1.1.1 Klimawandel und Öffentlichkeit
Die Diskussion um den Klimawandel hat die breite Öffentlichkeit erreicht, ausgelöst durch Extremwetterlagen, die auch hierzulande den Menschen die Konsequenzen des durch menschliches Handeln verursachten Klimawandels vor Augen geführt haben. In den letzten Jahren waren es v. a. die Dürresommer in 2018 und 2019, aber auch internationale Großkatastrophen wie 2017 der Hurricane Harvey im Südosten der USA oder um die Jahreswende 2019/2020 die Buschfeuer in Australien, die der Forderung nach entschlossener Umkehr in der Wirtschafts- und Energiepolitik Nachdruck verliehen.
Die sozioökonomischen Folgen des Klimawandels werden seit langem diskutiert und auch mit quantitativen Analysen unterlegt1. Es ist bezeichnend, dass es vornehmlich die junge Generation ist, die – angeführt von Greta Thunberg – mit den »Fridays for Future« – Demonstrationen weltweit das Thema Klimawandel in die Medien und die breite Öffentlichkeit bringt. Gerade die Ernsthaftigkeit der Sorge um ihre Zukunft in dieser Welt schafft hohen Handlungsdruck in der Politik, stößt aber v. a. in Europa, nicht gleichermaßen auch in anderen Teilen der Welt, auf hohe Resonanz.
Inzwischen werden auch aus der Finanzwelt zunehmend gewichtige Stimmen laut, den Klimawandel als Triebfeder für eine tiefgreifende Veränderung bei der Risikobewertung von Vermögenswerten und Unternehmen zu begreifen und entsprechend Umschichtungen in Anlageportfolios vorzunehmen2.
1.1.2 Auswirkungen der COVID-19-Pandemie
Ungeachtet der öffentlichen Diskussion um den Klimawandel ging die IEA noch Ende 2019 davon aus, dass bei der gegenwärtigen Energiepolitik der Staaten der Weltbedarf an Primärenergie in den nächsten Dekaden weiter ansteigt und auch die CO2-Emissionen weiter [4]zunehmen, allenfalls abgeflacht, wenn die Staaten die von ihnen annoncierten Änderungen in ihrer Energiepolitik umsetzen3.
Die COVID-19-Pandemie, deren Ausbreitung rund um die Welt Anfang 2020 begann, hat sich beträchtlich auf die globalen Energiemärkte ausgewirkt. Wie die IEA in einer Studie im Frühjahr 2020 feststellt4, hat die Pandemie über ihre Folgen für die Gesundheitssysteme der Staaten hinaus erhebliche Auswirkungen auf die Weltwirtschaft, Energieverbrauch und CO2-Emissionen, v. a. durch die in unterschiedlicher Härte durchgeführten Lockdown -Maßnahmen. Insgesamt sank die globale Energienachfrage im 1. Quartal 2020 um 3,8 % v. a. im März. Besonders betroffen war die Kohleverstromung, die unter der gesunkenen Nachfrage in China, aber auch dem Wettbewerb mit billigem Gas und dem Wachstum der Erneuerbaren Energien litt. Hinzu trat das milde Wetter. Zugleich reduzierte sich aufgrund der Einschränkungen in Mobilität und Luftfahrt die Nachfrage nach Öl, was dessen Preis unter 25 $/bbl. getrieben hat und zeitweise negativ werden ließ.
Auf das Jahr rechnet die IEA wegen der zu erwartenden Rezession der Weltwirtschaft mit einem Einbruch der Primärenergienachfrage von 6 %, v. a. bei Öl (minus 9 %) und Kohle (minus 8 %). Demgegenüber profitieren Erneuerbare Energien von ihren niedrigen operativen Kosten und dem Einspeisevorrang, den sie vielfach genießen. Die Nachfrage nach Strom wird ebenfalls deutlich zurückgehen, dabei wird der Strom v. a. aus emissionsarmen Energiequellen gewonnen. In der Konsequenz wird mit einer Minderung der CO2- Emissionen um 8 % gerechnet, der größte jemals beobachtete Rückgang.
Es ist zu erwarten, dass mit der zu erhoffenden zügigen Erholung der Weltwirtschaft auch die Klimagase wieder zunehmen werden. Allerdings sind bereits heute wichtige Lehren aus der Pandemie auch für die Energiewirtschaft zu ziehen: Versorgungssicherheit hat vor dem Hintergrund der Anfälligkeit globaler Lieferketten einen neuen Stellenwert erlangt, Erzeugung und Lagerhaltung vor Ort (Localisation) und Diversifizierung der Lieferbeziehungen werden künftig eine wichtigere Rolle spielen. Mit dem kräftigen Schub, den die Digitalisierung in der Krise erfährt, wird die Nachfrage nach Strom tendenziell steigen, umgekehrt ist zu erwarten, dass die Mobilität zunehmend überdacht wird. Homeoffice und Videokonferenzen, kurz: new ways of working, sind hier wichtige Stichworte. Und schließlich werden die Unternehmen mehr Fokus auf Resilienz legen, und auch hier punktet die emissionsarme Energieerzeugung vor Ort. In diesem Sinne fördert die Pandemie eine klimafreundliche wirtschaftliche Entwicklung.
[5]Es ist noch offen, inwieweit die Pandemie Auswirkungen auf die Klimapolitik der Staaten nehmen wird. Das Klimaschutzabkommen von Paris mit der Begrenzung des Anstiegs der weltweiten Durchschnittstemperatur auf deutlich unter 2 °C definiert den Rahmen und ist unterlegt durch Klimaschutzpläne der Einzelstaaten. Während die USA Ende 2019 ihre Kündigung für das Abkommen eingereicht hat, geht die EU mit dem New Green Deal den umgekehrten Weg und bekennt sich klar dazu, bis 2050 die Klimaneutralität zu erreichen.
Der New Green Deal setzt dabei auf die Dekarbonisierung des Energiesektors und auf Renovierungsmaßnahmen an Gebäuden, um Energiekosten und -verbrauch zu senken. Die Industrie soll bei Innovationen unterstützt werden und eine weltweite Führungsrolle bei der grünen Wirtschaft übernehmen. In der Mobilität strebt die EU-Kommission die Einführung umweltfreundlicherer, kostengünstigerer und gesünderer Formen des privaten und öffentlichen Verkehrs an5. Die Kommission will für die Umsetzung des New Green Deal bis 2030 über den EU-Haushalt und dessen Instrumente mindestens eine Billion EUR an Investitionen mobilisieren6.
Die Rettungspakete, die zur Bewältigung der Pandemie auch für die EU diskutiert werden, werfen die Frage nach der Finanzierbarkeit auf, wenn die geplanten Investitionen und Unterstützungsmaßnahmen zusammen betrachtet werden. Es ist davon auszugehen, dass Abstriche an den Ausgaben für den New Green Deal angesichts der Bedeutung der Klimapolitik aus Sicht der EU-Kommission und wichtiger Staaten nicht vorgenommen werden, vielmehr die vorgesehene Unterstützung bei der Pandemiebewältigung an Auflagen geknüpft wird, den klimafreundlichen Umbau in den Ländern der EU zu fördern.
1.1.3 Technologische Entwicklungen
Die hohe Subventionierung der Erneuerbaren Energien hat in Verbindung mit den dadurch verursachten Skalen- und Lerneffekten deren Kosten, insbesondere aus Wind- und Solarenergie, in der letzten Dekade stark reduziert, sodass die Renewables heute unter günstigen Standortbedingungen gegenüber konventionellen Formen der Energieerzeugung wettbewerbsfähig, ja vielfach sogar im Vorteil sind.
Das Hauptproblem der Erneuerbaren Energien ist die Volatilität in der Stromerzeugung, der durch Netzausbau, großvolumige Speicherung der Energie in Batterien oder durch Umwandlung in andere Formen speicherbarer Energie Rechnung getragen werden kann.
[6]In den letzten Jahren ist zunehmend intensiv die Umwandlung von Strom aus erneuerbaren Quellen in Gase, v. a. auch in Wasserstoff, diskutiert worden (Power-to-Gas). Diese Form der Speicherung hat den Vorteil, dass vorhandene Infrastruktur an Gasnetzen und - speichern genutzt werden und dass Gas, auch weiterverarbeitet als regeneratives Erdgas (Methan), in den Bereichen Mobilität und Wärme umweltfreundlich genutzt werden kann.
Power-to-Gas-Technologien ergänzen sinnvoll die Deckung des Energiebedarfes über grünen Strom hinaus. Die Bundesregierung hat dieser Erkenntnis mit der Nationalen Wasserstoffstrategie (NWS) im Rahmen des Konjunkturpaketes im Juni 2020 Rechnung getragen, wodurch die Wasserstofftechnologien als Kernelemente der Energiewende etabliert und die zukünftige nationale Versorgung mit CO2-freiem Wasserstoff und dessen Folgeprodukten gesichert und gestaltet werden soll7.