Tagungsband zum Symposion Dürnstein 2021
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Tagungsband zum Symposion Dürnstein 2021

Lebensmittel Bildung: was wir in unbeständigen Zeiten brauchen

  1. 152 Seiten
  2. German
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Tagungsband zum Symposion Dürnstein 2021

Lebensmittel Bildung: was wir in unbeständigen Zeiten brauchen

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Über dieses Buch

Das jährlich von der Gesellschaft für Forschungsförderung NÖ veranstaltete Symposion Dürnstein ist ein internationaler Gedankenaustausch an der Schnittstelle von Philosophie, Religion und Politik. Referent*innen und Teilnehmer*innen aus unterschiedlichen Disziplinen können so Impulse setzen und Neues entstehen lassen.

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Information

Verlag
tredition
Jahr
2021
ISBN
9783743925144
BIRGITTA FUCHS
BILDUNG IM DIGITALEN ZEITALTER: WARUM ÄSTHETIK
1.
Es bedarf sicherlich keiner großen Anstrengung, um nachzuweisen, dass die Ästhetik auch im Zeitalter der zunehmenden Digitalisierung eine bedeutende Rolle spielt, zumal wenn man sich dem Bildungsthema zuwendet. Die Relevanz ästhetischer Erziehung und Bildung soll im Folgenden unter einer ganz bestimmten Perspektive beleuchtet werden, nämlich im Hinblick auf die nicht von der Hand zu weisenden Gefahr einer Enthumanisierung und Verrohung von personaler Interaktion und Kommunikation in den sogenannten sozialen Netzwerken. Es wird also vorrangig darum gehen, die Wirkung ästhetischer Erziehung und Bildung für kultivierte gesellschaftliche und politische Kommunikationsformen und damit für eine humane Gesellschaft aufzuzeigen. Unter der Hand wird damit zugleich ein Bezug zu dem übergreifenden Thema des diesjährigen Symposions hergestellt: Was wir in unbeständigen Zeiten brauchen?
Unbeständige, kontingente und krisenbehaftete politische und soziale Verläufe stellen uns vermehrt vor die Herausforderung, in grundlegenden politischen, sozialen und ethischen Fragen einen gesellschaftlichen Konsens auszuhandeln. Dabei handelt es sich um mühsame und von Rückschlägen bedrohte Prozesse, deren erfolgreicher Verlauf eine Argumentations- und Kommunikationskultur voraussetzt, die auf gegenseitiger Anerkennung, Toleranz und Wertschätzung beruht, rein affektgesteuertes Agieren hemmt und egoistisch motivierte Eigeninteressen so weit wie nur immer möglich auszuschließen sucht.
Kultivierte Kommunikationsformen als Basis einer humanen Gesellschaft, so meine These, setzen ästhetische Erziehung und Bildung voraus.
Um diese These zu stützen, soll an Friedrich Schiller erinnert werden, der in seinen berühmten Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen auf der Grundlage der Ästhetik Kants eine der bedeutendsten und wirkmächtigsten Theorien ästhetischer Bildung entwickelt hat. Mit seiner berühmten These, dass der Mensch nur da ganz Mensch sei, wo er spielt, d.h. wo er sich ästhetisch verhält, hat sich Schiller einen festen Platz in der Geschichte und Systematik der neuhumanistischen Bildungstheorie gesichert.3
Der Bezug auf Schiller empfiehlt sich aus zwei Gründen: Zum einen sah sich auch Schiller inmitten der Wirren der Französischen Revolution und angesichts massiver gesellschaftlicher Transformationsprozesse mit überaus unbeständigen Zeiten konfrontiert und zum anderen hatte Schiller nicht nur die Erfahrung der ästhetischen Phänomene des Schönen und Erhabenen für die Bildung des Subjekts im Blick, sondern auch die Humanisierung gesellschaftlicher Umgangs- und Kommunikationsformen und zwar durch das, was man zur Zeit Schillers als Geschmacksbildung bezeichnet hat. Mit diesem Projekt reiht sich Schiller in eine Reihe von Versuchen ein, die am Beginn der industriellen Revolution Räume freier und zweckentbundener Geselligkeit konstruierten, die als idealistische Gegenentwürfe zu einer Gesellschaft konzipiert waren, die sich zunehmend dem Leistungs- und Effektivitätsprinzip verschrieb und dadurch das Humane preiszugeben drohte. Eine durch Ästhetik zur Lebenskunst überhöhte Realität sollte die Erfahrung einer alternativen, zweckentlasteten Lebenspraxis ermöglichen, eine Erfahrung von der man hoffte, dass sie ihre humanisierende Wirkung auch in den Bereichen der beruflichen, gesellschaftlichen und politischen Interaktion entfalten würde.
Schiller konstruiert mit seiner Idee des „ästhetischen Staates“ inmitten eines als zunehmend bedrückend und belastend empfundenen Alltags „gesegnete Zonen“4 humaner Geselligkeit, in der sich die Interaktion durch kultivierte Umgangsformen und eine „schöne Mitteilung“ zur ästhetisch gestifteten Lebenskunst steigert, und zwar durch einen von ästhetisch gebildeten Subjekten selbst erzeugten „schönen Schein“, der eine „gemeine Wirklichkeit“ durch seine Form zu veredeln vermag.5 Gemeint sind damit keine gekünstelten Manieren oder die geheuchelte Beachtung steifer Anstandsregeln, sondern eine auf Achtung und Respekt beruhende Kommunikation, die im einzelnen Subjekt die ästhetisch gestiftete innere Freiheit voraussetzt und die den anderen als Selbstzweck zu respektieren weiß.
In eine ähnliche Richtung weist auch der von Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher 1799 anonym publizierte Versuch einer Theorie des geselligen Betragens. Als reformierter Prediger an der Berliner Charité fand Schleiermacher Zugang zu den geselligen Kreisen der aufgeklärten Intellektuellen Berlins. Inspiriert durch diese Erfahrungen, stellte Schleiermacher den selbstzweckhaften Bereich der freien Geselligkeit gleichberechtigt neben Politik, Wissenschaft und Religion. Vor allem das gesellige Gespräch als Medium individueller Bildung wird nach Schleiermacher „von allen gebildeten Menschen als eines ihrer ersten und edelsten Bedürfnisse laut gefordert.“ In der freien Geselligkeit findet der Einzelne einen geschützten Raum, in dem er sich „dem freien Spiel seiner Kräfte überlassen“, ungeachtet beruflicher Interessen und familiärer Verpflichtungen zu entfalten vermag.6
Ermutigt wurde ich zu dieser Herangehensweise durch Jürgen Habermas, der in seinen Vorlesungen über den Philosophischen Diskurs der Moderne (1985) Schillers Ästhetischen Briefen einen eigenen Exkurs gewidmet hat. Habermas findet in den Ästhetischen Briefen „die erste programmatische Schrift zu einer ästhetischen Kritik der Moderne“, die sich als Welt des Fortschritts und des entfremdeten Geistes zugleich versteht.7 Dass Schillers Theorie einer ästhetischen Erziehung und Bildung auch heute noch auf großes Interesse stößt, lässt sich nach Habermas damit erklären, dass Schiller eine „ästhetische Utopie“ entwirft, die der Kunst eine geradezu „sozial-revolutionäre Rolle“ zuschreibt.8 Schillers „ästhetische Utopie“ intendiere nicht nur eine „Ästhetisierung der Lebensverhältnisse“, sondern auch eine „Revolution der Verständigungsverhältnisse“ in schwierigen Zeiten.9
2.
In seinem Brief an den Augustenburger Prinzen vom 13. Juli 1793 weist Schiller explizit darauf hin, dass es bei dem ästhetischen Thema vorrangig um die Beantwortung der Frage geht, wie sich die Schönheit einerseits gegen „den menschlichen Geist überhaupt“ und andererseits „gegen die Zeit“ verhält.10 Damit sind die beiden Momente benannt, um die es in Schillers ästhetischer Bildungstheorie geht: Erstens um die Bedeutung der Ästhetik für die Bildung des Menschen sowie zweitens um die Wirkung einer als autonom gedachten Kunst in der modernen, durch Fragmentarisierung und Entfremdung charakterisierten Gesellschaft. Das große Thema der Ästhetischen Briefe ist die von Schiller konstatierte integrative Leistung der Ästhetik: Im einzelnen Individuum wird durch die ästhetische Erziehung und Bildung der innere Widerspruch zwischen Sinnlichkeit und Vernunft, Neigung und Pflicht soweit aufgehoben, dass die ästhetisch gestiftete innere Freiheit (die „ästhetische Freiheit“) den Weg zur moralischen Autonomie erleichtert. Von einer ästhetisch kultivierten Urteilskraft („Geschmack“) erwartet Schiller nicht nur eine Humanisierung gesellschaftlicher Umgangs- und Kommunikationsformen, sondern auch die Überwindung der Widersprüche einer mit sich selbst entfremdeten Moderne.
3.
Ein Hauptmotiv für Schillers ästhetische Theorie bildet seine überaus scharfsichtige Gesellschafts- und Kulturkritik. Schiller ging es unter anderem darum, das Ästhetische sowohl gegen die rationalistischen Verkürzungen der Aufklärung als auch gegen einen durch Nützlichkeitskalkül bestimmten Zeitgeist zu verteidigen, um dadurch einer offensichtlichen Engführung des Bildungsdiskurses im Zeitalter der Aufklärung entgegenzuwirken. Schon diese Intention macht ihn für uns heute interessant. Zu diesem Ergebnis kommen unter anderen Jürgen Stolzenberg und Lars-Thade Ulrichs in ihrem Vorwort zu dem von ihnen 2010 herausgegebenen Band Bildung als Kunst. Im Blick auf die aktuelle Gegenwart, die sich bekanntlich als „Wissens- und Informationsgesellschaft“ versteht, ist nach dem Urteil der beiden benannten Autoren insofern eine Verlustrechnung aufzumachen, als die „bloße Akkumulation von Wissen und dessen möglichst rasche und erfolgsorientierte Anwendung“ wichtige Einsichten und Gewinne der Tradition der Bildungsbewegung des 18. und 19. Jahrhunderts verspielt, die sich um einen „emphatischen Begriff“ der ästhetischen Bildung zentrieren.11 Dieser Begriff gehört nicht zu den Bildungsgütern, die auch und gerade im digitalen Zeitalter schadlos zu entsorgen sind, zumal Schillers Konzept einer ästhetischen Erziehung auf ein Bildungsproblem aufmerksam macht, dass sich, so die These dieses Beitrages, in unserer digitalen Welt noch erheblich verschärft.
Die Aktualität des Schillerschen Ansatzes zeigt sich auch darin, dass seine Apologie des Ästhetischen vor dem Hintergrund des politischen Großereignisses der Französischen Revolution erfolgt und dadurch eine ungeahnte politische Dimension erlangt. Offensichtlich sieht Schiller einen Zusammenhang von ästhetischer Bildung und staatsbürgerlicher Performanz. Schillers politisch-ästhetisches Programm dient nämlich der Bildung republiktauglicher Bürger. So unterstreicht auch Wilfried Noetzel die „prinzipielle Modernität“ von Schillers theoretischem Ansatz für eine parlamentarische Demokratie.12 Noetzel betont vor allem die Aktualität von Schillers Geschmackspädagogik für ein demokratisches Staatswesen, dessen „Humanität“ nicht allein durch das Grundgesetz verbürgt werden kann, sondern erst durch die „moralisch-politische Kompetenz und sittlich-kommunikative Performanz seiner Bürger“ auf eine sicheren Grundlage gestellt wird.13 Eine Ästhetisierung der Umgangsformen könne nach Schiller zumindest bewirken, dass die „interessenverhaftete und konfliktäre Aggressivität“ eines „naturwüchsigen Konkurrenzverhaltens“ soweit gemildert und die Vernunftfreiheit gesichert wird, dass der moralische Staat, so wie er sich vor dem Horizont der Französischen Revolution abzeichnet, die Möglichkeit auf Realisierung erhält.14 Mit seiner „kommunikativen Geschmackspädagogik“ sei es Schiller tatsächlich gelungen, den Weg „über die Versittlichung der Gesellungsformen zur Demokratisierung der Gesellschaft“ aufzuzeigen, der mit einer Verhaltensänderung seinen Anfang nimmt.15 Doch kehren wir zunächst zu Schiller zurück.
Das Jahrhundertereignis der Französischen Revolution, das mit dem Sturm auf die Bastille am 14. Juli 1789 in Paris seinen Anfang nahm, versetzte mit der Forderung nach politischer Freiheit in einem republikanischen Staatswesen nicht nur die deutschen Territorialstaaten, sondern ganz Europa in Aufruhr. Gebannt wurde der Blick nach Frankreich gerichtet, wo eine ganze Nation nicht nur bestehende Gesellschaftsstrukturen, sondern den absolutistischen Staat selbst „vor den Richterstuhl reiner Vernunft“ führt.16 Wie zahlreiche Intellektuelle und politisch Interessierte bringt auch Schiller zunächst seine Hochschätzung für das mutige Unternehmen des französischen Volkes zum Ausdruck, „die heiligen Menschenrechte“ und die politische Freiheit zu realisieren, das „Gesetz auf den Thron“ zu stellen und endlich den Menschen als Selbstzweck zu respektieren.17
Mit Entsetzen und Abscheu wurde jedoch der postrevolutionäre Terror und die anarchistische Auflösung bestehender politischer und gesellschaftlicher Strukturen in Frankreich zur Kenntnis genommen. Die Septembermorde des Jahres 1792, die Verurteilung König Ludwigs XVI. und seine Hinrichtung sowie die ...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titelblatt
  3. Urheberrechte
  4. Inhalt
  5. Geleitwort
  6. Vorwort
  7. Einleitung zum Tagungsband
  8. Eine Region, die auf Wissen Setzt: Alte Kultur Trifft auf Moderndes Denken
  9. Bildung – Ein Menschenrecht
  10. „Gebt der Natur nur das, was nötig ist, so gilt des Menschen Leben Wie das des Tiers!"
  11. Bildung im digitalen Zeitalter: Warum Ästhetik
  12. Education for Europe
  13. Bewegung und Berührung. Warum Körper Systemrelevant Sind
  14. Kultur und Bildung im Spiegel der Menschenrechte als zentrale Säule der Gesellschaft
  15. Dabeisein ist nicht alles – der blinde Fleck des Anspruchs auf „Teilhabe" in der Bildungspolitik
  16. Lebensmittel Bildung: Seelische Resilienz aus der Perspektive der positiven Psychologie
  17. Bildung in der Migrationsgesellschaft: Herausforderungen & Perspektiven
  18. Bildung in der Natur. Naturverbundenheit Durch Wildnispädagogik.
  19. Domestifikation des Wissens, Selbstaufklärung der Gesellschaft
  20. Bildung als Unterbrechung: Wie Erwachsenenbildung die Gesellschaft Zusammenhält.
  21. Vom Bild zur Bildung
  22. Bildung, ein Kinderspiel! Der Spieltrieb als Grundbedingung für Bildungsprozesse
  23. Superar: durch Musik Grenzen Überwinden
  24. Beziehungen im digitalen Raum
  25. Ästhetische Bildung
  26. Lebensmittel Bildung – ein Augenschmaus
  27. Autor*innenverzeichnis