Der Hochwald
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Der Hochwald

  1. 90 Seiten
  2. German
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Der Hochwald

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Inhaltsverzeichnis
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Über dieses Buch

Eine mĂ€rchenhafte ErzĂ€hlung Adalbert Stifters, in der der Wald eine tragende Rolle spielt. Um sie vor den Schrecken des DreißigjĂ€hrigen Krieg zu schĂŒtzen, versteckt ein Vater seine zwei Töchter in einer HĂŒtte tief im inneren des Hochwaldes. Als jedoch ein geheimnisvoller Fremder in die ZufluchtsstĂ€tte eindringt, nimmt das Schicksal seinen Lauf... -

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Information

Jahr
2020
ISBN
9788726569377

Waldwiese

Des andern Tages stand schon die Sonne am Morgenhimmel, als Clarissa erwachte und an das Bett Johannas trat, die noch tief schlummerte und sich ein ganzes Morgenrot auf ihre unschuldigen Wangen geschlafen hatte. Da ging, sie leise an das Fenster, das im Morgengold wallte, sah einige Augenblicke auf den Wald, der mit Reif bedeckt war und Funken warf, und kniete endlich auf ihren Schemel nieder, um ihr Morgengebet zu verrichten. Als sie aufstand, sah sie auch Johannen an ihrem Schemel knien; daher wartete sie ruhig, bis auch diese aufgestanden war, und dann, noch den Abglanz des glĂ€ubigen Gebetes in den Augen, grĂŒĂŸten sie sich heiter und freudig und scherzten fast ĂŒber ihre gestrige Angst. Man ließ die klopfende Magd herein, und diese berichtete, daß die Knechte erzĂ€hlt hĂ€tten, wie draußen bereits Kriegsvölker ziehen und daß es ĂŒber die Wasserscheide oft wie AmeisenzĂŒge gehe, alles gegen die oberen DonaulĂ€nder. An den WaldrĂ€ndern ist es so einsam und still wie immer. Von Wittinghausen wußten sie nichts. Man beschloß, Gregor zu bitten, daß er sie, sobald die GrĂ€ser und GebĂŒsche etwas trocken geworden wĂ€ren, auf den Blöckenstein geleiten möge.
Als sie angekleidet waren und die hohe Sonne schon Reif und Tau von ihrer Wiese gezogen hatte, wollten sie auf selber ein wenig lustwandeln gehen. Als sie ĂŒber die Treppe hinabkamen, fanden sie Gregor, wie er eben lockere Bretter und Balken festnagelte, auch befremdete es sie, daß das Ă€ußere Tor an den Pflöcken, das immer ganz und gar offengestanden, nicht nur eingeklinkt, sondern auch verriegelt war. Gregor ließ sogleich von seinem GeschĂ€fte ab und zeigte ihnen den getrockneten Geier, dessen Federn er in schöne Ordnung gebracht habe und von denen er sie bat, sich die schönsten als ein Angedenken ihres Waldlebens auszusuchen; indes wolle er hineingehen und sich richten, um sie begleiten zu können. Er ging. Aber anstatt sich Federn auszulesen, standen die MĂ€dchen und sahen sich befremdet an; denn heute war alles neu. Sonst hatte er sie ganz allein auf ihrer Wiese weit und breit bis an das Gerölle gehen lassen, ohne sich weiter zu bekĂŒmmern. Susanna, die Magd, die eben dastand, erzĂ€hlte auch, daß, als sie erfahren, daß nicht Gregor den Geier geschossen, sondern ein anderer Schuß es war, man wisse nicht woher, sie vor Angst fast die ganze Nacht nicht geschlafen, und da sei sie spĂ€t nach Mitternacht, als bereits die zurĂŒckgekommenen Knechte lĂ€ngst schliefen, durch ein seltsames GerĂ€usch erschreckt worden, als ob ein Schloß raßle – und da sie nun behutsam zum Fenster hinausgesehen, habe sie wirklich gehört, wie das Schloß zum Ă€ußeren Tore gesperrt werde und sodann eine Gestalt, die sie fĂŒr Gregors hielt, dem AhornwĂ€ldchen zuschritt. Fast eine Stunde verging, ehe die Gestalt wiederkam, aufsperrte und hereintrat, hinter sich sorgsam verriegelnd – es war nun, wie er zum Hause kam, deutlich erkennbar, daß es Gregor sei. Diese Tatsache war nun nicht geeignet, die Unruhe der MĂ€dchen zu vermindern – allein wie Gregor zur TĂŒr heraustrat und sie den schönen Greis ansahen mit der aufrichtigen Stirne und darunter die glĂ€nzenden dichterischen Augenpaare, so folgten sie ihm willig durch das Tor, das er hinter sich wieder schloß. Keine – wie durch Verabredung – tat der neuen auffallenden Vorkehrungen ErwĂ€hnung. Er schwieg auch darĂŒber.
Nachmittags, das heißt nach damaliger Sitte schon um zwölf Uhr, stieg man auf den Blöckenstein. Zwei bewaffnete Knechte begleiteten sie, der dritte hĂŒtete das Floß. Das Rohr wurde befestigt, und rein und klar wie immer stand das kleine Nachbild des Vaterhauses darinnen. Wie ein VorgefĂŒhl, als sĂ€hen sie es zum letztenmal so, ĂŒberkam es die Herzen der MĂ€dchen, und es war ihnen, als könnten sie sich gar nicht davon trennen und als mĂŒĂŸten sie den geliebten schönen Vater oder den unschuldigen Knaben Felix auf irgendeinem Vorsprunge stehen sehen.
Wahrscheinlich waren es die neuen Anstalten Gregors, die ihnen dieses UnruhegefĂŒhl einflĂ¶ĂŸten.
Endlich, da immer dasselbe lĂ€ngst bekannte und unbelebte Bild im Glase stand, und nach tausend GrĂŒĂŸen, die laut und heimlich hinĂŒbergesendet wurden, nahm man das Rohr ab und trat den RĂŒckweg an. Zu Hause wĂ€hlten sie sich noch einige Federn des Geiers und begaben sich wieder in ihr Zimmer.
Kein einziger Vorfall geschah diesen und die folgenden Tage, außer daß man wieder einmal wollte bemerkt haben, daß Gregor in der Nacht das Haus verlassen habe: aber eine gewisse SchwĂŒle und Angst lag ĂŒber dem Tale und den Herzen, als mĂŒsse jetzt etwas geschehen. Seltsam – als ob die unsichtbaren Boten schon vorausgingen, wenn ein schweres Ereignis unserm Herzen naht. – –
Es war die fĂŒnfte Nacht nach dem Schusse des Geiers – der abnehmende Mond stand am blauen Nachthimmel und malte die Fenstergitter auf die Sessel und BettvorhĂ€nge der MĂ€dchen –, da saß Johanna am Rande des Bettes ihrer Schwester, und mit dem Finger sanft ihre entblĂ¶ĂŸte Schulter betupfend, suchte sie dieselbe zu wecken, indem sie angstvoll leise die Worte hauchte: „Hörst du nichts?“
„Ich höre es schon lange“, antwortete Clarissa, „aber ich wollte dich nicht wecken, daß du keine Angst habest.“
Nun aber richtete sie sich auch in ihrem Bette auf, und von dem einen Arm Johannas gehalten, auf die Bettkante gestĂŒtzt, saßen sie da, keinen andern Hauptschmuck als das schöne Haar, den Körper im Horchen sanft vorgebogen, unbeweglich wie zwei tadellose Marmorbilder, um die das milde Licht der Herbstnacht fließt.
Es war, als hörten sie undeutlich in der Ferne eine Stimme, schwebend zwischen Rufen und Gesang – es war aber weder die eines Knechtes noch Gregors.
Sie horchten lautlos hin, aber hörten gerade jetzt nichts. Auf einmal ganz deutlich, wie herausfordernd – schwĂ€rmerisch-wild kam ein Gesang einer MĂ€nnerstimme herĂŒber, folgende Worte tragend:
Es war einmal ein König,
Der trug ’ne goldne Kron’.
Der mordete im Walde
Sein Lieb – und ging davon.
Da kam ein grĂŒner JĂ€ger:
„Gelt, König, suchst ein Grab?
Sieh da die grauen Felsen,
Ei, springe flugs hinab.“
Und wieder war ein König,
Der ritt am Stein vorbei:
Da lagen weiße Gebeine,
Die goldne Kron’ dabei.
Die Stimme schwieg, und die Stille des Todes war wieder in Luft und Wald und in den Herzen der MĂ€dchen – und als es draußen schon lĂ€ngst geschwiegen, getrauten sie sich noch nicht, sich zu regen, als sei die Szene nicht aus und als mĂŒsse noch etwas kommen.
Aber sie war aus. Kein Laut, kein Atemzug regte sich in der stummen, funkelnden Mondluft. – Da, nach langem Warten, drĂŒckte sich Johanna sanft und langsam rĂŒckwĂ€rts aus der Umarmung und sah der Schwester in das Angesicht.
Es lag so bleich vor ihren Augen wie der Mond auf der Fensterscheibe.
Nicht eine Silbe sagten sie beide.
Johanna, wie im Instinkt des Guten und hier ZustĂ€ndigen, wendete ihre Augen wieder ab und barg ihr eigenes Antlitz in das Nachtgewand der Schwester – und so viele, viele Augenblicke lang aneinandergedrĂŒckt wie zwei Tauben hielten sie sich, daß Johanna Clarissens Herz pochen fĂŒhlte und diese das Zittern des Armes der andern auf ihrem Nacken empfand. – – Endlich furchtsam leise fragte die JĂŒngere: „Clarissa, fĂŒrchtest du dich?“
„FĂŒrchten?“ sagte diese, indem sie sich sanft aus der Umarmung löste – „fĂŒrchten? nein, Johanna – das RĂ€tsel ist klar, dessen dunkler Schatten uns dieser Tage Ă€ngstete – – ich fĂŒrchte nichts mehr.“
Und dennoch bebte ihre Stimme, als sie diese Worte sagte, und Johanna konnte selbst bei dem schwachen Mondlicht bemerken, wie allgemach ein feines Rot in die vorher so blassen Wangen floß und darinnen sanft bis zur schönsten Morgenröte anschwoll. Ein ungeheuer Empfinden mußte in ihrer Seele emporwachsen, wechselnd in Wohl und Weh; denn ein fremder Geist lag auf diesen sonst so ruhigen ZĂŒgen und goß eine Seele darĂŒber aus, als glĂŒhte und wallte sie in Leidenschaft.
„Johanna“, sprach sie, „es ist wunderbar, sehr wunderbar, wie die Wege der Vorsehung sind. Wer hĂ€tte gedacht, daß das, was ich neulich an der Felsenwand zu dir sprach, so nahe sei – in der schönen Einöde hat mich Gott der Herr gefunden –, mag es sich erfĂŒllen, wie es muß und wird – fĂŒrchte dich nicht, liebes Kind –, auch mitten im Walde ist der Herr ob uns. Du kennst das Lied, du ahnst auch, wer es sang – er hat es gut gewĂ€hlt –, er wird mich sehen, ja, aber nicht in unserm heiligen Hause – Gregor und du werden mich begleiten – sieh mich nicht so erschrocken an – wenn selbst die kleine Kugel von ihm kam, und wie er auch mit diesem Wald zusammenhĂ€ngt: Gefahr solcher Art droht uns nicht – – ja, ja, den Sonnenschein hat er wollen auf den Hut stecken und die Abendröte umarmen – – ja, es ist seine Art, so zu erscheinen, wie er hier tat, das Lied hat mich herausgefordert – gut, aber jetzt ist es kein Kind mehr, hilflos gegeben in die Allgewalt der eignen Empfindung: eine Jungfrau, stark und selbstbewußt – sie wird kommen, statt der Lilie das Schwert des Herrn in ihrer Rechten – ja, sie wird kommen!“
Ihr Antlitz strahlte – eine solche Schönheit ĂŒberging ihre ZĂŒge, daß selbst Johanna scheu zu ihr hinĂŒberblickte –, mit Inbrunst schwĂ€rmte ihr dunkles Auge hinaus, angeglĂ€nzt von dem Lichte der Nacht – – auf die Stirne flog es wie ungeheurer Stolz und Triumph – – so saß sie und badete das gehobene Antlitz in den Strahlen des Mondes – – – bis sie endlich in einen Strom siedend heißer TrĂ€nen ausbrach und sich wie ein Kind an das Herz der Schwester legte.
Wer sie in dieser Nacht gesehen hÀtte, der hÀtte begriffen, wie denn diese sanfte, ewig ruhige Gestalt zu den tiefschwarzen lodernden Augen gekommen.
Johanna schlang ihre beiden Arme um sie, und obgleich sie die Gewalt dieser TrĂ€nen nicht begriff, so wurde sie doch selbst bis zu dem heftigsten Schluchzen gerĂŒhrt – und die Luft der Herzen löste sich durch diese milden Perlen.
Der Morgen fand sie, Johannen an dem Busen der Schwester mit den mĂŒde geweinten Augen tief und fest entschlummert. Clarissa wachte schon lĂ€ngst, aber da der Schwester Haupt ihr zum Teil auf Busen und Schultern lag, so regte sie sich nicht, um ihr nicht den Morgenschlaf zu stören, der mit so sichtbar sĂŒĂŸer HĂŒlle auf dem geĂ€ngsteten Herzen lag. Endlich, da sich die braunen Augen langsam auftaten und befremdet auf Clarissen sahen, wie sie denn in ihr Bett geraten, so strich diese sanft mit der Hand ĂŒber den Scheitel der goldblonden Locken und sagte: „Guten Morgen, liebes, liebes Kind.“
Aber mit einer Art BeschĂ€mung ĂŒber die Lage, in der sie sich fand, sprang Johanna auf und begann sich anzukleiden, indem ihr nach und nach das Bewußtsein der vergangenen Nacht kam und der Wichtigkeit des heutigen Tages.
Auch Clarissa kleidete sich schweigend an und ließ dann durch die Magd den alten Gregor rufen. Er kam.
„Ihr habt heute nacht singen gehört“, redete sie ihn an.
„Ja.“
„Ihr kennt den Mann sehr gut, welcher gesungen?“
„Ich kenne ihn sehr gut.“
„Er wĂŒnscht dringend, mit uns zu reden.“
Der JĂ€ger sah sie mit betroffenen Augen an. „Ich weiß es“, sagte er; „aber daß auch ihr es wißt?“
„Wir wissen es und wollen ihn auch sprechen, und zwar, wenn es möglich ist, noch heute; aber nicht hier – in unser Haus soll kein fremder Mann kommen –, sondern an der Steinwand bei den letzten Ahornen soll er uns erwarten. Johanna und ich werden kommen, und Ihr seid gewiß so freundlich, uns zu begleiten. Wenn der Schatten der Tannen von dem See gewichen ist, möget Ihr uns abholen, wenn es bis dahin geschehen kann.“
„Es kann geschehen – aber bedenkt, daß ihr selbst es seid, die es so wollen.“
„Bereitet es nur, Gregor – ich kenne auch den Mann, und wir wollen ihn fragen, warum er unsere Ruhe und Zuflucht stört.“
Gregor ging.
Der Vormittag war vorĂŒber, der Schatten der Tannen war von dem See gewichen, und man sah Gregor mit der BĂŒchse auf der Schulter die zwei MĂ€dchen dem AhornwĂ€ldchen zufĂŒhren. Johanna war, wie gewöhnlich, in ihrem weißen Kleide, aber Clarissa hatte all ihren Schmuck und ihre schönsten Kleider angetan, so daß sie wie eine hohe Frau war, die zu einem Königsfeste gefĂŒhrt wird. Es liegt etwas Fremdes und Abwehrendes in Schmuck und Feierkleid der Frauen; sie sind gleichsam der Hofstaat ihrer Seele, und selbst der alte Waldsohn, der nie andere Juwelen sah als die des Morgens in den Tannen, fĂŒhlte sich von Clarissens Schönheit gedrĂŒckt und fast untertĂ€nig; denn auch in ihrem Angesichte lag ein fremder Schimmer und ein strahlender Ernst.
Johannas Herz klopfte ungebĂ€ndigt, und – obwohl sie sich’s zu sagen schĂ€mte – die kleine Kugel und der JĂ€gerbursche, der von dem furchtbaren WildschĂŒtzen erzĂ€hlt hatte, wollten ihr nicht aus dem Sinne kommen, und es war ihr dunkel drohend, als ob etwas Entsetzliches kommen wĂŒrde.
So war man bis gegen die letzten Ahornen gelangt. Ein Mann, in einfaches, ungebleichtes Linnen gekleidet, einen breiten Hut auf dem Haupte, eine Flinte in dem Arme, saß auf einem der grauen Steine. Wie man ganz in die NĂ€he gekommen, stand er auf, zog ehrerbietig den Hut und wies sein Antlitz. – Johanna hĂ€tte fast einen Schrei getan – so schön war er –, auch Clarissa wankte einen Augenblick. Wie er den Hut abgenommen und das Angesicht mit einem schnellen Ruck ihnen zugewendet, warf sich eine Flut von Haaren wie ein goldener Strom auf seine Schultern, darlegend das lichte Antlitz, fast knabenhaft schön und fein, daraus die zwei großen, dunkelblauen Augen hervorsahen wie zwei Seelen, die auf Clarissa hafteten. – – Auch sie vergaß ihr dunkles Auge auf seinen ZĂŒgen, den wohlbekannten, vielgeliebten, vielgekrĂ€nkten – bis sie plötzlich hocherrötend einen unbeholfenen Schritt seitwĂ€rts tat, gleichsam gegen die Bank hin, die in der NĂ€he stand, als wollte sie sich darauf setzen. Johanna, bloß diese Absicht vermutend, war ihr behilflich und setzte sich neben sie. Er, noch immer kein Wort redend, ließ unbewußt seine Blicke ihren Bewegungen folgen, als sei er betreten, daß eine ganz andere Gestalt gekommen, als er erwartet. Endlich legte er seine Flinte seitwĂ€rts und setzte sich den MĂ€dchen gegenĂŒber auf denselben grauen Stein, auf dem sie ihn gefunden.
Die hohen BĂ€ume, die graue Felswand und die weißen Nachmittagswolken sahen stumm auf die seltsame, ebenfalls stumme Versammlung.
Gregor ging abseits von den Ahornen, anscheinend so hie und da das fortschreitende Vergelben der BlÀtter betrachtend.
Endlich taten sich Clarissens Lippen auf, und sie sagte. „Ihr habt uns aufgefordert – – Ihr wolltet, mein’ ich, mit uns reden – wir sind gekommen – so redet.“
„Ja“, antwortete er, „ich bat Euch um eine Unterredung, aber nur Euch; denn ich kenne die andere Jungfrau nicht.“
„Es ist meine Schwester Johanna.“
Mit Verwunderung blickte er nun auf Johanna und sagte trĂŒbselig lĂ€chelnd: „Sie ist aus einem Kinde nun eine schöne Jungfrau geworden; – o Clarissa, wir haben uns sehr lange nicht gesehen – damals war sie ein Kind, das selten sichtbar wurde, daß ich ihrer schon ganz vergaß. – Kennt Ihr mich, Johanna?“
Sie schĂŒttelte mit dem Kopfe.
„Nun, Clarissa“, fuhr er fort, „verzeiht, daß ich gekommen, und auch die Art, wie ich es tat. – Seht, ich wollte nicht plötzlich, wenn Ihr lustwandeln gingt, vor Euch treten – ich hĂ€tte es einige Male gekonnt –, sondern erst Euren Begleiter, den ich seit langem kenne, sprechen, aber er war stets an Eurer Seite und verließ sonst nie das Haus, daher sandte ich ihm durch den Geier meine Kugel, die er wohl kennt, auch suchte er mich sogleich und fand mich, aber keine Macht der Überredung konnte ihn dahin bringen, daß er Euch von mir eine Botschaft brĂ€chte – – ja, er verrammelte und bewachte das Haus nun vorsichtiger als je, so daß ich ihn, der mich einst so liebte, gar nicht begriff. – Ich selbst mußte mir nun, sei es auch auf die Gefahr hin, daß mich einer Eurer Knechte erschieße, Gelegenheit verschaffen, Euch meine Anwesenheit kundzutun, ob Ihr etwa freiwillig gewĂ€hrt, was ich nicht rauben wollte und von ihm nicht erbitten konnte. Ich sang das Lied, das Ihr kennen mĂŒsset.“
„Ich kannte es“, sagte Clarissa, „und sei es nun auch unrecht, daß ich kam, ich wollte Euch nicht fortweisen, da Ihr so viel Anstalt machtet, mich zu sprechen – – Und nun redet: warum seid Ihr hier, die Zuflucht und Ruhe zweier MĂ€dchen zu unterbrechen, die so kindisch sind, daß sie oft das unversehene Rauschen eines Blattes schreckt, sagt, warum seid Ihr hier?“
„Clarissa – Ihr fragt das“, sagte er, indem ein leichter Hauch von Rot ĂŒber sein Gesicht flog, „wisset Ihr selber denn das nicht?“
„Nein, ich weiß es nicht“, antwortete sie mit unsicherer Stimme.
„Ihr wißt das nicht?“ wiederholte er zweimal, „Ihr wißt das nicht?“ – und er warf sein Haupt wie im Schmerz empor, so, daß auf einen Augenblick der Glanz der Herbstsonne auf die schwĂ€rmerischen ZĂŒge fiel – und sie verklĂ€rte – – „Ihr wißt das nicht? Seht, ich bin in Frankreich gewesen – ich war weiter, in dem neuen Lande war ich jenseits des großen glĂ€nzenden Meeres –, ich kam wieder, ich suchte Euer Schloß, es ist bedroht, Ihr seid geflĂŒchtet, niemand weiß, wohin – ich kundschaftete auf allen Straßen; eine fĂŒhrt gegen den Wald, sie sah Euch ziehen – ich suchte Gregors HĂŒtte, er ist nicht da. – Durch alle WĂ€lder und Schluchten, lebend von dem, was mir meine BĂŒchse erwarb, ging ich tagelang, wochenlang, bis – es war ein lichte, schöne Stunde –, bis der Gedanke dieses Sees wie ein Blitz in meine Seele fuhr, wie ihn mir einst Gregor zeigte und die Worte sagte: ,Auf diesem Anger, an diesem Wasser ist der Herzschlag des Waldes; mir ist, als mĂŒĂŸte ich ihn hören, so lieblich und treu und fester als die Burg eines Königs.‘ Ich kam hierher – am Rande jener Felsenmauer herĂŒberkletternd, erblickte ich das hölzerne Haus, auf einem Felsensteig – Gregor weiß ihn – Euch wĂ€re er tödlich – stieg ich nieder. – Dort, wo die Sandriesen beginnen, im Schatten des Felsens ruhte ich ermĂŒdet aus, wischte mir das Blut von den HĂ€nden – und wie ich nach diesem GeschĂ€fte aufblickte – kaum hundert Ellen von mir am Rande des Gerölles saßet Ihr mit Johannen, beide in weißen GewĂ€ndern und vertraulich redend – – Ich erschrak, daß sich der See und die BĂ€ume drehten – das schreiende Herz drĂŒcke ich nieder, ja, in meiner Torheit halte ich den Atem an, daß er euch nicht erreiche, obwohl ich nicht einmal eure Worte hören konnte – aber hold und sĂŒĂŸ mĂŒssen sie gewesen sein; denn ihr saßet und sprachet lange, legtet endlich eure HĂ€nde ineinander und sahet schweigend in die Luft hinaus, mir wollte es bedĂŒnken im Übermaß der RĂŒhrung und der Liebe und des Vertrauens. Als es Abend wurde, ginget Ihr – diese BĂ€ume hier verschlangen den letzten Schimmer Eures Gewandes – ich blieb sitzen und stillte meinen Hunger mit einer Handvoll Brombeeren. Wieder sah ich Euch – gehen durch den Wald, wandeln an dem See, ...

Inhaltsverzeichnis

  1. decken
  2. Titel
  3. Kolophon
  4. Waldburg
  5. Waldwanderung
  6. Waldhaus
  7. Waldsee
  8. Waldwiese
  9. Waldfels
  10. Waldruine
  11. Über Der Hochwald