Nokia hat die Chancen und Risiken der Digitalisierung nicht rechtzeitig erkannt, Kodak und AGFA haben die Risiken gar ignoriert. Andere Unternehmen, beispielsweise Otto oder ING-DiBa, haben die digitale Transformation erfolgreich genutzt. Das deutsche Versandhandelsunternehmen hat es so vom klassischen Katalogversand zum größten deutschen Online-Händler für Lifestyle-Produkte geschafft. ING-DiBa gelang ohne eine einzige stationäre Filiale der Sprung zur mit Abstand größten deutschen Direktbank mit 9 Mio. Kunden und zur drittgrößten Privatkundenbank in Deutschland.
1.1 Zu den Begriffen »Digitalisierung« und »digitale Transformation«
Digitalisierung ist längst ein Phänomen, dem sich alle Wissenschaften und auch (fast) alle Lebensbereiche stellen müssen. Aufgrund der Aktualität dieses Themenfeldes existiert eine Vielzahl von Definitionen für den Begriff der Digitalisierung, eine allgemeingültige Definition dieses Terminus ist daher nahezu ausgeschlossen. Ein Blick in die Literatur zeigt, dass unterschiedliche Ansätze bestehen, die von einer sehr weiten bis hin zu einer engen Definition reichen. Im engeren Sinne bedeutet Digitalisierung »die Überführung analoger in digitale Informationen sowie die Automatisierung von Aufgaben unter Einsatz digitaler Technologien« (Deeg/Trunec 2018, S. 4). Digitalisierung im weiteren Sinn kann man »als einen durch Technologie stimulierten Veränderungsprozess des Gesamtsystems einer Organisation, der Auswirkungen auf verschiedenste Organisationselemente wie zum Beispiel Führung, Kultur, Zusammenarbeit, Strukturen, Abläufe, Geschäftsmodell und Kompetenzen« (Deeg/Trunec 2018, S. 4) verstehen. Diese zuletzt genannte Definition wird oftmals auch für den Begriff »digitale Transformation« verwendet.
Weber und Viehmann (2017) verweisen darauf, dass der Begriff der Digitalisierung in aller Munde und gleichzeitig mit Zukunftshoffnungen und Zukunftsängsten verbunden ist. Neben der politischen Diskussion dieser Begrifflichkeit kommen wirtschaftspolitische Aspekte zum Tragen. Digitalisierung berührt demnach Themen wie den internationalen Wettbewerb, die Regulierung globaler und lokaler Märkte sowie unternehmenspolitische Fragen. Letztendlich stellt die Digitalisierung jedoch eine technische Aufgabe dar und die Entwicklung muss dahingehend gelenkt werden, dass die richtigen technischen Lösungen entwickelt und bereitgestellt werden. Eine Digitalisierung verfolgt heutzutage das Ziel, die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern (Weber/Viehmann 2017). Der Durchbruch der Digitalisierung wird daher zu Recht als »digitale Revolution« oder als »Eintritt in das digitale Zeitalter« beschrieben. Auf die digitale Revolution wird im weiteren Verlauf des Buches noch genauer eingegangen. Es kann [14]davon ausgegangen werden, dass es sich bei der Digitalisierung um die wichtigste technologische Neuerung im Informationszeitalter handelt, sie ist die Grundlage der sogenannten neuen Medien. Angesichts der weltweiten Vernetzung dient sie daher auch der Vervielfältigungs- und Verbreitungstechnologie. Jedoch geht es bei der Definition der Digitalisierung um weitaus mehr als um die Entwicklung und Nutzung neuer Technologien.
Bislang hat die Digitalisierung in zuvor nicht dagewesener Art und Weise die Märkte verändert. Als Beispiel kann in diesem Zusammenhang angeführt werden, dass sich mit dem Einzug der digitalen Fotografie Ende der 1990er-Jahre die Unternehmenslandschaft zum Teil innerhalb weniger Geschäftsquartale komplett verändert hat. So verloren Unternehmen, die wie Kodak über 100 Jahre erfolgreich in diesem Marktsegment tätig waren, innerhalb kürzester Zeit ihre Marktstellung und wurden infolgedessen gänzlich ausgelöscht (Elste 2016). Es ist davon auszugehen, dass der Technologiewandel und die damit einhergehende Digitalisierung auch in Zukunft so schnell und intensiv verlaufen werden, dass Unternehmen, die hierauf nicht rechtzeitig reagieren, vom Markt verdrängt werden. So ist es durch die Digitalisierung möglich, komfortabel von zuhause aus einzukaufen, statt in Geschäfte vor Ort zu gehen. In verschiedenen Bereichen ist der Wandel sehr unterschiedlich ausgeprägt. Die digitalen Geschäftsmodelle für Medien sowie im Handel haben schon einen hohen Reifegrad erreicht und der Wandel der Märkte hat seine volle Geschwindigkeit erlangt. Allerdings sind im produzierenden Gewerbe digitale Geschäftsmodelle noch nicht weit verbreitet, ein radikaler Wandel steht hier noch bevor. Dies betrifft auch den Bereich der Dienstleistungen.
Für den deutschen Mittelstand stellt die Digitalisierung und die Nutzung ihrer Potenziale sowohl Chance als auch Herausforderung dar (Elste 2016). Digitale Transformationen werden in Zukunft die Arbeits- und Organisationsprozesse in Unternehmen grundlegend verändern, dieser Prozess wird nicht aufzuhalten sein. Im Rahmen der digitalen Transformation geht es allerdings nicht darum, sich an bestehende Geschäftsmodelle zu klammern, sondern vielmehr darum, die Chancen der digitalen Technologie zu nutzen und die hieraus resultierenden Potenziale für die Weiterentwicklung bestehender Geschäftsmodelle zu nutzen (Oswald/Krcmar 2018). Unternehmen müssen sich vor Augen führen, dass die Digitalisierung kein Trend und auch keine Modeerscheinung ist, sondern eine Gegebenheit, der sich jedes Unternehmen und jeder Unternehmensbereich stellen muss – so auch die Wohnungs- und Immobilienwirtschaft. Die Auswirkungen der Digitalisierung sind sowohl im Unternehmen als auch in der Gesellschaft für jeden Einzelnen noch nicht absehbar, denn die Digitalisierung verändert die Gesellschaft und insbesondere die Unternehmen von innen heraus (Hanschke 2018).
In diesem Zusammenhang ist es erforderlich, dass alle Dimensionen der Digitalisierung betrachtet werden (siehe Abb. 1.1). Der Kunde steht im Mittelpunkt. Die digitale [15]Strategie umfasst die Visionen, Ziele und Leitplanken, um die Frage zu beantworten, wo ein Unternehmen hinmöchte und wie es sich in Zukunft positionieren wird. Das Business-Eco-System besteht aus einem Netzwerk an Partnern und digitalen Plattformen und beruht auf der Einbindung des Kunden und der Wettbewerber. Darüber hinaus müssen alle Produkte und Dienstleistungen nach dem EUTA-Prinzip (einfach, ubiquitär, transparent und attraktiv) ausgerichtet sein und sich an den Kundenbedürfnissen orientieren. Ebenso ist die Analyse der erforderlichen und vorhandenen Fähigkeiten (Business Capabilities) notwendig, um digitale Strategien überhaupt umsetzen und die Produkte und Dienstleistungen im Business-Eco-System bereitstellen zu können. Eine weitere Dimension machen die Geschäftsprozesse und die Organisation aus, das bedeutet konkret, die erforderliche Aufbau- und Ablauforganisation zur agil gesteuerten Umsetzung. Ferner sind erforderliche und vorhandene Skills sowie eine digitale Kultur des Lernens notwendig (Hanschke 2018).
Abb. 1.1: Dimensionen der Digitalisierung In Anlehnung an Hanschke 2018, S. 7
Es muss also ein Wandel gestaltet werden, um von der digitalen Transformation zu profitieren. Um allerdings die genauen Zusammenhänge dieser Transformationsprozesse zu ergründen und zu verstehen, bedarf es der Auseinandersetzung mit den Treibern und Hintergründen.
1.2 Treiber und Hintergründe
1.2.1 Digitale Revolution
Die digitale Revolution kann als wichtigster Treiber der Digitalisierung bezeichnet werden. Egal ob Roboter oder selbstfahrende Autos: Die technischen Innovationen werden nicht nur die Industrie, sondern auch das gesellschaftliche Leben deutlich ver[16]ändern. Die digitale Revolution verläuft mit einer einzigartigen Kraft und einer enormen Geschwindigkeit, wie Abb. 1.2 zeigt.
Abb. 1.2: Geschwindigkeit der digitalen Revolution Quelle: Unger 2016, S. 2
Die digitale Revolution wird auch als vierte industrielle Revolution bezeichnet. In der ersten industriellen Revolution wurden für eine mechanische Produktion Wasser und Dampfkraft benötigt, während es bei der zweiten Industrialisierung die Elektrizität war, die eine Massenproduktion ermöglichte. Bei der dritten industriellen Revolution ging es in erster Linie um die Automatisierung, die durch eine Kombination aus Elektronik und Informationstechnologie möglich war. Die vierte industrielle Revolution baut auf der dritten auf, die in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts begann. Das zentrale Merkmal der digitalen Revolution liegt darin, dass eine Verschmelzung von Technologien erfolgt. Konkret bedeutet dies, dass die Grenzen zwischen den physikalischen, digitalen und biologischen Sphären verschwimmen (Schwab 2016). Schwab (2016) erläutert drei Gründe, warum es sich bei der heutigen digitalen Transformation nicht lediglich um eine Verlängerung der dritten industriellen Revolution handelt, sondern warum sie als eigenständige Revolution zu verstehen ist. Zum einen wird der Gesichtspunkt der Schnelligkeit genannt, denn im Vergleich zu den vorherigen Revolutionen entwickelt sich die digitale Revolution nicht linear, sondern exponenziell. Schwab (2016) formuliert hierzu treffend: »Sie wirbelt fast jeden Industriezweig in allen Ländern durcheinander. Und die Breite sowie die Tiefe dieser Veränderungen kündigen die Erschaffung ganz neuer Systeme an, was Produktion, Management und Governance einbezieht« (o. S.). Zum anderen werden Reichweite und systemische Wirkung angeführt. Die Möglichkeiten für Milliarden von Menschen, die über Mobilgeräte mit einer noch nie dagewesenen Verarbeitungs- und Speicherkapazität miteinander verbunden sind, scheinen nahezu unbegrenzt zu sein, ebenfalls der Zugang zu Wissen (Schwab 2016).
Kreutzer (2015) stellt die Behauptung auf, dass die digitale Revolution nicht bevorsteht, sondern schon längst in vielen Bereichen die Kraft der schöpferischen Zerstörung [17]entfaltet. Am Beispiel des Gartners Hype Cycle für neue Technologien (siehe Abb. 1.3) wird deutlich, welche Phasen branchenübergreifend relevante Technologien hinsichtlich der in sie gesetzten Erwartungen in ihrem technologischen Lebenszyklus bereits erreicht haben (Kreutzer 2015).
Abb. 1.3: Gartners Hype Cycle für neue Technologien Quelle: CIO Magazin 2018
In der Phase der Innovation Trigger werden zunächst Erfolgsmeldungen publiziert. Das gibt noch keine Auskunft darüber, ob diese Technologie nachhaltig eingesetzt werden wird. In der Zeitspanne der Peak of Inflated Expectations werden viele Erfolgsstorys sichtbar, die die Erwartungen an eine neue Technologie auf den Höhepunkt führen. Hierbei zeigen sich jedoch auch Misserfolge bei der Nutzung der Technologie (Kreutzer 2015). Die Nutzung beschränkt sich des Weiteren auf wenige Unternehmen. Die Phase Trough of Disillusionment bezeichnet die Talsohle im technologischen Lebenszyklus. In dieser Phase können nur diejenigen Anbieter bestehen, die nachhaltig überzeugen. Alle anderen scheiden aus dem Markt aus. Slope of Enlightenment kennzeichnet diejenige Spanne, in der zunehmend erkennbar wird, wie die Errungenschaften nutzbringend eingesetzt werden können. Der weitflächige Einsatz der Technologie erfolgt im Plateau of Productivity. In dieser Phase ist der Einsatz in immer mehr Unternehmen relevant (Kreutzer 2015). Der Hype Cycle aus dem Jahr 2018 beschäftigt sich im Speziellen mit Blockchains, Digital Twins, Plattformen für das Internet of Things (IoT) und Smart Robots (CIO 2018). Mithilfe dieses Hype Cycle ließen sich die zentralen Merkmale der digitalen Revolution verdeutlichen. Digitale Errungenschaften kommen und gehen, und das in einem rasend schnellen Tempo. Somit ist die digitale Revolution allgegenwärtig und raumumfassend.
[18]1.2.2 Historische Entwicklung von Arbeitsformen und Organisationsmodellen
Die Zukunft wird zunehmend durch die Entwicklung digitaler Technologien geprägt sein. So entwickelt sich auch eine Arbeitswelt, die sich mit unterschiedlichen Arbeitsbedingungen – in Abhängigkeit der Branchen und Berufe – auseinandersetzen muss. Die Digitalisierung verändert unsere Lebens- und Arbeitswelt in einem solchen Ausmaß, dass sich die zukünftige Entwicklung nur schwer prognostizieren lässt. Dabei eröffnet Digitalisierung in erster Linie neue Chancen, beispielsweise räumliche und zeitliche Flexibilität, Entlastung von monotonen Arbeiten oder auch eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben. Aufgrund der technologischen Entwicklung kommt es zu einer vermehrten Flexibilisierung und Deregulierung der Beschäftigungsverhältnisse. Dabei rückt das Normalarbeitsverhältnis weitgehend in den Hintergrund und wird durch zeitlich und räumlich entgrenzte Formen von Arbeit verdrängt. Ebenso halten auch im Bereich des (familiären) Zusammenlebens Zeitknappheit, tayloristische Zeitstrukturen und eine betrieblich orientierte Lebensführung Einzug (Vedder/Reuter 2008). Die Entgrenzung von Arbeit und Leben wird bereits seit einigen Jahren intensiv in der Literatur diskutiert (Jurczyk et al. 2009) und im Kontext der Arbeit verweist sie darauf, dass die Grenzen zwischen Erwerbsarbeit und Privatleben nicht mehr starr und individuell beeinflussbar, sondern vielfältiger, individueller und durchlässiger sind (Kratzer et al. 2013). Zwar bietet eine solche Entwicklung Chancen, etwa im Rahmen der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, allerdings bestehen auch gravierende Risiken, da infolge einer steigenden Leistungsanforderung die Flexibilisierung immer mehr zulasten der Lebenswelt geht und sich bei Mitarbeitenden vermehrt psychische Belastungen einstellen. Somit kann die Flexibilisierung nicht mehr als zentrale Lösung der Probleme einer standardisierten Arbeitswelt angesehen werden, sondern wird im Rahmen der Digitalisierung selbst zu einem Problem.
Doch wie haben sich in der Vergangenheit die Arbeitsformen und Organisationsmodelle gewandelt? Der durch die Digitalisierung ausgelöste Wandel der Arbeits- und Organisationsformen lässt sich mithilfe eines Drei-Stufen-Programms zusammenfassen. Bis Mitte des 18. Jahrhunderts arbeiteten die Menschen in der Regel in kleinen und unabhängigen Familienunternehmen. Nach der Industrialisierung entwickelten sich zunehmend hierarchisch geführte Unternehmen, die zentral organisiert waren. In der heutigen Zeit organisieren sich Unternehmen weitgehend dezentral und bilden Netzwerkstrukturen (Groß 2017). Abb. 1.4 zeigt die historische Entwicklung von Organisationsmodellen.
Abb. 1.4: Historische Entwicklung von Organisationsmodellen In Anlehnung an Groß 2017, S. 4
Während es früher üblich war, ein Unternehmen unabhängig zu führen und zentral zu organisieren, funktioniert dies aufgrund der Digitalisierung in der heutigen Zeit nicht mehr. Eine dezentrale Organisation ist notwendig, da digitale Veränderungen sich sehr rasant entwickeln und Märkte sich infolgedessen schnell ändern. Unternehmen sind daher gefordert, flexibel auf veränderte Bedingungen zu reagieren. Das geht jedoch nicht, wenn sie hierarchisch geführt werden, da möglicherweise innovative Ansätze im Keim e...