»Warum arbeiten wir eigentlich?« – so lautete ursprünglich der Arbeitstitel für dieses Buch. Als die drei Autoren mich baten, ein einleitendes Kapitel dafür zu schreiben, erzählten sie mir auch von der Entstehungsgeschichte: Ihre Frage war: Wie beantworten Menschen diese Frage wohl mehrheitlich – heute, in einer Welt, in der Konzepte wie »New Work« in Unternehmen immer mehr Anklang finden? Hat Geld Priorität? Oder ist das wichtigste eine Arbeit, die jemand »wirklich wirklich will« (Frithjof Bergmann)?
Da sich die Werte von New Work deutlich von denen bestehender Arbeitskonzepte unterscheiden, stehen folgerichtig herkömmliche Anreizsysteme, Vergütungsprinzipien und Verhandlungsstrategien auf dem Prüfstand. Unternehmen lassen sich auf eine neue Art zu arbeiten ein, weil sich immer mehr Beschäftigte – und zwar vor allem die hochqualifizierten Talente – in einer neuen Wertewelt bewegen. Gleichzeitig versprechen sich Arbeitgeber von New Work mehr Erfüllung, Selbstverantwortung und Sinnstiftung bei den Mitarbeitenden sowie eine Beschleunigung der Innovations- und Transformationsprozesse im Unternehmen.
New Pay basiert auf Werten von New Work
Das Konzept »New Work« entwickelte der bereits erwähnte austro-amerikanische Sozialphilosoph Frithjof Bergmann1. Es beinhaltet als zentrale Werte Selbstständigkeit, Freiheit und Teilhabe an der Gemeinschaft. Für Bergmann ist Arbeit sowohl eine Tätigkeit zur Zweckerfüllung (zum Beispiel Finanzierung des Lebensunterhalts) als auch zur Sinnerfüllung. Heute steht New Work eher allgemeiner für eine Veränderung der Arbeitswelt, in der selbstbestimmtes Handeln statt starrer Arbeitsmodelle und Netzwerke statt klassischer Organisationen dominieren2. Zentral sind dabei Werte und Prinzipien wie Kollaboration, Arbeiten auf Augenhöhe, Wissensteilung, Ermächtigung, verteilte Führung, Nähe der Akteure, ein positives Menschenbild, hohe Transparenz, Partizipation sowie eine Silos überwindende Form der Zusammenarbeit.3 Vor diesem Hintergrund geraten aktuell auch herkömmliche Vergütungsmodelle als ein wesentliches Element von betrieblichen Anreizsystemen in den Fokus. Bei Anreizsystemen lassen sich monetäre und nicht-monetäre Anreize unterscheiden. Monetäre Anreize beinhalten ganz klassisch das tarifliche und außertarifliche Entgelt sowie die [14]betrieblichen Zusatzleistungen. Das tarifliche Entgelt basiert dabei auf bestimmten Bewertungsschemata, mit Hilfe derer Arbeitgeber festlegen wie »wertvoll« eine Tätigkeit für sie ist und welche Entgeltgruppe sich daraus ableiten lässt. Diese Kriterien sind in tarifgebundenen Unternehmen je Branche vergleichbar. Das außertarifliche Entgelt ist in der Gestaltung freier und unterscheidet sich deshalb zwischen den Unternehmen auch deutlicher. Unter den nicht-monetären Anreizen versteht man etwa die Arbeitsplatzgestaltung oder auch die Weiterbildung. Es geht dabei aber immer um die Aufstellung von Regeln, nach denen im Betrieb vergütet wird. In Unternehmen mit Betriebsrat hat der Betriebsrat dabei ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht nach § 87 I Nr. 10 BetrVG. Benötigen nun diese Prozesse und Regeln im Zuge von Innovationsdruck und neuen Werteentwicklungen ein Update und wie könnte dieses aussehen?
New Pay stellt grundsätzliche Fragen
Die Autoren dieses Buches verwendeten den Begriff »New Pay« im Herbst 2017 erstmals im Zuge einer Blogparade. Die Idee: New Pay steht für verschiedene neue Vergütungsmodelle, die die oben genannten Prinzipien von New Work widerspiegeln und sich trotzdem den gesetzlichen Anforderungen stellen. Dabei werden grundsätzliche Fragen zum Teil ganz neu gestellt:
Wofür wollen Unternehmen ihre Beschäftigten eigentlich bezahlen? Ist die Grundlage die Leistung, Anwesenheit, Zielerreichung, Verantwortungsübernahme, Kreativität, Berufserfahrung, Stellenbewertung oder gar das Lernen aus Fehlern?
Was wird in einem Vergütungssystem verteilt? Geht es nur um Geld oder gewinnen im Sinne des Total-Compensation-Ansatzes andere Zusatzleistungen wie Verfügbarkeit und Hoheit über die eigene Zeit oder steigende Selbstbestimmung eine immer größere Bedeutung?
Wie wird verteilt? Sind die Mitarbeitenden eingebunden? Haben sie Transparenz über die Vergütung der anderen? Und wenn ja, nutzt das den Unternehmen oder schadet das sogar?
In Unternehmen, die New Work ernsthaft betreiben, können noch weitere Fragen hinzukommen: Braucht es bei einer hohen Sinnerfüllung der Arbeit überhaupt noch Anreize oder leisten die Mitarbeitenden aufgrund von Sinnhaftigkeit automatisch ihren Beitrag? Hat das Konzept der extrinsischen Motivation vielleicht sogar ganz ausgedient?
Unabhängig davon, wie Unternehmen all diese Einzelfragen für sich beantworten, scheint eines klar: Das Vergütungssystem sollte mit der Kultur der Unternehmen korrespondieren, damit diese wirksam sein können. Unternehmen, in denen die Prinzi[15]pien von New Work dominieren, sollten passende Anreize einsetzen. Wer Wert auf Eigenverantwortung, Kollaboration und den übergeordneten Sinn einer Arbeit legt, lässt sich nicht mit der vielzitierten Karotte locken.
New Pay lebt von Verteilungs- und Verfahrensgerechtigkeit
Bei der Vergütung ging der klare Trend die letzten 25 Jahre hin zu individuellen Zielvereinbarungen (MbO), die sich möglichst kaskadenförmig von den Unternehmenszielen ableiten lassen sollten. In vielen Trainings lernten Führungskräfte, wie sie smarte Ziele setzen. Nicht zu viele sollten es sein, damit der Fokus erhalten bleibt. Garniert wurde das System mit einem Mitarbeitergespräch, das einmal im Jahr stattfand (manchmal auch mit einem Zwischen-Review zur Jahresmitte) und eine Zielvereinbarung und eine Zielerreichungsüberprüfung beinhaltete. Die Ziele waren entweder quantitativ (und damit leichter messbar) oder qualitativ ausgerichtet. Dazu gab es mehr oder weniger elaborierte Systeme zur Leistungsmessung. Sowohl die Zielerreichung als auch die Leistungsbeurteilung waren Grundlage für die Vergütung, die Unternehmen entweder als Bonus oder als variable Komponente bezahlten. Die Grundlogik hinter den Systemen war klar: Es gibt eine Person (Vorgesetzter), die eine andere Person (Mitarbeiter) hinsichtlich Zielerreichung und Leistung bewertet. Die so bewertete Person erhielt dann entsprechend viel Vergütung.
Dieses Vorgehen hat viele Jahre (mehr oder weniger) gut funktioniert und wurde selten hinterfragt. Vermutlich passt dieser Steuerungsmechanismus auch sehr gut zur tayloristischen Organisation mit klassischer funktionaler Arbeitsaufteilung. Nun lässt sich aber immer häufiger die Grenze dieses Vorgehens beobachten. Denn Kollaboration und Gemeinschaftssinn gedeihen nicht unbedingt, wenn Unternehmen ihre Mitarbeiter für individuelle Leistungen oder Ziele belohnen. Zudem hemmt Geheimniskrämerei ebenfalls die Kollaboration. Doch sind wir schon bei der »Lösung« angekommen, wenn wir Ziele (wenn überhaupt) kollektiv auszurichten, Transparenz über Vergütung herstellen und möglichst das Team beim Thema Vergütung beteiligen?4 5
Reduzieren wir Vergütung auf das Wesentliche, geht es neben den drei oben aufgeworfenen Fragen des Wofür, Was und Wie um das zentrale Phänomen der sozialen [16]Gerechtigkeit. Dabei spielen zwei Prinzipien eine wichtige Rolle: die Verteilungsgerechtigkeit und die Verfahrensgerechtigkeit6.
Bei der Verteilungsgerechtigkeit vergleichen wir uns permanent mit anderen7 und finden es dann gerecht oder eben nicht, ob die anderen mehr oder weniger arbeiten als wir oder mehr oder weniger Geld verdienen. Die Verteilungsgerechtigkeit gewinnt umso mehr an Bedeutung, je transparenter die Vergütung und je direkter der Vergleich ist. In einer idealen Welt würde die Vergütung mit der Leistung oder dem gewünschten Beitrag des Einzelnen so korrespondieren, dass alle die Unterschiede als gerecht wahrnehmen. Leider ist dies selten der Fall. Es gibt aktuell verschiedene Faktoren, die zu einer ungleichen Verteilung der Vergütung führen. Zum einen sind Beschäftigte mit gleichen Qualifizierungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten unterschiedlich selten auf dem Arbeitsmarkt und damit unterschiedlich teuer. Zum anderen hängt das Gehalt meist davon ab, wie gut jemand verhandeln kann. Wenn das allerdings transparent wird, empfinden das viele als ungerecht. Ein zentraler Einflussfaktor ist dabei auch, woran die Vergütung bemessen wird. Wenn es nicht mehr (nur) um Ziel und Zielerreichung, sondern um Sinn und Sinnerreichung geht, benötigen Unternehmen neue Methoden, dies zu bewerten oder zu messen. Ebenso komplex dürfte vermutlich sein, den Beitrag zur Kollaboration, zu einem gemeinsamen Ziel oder zur Wissensweitergabe zu ermitteln.
Daneben gibt es die Verfahrensgerechtigkeit. Sie bestimmt, ob wir das Verfahren als gerecht empfinden, das zu einer Verteilung führt.8 Unternehmen im Umfeld von New Work versuchen dies durch Partizipation oder Transparenz zu erreichen. Vermutlich reicht dies jedoch nicht aus. Aus der Literatur wissen wir, dass ein Verfahren sechs Kriterien erfüllen sollte, damit es als gerecht erlebt wird:
- Regeln konsistent anwenden,
- Entscheidungen unvoreingenommen sein,
- fehlerhafte Entscheidungen korrigieren,
- relevante Informationen nutzen und fehlerhafte Vorannahmen vermeiden,
- ethische und moralische Standards erfüllen und
- Interessen der Betroffenen einbeziehen.
Was heißt das aber für eine neue Form der Vergütung, für New Pay? Inwiefern die Beschäftigten Verteilungsgerechtigkeit und Verfahrensgerechtigkeit beurteilen kön[17]nen und als angemessen wahrnehmen, ist ein entscheidendes Erfolgskriterium für die Akzeptanz neuer Vergütungssysteme.
New Pay braucht kritische Veränderungsbereitschaft
Das vorliegende Buch will einen Beitrag dazu leisten, bisherige Vergütungsmethoden zu hinterfragen und neue Ansätze vorzustellen. Dabei dienen Kennzeichen von »New Work« als Impuls für eine neue Arbeitswelt und somit auch für »New Pay«. Die Autoren distanzieren sich von normativen oder dogmatischen New-Work-Vorgaben und möchten vielmehr zur Reflexion einladen. Sie sind überzeugt davon, dass Arbeitgeber die Regeln der Zusammenarbeit ihren Bedürfnissen entsprechend mitgestalten und formen können. Doch nur wer die Auswirkungen von Systemveränderungen ständig im Blick hat, erreicht die gewünschte Wirkung. Mit »New Pay« ist in diesem Buch die Haltung von ständiger kritischer Veränderungsbereitschaft in Bezug auf Vergütungssysteme gemeint und kein konkretes neues Vergütungsmodell.
Die Ausprägungen in der Praxis sind teilweise sehr verschieden und zeichnen eine große Bandbreite von Entwicklungsmöglichkeiten. Evidenzbasierte Erkenntnisse zu empirisch belegten Zusammenhängen zwischen neuen Formen der Vergütung im Sinne von New Pay liegen derzeit noch nicht vor. Welche Ideen sich für welche Arten von Organisationen langfristig tatsächlich durchsetzen, werden wir erst in ein paar Jahren wissen. Deshalb zeigt das Buch alternative Ansätze und Modelle aus der Praxis auf, die aktuellen Herausforderungen wie Digitalisierung, Fachkräftemangel oder Werteverschiebung beim Zusammenspiel von Arbeit und Freizeit auf neue Weise begegnen. Lassen Sie sich davon zum Nachdenken anzuregen und zum Experimentieren einladen.
1 Bergmann, Frithjof H: On Being Free. University of Notre Dame, Paris 1977; Bergmann, Frithjof H: Neue Arbeit, Neue Kultur. Arbor, Freiburg 2004.
2 Hackl, Benedikt / Wagner, Marc / Attmer, Lars / Baumann, Dominik: New Work: Auf dem Weg zur neuen Arbeitswelt – Management-Impulse, Praxisbeispiele, Studien. Springer, Wiesbaden 2017.
3 Väth, Markus: Arbeit – die schönste Nebensache der Welt. Wie New Work unsere Arbeitswelt revolutioniert. Gabal, Offenbach 2016
4 Breuer, K. (2017), Repetitive Arbeit vs. Kreation und Innovation – Warum Bonussysteme aus dem Industriezeitalter nicht mehr funktionieren. Online verfügbar unter: https://www.workpath.com/magazine/repetitive-arbeit-vs-kreation-und-innovation-warum-bonussysteme-aus-dem-industriezeitalter-nichtmehr-funktionieren/, letzter Zugriff 17.3.2019.
5 Rahn, M. / Aleweld, T. (2018), Vergütung in agilen Organisationen: Lassen Sie sich inspirieren! Warum klassische Vergütungsansätze an ihre Grenzen geraten und welche Alternativen es gibt. Online verfügbar unter: https://www.compbenmagazin.de/verguetung-in-agilen-organisationen-lassen-sie-sich-inspirieren, letzter Zugriff 17.3.2019.
6 Folger, Robert: Distributive and procedural justice: Combined impact of »voice« and improvement on experienced inequity. Journal of Personality and Social Psychology, 1977, 35, 108-119.
7 Adams, J. Stacy: Inequity in Social Exchange. In L. Berkowitz (Hrsg.): Advances in Experimental Social Psychology, Vol. 2. Academic Press, New York 1965, S. 267-299.
8 Leventhal, Gerald S.: What should be done with equity theory? New approaches to the study of fairness in social relationships. In K. Gergen, M. Greenberg, & R. Willis (Hrsg.), Social Exchange: Advances in Theory and Research. Plenum Press, New York 1980, S. 27–55.