Grundgedanke
Der Begriff »Marketing« ist ein Kunstwort aus »to go into the market« (englisch für »in den Markt hineingehen«) und bezeichnet das Bestreben von Unternehmen, mithilfe von Marketingaktivitäten neue Märkte zu bilden und/oder bestehende Märkte zu gestalten bzw. zu beeinflussen.
Märkte – verstanden als Ort des Zusammentreffens von Angebot und Nachfrage – haben sich jedoch im Laufe der Zeit grundlegend geändert (vgl. hierzu Kreutzer 2013, S. 3 f.). So war es für anbietende Unternehmen (Hersteller oder Händler), wie es beispielsweise in der Nachkriegszeit in Deutschland der Fall war, kein Problem, Produkte abzusetzen. Engpässe bestanden vorwiegend in der Rohstoffbeschaffung und in der Produktion. Unternehmen befanden sich hier in der dominanten Marktposition. Die Kunden waren eher »ausgehungert«; Produkte wurden den Anbietern quasi »aus den Händen gerissen«, der Absatz passierte »von selbst«. Bei einer derartigen Situation des Nachfrageüberhangs wird auch von einem Verkäufermarkt gesprochen.
Heutzutage dagegen herrscht auf vielen Märkten ein Angebotsüberhang vor. Nicht alle Güter, die im Zuge der Massenproduktion hergestellt werden, können auf zunehmend gesättigten Märkten abgesetzt werden. Die Käufer haben die dominierende Marktposition und können entscheiden, welche Produkte sie aus der Vielzahl an Angeboten nachfragen. Es liegt ein Käufermarkt vor. Der zentrale Engpass der unternehmerischen Aktivität liegt nunmehr im Absatz bzw. beim Kunden. Diese Situation kennzeichnet die »Geburtsstunde« des Marketings.
Tabelle 1 fasst die charakteristischen Merkmale von Verkäufer- und Käufermärkten zusammen.
Im Zuge der Veränderung von Märkten hat sich zwangsläufig auch ein unterschiedliches Marketingverständnis ergeben (vgl. hierzu Homburg 2017, S. 6 ff.), wie es in Abbildung 1 illustriert wird.
[2]Merkmale | Verkäufermarkt | Käufermarkt |
Stadium der wirtschaftlichen Entwicklung | Mangel-/Knappheitswirtschaft | Überfluss-/Wohlstandsgesellschaft |
Verhältnis von Angebot zu Nachfrage | Nachfrage > Angebot (Nachfrageüberhang) | Nachfrage < Angebot (Angebotsüberhang) |
Engpassbereiche des Unternehmens | Beschaffung, Produktion | Absatz, Kunde |
zentrale Aufgabe des Unternehmens | Vergrößerung der Beschaffungs- und Produktionskapazitäten | Schaffung und Erhaltung von Nachfragepräferenzen |
Tab. 1: Kennzeichnung von Verkäufer- und Käufermärkten (Quelle: vgl. Kreutzer 2013, S. 4)
Während zu Beginn des 20. Jahrhunderts der Verkauf von Produkten im Mittelpunkt absatzwirtschaftlicher Bemühungen stand, zählten zu Beginn der 1920er-Jahre auch Maßnahmen der Werbung dazu. Erst nach der Weltwirtschaftskrise und dem zweiten Weltkrieg erhielt das Marketing in den 1950er- und 1960er-Jahren neue Impulse durch die Entwicklung des Marketingmix und die Klassifizierung der Marketingaktivitäten in Marketinginstrumente – die sogenannten vier P’s (vgl. McCarthy 1960):
- Product: Produktpolitik
- Price: Preispolitik
- Place: Distributions- oder Vertriebspolitik
- Promotion: Kommunikationspolitik
Dieses instrumentale Verständnis des Marketings ist bis heute dominant. Allerdings hat sich zunehmend die Erkenntnis durchgesetzt, dass der Unternehmenserfolg nicht nur von der Ausgestaltung der Marketinginstrumente abhängt, sondern es auch darauf ankommt, dass unternehmensintern geeignete Rahmenbedingungen vorliegen (z. B. Marketingzuständigkeiten bzw. -verantwortlichkeiten, qualifiziertes Kundenkontaktpersonal). Damit gewannen die Aspekte der Marketingimplementierung zunehmend an Bedeutung.
Mit der dynamischen Entwicklung von Märkten und der steigenden Wettbewerbsintensität, hervorgerufen durch die zunehmende Internationalisierung und Digitalisierung,[4] stiegen auch die Anforderungen an Unternehmen, sich am Markt erfolgreich zu behaupten. Infolgedessen bildete sich frühzeitig das Verständnis des Marketings als marktorientierte Unternehmensführung heraus (vgl. Meffert 1980, Hansen/Stauss 1983). Diese Sichtweise erfuhr jedoch erst in den 1990er-Jahren eine stärkere Akzeptanz. Parallel zum Anspruch, das gesamte Unternehmen auf das »Denken vom Markt her« auszurichten, rückte die Kundenbeziehung verstärkt in den Marketingfokus. Getragen wird diese Perspektive von dem Verständnis, dass Unternehmen letztlich nur dann erfolgreich sein können, wenn sie die Bedürfnisse, Wünsche und Erwartungen der Kunden berücksichtigen und durch kundenadäquate Angebote Nachfrager gewinnen und langfristig halten können. Dieses Relationship Marketing, das vorwiegend auf Kundenbeziehungen abstellt (vgl. z. B. Berry 1983; Bruhn 2016), wird jedoch zunehmend von dem Bewusstsein abgelöst, nicht nur die Kunden, sondern weitere Anspruchsgruppen (Stakeholder) als Beziehungspartner des Marketings zu definieren. Auch andere Anspruchsgruppen und ihr Verhalten entscheiden über den Erfolg des Unternehmens (vgl. hierzu Grunwald/Schwill 2017a, S. 46 f.). So tragen beispielsweise Mitarbeiter als interne Stakeholder durch ihre Qualifikation, ihr Engagement oder ihr Verhalten maßgeblich dazu bei, wie externe Stakeholder (etwa Kunden oder die Öffentlichkeit) das Unternehmen wahrnehmen; durch ihre Aktivitäten wird die Zufriedenheit der Kunden direkt beeinflusst.
Quelle: vgl. Homburg 2017, S. 7
Abb. 1: Entwicklung des Verständnisses des Marketingbegriffs im Zeitablauf
Ein modernes Marketing verlangt insofern eine ganzheitliche Orientierung, bei der die Bedürfnisse, Wünsche und Erwartungen sowohl der externen wie auch der internen Anspruchsgruppen berücksichtigt werden. Demzufolge wird eine inhaltlich weit gefasste und auf Beziehungspartner fokussierte Marketingdefinition vertreten:
»Beziehungsmarketing umfasst sämtliche Maßnahmen der Analyse, Planung, Realisierung und Kontrolle der Beziehungen von Unternehmen zu ihren internen und externen Anspruchsgruppen mit dem Ziel, gegenseitigen und nachhaltigen Nutzen zu generieren durch Initiierung, Stabilisierung, Intensivierung und Wiederaufnahme sowie gegebenenfalls Beendigung von Geschäftsbeziehungen« (Grunwald/Schwill 2017a, S. 21). Abbildung 2 stellt mögliche Marketingausrichtungen im Kontext des ganzheitlichen Beziehungsmarketings grafisch dar.
Die Toolbox konzentriert sich im Folgenden auf das (klassische) Kundenbeziehungsmarketing, das sämtliche Maßnahmen der Analyse, Planung, Realisierung und Kontrolle der Beziehungen von Unternehmen zu ihren Kunden umfasst. Dabei soll das Ziel verfolgt werden, gegenseitigen und nachhaltigen Nutzen zu schaffen, indem [5]Geschäftsbeziehungen zu Kunden initiiert, stabilisiert und intensiviert sowie gegebenenfalls wieder aufgenommen oder auch beendet werden (vgl. Grunwald/Schwill 2...