Es stimmte, das Äußere Stonehursts mochte einen leicht bedrohlichen, sogar einen unheilvollen Eindruck hinterlassen, aber ganz gewiss keinen exotischen. Seine Struktur erinnerte an eine lange, niedrige Arche Noah, die unsicher auf einem mit Heidekraut und Koniferen bewachsenen Ausläufer des Berges Ararat zur Ruhe gekommen war, an eine Arche Noah, die, wenn man ihren Deckel hätte abheben können, mich selbst, meine Eltern, Edith, Albert, Billson, Mercy, eine Reihe von Hunden und Katzen und, zu gewissen Zeiten, Bracey und Mrs. Gullick zum Vorschein gebracht hätte.
»Sag ihr, sie soll damit aufhören«, sagte Albert, auf das Thema Billson und ihren ›Geist‹ zurückkommend. »Zu viel kaltes Schweinefleisch und Pickles. Das ist alles. Hats sich mit den Verdauungskollegen verdorben oder ist übergeschnappt. Eins von beiden. Die kommt noch in die Klapsmühle, wenn sie so weitermacht.«
»Billson sagt, sie kündigt, wenn es noch mal passiert.«
»Kündigen? Glaub ich nicht.«
»Meinst du nicht?«
»Solange ich hier bin, kündigt die nicht. Das glaub man nicht.«
Albert schüttelte einen seiner uralten Hauspantoffeln vom Fuß und zog die dicke schwarze Wollsocke an deren Spitze zurecht, wo der nicht allzu saubere Nagel des großen Zehs aus einem Loch hervorlugte. Albert war ein seltsamer Kauz, ein außergewöhnliches Mitglied des Haushalts, nicht nur was ihn selbst und seine Aufgaben betraf, sondern auch in Beziehung...

Inhaltsverzeichnis

  1. Titelseite
  2. Impressum
  3. Kapitel 1
  4. Kapitel 2
  5. Kapitel 3
  6. Kapitel 4
  7. Editionsplan