Kritische Gerontologie
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Kritische Gerontologie

Eine Einführung

  1. 146 Seiten
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Kritische Gerontologie

Eine Einführung

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Über dieses Buch

Der Band führt in die Grundlagen der Kritischen Gerontologie ein und spannt dabei den Bogen von ihrer Theoriegeschichte bis zur Anwendung in der Praxis Sozialer Arbeit. Ausgewählte gerontologische Ansätze werden anhand von Schlüsseltexten referiert und vergleichend sowie im Kontext Sozialer Arbeit auf ihr kritisches Potenzial geprüft. Daraus ergibt sich ein systematischer und verständlicher erster Überblick über Zugänge zu Fragen des Alter(n)s in der Tradition Kritischer Wissenschaft.

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Information

Jahr
2021
ISBN
9783170319257

1          Zur Einführung

Kirsten Aner & Klaus R. Schroeter

»[W]ie müßte eine Gesellschaft beschaffen sein, damit ein Mensch auch im Alter ein Mensch bleiben kann? Die Antwort ist einfach: er muß schon immer als Mensch behandelt worden sein.« (de Beauvoir, 1978, S. 466)
Könnte man nicht meinen, damit sei alles Nötige zur Kritischen Gerontologie gesagt?!
Die hier vorliegende Einführung in die Kritische Gerontologie soll dieses Postulat um wissenschaftliche Überlegungen erweitern. Ein Ausgangspunkt der Beschäftigung mit Kritik bzw. kritischer Wissenschaft ist für viele der am wissenschaftlichen Diskurs Beteiligten ein Zeitschriftenbeitrag von Horkheimer (1988 [1937]), in dem er die »kritische« Theorie einer »traditionellen« gegenüberstellt. Dieser Beitrag beruht auf seiner Einschätzung der Entwicklung der Geistesgeschichte seit Hegel. Er beschreibt ein folgenschweres Auseinanderdriften von philosophischem Denken und empirischer Forschung, ein arbeitsteiliges Nebeneinander von »zeitgenössischer Methaphysik« und »Szientismus«. Losgelöst von philosophischer Selbstvergewisserung verkomme die Erkenntnis der Wirklichkeit zu einer bloßen Tatsachenforschung. Eine derart »positivistische« Wissenschaft, die sich selbst als jenseits aller Interessen begreift, bezeichnet er als »traditionelle« Theorie. Sie sei nicht in der Lage, die Gesellschaft an einer übergreifenden Idee der Vernunft zu messen. Ihr stellt Horkheimer die »kritische« Theorie gegenüber, die sich des eigenen sozialen Entstehungszusammenhangs wie auch ihres praktischen Verwendungszusammenhangs permanent vergewissert.
Um zu zeigen, wie sich diese von Horkheimer grundlegend formulierte und später von der sog. Frankfurter Schule weiterentwickelte erkenntnis- und wissenschaftstheoretische Auseinandersetzung in der Altersforschung niederschlug, skizziert Klaus R. Schroeter im zweiten Kapitel die historische Entwicklung der Kritischen Gerontologie in groben Umrissen. Dabei wird das andauernde Ringen um eine Antwort auf die Frage deutlich, was unter Kritischer Gerontologie zu verstehen sei – ein Prozess, der gerade in seiner Unabgeschlossenheit der Forderung Horkheimers entspricht, dass sich (kritische) Wissenschaftler/-innen der eigenen Position in der Gesellschaft ständig bewusst bleiben müssen.
Das dritte Kapitel führt vor dem Hintergrund der Permanenz und Vielgestaltigkeit des Diskurses über Definitionen einer Kritischen Theorie zunächst in die Prämissen ein, die wir der Auswahl der nachfolgenden Beiträge zur Kritischen Gerontologie zugrunde legen. Dabei folgt Kirsten Aner Überlegungen von Baars (1991), der die erkenntnis- und wissenschaftstheoretische Gemeinsamkeit der diversen Ansätze in ihrer Sensibilität für die soziale Konstitution der Wissenschaft sieht. Dieses um die Frage nach dem Subjekt- und Gesellschaftsbezug erweiterte Kriterium leitete uns bei der Auswahl der in diesem Band vorgestellten Ansätze in der Kritischen Gerontologie. Sie werden hier anhand von Schlüsseldokumenten vorgestellt, die jeweils stellvertretend für einen Ansatz stehen.1
Im sich anschließenden vierten Kapitel referieren und diskutieren verschiedene Beitragsautorinnen und -autoren die ausgewählten Dokumente entlang folgender Gliederung: Kurzdefinition des Ansatzes, Kurzportrait der Verfasser/-innen des Schlüsseldokuments, Kernaussagen des Textes (Ausgangspunkt und Argumentation), Ergänzungen (aus weiteren Texten des Autors/der Autorin sowie anderer, ähnlich oder ggf. auch kontrovers argumentierender, Autor/-innen), Grenzen und offene Fragen des jeweiligen Ansatzes. Ann-Christin Heming und Marina Vukoman befassen sich mit der ›Political Economy of Aging‹. Kai Brauer widmet sich dem Ansatz, der Alter als ›Stigma‹ fasst. Katrin Falk zeichnet für die Skizze des Ansatzes ›Ageism‹ und Mariam Grates für die der ›Humanistic Gerontology‹ verantwortlich. Ansätze der ›narrativen Gerontologie‹ stellt Ludwig Amrhein vor, ›feministische‹ und ›intersektionale‹ Ansätze Erna Dosch. Klaus R. Schroeter und Harald Rüßler befassen sich mit ›Foucauldian Gerontology‹. In die ›kulturwissenschaftlichen‹ Perspektiven führt Carolin Kollewe ein. In einem weiteren Unterkapitel fasst Kirsten Aner die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Ansätze hinsichtlich ihrer jeweiligen erkenntnis- und wissenschaftstheoretischen Positionen sowie ihres Subjekt- und Gesellschaftsbezugs zusammen.
Das fünfte Kapitel widmet sich einem ausgewählten praktischen Verwendungszusammenhang. Kirsten Aner skizziert exemplarisch im Kontext Sozialer Arbeit mit älteren Menschen, wie Kritische Gerontologie für eine Praxis bedeutsam werden kann.
Anliegen des Bandes ist, Studierenden der Sozial- und Verhaltenswissenschaften und der Sozialen Arbeit, Wissenschaftler/-innen dieser Disziplinen und Fachleuten in der Praxis einen ersten Überblick über die Kritische Gerontologie zu bieten. Der Überblick anhand ausgewählter Schlüsseldokumente kann nur ein erstes Hilfsmittel sein, um den Einstieg in die Auseinandersetzungen mit der Kritischen Gerontologie zu erleichtern. Die Lektüre der Originaltexte kann und soll er nicht ersetzen.
Wir verzichten im Rahmen dieser Einführung auf den Anspruch einer vollständigen Erfassung kritisch gerontologischer Zugriffe auf das Alter. Unser Blick bleibt weitgehend auf die Kritische Gerontologie in der Tradition angloamerikanischer Sozialforschung beschränkt. Außen vor bleiben Autor/-innen, die sich selbst nicht dem einschlägigen Diskurs zuordneten, deren Überlegungen darin wenig rezipiert wurden, die gleichwohl durchaus als kritisch gerontologisch gelesen werden könnten. Die hier ausgewählten einzelnen Ansätze oder Strömungen innerhalb der Kritischen Gerontologie werden nicht en detail vorgestellt, sondern lediglich anhand eines jeweiligen Schlüsseldokuments diskutiert. Dabei bleiben notwendigerweise viele Facetten und Kontroversen unberücksichtigt. Die hier vorgestellten Autorinnen und Autoren werden nicht im Kontext ihres gesamten Œuvres, sondern nur über einen ihrer zumeist mehreren oder vielen Beiträge zur Kritischen Gerontologie wahrgenommen und gewürdigt. Andere Vertreterinnen und Vertreter, die für den einen oder anderen hier genannten Pfad der Kritischen Gerontologie stehen, werden von den Beitragsautoren/-innen unter dem Stichwort »Ergänzungen« erwähnt, manche bleiben ungenannt.

Danksagung

Wir teilen die Auffassung des Bourdieu-Schülers Loïc Wacquant (1996), wissenschaftliche Reflexivität sei ein »kollektives Unternehmen und nichts, was dem Wissenschaftler individuell aufzubürden wäre« (ebd., S. 63).2 Der hier vorliegende Band stellt einen kollektiven Versuch dar, zu einer kritischen Reflexivität in Gerontologie und Sozialer Altenarbeit beizutragen. Es ist uns deshalb ein wichtiges Anliegen, allen zu danken, die daran beteiligt waren.
Die Idee zu diesem Buch ist auf dem 14. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie (DGGG) im September 2016 in Stuttgart entstanden, konkret nach einer kontroversen Diskussion bei einem Symposium zum Thema »Gerontologische Konzepte und Kritische Gerontologie«, das vom Arbeitskreis Kritische Gerontologie der DGGG3 vorbereitet worden war. In der Diskussion wurden neben den üblichen Fragen und übereinstimmenden Positionen auch Missverständnisse offensichtlich, die es miteinander und im Interesse der Gerontologie zu klären galt (und weiter gilt). Wir danken deshalb allen Organisator/-innen und Teilnehmer/-innen des Symposiums, die mit ihren Fragen und Anmerkungen den Anstoß zu diesem Band gaben. Dank gilt auch den ›fragenden‹ Studierenden an unseren beiden Hochschulen. Vor allem aber sind wir den Beitragsautor/-innen zu Dank verpflichtet, die sich intensiv mit jeweils einem der von uns ausgewählten Ansätze befassten und sich darauf einließen, die Fülle der dabei gewonnenen Erkenntnisse in komprimierter Form darzustellen. Ohne die gemeinsame Arbeit hätte die Idee nicht umgesetzt werden können.
Zu danken haben wir auch Sabine Stange für ihre Korrekturen im Manuskript sowie Kathrin Kastl als Lektorin des Kohlhammer Verlags.

Literatur

de Beauvoir, S. (1978). Das Alter. Reinbek: Rowohlt.
Hammerschmidt, P., Aner, K. & Weber, S. (2017). Zeitgenössische Theorien Sozialer Arbeit. Weinheim & München: Beltz Juventa.
Horkheimer, M. (1988 [1937]). Traditionelle und kritische Theorie. In A. Schmidt & G. Schmidt Noerr (Hrsg.), Max Horkheimer. Gesammelte Schriften (S. 162–225). Frankfurt: Fischer.
Schultheis, F. (2019). Unternehmen Bourdieu. Ein Erfahrungsbericht. Bielefeld: transcript.
Wacquant, L. (1996). Auf dem Weg zu einer Sozialpraxeologie. Struktur und Logik der Soziologie Pierre Bourdieus. In P. Bourdieu & L. Wacquant. Reflexive Anthropologie (S. 17–93). Frankfurt am Main: Suhrkamp.
1     Diese Konzeption geht auf eine Idee von Peter Hammerschmidt zurück, die er für den Band »Zeitgenössische Theorien Sozialer Arbeit« (Hammerschmidt et al., 2017) entwickelt hat und die wir dankenswerterweise übernehmen durften.
2     Zu Idee und Praxis des »kollektiven Intellektuellen« im Schaffen Bourdieus vgl. Schultheis 2019.
3     Heute: Fachausschuss Kritische Gerontologie der DGGG.

2 Zur historischen Entwicklung der Kritischen Gerontologie

Klaus R. Schroeter

2.1 Vorbemerkungen

›Kritische Gerontologie‹ ist ein Label, das mitunter eingesetzt wird, um einen Unterschied zur ›herkömmlichen‹, ›traditionellen‹ oder ›instrumentellen‹ oder auch ›angewandten‹ Gerontologie zu markieren. Sie wendet sich gegen die Vorstellung, dass die ›Wahrheit‹ über das Altern objektiv zu messen sei, und gegen das Vorhaben, den Prozess des Alterns durch den Erwerb solch eines Wissens zu kontrollieren (vgl. Jamieson & Victor, 1997, S. 177). Sie versteht sich als Antonym zur konventionellen Altersforschung, die einen Beitrag zur Reifikation des Status quo leiste, indem sie nicht nur die Werkzeuge liefere, um menschliches Verhalten vorherzusagen und zu kontrollieren, sondern auch professionelle Interventionen legitimiere und damit Herrschaftsformen in Theorie und Praxis verstärke (vgl. Moody, 1988b, S. 33). Eine solche Sicht hat jedoch ihre Tücken, weil damit eine Grenze zwischen ›kritischer‹ und nicht kritischer oder ›unkritischer‹ Gerontologie gezogen wird. Und so mahnen auch Vertreterinnen und Vertreter der Kritischen Gerontologie davor, unnötige Gräben zu ziehen:
Stephen Katz hat es als einen der Augenöffner in seinem Leben als »selbstcharakterisierter kritischer Gerontologe« (Katz, 2015, S. 30)4 bezeichnet, als er in der Diskussion zu seinem Beitrag über Gerontologie und kritische Theorie auf einem Symposion von einem Kollegen eindringlich darauf aufmerksam gemacht wurde, dass Gerontologen schon immer kritische Denker gewesen seien und seit Jahrzehnten soziologische Ideen über soziale Ungleichheit und politische Ökonomie in die Gerontologie eingeführt hätten, ohne sich selbst als kritische Gerontologen zu bezeichnen (vgl. ebd., S. 30). Victor Marshall hatte zuvor beklagt, dass Kritische Gerontologen viel Zeit darauf verwenden, andere zu kritisieren und er sich selber nicht als kritischen Gerontologen betrachte, »weil ich die von vielen, die sich selbst so bezeichnen, eingenommene Haltung ablehne, die so viel gute Arbeit kritisiert. Ich schätze Arbeiten, und arbeite an einigen, die von vielen kritischen Theoretikern verurteilt würden, weil sie in den positivistischen Forschungsmodus fallen, Forschungen, die meiner Meinung nach einen Unterschied gemacht haben« (Marshall, 2009, S. 652). Insofern sei die Kritische Gerontologie in den Worten von Holstein und Minkler gut beraten, sich mit der traditionellen Sozialgerontologie in einer »ernsthaften, aber respektvollen Kritik« auseinanderzusetzen, da »da wir [i.e. Holstein und Minkler, K.R.S.] ähnliche Ziele, aber unterschiedliche Ansätze, Wissensquellen und erkenntnistheoretische Positionen verfolgen« (Holstein & Minkler, 2007, S. 13). In ähnlicher Weise hatte Moody davon gesprochen, dass die Kritische Gerontologie »keine Feindseligkeit oder Polemik fördern (muss), aber sie sollte oppositionell sein und bewusst unbequeme Fragen über die Hegemonie von Theorie und Methoden in der Mainstream-Gerontologie stellen« (Moody, 1993, S. XXI).5
Den Ursprung der Kritischen Gerontologie zu finden, ist kein leichtes Unterfangen. Mit etwas Phantasie könnte man ihn auch gleich in der Gründungsphase der Gerontologie suchen, als der kanadisch-amerikanische Biologe Edmund Vincent Cowdry (1888–1975)6 im Anschluss an die 1937 in Woods Hole...

Inhaltsverzeichnis

  1. Deckblatt
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Autor/-innen
  5. Inhalt
  6. 1 Zur Einführung
  7. 2 Zur historischen Entwicklung der Kritischen Gerontologie
  8. 3 Zu den Prämissen Kritischer Gerontologie
  9. 4 Zu ausgewählten Ansätzen der Kritischen Gerontologie
  10. 5 Zur Kritischen Gerontologie im Kontext Sozialer (Alten-)Arbeit