Eine Frage der Erziehung
Ein Tanz zur Musik der Zeit – Band 1
- 256 Seiten
- German
- ePUB (handyfreundlich)
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Über dieses Buch
Der zwölfbändige Zyklus »Ein Tanz zur Musik der Zeit« — aufgrund seiner inhaltlichen wie formalen Gestaltung immer wieder mit Marcel Prousts »Auf der Suche nach der verlorenen Zeit« verglichen — gilt als das Hauptwerk des britischen Schriftstellers Anthony Powell und gehört zu den bedeutendsten Romanwerken des 20. Jahrhunderts. Inspiriert von dem gleichnamigen Bild des französischen Barockmalers Nicolas Poussin, zeichnet der Zyklus ein facettenreiches Bild der englischen Upperclass vom Ende des Ersten Weltkriegs bis in die späten sechziger Jahre. Aus der Perspektive des mit typisch britischem Humor und Understatement ausgestatteten Ich-Erzählers Jenkins — der durch so manche biografische Parallele wie Powells Alter Ego anmutet — bietet der »Tanz« eine Fülle von Figuren, Ereignissen, Beobachtungen und Erinnerungen, die einen einzigartigen und aufschlussreichen Einblick geben in die Gedankenwelt der in England nach wie vor tonangebenden Gesellschaftsschicht mit ihren durchaus merkwürdigen Lebensgewohnheiten. So eröffnet Powell seinen »Tanz« in dem Band »Eine Frage der Erziehung« mit Szenen der Jugend: Jenkins in der Abschlussklasse des College, während eines Sprachaufenthalts in Frankreich sowie beim Five O'Clock Tea seines Universitätsprofessors. Der historische Hintergrund, hier die 1920er Jahre, scheint dabei immer wieder überraschend schlaglichtartig auf.
Häufig gestellte Fragen
Information
Die Männer, die an der Ecke der Straße arbeiteten, hatten sich eine Art Lager aufgeschlagen, wo – durch rote, an dreibeinigen Ständern hängende Sturmlampen markiert – ein tiefes Loch in der Fahrbahn zu dem Netzwerk der unterirdischen Abwasserrohre hinabführte. Um den Eimer mit brennendem Koks vor dem Schutzzelt scharten sich mehrere Gestalten. Mit großen, pantomimischen Gebärden, wie Komiker, die durch Gesten die Vorstellung extremer Kälte vermitteln wollen, rieben sie sich die Hände und schlugen die Arme um ihre Körper. Einer von ihnen, ein hagerer Kerl in blauem Monteuranzug, größer als die übrigen, von spaßigem Gebaren und mit langer, spitzer Nase wie ein Shakespeare’scher Narr, trat plötzlich hervor und warf, als vollzöge er einen Ritus, einen Gegenstand – offensichtlich die lose in Zeitungspapier eingewickelten Reste zweier Bücklinge – auf die glühenden Kohlen. Die Flammen züngelten wild auf, und der Rauch drehte sich hoch in die Wirbel des Nordostwindes. Während der dunkle Qualm über die Häuser glitt, begann es leise aus einem trüben Himmel zu schneien, wobei jede der Flocken kurz aufzischte, wenn sie den Kokseimer erreichte. Die Flammen fielen wieder in sich zusammen, und die Männer wandten sich alle – so als ob die religiösen Pflichtverrichtungen für den Augenblick beendet seien – vom Feuer ab, ließen sich umständlich in die Grube hinab oder zogen sich in das Dunkel ihres Zeltunterstandes zurück. Der Schnee fiel weiter in grauen, zögernden, nicht sehr dichten Flocken, während ein scharfer Geruch bitter und gasig die Luft durchdrang. Der Tag neigte sich dem Ende zu.
Wenn der Winter in jenes Flusstal vorrückte, stiegen gewöhnlich am späten Nachmittag die Nebel auf und streckten sich über das überflutete Gras, bis das Haus und all die Außenbezirke der Stadt eingehüllt waren in undurchsichtigen, frostigen, zigarrenrauchfarbigen Dunst. Das Haus sah auf andere mietskasernenähnliche Gebäude, die – Experimente in architektonischer Bedeutungslosigkeit – sich hineindrängten in den den Mittelpunkt bildenden Komplex eindrucksvoller, altertümlicher Bauten, die in vierseitigem, aber unregelmäßigem Stil angelegt waren. Angeschwemmte Rückstände der Jahre schwelten ungestört – und nicht ohne Melancholie – in dem rotbraunen Backsteingemäuer dieser mittelalterlichen Einfriedungen. Auch jenseits ihrer Kopfsteinpflaster und Bogengänge, mehr nach Norden hin, zwischen den Wiesen am Fluss und den Baumalleen, brütete, nicht weniger rätselhaft und untröstlich, die Erinnerung; und manchmal wurde ich fast erdrückt von der Dringlichkeit, mit der die Vergangenheit ihre schwermütigen Forderungen erhob.
Inhaltsverzeichnis
- Titelseite
- Impressum
- Kapitel 1
- Kapitel 2
- Kapitel 3
- Kapitel 4
- Nachwort
- Editionsplan