Seit 2009, dem Jahr mit den meisten Firmeninsolvenzen (33.762) in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, ist die Anzahl der Unternehmensinsolvenzen jährlich kontinuierlich auf knapp 20.200 im Jahre 2017 zurückgegangen. Dieser Trend setzt sich auch im Jahr 2018 mit 9.900 Unternehmensinsolvenzen im ersten Halbjahr fort. Indes sind die Schäden, die durch Insolvenzen verursacht werden, im gleichen Zeitraum auf geschätzte 15,5 Milliarden Euro angestiegen. Die volkswirtschaftliche Bedeutung von Insolvenzen ist trotz der derzeit guten wirtschaftlichen Lage nach wie vor sehr groß.
Entsprechend stößt das Insolvenzverfahren bei vielen Unternehmern, Kaufleuten und Beratern weiterhin ‒ zumeist unfreiwillig ‒ auf großes Interesse. Die alte Konkursordnung, die Vergleichsordnung sowie die Gesamtvollstreckungsordnung wurden durch die am 1. Januar 1999 eingeführte Insolvenzordnung ersetzt. Im mittlerweile 19. Jahr nach dieser Gesetzesreform ist die Anzahl der bislang erschienenen Veröffentlichungen zur neuen Insolvenzordnung mit ihren diversen, teils tief greifenden Reformen nahezu unüberschaubar. Zuletzt wurde im April 2018 die Gruppeninsolvenz bzw. Konzerninsolvenz in die Insolvenzordnung aufgenommen.
Den Autoren, die als Insolvenzverwalter und Berater im Bereich des Insolvenzrechts tätig sind, ist in ihrer täglichen Arbeit aufgefallen, dass es kaum praktische Literatur für Nichtjuristen gibt, obwohl gerade die an Insolvenzverfahren Beteiligten zumeist Nichtjuristen sind.
Um diese Lücke zu schließen, wendet sich der vorliegende Ratgeber an Unternehmer, Geschäftsführer, Vorstände, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Arbeitnehmer, an nicht primär im Insolvenzrecht tätige Juristen sowie an andere Interessierte wie z. B. Journalisten und Studenten, die eine praktische und verständliche Darstellung zum gesamten Themenkreis »Insolvenzverfahren« suchen.
Ziel des Handbuch Insolvenz
Ziel dieses Ratgebers soll es sein, die Verfahrensabläufe bei Eintritt einer Insolvenz verständlich darzustellen und Antworten auf alle praxisrelevanten Fragen zu geben. Dagegen kann es nicht seine Aufgabe sein, juristische Meinungsstreitigkeiten und theoretische Fragen tiefgehend zu diskutieren. Das würde den Rahmen dieses Buches sprengen, diese Dinge werden daher nur in [12]gebotener Kürze und unter Hinweis auf die entsprechende Rechtsprechung und Literatur erwähnt.
Selbstverständlich ist den Autoren bewusst, dass ein Insolvenzverfahren kein »Quell ewiger Freude« ist. Dennoch birgt die geordnete Durchführung eines Insolvenzverfahrens zahlreiche Chancen für einen Neuanfang. Ein Insolvenzverfahren wird im US-amerikanischen Rechtsverständnis nicht umsonst als »gerichtliches Reorganisationsverfahren« verstanden. So liegt es im besonderen Interesse der Autoren, allen möglichen Beteiligten ‒ angefangen beim Schuldner, über die Arbeitnehmer bis hin zu den Gläubigervertretern ‒ die Angst vor einem Insolvenzverfahren zu nehmen.
Die bestehenden Chancen konsequent zu nutzen, setzt allerdings voraus, dass die Beteiligten über den Ablauf eines Insolvenzverfahrens sowie über ihre Rechte und Pflichten Bescheid wissen.
Dieses Verständnis zu vermitteln ist ein wesentliches Ziel des Ratgebers. Eine Reihe von Beispielen, Mustertexten und besonders gekennzeichneten Tipps unterstützen das zentrale Anliegen der Autoren: Die tägliche Praxis soll im Vordergrund stehen!
Aufbau des Buches: zeitlicher Ablauf des Insolvenzverfahrens
Der Aufbau des Buches orientiert sich an dem chronologischen Ablauf eines Insolvenzverfahrens. Beginnend mit der Krise eines Unternehmens und den Möglichkeiten ‒ sowohl des Schuldners als auch des Gläubigers ‒ diese Krise zu erkennen und darauf zu reagieren, werden die Voraussetzungen des Insolvenzantrags und die Regeln des vorläufigen sowie des eröffneten Insolvenzverfahrens im Einzelnen erläutert.
Die darauf folgenden Kapitel setzen sich mit den Fragen der Haftung der Organe und Gesellschafter einer juristischen Person, den Möglichkeiten, ein insolventes Unternehmen zu sanieren, sowie mit der Stellung der Arbeitnehmer auseinander. Die beiden vorletzten Kapitel behandeln die strafrechtlichen und steuerlichen Aspekte, die im Rahmen eines Insolvenzverfahrens entstehen können.
Im letzten Kapitel werden die unterschiedlichen Rechtsformen und ihre jeweiligen wesentlichen Besonderheiten im Insolvenzverfahren dargestellt.
[13]1.1 Wie benutzen Sie diesen Praktiker-Ratgeber?
Das Handbuch zum Insolvenzrecht ist von den Autoren gezielt für Praktiker geschrieben worden. Häufig besteht gerade während oder im Vorfeld einer Insolvenz nicht mehr die Zeit, das gesamte Buch in allen Details zu lesen. Deshalb werden die Autoren im folgenden Abschnitt den unterschiedlichen Lesergruppen Hinweise auf die für sie besonders interessanten Kapitel geben.
In diesem Zusammenhang möchten die Autoren darauf hinweisen, dass es dem Verlag gelungen ist, alle relevanten Gesetzestexte auf der Internetseite www.haufe.de/arbeitshilfen im Volltext vorzulegen. Zwar wurde der Text des vorliegenden Buches bewusst so gestaltet, dass Sie den Gesetzestext zum Verständnis nicht benötigen, dennoch kann es eine hilfreiche Ergänzung sein, ihn zu lesen.
Was ist für die insolvente Gesellschaft wichtig?
Für die Gesellschaft im Vorfeld der Insolvenz und deren Geschäftsführer sind insbesondere Kapitel 3, »Unternehmenskrise oder Insolvenz?«, und Kapitel 4, »Der Insolvenzantrag«, von Interesse. Im Bezug auf Rechtshandlungen, die, noch vor dem Insolvenzantrag getätigt wurden und die der Insolvenzverwalter dann gegebenenfalls im eröffneten Insolvenzverfahren anfechten kann, wird auf Kapitel 6.11, »Kann der Insolvenzverwalter Rechtshandlungen anfechten?«, verwiesen.
Sofern eine Sanierung in Betracht kommt, verdient das Kapitel 8, »Sanierungswege im Insolvenzverfahren«, besonderes Interesse, da vielfach schon im Vorfeld eines Insolvenzantrages wesentliche Weichenstellungen für eine erfolgreiche Sanierung eingeleitet werden können.
Ist der Insolvenzantrag bereits gestellt, sollte in der Phase des vorläufigen Insolvenzverfahrens das Kapitel 5, »Das vorläufige Insolvenzverfahren«, und das Kapitel 8, »Sanierungswege im Insolvenzverfahren«, gelesen werden. In diesem Zusammenhang verdient auch das sog. Schutzschirmverfahren, das durch das ESUG im Jahr 2012 eingeführt wurde und nun unter Kapitel 8.2, »Die Eigenverwaltung« vorgestellt wird, besondere Erwähnung. Diese Verfahren nehmen weiter zu und gewinnen an Bedeutung. Mit Eröffnung des Verfahrens bietet Kapitel 6, »Das eröffnete Insolvenzverfahren«, einen ausführlichen Überblick über den Ablauf des Verfahrens, über die unterschiedlichen Gerichtstermine und über Fragen, die die Zukunft der insolventen Gesellschaft betreffen. Es ist hilfreich, dieses Kapitel bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens gelesen zu haben. Beschäftigt die Gesellschaft (noch) Arbeitnehmer, ist Kapitel 9, »Arbeitnehmer im Insolvenzverfahren«, in dem [14]unter anderem Fragen zum »Insolvenzgeld« beantwortet werden, von besonderem Interesse.
Was sollten die Geschäftsleitung und Gesellschafter der insolventen Gesellschaft insbesondere lesen?
Gerade die Geschäftsführung sollte bereits, bevor ein Insolvenzantrag gestellt wird, die Kapitel 7, »Persönliche Haftung der Gesellschafter und Organe«, und Kapitel 11, »Strafrecht im Insolvenzverfahren«, lesen, denn bereits im Vorfeld eines Insolvenzantrages lassen sich häufig mit wenig Aufwand schwerwiegende Probleme vermeiden.
Ist ein Insolvenzantrag unvermeidbar, bietet das Kapitel 4, »Der Insolvenzantrag«, wichtige Hilfestellungen, um die zügige Einleitung des vorläufigen Insolvenzverfahrens sicherzustellen. Dabei ist auch Kapitel 5, »Das vorläufige Insolvenzverfahren« von Interesse, da seit der Geltung des ESUG der Schuldner auf die Bestellung eines vorläufigen Gläubigerausschusses Einfluss nehmen kann, der dann bei der Bestellung des Insolvenzverwalters entscheidet.
Die Kapitel 5, »Das vorläufige Insolvenzverfahren«, und Kapitel 6, »Das eröffnete Insolvenzverfahren«, bieten einen umfassenden Überblick über den Ablauf des Insolvenzverfahrens.
Mit dem Wissen aus Kapitel 9, »Arbeitnehmer im Insolvenzverfahren«, können Sie die wesentlichen Fragen der Arbeitnehmer zum Insolvenzverfahren beantworten.
Sofern Chancen für eine Erfolg versprechende Sanierung des Unternehmens bestehen, zeigt Ihnen Kapitel 8, »Sanierungswege im Insolvenzverfahren«, unter Berücksichtigung des sog. Schutzschirmverfahrens, das durch das ESUG eingeführt wurde, welche vielfältigen Sanierungsmöglichkeiten es gibt. Für die Gesellschafter und weitere Organe der Gesellschaft (z. B. Aufsichtsrat) sind Kapitel 7, »Persönliche Haftung der Gesellschafter und Organe«, und Kapitel 6.4, »Die Stellung des Gesellschafters der Schuldnerin«, mit Ausführungen zu konzernrechtlichen Fragen von besonderer Bedeutung.
Wo wird der Gläubiger über seine Rechte und Möglichkeiten aufgeklärt?
Für die Gläubiger eines von der Insolvenz bedrohten Unternehmens ist der Zeitraum, bevor der Insolvenzantrag gestellt wird, wichtig. Gerade in der Früherkennung der Krise des Geschäftspartners liegen zahlreiche Möglichkeiten, den Schaden zu minimieren. Lesen Sie hierzu Kapitel 2, »Die Krise eines Geschäftspartners«. In diesem Zusammenhang ist jedoch bereits auf die Anfechtungsmöglichkeiten des Insolvenzverwalters hinzuweisen, die im Kapitel [15]6.11, »Kann der Insolvenzverwalter Rechtshandlungen anfechten?«, erläutert werden. Als weitere Handlungsalternative kommt für den Gläubiger in Betracht, einen Insolvenzantrag zu stellen. Vergleichen Sie hierzu im Kapitel 4, »Der Insolvenzantrag«.
Im Rahmen der weiteren Geschäftstätigkeit während des vorläufigen Insolvenzverfahrens ist Abschnitt 5.1 im Kapitel 5, »Das vorläufige Insolvenzverfahren«, besonders zu beachten. Es setzt sich mit der Stellung des vorläufigen Insolvenzverwalters auseinander.
In der Phase des eröffneten Insolvenzverfahrens ist hingegen die eigene Stellung als Gläubiger von wesentlicher Bedeutung. Ausführungen hierzu finden Sie in den Abschnitten 6.5 und 6.6 des Kapitels 6, »Das eröffnete Insolvenzverfahren«. Weitere für den Gläubiger wichtige Themen, die in diesem Kapitel erläutert werden, betreffen die Forderungsanmeldung (Abschnitt 6.9), die Abwicklung laufender Verträge mit dem Schuldner (Abschnitt 6.12) und letztlich die Verteilung der jeweiligen Insolvenzquote ‒ sofern es überhaupt zu einer Verteilung kommt (Abschnitt 6.13). Schließlich sollten sich die Gläubiger noch mit dem Abschnitt 6.8, »Welche Gläubigerorgane gibt es?«, auseinandersetzen.
Zudem kann sich für Gläubiger die Frage nach einer persönlichen Inanspruchnahme der Geschäftsleitung des insolventen Geschäftspartners (Kapitel 7, »Persönliche Haftung der Gesellschafter und Organe«) und gegebenenfalls sogar einer Strafanzeige gegen die Geschäftsführung (Kapitel 11, »Strafrecht im Insolvenzverfahren«) stellen.
Die Rechte der Arbeitnehmer in der Insolvenz
Die Arbeitnehmer eines insolventen Unternehmens sind regelmäßig besonders von der Insolvenz ihres Arbeitgebers betroffen. Zum einen ist der Verlust des Arbeitsplatzes zu befürchten, zum anderen wird hinsichtlich der Gehaltszahlungen meist auf das »Insolvenzgeld« verwiesen. In diesem Zusammenhang ist für Arbeitnehmer eines insolventen Unternehmens insbesondere das Kapitel 9, »Arbeitnehmer im Insolvenzverfahren«, von großem Interesse. Darüber hinaus sind die Rechte der Arbeitnehmer im Sanierungsfall hervorzuheben. Lesen Sie hierzu Kapitel 8, »Sanierungswege im Insolvenzverfahren«. Zum besseren Verständnis des Ablaufs eines Insolvenzverfahrens und der Stellung der Arbeitnehmer gerade im Rahmen des vorläufigen Insolvenzverfahrens ist es hilfreich, wenn Sie sich mit Kapitel 5, »Das vorläufige Insolvenzverfahren«, auseinandersetzen.
[16]Hinweise an Berater in der Insolvenz eines Mandanten
Meist sind der Steuerberater oder der Rechtsanwalt die erste Anlaufstelle eines Mandanten, wenn sich die Insolvenz »seines« Unternehmens abzeichnet. Zu den Fragen, ob die Pflicht besteht, einen Insolvenzantrag zu stellen, und wie dies ordnungsgemäß vonstattenzugehen hat, lesen Sie bitte Kapitel 3, »Unternehmenskrise oder Insolvenz« und 4. »Der Insolvenzantrag«. Ein guter Berater sollte seinen Mandanten bereits im Vorfeld auf mögliche Haftungsfragen hinweisen. Dazu gehören z. B. eine mögliche persönliche Haftun...