Vertrauen im Beruf
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Vertrauen im Beruf

Wie man es aufbaut. Wie man es nutzt. Wie man es verspielt.

  1. 220 Seiten
  2. German
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Vertrauen im Beruf

Wie man es aufbaut. Wie man es nutzt. Wie man es verspielt.

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Über dieses Buch

Auf Vertrauen kommt es an - auch und gerade im Beruf. Welche Vorteile hat eine vertrauensbasierte Zusammenarbeit? Wann ist Vertrauen eine riskante Vorleistung? Wie können Sie verlorengegangenes Vertrauen zurückgewinnen? Dieses Buch gibt Ihnen Auskunft - fundiert, verständlich und praxisnah.Inhalte: - Wie Vertrauen zustandekommt, wie es sich im beruflichen Umfeld entwickelt und sich vom Vertrauen von Freunden unterscheidet- Wo Vertrauen förderlich und wo es eher hinderlich oder riskant ist- Wie es verspielt wird und man es wieder erwirbt- Mit einem Geleitwort von Jochen Mai: "Gesundes Vertrauen kennt Grenzen"

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Information

Verlag
Haufe
Jahr
2016
ISBN
9783648086834

1 Was ist Vertrauen?

„Lieber Geld verlieren als Vertrauen.“
Robert Bosch
Sagen wir es offen: Vertrauen ist ein etwas unscharfer Begriff. Das ist kein Nachteil. Fast könnte man sagen, es ist Teil des Programms. Denn dank dieser Unschärfe lässt sich Vertrauen vielfältig einsetzen, für die kleinen Alltäglichkeiten ebenso wie für die ganz großen Fragen. Und besonders interessant wird es, wenn die Bedeutung von Vertrauen hin- und hergeschoben wird, wenn es einmal ganz klein und einmal ganz groß gemacht wird. Dabei wird die Sache zusätzlich dadurch erschwert, dass sich Vertrauen einem direkten Zugriff überhaupt entzieht und man sich seiner nie so recht sicher sein kann. Je tiefer man nachbohrt und den Begriff hin- und herwendet, umso mehr scheint sich das Vertrauen zu verflüchtigen. Vertrauensvolle Beziehungen zeichnen sich gerade dadurch aus, dass nicht darüber gesprochen wird, wie sehr man sich vertraut; eben weil es sich von selbst versteht. Es erweckt sogar Argwohn, wenn jemand unvermittelt seine Vertrauenswürdigkeit thematisiert. Um Vertrauen werben sollte nur der, der es nicht hat. Ansonsten setzt er sich dem Verdacht aus, dass irgendetwas nicht stimmt.
Vertrauen zu anderen Menschen schätzen wir als etwas sehr Kostbares – und Seltenes. So wurde kürzlich in einem Internetforum die Frage diskutiert, wie vielen Menschen man wirklich vertrauen könne. Die meisten Antworten bewegten sich in einem Bereich zwischen null und drei Personen. Und in keinem Fall war jemand darunter, mit dem die Betreffenden beruflich zu tun hatten. So ist das eben, wenn man Vertrauen mit der Goldwaage misst: Es bleibt nicht viel davon übrig. Und in dunklen Momenten überfällt uns vielleicht sogar die Frage, wie sehr wir uns selbst trauen können. Denn es ist eine menschliche Grunderfahrung, dass wir manchmal ganz anders handeln, als wir möchten, und unseren eigenen Maßstäben nicht gerecht werden. Sogar uns selbst können wir also nicht immer über den Weg trauen. Wir täuschen uns, belügen uns und machen uns etwas vor. Und nach meinem Eindruck sind es gerade die vertrauenswürdigsten Mitmenschen, die zumindest versuchen, sich selbst nicht ganz auf den Leim zu gehen, und die sich deshalb selbst mit einer gewissen Distanz und einem gewissen Misstrauen beobachten. Wem können Sie wirklich vertrauen? Vielleicht nicht einmal sich selbst.
Auf der anderen Seite sind wir dann auch wieder sehr freigiebig mit unserem Vertrauen. Tagtäglich werfen wir damit nur so um uns. Ohne groß nachzudenken verlassen wir uns einfach auf unsere Mitmenschen. Wir vertrauen darauf, dass Züge halbwegs pünktlich fahren, Ärzte uns das richtige Medikament verschreiben, fremde Menschen auf unseren Koffer aufpassen, wenn wir sie freundlich darum bitten. Wir vertrauen einem Babysitter unser Kind an und unterschreiben Verträge, die wir nicht gelesen haben und/oder nicht verstehen. Wir vertrauen unserer Autowerkstatt, der Kassiererin im Supermarkt (wann haben Sie das letzte Mal das Wechselgeld nachgezählt?), wir vertrauen den Empfehlungen von Zeitungsredaktionen, welche Filme wir anschauen und welche Bücher wir lesen sollten. Mit einem Wort: Bei fast allem, was wir tun und lassen, ist ein wenig Vertrauen mit im Spiel, ohne dass wir ein Wort darüber verlieren. Dass wir überhaupt jemandem unser Vertrauen schenken, ist uns oft nicht einmal bewusst. Wir steigen nicht jeden Morgen in die U-Bahn in dem Bewusstsein, dass wir unser Leben jetzt den Bediensteten des öffentlichen Nahverkehrs anvertrauen.
Erst wenn irgendetwas schief geht, werden wir darauf aufmerksam: Wir haben auf etwas vertraut, was keineswegs sicher ist. Es kommt vor, dass Züge nicht pünktlich ankommen, Ärzte fragwürdige Medikamente verschreiben, Verträge, die wir nicht aufmerksam lesen, nachteilige Klauseln enthalten und Zeitungsredaktionen Filme und Bücher empfehlen, die uns langweilen oder verärgern. Wir hätten diesen Menschen nicht trauen dürfen. Haben wir aber doch und müssen nun die unangenehmen Folgen ausbaden. In Zukunft werden wir uns vorsehen: lieber mit dem Auto fahren (weil wir meinen, dann würden wir bestimmt rechtzeitig ankommen), den Arzt wechseln oder überhaupt auf alternative Heilmethoden umschwenken (weil eine Arbeitskollegin da gute Erfahrungen gemacht hat), und die Tipps der betreffenden Zeitungsredaktion werden wir in Zukunft ignorieren, um den Empfehlungen einer anderen Redaktion zu folgen. Kurz gesagt: Enttäuschtes Vertrauen kann dazu führen, dass wir anderen vertrauen, denen wir zuvor noch nicht vertraut haben. Nun bekommen sie auch ihre Chance.

1.1 Grundvertrauen in das Funktionieren der Welt

Uns bleibt eigentlich gar keine andere Wahl: Wir müssen uns auf zahllose Menschen verlassen, wenn wir überhaupt am gesellschaftlichen Leben teilnehmen wollen. In aller Regel bemerken wir dieses Vertrauen gar nicht. Es erscheint uns vollkommen selbstverständlich. Wir verlassen uns einfach darauf, dass die Welt im Wesentlichen funktioniert. Dass Trinkwasser aus der Leitung kommt, der Friseur mit der Schere umgehen kann und wir gefahrlos die Straße überqueren, wenn die Ampel grün für uns zeigt. Würden wir das nicht tun, hätten wir die allergrößten Schwierigkeiten. Wir wären gar nicht in der Lage, unseren Alltag zu meistern. Für dieses niederschwellige „Grundrauschen” an Vertrauen wird im Anschluss an die Terminologie von Niklas Luhmann der Begriff „Zuversicht” oder auch „Zutrauen” gebraucht. „Zuversicht” ist vielleicht kein ganz glücklicher Ausdruck, weil er sich in der Alltagssprache eher mit Hoffnung und Optimismus verbindet. Aber das, was damit bezeichnet ist, spielt für unser Thema eine wichtige Rolle. Es bildet eine Art Vertrauenssockel, auf dem wir unser tägliches Leben organisieren.
Nun kann auch dieser Vertrauenssockel Risse bekommen, wodurch unser gewohntes Leben mehr oder weniger stark beeinträchtigt wird. Wer beispielsweise Opfer eines Einbruchs oder eines Überfalls geworden ist, berichtet häufig, dass dieses Grundgefühl von Sicherheit und Vertrauen abhanden kommt. Und das wird als weit unangenehmer empfunden als der materielle Verlust. Es kann eine ganze Weile dauern, bis man sich wieder gefangen hat und zu seinem gewohnten Leben zurückkehrt. In solchen Phasen der Verunsicherung helfen vertrauensvolle Beziehungen zu den Mitmenschen, allmählich wieder Boden unter den Füßen zu bekommen und Zutrauen zu fassen.
Solange wir auf unserem Vertrauenssockel agieren, ist alles in Ordnung. Wir fühlen uns stark und handlungsfähig – und neigen dazu, den Sockel zu unterschätzen. Daher ist es gewiss hilfreich, sich hin und wieder zu vergegenwärtigen, auf was für einem breiten, stabilen und hohen Sockel an Vertrauen wir unser tägliches Leben bestreiten, ja, bestreiten müssen. Ohne diesen Vertrauenssockel würden wir uns nicht mehr aus dem Haus trauen. Und wir würden uns sogar dort noch bedroht fühlen. In aller Schärfe gesagt: Ohne Vertrauenssockel würden wir zu einem Fall für die Psychiatrie.
Natürlich gibt es auch wesentlich mildere Formen der Beeinträchtigung unseres Grundvertrauens. Wenn sich beispielsweise die gewohnte Situation ändert, der öffentliche Nahverkehr lahm gelegt wird, kein Wasser mehr aus der Leitung kommt oder uns einer der vertrauten Lebensmittelskandale heimsucht, dann stellen wir uns oft erstaunlich schnell um. Wir bilden Fahrgemeinschaften, versorgen uns mit Wasserflaschen aus dem Supermarkt oder ändern zeitweilig unseren Speiseplan. Anders gesagt; Wieder einmal greifen wir auf Alternativen zurück, denen wir nun vertrauen. Oftmals kennen wir diese Optionen schon und wissen, dass wir auf sie ausweichen können. In anderen Fällen sind wir gezwungen, uns auf etwas Neues einzulassen. Aber auch dort taxieren wir im Voraus, wie vertrauenswürdig die Sache ist. Wenn sich keine vertrauenswürdige Alternative findet, gibt es nur die Möglichkeit, gar nichts zu tun oder aber sich auf eine Option einzulassen, der man eigentlich gar nicht richtig traut: Vertrauen in Notwehr sozusagen.

1.2 Vertrauen in Notwehr und Als-ob-Vertrauen

Beim „Vertrauen in Notwehr” und dem „Als-ob-Vertrauen” handelt es sich um eine etwas paradoxe Angelegenheit. Dabei lassen wir uns auf eine Option ein, obwohl wir starke Vorbehalte haben. Wir schlucken gewissermaßen unser Misstrauen herunter, um handlungsfähig zu bleiben. Zum Beispiel misstrauen Sie Ihrem Arzt, der Bahn, den Nahrungsmittelherstellern oder Ihrer Autowerkstatt. Und Sie begeben sich trotzdem in ihre Hände. Was sollen Sie auch machen? Es gibt keine vertrauenswürdigere Alternative. Also entscheiden Sie sich für das kleinste Übel und hoffen das Beste.
Echtes Vertrauen ist das nicht. Denn es fehlt etwas Entscheidendes: Das „gute Gefühl”. Wir schenken doch nur dann Vertrauen, wenn uns einigermaßen wohl dabei ist. Sind wir skeptisch, dann wäre es doch wohl angemessener, von Misstrauen zu sprechen. Wir trauen der Sache ja gerade nicht – verhalten uns aber so, als ob wir es täten. Das unterscheidet das „Vertrauen in Notwehr” vom echten Misstrauen. Da bleiben wir nicht stumm, da teilen wir uns mit, da gehen wir eben nicht das Risiko ein und liefern uns dem Betreffenden aus. Das schließt nicht aus, dass wir mit ihm kooperieren. Aber alles, was er tut, versuchen wir so genau wie möglich zu kontrollieren. Bevor der Arzt mit seiner Behandlung beginnen kann, holen wir eine zweite Meinung ein. Das ist Misstrauen. Weicht die Zweitmeinung ab und begeben wir uns dann in die Behandlung von Arzt Nummer zwei, handelt es sich womöglich um „Vertrauen in Notwehr”, wenn wir dem zweiten Arzt nämlich genauso wenig trauen wie dem ersten, aber der Ansicht sind, dass irgendetwas getan werden muss, um unseren beklagenswerten Gesundheitszustand zu ändern. Die Pointe dabei: In aller Regel hat der zweite Arzt keine Ahnung von unserer „Notwehrsituation”, sondern geht davon aus, dass wir ihm vertrauen.
Ein solches Als-ob-Vertrauen mag etwas sonderbar anmuten. Doch wie meine Gespräche vermuten lassen, ist es weit verbreitet. Und ein besonders fruchtbarer Boden für diese knorrige Pflanze ist das Berufsleben. Sehr oft haben die Vorgesetzten keine Ahnung, wie wenig ihnen die Mitarbeiter vertrauen. Aber die haben ja keine Wahl. Was ihr Vertrauen betrifft, befinden sie sich in einer permanenten „Notwehrsituation”. Einer meiner Gesprächspartner schilderte den fast schon ein wenig traurigen Fall, wie sich ein Vorgesetzter in dem Als-ob-Vertrauen seiner Mitarbeiter geradezu badete: „Er lief durch die Abteilung wie der Kaiser ohne Kleider. Er genoss es, sich bestätigen zu lassen, wie vertrauensvoll wir zusammenarbeiteten. Uns war das unsagbar peinlich.”
Dabei handelt es sich nicht um ein rein vorgetäuschtes Vertrauen. Wer „in Notwehr” vertraut, lässt sich ja auf das Risiko ein, dass die Sache schief geht. Wer hingegen Vertrauen nur vortäuscht, trifft seine Vorkehrungen. Und auch das begegnet uns im Berufsleben nicht selten. Wir kommen auf das „Vertrauen in Notwehr” noch ausführlicher zu sprechen. Hier nur noch so viel: Es handelt sich um ein Vertrauen, das nicht sehr belastbar ist. Sobald sich eine vertrauenswürdige Option abzeichnet, ist die Zeit der „Notwehr” vorbei. Und es kann tatsächlich Vertrauen geschenkt werden. Allerdings sollte man sich nicht täuschen: Manche „Als-ob-Vertrauensverhältnisse” erweisen sich als ausgesprochen zählebig. Und man sollte auch eines nicht übersehen: Mit dem Als-ob-Vertrauen kann sich derjenige, der vertrauen „muss”, auch gegen Enttäuschungen schützen. Jemand, der „wirklich” vertraut, schlägt nach einem Vertrauensbruch nicht nur härter auf dem Boden der Realität auf, sondern seine Kompetenz steht in Frage, seine Mitmenschen zutreffend zu beurteilen. Wenn Sie hingegen „gleich so ein schlechtes Gefühl” bei der Sache hatten, wird Ihre Kompetenz in dieser Angelegenheit sogar noch bestätigt. Das nächste Mal hören Sie besser auf Ihr Bauchgefühl, sagen Sie sich. Haben Sie hingegen „wirklich” vertraut, stellt sich die Frage, woran Sie künftig Ihr Vertrauen festmachen wollen. Vielleicht sollten Sie aufpassen, sollten zusätzliche Informationen einholen oder jemanden um Rat fragen. Natürlich nur jemanden, der Ihr Vertrauen genießt.

1.3 Vertrauen im Beruf

Viele Menschen machen einen deutlichen Unterschied zwischen Vertrauen in ihrer Privatsphäre und Vertrauen in ihrem Berufsleben. Weit verbreitet ist die Auffassung, dass es „echtes Vertrauen” nur im privaten Bereich gebe, in der Partnerschaft, in der Familie und unter Freunden. Im Beruf sei das anders. Hier herrschten Taktik und Konkurrenz. Menschliche Beziehungen seien Mittel zum Zweck und weit weniger verlässlich.
Ob dies tatsächlich so ist, wollen wir mal offen lassen. Auch privat geht gelegentlich Vertrauen zu Bruch, während im Beruf gar nicht selten sehr verlässliche Beziehungen bestehen. Und doch gibt es einen wichtigen Unterschied zwischen beiden Bereichen: Im Beruf erfüllen wir eine bestimmte Funktion, wir handeln in einem vorgegebenen Rahmen, wir folgen einer mehr oder minder festgelegten Rolle. Das kann dazu führen, dass wir uns im Beruf anders verhalten, als wir es als Privatleute tun würden.
Darunter muss jedoch keineswegs unsere Vertrauenswürdigkeit leiden. Im Gegenteil, professionelle Standards sorgen dafür, dass unser Verhalten berechenbarer wird. Unser Gegenüber weiß, was er von uns erwarten kann und wo wir unsere Kompetenzen überschreiten würden. Im Privatleben sind solche Grenzen weit weniger klar gezogen. Wenn Sie sich nicht so verhalten, wie ich es gerne hätte, dann rechne ich das Ihnen zu: Sie wollten das so. Im Berufsleben haben Sie womöglich keine Wahl. Sie müssen so handeln. Und weil ich das weiß, nehme ich Ihnen das auch nicht persönlich übel. Ich erwarte es auch gar nicht anders von Ihnen.
Es kommt noch etwas hinzu: Der berufliche Rahmen stiftet oft überhaupt erst Vertrauen. Ich vertraue Ihnen, weil Sie Ärztin sind oder Busfahrer, bevor ich Sie überhaupt persönlich erlebt habe. Selbstverständlich können Sie dieses Vertrauen sehr schnell verspielen, wenn Sie Ihrer Aufgabe nicht gewachsen sind. Doch bekommen Sie in Ihrem Beruf einen Vertrauensvorschuss, den Sie sich als Privatperson erst verdienen müssten.
Auf der anderen Seite bleibt das Vertrauen im Beruf sehr viel stärker begrenzt, zeitlich und auch in der Sache. Auf die „Betriebstemperatur” des Vertrauens werden wir noch zu sprechen kommen. Es ist ein typisches Kennzeichen von Vertrauen im Beruf, dass es sich eher in gemäßigteren Zonen bewegt. Doch gerade das trägt häufig zu seiner Stabilität bei.

1.4 Vertrautheit als Voraussetzung von Vertrauen

„Ich traue ihm nicht. Wir sind Freunde.“
Bertolt Brecht
Sobald es um echtes Vertrauen geht (und nicht mehr um Notwehr), kommt ein wichtiger Faktor ins Spiel: Vertrautheit. Wir müssen diejenigen, denen wir vertrauen, einschätzen können. Wen wir nicht durchschauen, dem vertrauen wir nicht so recht. Vertrauen gründet in Vertrautheit. Und tiefes, belastbares Vertrauen entsteht nur dort, wo man sich gut kennt. Nach Möglichkeit so gut, dass einem auch die Schattenseiten des anderen nicht verborgen geblieben sind. Dies ist ein Thema, das in anderen Büchern über Vertrauen im Business gewöhnlich mit Stillschweigen übergangen wird und uns auch daher noch eingehender beschäftigen wird.
Dabei wirkt Vertrautheit allein nicht schon vertrauensbildend. Gelegentlich tritt der gegenteilige Fall ein: Allmählich geht uns auf, dass wir dem anderen keineswegs mit Vertrauen begegnen sollten, sondern sehr genau aufpassen müssen. Vertrauen und Misstrauen sind hier „funktional äquivalent”, wie die Soziologen sagen. Das muss die Gegenseite jedoch nicht daran hindern, uns noch näher zu rücken, um unser Vertrauen zu gewinnen, ja uns das Vertrauen regelrecht abzufordern, da wir uns ja nun schon so gut kennen (→ 2.7 „Kennenlernspiele”). Auch ein solches Vertrauen fällt eher in die „Notwehr”-Kategorie, die uns im Geschäftsleben wie erwähnt häufiger begegnet.
Es bleibt aber eine wichtige Tatsache, dass zum Vertrauen ein gewisses Maß an Vertrautheit dazugehört. Wir brauchen die Gewissheit, dass wir den anderen gut genug kennen, um ihm zu vertrauen. Wir brauchen Erfahrungen mit ihm, am besten solche, bei denen er sich bewähren musste. Dann sind wir eher bereit, jemandem Vertrauen zu schenken. Wir unterstellen, dass er oder sie sich in Zukunft ganz ähnlich verhalten wird. Dabei kommt es ganz darauf an, wie viel für uns und die Gegenseite auf dem Spiel steht. In gewissen Angelegenheiten vertrauen wir nur einer Person, die wir außerordentlich gut kennen und für absolut vertrauenswürdig halten. Es wäre fahrlässig und unpassend, jemanden damit zu behelligen, der uns nur oberflächlich bekannt ist. Gar nicht einmal so sehr, weil sich diese Person als unzuverlässig erweisen könnte, sondern weil sie selbst sich überrumpelt fühlt und den Vertrauensspender mit einem gewissen Argwohn betrachten dürfte. Wer allzu leichtfertig vertraut, sozusagen: ohne angemessene Vertrautheit, der erweckt selbst nicht gerade Vertrauen. Er geht nicht sorgfältig genug mit dem Vertrauen um.
Dabei gibt es durchaus Fälle, in denen es angemessen ist, auch völlig Unbekannten Vertrauen zu schenken. Und doch ist auch dort so etwas wie Vertrautheit mit im Spiel. Denn auch wenn wir sie nicht persönlich kennen, so ordnen wir diese Menschen doch in einen vertrauten Rahmen ein. Wir lassen die Leute von den Stadtwerken in unsere Wohnung, bezahlen beim Kellner für unseren Kaffee oder bitten einen Mitreisenden, einen Moment auf unser Gepäck aufzupassen. Wir tun dies, weil uns die betreffende Situation vertraut ist. Bei der Einschätzung der Situation halten wir uns an bestimmte Merkmale. Fehlen die, so werden wir misstrauisch. Sind wir es beispielsweise gewohnt, dass die Stadtwerke jeden Besuch vorher anmelden, lassen wir als rüstige Rentnerin den kräftigen jungen Herrn, der da vor unserer Tür steht, lieber nicht in die Wohnung – auch wenn er mit einem vermeintlichen Dienstausweis herumwedelt. Ebenso funktioniert unser Vertrauen zu dem unbekannten Mitreisenden. Können wir die Situation nicht einschätzen, werden wir ihn kaum mit unserer Bitte behelligen. Ebenso verhalten wir uns, wenn uns der Mitreisende irgendwie seltsam,...

Inhaltsverzeichnis

  1. Inhaltsverzeichnis
  2. Hinweis zum Urheberrecht
  3. Impressum
  4. Vielen Dank für Ihr Vertrauen!
  5. Geleitwort: Gesundes Vertrauen kennt Grenzen
  6. 1   Was ist Vertrauen?
  7. 2   Vertrauen aufbauen
  8. 3   Vertrauen nutzen
  9. 4   Vertrauen verspielen
  10. 5   Vertrauen zurückgewinnen
  11. Über den Autor
  12. Literatur