Schwierige Mietverhältnisse würden erst gar nicht entstehen, sähe der Vermieter dem Mieter auf den ersten Blick an, welches Potenzial tatsächlich in ihm schlummert. Wie der Bewerber um ein Arbeitsverhältnis ist auch der Mietaspirant in aller Regel zunächst ein Schauspieler. Anders als im Arbeitsrecht haben die Vermieter allerdings nicht die Möglichkeit, eine Probezeit zu vereinbaren, um sich nach ersten Schwierigkeiten von ihrem Mieter einfach und schnell wieder zu trennen. Freilich können auch Vermieter von Wohn- und Gewerberaum ihrem Mieter kündigen – ggf. auch außerordentlich fristlos. Auch steht ihnen im Fall der arglistigen Täuschung durch den Mieter oder eines Irrtums in dessen Person das Recht zur Anfechtung des Mietvertrags zu. Räumt der Mieter allerdings das Mietobjekt danach nicht freiwillig, kann es für Vermieter teuer werden – vor allem brauchen sie viel Geduld. Und dies ist der entscheidende Unterschied zur arbeitsrechtlichen Kündigung: Zum Kündigungszeitpunkt kann der Arbeitgeber dem gekündigten Mitarbeiter Hausverbot erteilen und dies auch notfalls mit staatlicher Gewalt durchsetzen. Der Vermieter hingegen ist in aller Regel gezwungen, ein viele Monate dauerndes gerichtliches Räumungsverfahren gegen seinen ehemaligen Mieter zu führen. Anschließend muss er den erstrittenen Titel noch unter weiterem Zeit- und Kostenaufwand in der Zwangsvollstreckung durchsetzen.
1.1 Die schwierigen Mieter
Jeder anfangs noch so unproblematischer Mieter kann zu einem »schwierigen« mutieren. Ursache können Krankheit, Arbeitslosigkeit, Scheidung und sonstige familiäre Probleme sein. Allerdings zeigt die Erfahrung, dass der Umgang mit dem einstmals unproblematischen Mieter in der Krise einfacher und effektiver gestaltet werden kann als mit dem klassisch »schwierigen« Mieter. Die klassisch »schwierigen« Mieter lassen sich grob wie folgt kategorisieren:
1.1.1 Der Mietnomade
Der Mietnomade ist schlicht ein Betrüger: Er begründet in betrügerischer Absicht Mietverhältnisse, zahlt keine Miete und lässt die Wohnung in aller Regel verwahrlost zurück. Unter Umständen kommen noch Vandalismusschäden hinzu. In vielen Fällen muss er auch erst aus der Wohnung geklagt werden. Bereits die Bezeichnung als »Nomade« charakterisiert derartige Mieter als Personen mit »Kettenvorsatz«: Sie ziehen also von Mietverhältnis zu Mietverhältnis ohne den Willen und in aller Regel auch ohne die Möglichkeit, Miete zu zahlen und Mietsicherheiten zu leisten.
[12]Exakte Zahlen über das Vorkommen von Mietnomaden existieren nicht, es gibt auch keine aktuellen Studien hierzu. Wie allerdings eine Studie der Universität Bielefeld aus dem Jahr 2011 zeigt, wurden von ca. 1.000 Vermietern immerhin 420 Fälle mitgeteilt, in denen die Mietzahlungen in den ersten drei Monaten eingestellt wurden. In 210 Fällen wurde überhaupt keine Miete gezahlt (Sondergutachten »Mieterschutz und Investitionsbereitschaft im Wohnungsbau Mietausfälle durch sog. Mietnomaden« der Fakultät für Rechtswissenschaft, Forschungsstelle für Immobilienrecht, Prof. Dr. Markus Artz, Prof. Dr. Florian Jacoby, Januar 2011). Diese Studie dürfte ohne Zweifel auch noch heute die Realität widerspiegeln.
Nach den weiteren Ergebnissen dieser Studie kam es zu folgenden Schäden bei den Vermietern:
Übersicht über Schäden durch Mietnomaden
Schadenshäufigkeit | |
Mietausfall | 98 % der Fälle |
Substanzschaden | 69 % der Fälle |
Verfahrenskosten | 48 % der Fälle |
Vollstreckungskosten | 31 % der Fälle |
Möbeleinlagerungskosten | 18 % der Fälle |
Übersicht über Schadenshöhe, verursacht durch Mietnomaden
Schadenshöhe | |
2.500 bis 5000 Euro | 26 % der Fälle |
5.000 bis 10.000 Euro | 27 % der Fälle |
10.000 bis 20.000 Euro | 19 % der Fälle |
20.000 bis 50.000 Euro | 7 % der Fälle |
50.000 bis 100.000 Euro | 1 % der Fälle |
Dem Mietnomaden in gewisser Weise verwandt ist derjenige, der ohne Kettenvorsatz ein Mietverhältnis begründet, obwohl er weiß, dass er seinen mietvertraglichen Pflichten – eben in Form der Mietzahlung und Leistung einer Mietsicherheit – nicht wird nachkommen können. Gemeint sind all diejenigen, die sich aufgrund ihrer Vermögenslage gerade die Wohnung oder gar das Haus nicht leisten können, die/das sie gerne anmieten würden.
[13]1.1.2 Das Messiesyndrom
Die US-amerikanische Sonderschulpädagogin Sandra Felton gründete in den 1980er-Jahren die Selbsthilfegruppe »Messies Anonymus«. Eine neue Wortschöpfung war geboren: der Messie. Felton selbst litt unter massiver persönlicher Wertbeimessungsstörung. Kurz: Sie sammelte schlicht das, was der Normalbürger als Müll bezeichnen würde. Die Mathematiklehrerin und Mutter zweier Kinder sorgte 23 Jahre lang für Chaos in ihrem Haus in Miami. Den Weg aus ihrer Krise beschritt sie, nachdem ihr Küchenboden mehr und mehr verrottete. Ursache: ein seit Wochen defektes Abflussrohr im Küchenschrank unter der Spüle. Da der Küchenschrank mit alten Zeitungen völlig zugestopft war und das Wasser vom Papier aufgesogen wurde, offenbarte sich das Debakel erst, als es fast schon zu spät war.
Beim Messie-Syndrom handelt es sich um eine psycho-emotionale Befindlichkeitsstörung. Der Begriff »Messie« leitet sich vom englischen Wort »mess« ab. Dieser steht für »Chaos«, »Unordnung« oder auch »Durcheinander«. Die korrekte englische Bezeichnung für die Erkrankung lautet »compulsive hoarding« (zwanghaftes Horten/Anhäufen). Der Begriff wurde zunächst durch die Medien geprägt, wird heute jedoch auch zunehmend im fachlichen Diskurs verwendet. Jemand, der am Messie-Syndrom leidet, sammelt vieles und kann Gesammeltes nicht mehr loslassen. Häufig werden Gegenstände so zwanghaft gesammelt, dass in den Räumen wenig bis gar keine Ordnungsstruktur mehr zu erkennen ist. Die Haushaltsführung stellt für Betroffene mit Messie-Syndrom eine permanente Überforderung dar, was in extremen Fällen bis zur vollständigen Vermüllung der Wohnung führen kann. Ist dies der Fall, liegen in der Regel weitere psychische Erkrankungen zugrunde wie Sucht, hirnorganisches Psychosyndrom usw.
Vom Messie-Syndrom Betroffene sind häufig gesellschaftlich und beruflich engagiert bis zur Selbstüberforderung und kompensieren damit ihre Probleme im privaten Bereich. Messies sind also letztlich Menschen, die nicht in der Lage sind, zwischen gestalteter Ordnung und gesunder Unordnung zu wählen. Sie leben in chaotischen Strukturen und sind diesen hilflos ausgeliefert. Ein Leben in permanentem Chaos macht ihnen Angst, erzeugt Stress und das Gefühl von Inkompetenz. Die Entfaltung der eigenen Persönlichkeit ist blockiert.
Verwahrlosung und Vermüllung von Wohnungen müssen jedoch nicht zwangsweise etwas mit dem Messie-Syndrom zu tun haben. Auch Suchtkranke oder Menschen, die unter Depressionen leiden, vernachlässigen häufig ihre Wohnungen. Gleiches gilt für alte Menschen, die aufgrund von Gebrechlichkeit oft nicht mehr in der Lage sind, ihre Wohnung sauber zu halten.
[14]Schätzungen zufolge sind etwa 300.000 Menschen in Deutschland vom Messie-Syndrom im engeren Sinne betroffen. Freilich existieren keine genauen Zahlen, da es zum einen an einer verbindlichen Definition des Begriffs und seiner Abgrenzung mangelt und zum anderen die Dunkelziffer hoch sein dürfte. Nach Schätzungen von Selbsthilfegruppen leben gar rund 2,5 Millionen Menschen in Deutschland mit dem sogenannten Messie-Syndrom.
Weiteren Schätzungen zufolge sind ca. drei Viertel aller Messies Frauen. Wie das Beispiel der Amerikanerin Felton zeigt, sind es aber auch überwiegend die Frauen, die Wege aus der Krise suchen und sich um Hilfe bemühen. So betroffen wohl das weibliche Geschlecht vom Messie-Syndrom ist, so intensiv suchen die Frauen auch den Weg aus ihrer Misere, wohingegen sich das männliche Pendant seinem Schicksal überwiegend untätig ergibt.
1.1.3 Querulatorische Charaktere
Als »Querulant« (von lat. »queri« – »vor Gericht klagen«) wurden ursprünglich in der Rechtsprechung Menschen bezeichnet, die trotz geringer Erfolgsaussicht besonders unbeirrbar und zäh einen Rechtskampf führen. Im deutschen Rechtsraum tauchte die Bezeichnung »Querulant« 1793 in Preußen auf. Man verstand darunter »Prozessierer, Rechthaber und Krakeeler«, die den Gerichten Schwierigkeiten bereiteten. Man befürwortete damals durchaus eine strafrechtliche Verantwortlichkeit dieser Menschen.
Der Begriff »Querulant« wird heute jedoch auch im psychiatrischen Kontext verwendet: Er steht entweder für ein eigenes, wahnhaftes Krankheitsbild bzw. eine Persönlichkeitsstörung oder für ein begleitendes Symptom anderer psychischer Störungen. Dabei steht ein geringfügiger oder vermeintlicher Anlass kaum noch im Verhältnis zum rechthaberischen, misstrauischen, fanatischen und unbelehrbaren Vorgehen dieser Menschen. Auch Personen, die bei Behörden oder vor Gericht ständig unbegründete Anträge stellen, werden als »Querulanten« bezeichnet.
Die Anwendung des Begriffs ist rechtlich problematisch, steht doch beim Vorliegen einer derartigen Störung auch die Prozessfähigkeit in Frage. Eine gesetzliche Definition des Querulanten fehlt jedenfalls, weshalb auch missbräuchliche oder fehlerhafte Verwendungen des Begriffs diskutiert werden. Der klassische Prototyp ist jedenfalls der Rechtsquerulant. Er ist aus reiner Rechthaberei widerspenstig. Ein typisches Beispiel ist der Streit über die exakte Grenzziehung zwischen zwei Grundstücken.
[15]Bei den vor Gericht notwendigen psychiatrischen Gutachten geht es vor allem um die Beurteilung der Zurechnungsfähigkeit bei Straftaten wie Beleidigung, Verleumdung und Körperverletzung. Der Querulant neigt nämlich zur Beleidigung seines Gegenübers. Da er es gerne besonders genau nimmt, kann es auch zu unberechtigten oder unverhältnismäßigen Strafanzeigen des querulatorischen Mieters gegen seinen Vermieter kommen.
Um aufgeheizte Situationen nicht eskalieren zu lassen, sollten harte Konfrontationen mit Querulanten unbedingt vermieden werden. Vermieter sollten zwar klar und verbindlich auftreten, jedoch nie verbissen wirken. Sie sollten lieber Fragen stellen, statt Anweisungen zu geben, und eine fürsorgliche Haltung einnehmen, um Stress zu reduzieren.
1.1.4 Der Gewalttäter
Auch ihm steht es in der Regel nicht auf der Stirn geschrieben: dem aggressiven (potenziellen) Mieter. Von ihm gehen in aller Regel gröbste Beleidigungen, Bedrohungen und Tätlichkeiten gegen Vermieter, dessen Angehörige oder Beauftragte, Mitbewohner, Mitmieter und Nachbarn aus. Die Handhabe gegen ihn ist in aller Regel einfach: Bereits nach erstmaligen entsprechenden Verfehlungen wird der Vermieter das Mietverhältnis außerordentlich fristlos kündigen können.
1.1.5 Der (Sucht-)Kranke
Die Erkrankung eines Mieters an sich stellt selbstverständlich noch kein Problem für den Vermieter dar. Es sind vielmehr die Folgen, die Schwierigkeiten bereiten können. So sind (Sucht-)Kranke abhängig von Art und Schwere ihrer Erkrankung in vielen Fällen nicht mehr in der Lage, ihren mietvertraglichen Pflichten nachzukommen. Dies gilt insbesondere hinsichtlich Reinigung und Pflege des Mietobjekts, sodass sich messieartige Störungen entwickeln können. Vom Suchtkranken können Jugendgefährdungen ausgehen, zum Beispiel wenn weitere Drogensüchtige das Wohnhaus aufsuchen oder gar in der Wohnanlage mit Drogen dealen. Durch den alkoholkranken Mieter können Lärmbelästigungen entstehen. Auch er, wie der drogensüchtige Mieter, kann messietypische Verhaltensweisen an den Tag legen.
[16]1.1.6 Jedes Mietverhältnis kann zum »schwierigen« mutieren
Persönliche Schicksalsschläge wie Arbeitslosigkeit, Scheidung oder Gebrechlichkeit aufgrund hohen Lebensalters können jedes noch so unproblematische Mietverhältnis zu einem »schwierigen« mutieren lassen. Der ursprünglich zuverlässige Mieter zahlt plötzlich nicht mehr pünktlich seine Miete. Durch die Eingangstür des liebenswerten Rentnerehepaars dringt erheblicher Gestank. Die Dynamik menschlichen Schicksals prägt selbstverständlich auch das nähere Umfeld und somit das Mietverhältnis:
BEISPIEL
Der einstmals erfolgreiche Vorstand eines international renommierten Pharmaunternehmens wird plötzlich zum Sozialfall. Der angesehene Anwalt verfällt dem Alkohol. Die nette Sekretärin aus dem zweiten Stock empfängt seit geraumer Zeit zweifelhafte Männerbesuche.
All das sind keine Stereotypen, sondern verbreitete Konstellationen im Vermieteralltag, die zu erheblichen Problemen für den Vermieter führen können.