Seit fünf Jahren gibt es nun den Begriff „Trojanisches Marketing”, er hat sich nachhaltig in der Marketing-Nomenklatur etabliert. Es gab seither viel Resonanz: äußerst positive, aber auch kritische. Kalt lässt das Thema keinen: Entweder man wird zum ausgesprochenen Fan oder man sucht nach Gründen, wonach Trojanisches Marketing „ein alter Hut” sei oder nicht ins akademische Schema passe.
Vor allem die sogenannten „Praktiker” – deren tägliches Brot es ist, sich um ihre Kunden zu kümmern (darum geht’s doch beim Marketing in erster Linie, oder?) –, die sich darauf einlassen, „trojanisch” zu denken, bestätigen immer wieder die Nützlichkeit der Idee. Dieselbe Erfahrung machen wir in unseren Seminaren, in denen wir mit den Teilnehmern üben, „trojanisch” zu denken und diese Gedanken in die Tat umzusetzen. Es ist nicht nur eine Hypothese – wie zu Anfang –, dass die trojanische Denkmethode in aller Regel zu mehr und zu kreativeren Lösungen führt. Das hat sich in der Praxis inzwischen hundertfach bewahrheitet.
Das ist uns Grund und Anlass, hiermit den nächsten Band, nämlich „Trojanisches Marketing® II” vorzulegen.
Dieses zweite Buch ist jedoch nicht die „Fortsetzung” des ersten, was notwendigerweise dessen Kenntnis voraussetzen würde. Es handelt sich vielmehr um ein eigenständiges neues Werk, das zwar auf dem ersten Band aufbaut, das aber völlig unabhängig davon gelesen, verstanden und genutzt werden kann.
Auch für diejenigen Leserinnen und Leser, die das erste Buch gelesen haben, wird es viel Neues geben. In den Jahren seit Erscheinen des ersten Buches hat sich viel getan, viele Dinge haben sich weiterentwickelt, wie wir zeigen werden.
Bewusst haben wir die zentralen Basisaussagen und Definitionen wiederholt, um auch Leserinnen und Leser zu erreichen, die sich hier zum ersten Mal mit dem Thema „Trojanisches Marketing” beschäftigen.
Beim ersten Buch fragten wir uns und unsere Leserinnen und Leser: Warum noch ein weiteres Marketingbuch, da es doch schon so viel Literatur zu diesem Thema gibt? Die Antwort lautete: „Weil Trojanisches Marketing wirklich etwas Neues ist. Weil Trojanisches Marketing eine methodische Innovation darstellt, mit deren Hilfe man auf neue Ideen und zu neuen Marketingstrategien kommt. Dabei geht es nicht darum, den babylonischen Theorienturm um ein weiteres akademisches Stockwerk zu erhöhen. Vielmehr sehen wir Trojanisches Marketing als eine Praxismethode, die dabei helfen kann, den eigenen Horizont und das Repertoire an Möglichkeiten zu erweitern.” (Anlanger/Engel 2008, S.6).
Seit 2008 gibt es zusätzlich zum Buch die bereits in der „Gebrauchsanleitung” erwähnte eigene Website www.TrojanischesMarketing.com, die dazu geschaffen (und kürzlich überarbeitet) wurde, die Leserinnen und Leser nicht nur einbahnstraßenmäßig mit Informationen zu versorgen, sondern mit ihnen in einen Dialog zu treten. Wir bitten alle Interessierten, sich dort einzubringen. Kommentare, Anregungen, Kritik, zusätzliche Beispiele: Für all das gibt es auf der Website Möglichkeiten, mitzudiskutieren.
1.1 Troja – die Geschichte
Bevor wir das Grundprinzip „Trojanisches Marketing” im Detail vorstellen, wollen wir einen kurzen Blick in die Geschichte werfen. Sobald man die damalige Grundidee verstanden hat, fällt es leichter, dieses Prinzip auf das Marketing zu übertragen und dort zur Anwendung zu bringen. Die Ereignisse um die Stadt Troja dürften zwar den meisten unserer Leserinnen und Leser schon in ihrer Schulzeit begegnet sein; doch kann es durchaus sinnvoll sein, diese Erinnerungen hier ein bisschen aufzufrischen.
Wie der Dichter Homer in seiner Ilias ausführlich berichtet, begann die Geschichte damit, dass Paris, der Sohn des troischen Königs Priamos, die Ehefrau des spartanischen Königs Menelaos, Königin Helena, entführte und sie nach Troja mitnahm. Das wurde Paris nicht nur von den Einwohnern Spartas, sondern von allen griechischen Stadtstaaten übelgenommen und sie stellten ein gemeinsames Heer auf, um gegen Troja in den Krieg zu ziehen. Sie segelten also über das Ägäische Meer und belagerten die Stadt. Diese ließ sich jedoch nicht einfach einnehmen und widerstand zehn Jahre lang allen Angriffen durch die Griechen.
Eigentlich wollten die Griechen aufgeben, aber Odysseus, einem der führenden griechischen Generäle, fiel eine List ein, die wieder Hoffnung gab. Gustav Schwab, der die griechische Mythologie im deutschen Sprachraum populär machte, lässt Odysseus so sprechen (Schwab 1955): „Wisst ihr was, Freunde, wir zimmern ein Pferd von Riesengröße und schließen uns mit den tapfersten Kämpfern in seinem Bauch ein. Alle anderen sollen die Schiffe besteigen und nach der Insel Tenedos segeln, zuvor aber alles verbrennen, was unser Lager birgt. Die Troer werden meinen, wir seien, des Kampfes überdrüssig, in die Heimat zurückgekehrt; sie werden aus der Stadt herausströmen und sorglos neugierig in der Ebene umherwandeln, sich vor allem dem hölzernen Pferd nähern. Unter diesem aber soll sich ein mutiger Mann versteckt halten, der sich, sobald er entdeckt wird, als Flüchtling ausgibt und den Troern das Märchen aufbindet, wir hätten ihn vor unserem Abzug den Göttern opfern wollen, er aber sei entkommen und habe sich unter dem hölzernen Ross versteckt. Und fragen sie ihn, was denn das Pferd zu bedeuten habe, so muss er sagen, es sei der Pallas Athene geweiht. Sein Bericht wird die Feinde rühren, und sie werden ihn in die Stadt mitnehmen; dort muss er dann alles dransetzen, dass die Verblendeten das Ungetüm in die Mauern hineinziehen. Ist es soweit, dann warten wir die Nacht ab und steigen aus dem hölzernen Bauch. Wir überfallen die sorglos schlummernde Stadt, sprengen die Tore, damit die aus Tenedos zurückgekehrten Krieger ungehindert zu uns stoßen können, und überwältigen mit ihrer Hilfe endlich den Feind.”
Indem auch die Göttin Pallas Athene ihre Unterstützung einbrachte (was sie dem Chef-Zimmermann Epeios im Traum zusagte), war das Pferd innerhalb von drei Tagen fertig. Wie geplant simulierten die Griechen ihren Rückzug und verließen das Gelände. Das bemerkten die Troer natürlich und sie freuten sich, dass der Krieg nun wohl endlich zu Ende sei. Dann aber sahen sie am Strand das riesige Holzpferd und zuerst konnten sie sich nicht darüber einigen, was mit diesem Ungetüm zu tun sei. Trotz der Warnungen einiger Skeptiker kamen sie schließlich überein, das hölzerne Tier in ihre Stadt Troja zu schleppen. Ausschlaggebend waren die Märchen gewesen, die der scheinbare Flüchtling Sinon den Troern aufgetischt hatte: Er behauptete, die Griechen hätten das Pferd deshalb so riesig gebaut, damit es niemals durch ein Stadttor passen könne. „Denn käme es nach Troja hinein, stünden die Troer für immer unter Athenes Schutz!”, so die Formulierung von Gustav Schwab.
Darauf fielen die Troer herein, gerade das brachte sie dazu, nun erst recht ein Stadttor niederzureißen, um das Pferd hindurchzubringen. Was für ein Grund zum Feiern! Den ganzen Tag, den ganzen Abend wurde heftig dem Wein zugesprochen, und um Mitternacht waren alle Einwohner einschließlich der Wachen so betrunken, dass sie nicht darauf achteten, wie Sinon auf der Stadtmauer stand und mit einer Fackel dem griechischen Heer das Signal zur Rückkehr gab.
So schnell sie konnten segelten und ruderten die griechischen Schiffe nach Troja zurück und überfielen die nun völlig wehrlose Stadt. Ab hier wird es grausam und blutig, und wir verlassen die Geschichte…
… und kommen zurück zum Trojanischen Marketing und seiner Definition.
1.2 Trojanisches Marketing – So funktioniert es
Aus der Geschichte, wie Troja mithilfe des Trojanischen Pferdes erobert wurde, lässt sich gut ableiten, welche Prinzipien für Trojanisches Marketing gelten.
1. Schritt
Man benötigt ein „Objekt der Begierde” (ein Produkt, eine Dienstleistung, einen Vorteil), von dem man hinreichend sicher weiß, dass die angepeilte Zielgruppe es gerne hätte. Das ist ab nun unser Trojanisches Pferd! Im dargestellten Krieg der Griechen gegen Troja handelte es sich dabei um das von den Troern heiß begehrte – da als heilig erachtete – hölzerne Pferd. Das wollten sie unter allen Umständen besitzen und in ihrer Stadt aufstellen.
2. Schritt
Dieses Objekt muss nun mit etwas anderem gefüllt bzw. verknüpft werden, das man der Zielgruppe näherbringen will, das sie aber bisher nicht kennt und daher nicht erwartet.
Genau das taten die Griechen, indem sie das hölzerne Pferd mit ihren stärksten und mutigsten Kriegern füllten. Diese Kämpfer waren das eigentliche Objekt, das sie in die Stadt bringen wollten; das Pferd war nur das Transportmittel und das Mittel zum Zweck.
3. Schritt
Jetzt muss dafür gesorgt werden, dass die Zielgruppe von der Existenz und Verfügbarkeit des „Objekts der Begierde” erfährt. Sobald das geschehen ist, werden die Zielpersonen alles unternehmen, um das Objekt „in ihre Mauern zu ziehen”.
Das war Sinn und Zweck der Lügengeschichten, die Sinon den Troern auftischte. Er erzählte von der Heiligkeit des Pferdes und der Tatsache, dass es eine göttliche Schutzfunktion für die Stadt Troja haben könnte. So blieb den Troern eigentlich gar keine andere Wahl, als das Pferd in ihre Stadt zu ziehen – freiwillig und gerne, trotz der baulichen Hindernisse.
4. Schritt
Nun öffnet man das scheinbar bekannte Objekt, das den für die Zielgruppe unbekannten und unerwarteten Inhalt enthält – und hat auf diese Weise mithilfe des Alten, Bekannten die Zielgruppe mit etwas Neuem „erobert”.
So verhielt es sich auch in Troja: Die im Inneren des Pferdes versteckten Kämpfer verließen in der Nacht ihr Versteck und machten somit die Eroberung der bisher uneinnehmbaren Stadt möglich. Das bekannte und höchst erwünschte Pferd transportierte in Wirklichkeit andere Inhalte als erwartet. Das Bekannte wurde als Vehikel für das Unbekannte benutzt.
Das eben beschriebene Prozedere lässt sich sehr einfach in Marketingkategorien übersetzen:
Immer dann, wenn es schwierig und aufwendig ist, eine Zielgruppe mit einem neuen Produkt bzw. einer neuen Dienstleistung bekannt zu machen, suche man im ersten Schritt nach geeigneten Trojanischen Pferden, die der Zielgruppe bereits bekannt sind. Das können sein:
-
andere, nicht konkurrierende Produkte und Dienstleistungen
-
bekannte, renommierte Institutionen, Organisationen, Unternehmen, Personen
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bekannte, eingeführte, beliebte Redewendungen und Begriffe.
Solche trojanischen Objekte werden – eben weil sie bekannt sind – von den Zielpersonen gerne und ohne zu hinterfragen in ihre „Festung” eingelassen.
Im zweiten Schritt geht es darum, die Produkte oder Leistungen, die man eigentlich verkaufen möchte, mit dem trojanischen Pferd in eine Verbindung zu bringen – sei es inhaltlich oder räumlich, sei es mental oder rhetorisch. Somit bilden das Bekannte und das zu transportierende Neue eine Einheit; das eine kann nur zusammen mit dem anderen kommuniziert werden.
Im dritten Schritt geht es darum, zu erreichen, dass die Zielgruppe auf das Bekannte aufmerksam gemacht wird. Es wird in den Mittelpunkt der Kommunikation gestellt und so den Zielpersonen angeboten. Das Bekannte wird gewissermaßen als „Köder” präpariert und den zu fangenden „Fischen” möglichst attraktiv dargeboten.
Im vierten Schritt schließlich wird das Geheimnis gelüftet, indem den Zielpersonen das Neue – jetzt offen – präsentiert wird. Nun haben sie Gelegenheit, dieses Neue kennenzulernen und zu entscheiden, ob es für sie geeignet ist und ob sie es kaufen möchten. Das neue Produkt ist – im Erfolgsfall – in die Festung der Konsumenten eingezogen.
Was hier noch theoretisch klingt, werden wir in den folgenden Kapiteln ausführlich anhand vieler Praxisbeispiele erläutern.