Der Beethoven Bumerang
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Der Beethoven Bumerang

Ein Megan Crespi-Krimi

  1. 440 Seiten
  2. German
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Der Beethoven Bumerang

Ein Megan Crespi-Krimi

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Über dieses Buch

Mordende Dirigentinnen, durchgeknallte Museumsdirektoren, selbstvergessene Aktivisten – in Alessandra Cominis Krimis lässt sich so manche Parallele zur heutigen Kunst- und Kulturszene erahnen. Hier fällt ein Schuss, dort werden unliebsame Zeitgenossen im Rhein versenkt. Die Schauplätze und Tatorte sind weltweit verstreut: etwa wenn am Bonner Münsterplatz direkt beim Beethoven-Denkmal eine brisante Demo stattfindet, oder wenn die Orion, ein Kreuzfahrtschiff der Luxusklasse, am Hafen der chinesischen Metropole Tsingtao anlegt. Und die Morde gehen weiter – aber warum? Dabei fängt alles so harmlos an: Das quicklebendige Alter Ego der Autorin, die amerikanische Kunstgeschichteprofessorin Megan Crespi aus Dallas, Texas, ist wieder einmal zu einem Symposium in Deutschland eingeladen.

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Information

1
„Na sowas! Eine Postsendung, die niemals den Adressaten erreicht hat. Dabei ist dieser Komponist schon seit fast zwei Jahrhunderten tot!“
Es war ein warmer Apriltag mitten in der geschäftigen Leipziger Innenstadt und Bauingenieur Theodor Zimmermann betrachtete das Paket, das ihm sein Mitarbeiter Horst gebracht hatte. Die zwei Männer standen in der Schillerstraße am Rand des Abrissgeländes eines baufälligen Hauses aus dem achtzehnten Jahrhundert. Die Absenderadresse lautete:
Breitkopf & Härtel
Schillerstraße 121, Leipzig
Königreich Sachsen
und adressiert war das Paket an:
Ludwig van Beethoven,
Schwarzspanierhaus, Wien
Kaiserthum Österreich
Diagonal darüber waren einige Worte in Großbuchstaben zu lesen, die aussahen, als seien sie mit einem antiquierten Handstempel gedruckt worden:
UNZUSTELLBAR: ZURÜCK AN DEN ABSENDER
„Das liegt wohl da unten in diesem Keller, seit es per Post von Wien nach Leipzig zurück ging“, sagte Horst, „Wie ein Bumerang.“
„Ja, wie ein Bumerang für Beethoven“, Zimmermann lächelte amüsiert über seine Alliteration. „Ein Beethoven-Bumerang.“
„Chef, wollen Sie das Paket jetzt gleich öffnen?“
„Tja also … nein. Ich denke nicht. Jedenfalls nicht hier im Freien, bei dem Wind.“
„Dann mach’ ich mich mal wieder an die Arbeit.“ Horst drehte sich um und ging wieder zu seiner Aushubstelle zurück. Dieser Abbruchauftrag war dringend und seine Arbeitswoche hatte sich schon jetzt viel zu weit ins Wochenende gezogen.
Zimmermann starrte weiter auf das Paket und wunderte sich immer mehr. Breitkopf & Härtel, das war doch eine legendäre Leipziger Firma. Sogar ihm war der Name ein Begriff. Vielleicht sollte er die einfach kontaktieren? Gab es den traditionsreichen Musikverlag aus dem achtzehnten Jahrhundert überhaupt noch? Oder wäre es klüger, das Paket gemeinsam mit seinem Neffen Ernst zu öffnen, der war immerhin Musiker, Bratschist bei der Klassischen Philharmonie Bonn. Vielleicht, je nach Inhalt, sollte man sogar das Bonner Beethoven-Haus kontaktieren? Oder ein Auktionshaus? Der Inhalt des Pakets könnte ein Vermögen wert sein!
Ja, Theodor würde das Richtige tun und sich an Ernst wenden. Er wusste, dass sein musikbegabter Neffe am kommenden Abend ein wichtiges Konzert zu spielen hatte. Vielleicht sollte er ihn heute nach der Arbeit anrufen und ihm das Paket gleich morgen, am Sonntag, höchstpersönlich zur Begutachtung überbringen.
2
Bettina Brentano war eine Frau mit Ambitionen. Sie war groß, muskulös, hatte eiskalte blaue Augen und dichtes, rabenschwarzes Haar, das sie meist kunstvoll hochgesteckt in einem auffällig großen Knoten trug. Für ihre siebenundvierzig Jahre sah sie gut aus. Ihre neue, mühelos erlangte Position als Dirigentin der Klassischen Philharmonie Bonn mit rund sechzig Instrumentalisten unter sich und einem Repertoire quer durch die Wiener Klassik – Haydn, Mozart, Beethoven – war für sie noch keineswegs der letzte Schritt auf ihrer Karriereleiter. Bald würde sie ihr jahrelang verfolgtes höchstes Ziel erreichen: Sie wollte die Leitung des viel größeren und berühmteren Bonner Beethoven Orchesters übernehmen, mit seinen hundertsechs Instrumentalisten und weltweit gefeierten Konzertaufnahmen.
Bettina hatte trotz ihrer frühen Heirat ihren Mädchennamen Brentano behalten, doch nie hatte sie diesen schillernden Familiennamen zum Anlass genommen, um sich wichtig zu machen. Aber geleugnet hatte sie ihre prominente Herkunft auch nicht. Und irgendwie schien jedem, der sie traf, mit ihr arbeitete oder auch nur mit ihr korrespondierte, ohnehin klar zu sein, dass ihre vielgerühmte Vorfahrin mütterlicherseits Bettina Brentano von Arnim war, die Freundin der großen Helden der deutschen Kultur, Goethe und Beethoven. Natürlich tat es ihrer Bekanntheit keinen Abbruch, dass das Porträt ihrer Ahnin bis zur Einführung des Euro auf jedem Fünfmarkschein abgedruckt gewesen war.
Eine ganze Reihe von Beethoven-Experten hielt die Bettina des 19. Jahrhunderts sogar für die „unsterbliche Geliebte“ Beethovens, jene nie eindeutig identifizierte Frau, die der Komponist in einem posthum berühmt gewordenen Brief mit dem zärtlichen „Du“ bedacht hatte, doch ohne ihren Namen zu nennen. All das hatte der jetzigen Bettina Vorschusslorbeeren eingebracht, ihre Ernennung zur Chefdirigentin von Bonns zweitgrößtem Orchester war damit vorgezeichnet gewesen.
Gewiss war die Bettina von heute mit vielen Talenten gesegnet. Als Wunderkind am Klavier hatte sie schon früh Beethovens viertes Klavierkonzert mit großem Orchester gespielt und später vom Flügel aus dirigiert. Sie fügte dabei Clara Schumanns Kadenz ein und brachte das Publikum zum Jubeln, vor allem das klassische Stammpublikum aus der Region Köln-Bonn, schließlich waren beide, Robert und Clara Schumann, am Bonner Friedhof begraben. Von ihrem Erfolg als Virtuosin ermutigt, brillierte die junge Brentano bei ihrer nächsten Konzertreihe an zwei aufeinanderfolgenden Abenden mit den Kadenzen, von Johannes Brahms und Camille Saint-Saëns. Dann entwickelte sie ein Programm für fünf Abende, bei dem sie das vierte Klavierkonzert jeweils mit einer anderen Kadenz präsentierte: zwei hatte Beethoven selbst in Noten gesetzt, dazu kamen die von Clara Schumann, Johannes Brahms, und Camille Saint-Saëns. Das Resultat waren bis zum letzten Platz gefüllte Konzertsäle, wo immer sie dieses Konzertprogramm aufführte, im Publikum viele Enthusiasten, die an jedem der fünf Abende wieder kamen. Der Zenit war erreicht, als Bettina auch die von ihr selbst komponierte, sehr modern klingende Brentano-Kadenz zur Aufführung brachte.
Bis zu diesem Geniestreich der dirigierenden Virtuosin hatte es nichts Vergleichbares gegeben und das Publikum war begeistert. Als dann der vormalige Dirigent der Klassischen Philharmonie Bonn wegen eines nie geklärten Unfalls mit Fahrerflucht arbeitsunfähig zurückblieb, und die Bonner Stadtväter dringend eine Nachfolge für ihn suchten, entschieden sie sich für frisches Blut: Bettina Brentanos hoher Bekanntheitsgrad sollte den sinkenden Publikumszahlen zu neuen Höhen verhelfen.
Damit hatte Bonn zwei renommierte Chefdirigenten: Bettina Brentano für die Klassische Philharmonie Bonn und Clemens Karl von Masuren, den regierenden, ja, angebeteten Leiter des Beethoven Orchesters Bonn.
Beide dirigierten ihre Bonner Aufführungen jeweils in der neuen Beethovenhalle, einer erst kürzlich fertiggestellten, großzügig dimensionierten Konzerthalle am Rhein, deren mächtiger, abgeflachter Kuppelbau über einen majestätischen Konzertsaal mit einer brillanten Akustik verfügte. Fast zwei Jahrzehnte lang hatte es so ausgesehen, als würde das ambitionierte Bauprojekt nie vollendet werden. Mehrmals wurde die Fertigstellung wegen fehlender Mittel unterbrochen, schließlich musste der zögerliche Baubetrieb sogar ganz eingestellt werden. Aber dann war völlig unerwartet ein geheimnisvoller Geldgeber aus China eingesprungen, ein Milliardär, der anonym bleiben wollte, und die neue Beethovenhalle konnte gerade noch rechtzeitig zum Beethoven-Jubiläumsjahr anlässlich seines 250-jährigen Geburtstages in aller Pracht eröffnet werden.
Wenn sie ihre Karten richtig ausspielte, würde Bettina Brentano bald die Musikdirektorin über beide Orchester sein und die Stadt Bonn, Beethovens Geburtsstadt, wäre ihr auf ewig dankbar.
3
Kein Mensch hätte geglaubt, dass die Amerikanerin, die ihrem Begleiter so flott über den Bonner Münsterplatz voraus sprang, schon Mitte Achtzig war. Seit ihrer Pensionierung war die emeritierte Universitätsprofessorin Megan Crespi mit neuen Herausforderungen beschäftigt. Als Kunsthistorikerin mit vielfältiger Expertise unterstützte sie die Polizei immer wieder bei der Aufklärung kniffliger Verbrechen in der internationalen Kunst- und Musikszene. Meistens führte sie diese Aufgabe weit weg von ihrer Heimatstadt Dallas und ihrem geliebten Malteserhündchen Button – Knöpfchen – und fast immer landete sie dann in Europa. Die ewige Brünette mit ihren funkelnden, kastanienbraunen Augen hielt sich mit einer strikten täglichen Gymnastikroutine fit und schlank, wenn auch nicht so schlank, wie sie es gerne hätte.
Ihr Reisebegleiter war diesmal ein hochgeschätzter Freund und Kollege aus gelehrten Kreisen, der um zwanzig Jahre jüngere und seit kurzem pensionierte Will Meridian, seines Zeichens Mitgründer und langjähriger Direktor des American Beethoven Center in Berkeley Heights, New Jersey. Er hatte eine umgängliche Persönlichkeit, freundliche blaue Augen und weißes Haar. Aufgrund seines sympathischen, doch stets Respekt gebietenden Auftretens, seines enormen Fachwissens und bester Kontakte war es ihm im Lauf der Jahre gelungen, eine Vielzahl von Sponsoren und Experten für das führende amerikanische Beethoven Center zu gewinnen. Nun war er mit Megan nach Bonn gereist, um mit fünf weiteren Beethoven-Forschern unterschiedlicher Expertisen an einem Symposium teilzunehmen.
Megan würde bei der geplanten Podiumsdiskussion über den Mythos Beethoven referieren, darüber, wie es zu dem sich stets wandelnden Bild Beethovens im Lauf der vergangenen zweieinhalb Jahrhunderten gekommen war. Als Autorin eines reich bebilderten kunstgeschichtlichen Standardwerkes zur Geburt, wie sie es nannte, des Beethoven-Mythos, zählte sie zu den international nachgefragten Experten auf diesem Gebiet. In dem wissenschaftlichen Prachtband war sie dem Prozess der Mythenbildung rund um den Komponisten auf den Grund gegangen, hatte Beethoven-Porträts, Gemälde, Büsten und Denkmäler analysiert und so anhand der Ikonografie, aber auch anhand der musikalischen Beethoven-Rezeption neue Perspektiven eröffnet. Die Verknüpfung von Bild und Klang, von Gemäldekunst und musikalischem Werk war ihr immer ein Anliegen gewesen.
Die Diskussion versprach, lebhaft zu werden, denn Megan würde auch die neuesten Kunstwerke von bildenden Künstlern der Gegenwart einbeziehen, doch bekanntermaßen stellte sich eine Mehrheit der Teilnehmer entsetzt gegen alle neuartigen gemalten, gegossenen oder gemeißelten Darstellungen Beethovens, wie sie sich bisher im 21. Jahrhundert präsentierten. Im Großen und Ganzen war Megan selbst auch wenig begeistert davon, doch sie fand, dass es doch einige wenige künstlerisch gelungene oder zumindest clever gestaltete Ausnahmen gab. Wenig begeistert hatte sie zur Kenntnis genommen, dass die heutigen Künstler sich kaum darum scherten, ob ihr Werk noch irgendeine historische Ähnlichkeit mit Beethoven aufwies. Aber sie hatte vor, in ihrem Vortrag ein paar unschlagbare Argumente vorzubringen.
Wills Vortrag würde sich auf zwei ganz andere Themen konzentrieren, von denen eines bereits angekündigt, das andere hingegen ein sorgsam gehütetes Geheimnis war. Sein offizielles Thema war die neueste Untersuchung einer angeblich von Beethoven stammenden Haarlocke, die vor nicht allzu langer Zeit in den vorübergehenden Besitz des American Beethoven Center gelangt war. Seit er vor vielen, vielen Jahren die Leitung der renommierten Institution übernommen hatte, waren immer wieder angebliche Haarlocken Beethovens zur Analyse eingelangt, doch die neueste, wenn auch nur leihweise zur Verfügung gestellte Haarlocke, hatte eine Besonderheit: Die Haarwurzeln waren noch intakt. Genau das könnte den entscheidenden Unterschied ausmachen. Der mysteriöse Leihgeber, ein gewisser „Louis van Hoven“ aus New Haven, Connecticut, behauptete – wie so viele vor ihm –, er sei ein direkter Nachkomme des Junggesellen Beethoven. Würden die noch ausstehenden DNA-Ergebnisse ihm zum erhofften Nachweis seiner Abstammung verhelfen?
Bestimmt hatte er die Haarlocke mitsamt Wurzeln bereits in Wien oder anderswo in Europa testen lassen, vermutete Will. Womöglich war er mit den Ergebnissen nicht glücklich. Und so hatte er dem American Beethoven Center nicht nur leihweise die Haarlocke zur Überprüfung überlassen, sondern seine eigene Familiengeschichte und die Namen einiger der bekanntesten Wiener Prostituierten aus der Zeit des Komponisten gleich mitgesandt. Diese letzteren offenbar unentgeltlichen Auskünfte bekräftigte er mit einem Hinweis auf Beethovens langjährigen Freund Nikolaus Zmeskall und die überlieferte Korrespondenz der beiden Musiker. Alles deutete darauf hin, dass nicht nur der Freund, sondern auch der liebestolle Komponist selbst gelegentlich das eine oder andere Wiener Freudenmädchen aufgesucht hatte.
„All diese Behauptungen sind natürlich haarsträubend absurd, ein irrwitziges Narrativ, vor allem, was die Abstammung von Beethoven betrifft. Aber wir führen die DNA-Analyse trotzdem durch“, sagte Will über den Leihgeber der Haarlocke, als er Megan etwas außer Atem einholte. Ihr Sprint über den Bonner Münsterplatz hin zur Außenterrasse des gut besuchten Café Midi hatte ihnen einen exklusiven Ecktisch unter einem blauen Sonnenschirm beschert, quasi „erste Reihe fußfrei“ mit freiem Blick auf das imposante Denkmal mitten auf dem Münsterplatz und die ihn unaufhörlich umkreisenden Touristen und Bewunderer. Da stand er, der voranschreitende Beethoven mit einem Stift in der Hand, einstmals errichtet von Ernst Julius Hähnel, einem jungen Bildhauer des neunzehnten Jahrhunderts, seither die Attraktion Nummer Eins in der Bonner City.
Nur dank der finanziellen Großzügigkeit des Komponisten und Beethoven-Verehrers Franz Liszt war es damals gelungen, die lebensgroße Bronzestatue auf ihren reliefgeschmückten Bronzesockel zu stellen und dazu noch die allererste Bonner Beethovenhalle zu erbauen und rechtzeitig zu den dreitägigen Festlichkeiten zur Enthüllung des Monuments zu eröffnen. Es war das erste öffentliche Denkmal zu Ehren Beethovens in seiner Geburtsstadt Bonn und wurde an einem Dienstag im August des Jahres 1845 feierlich eingeweiht.
Die Stadt Wien hingegen, wo Beethoven den größten Teil seines Lebens verbracht hatte, hinkte zögerlich hinterher und schaffte es erst 1880 ihren weltberühmten Ehrenbürger mit einem entsprechenden Denkmal zu würdigen, obwohl doch Beethoven so viele Lebensjahre in der österreichischen Hauptstadt verbrachte und dort 1827 im Alter von sechsundfünfzig Jahren zu Grabe getragen werden musste.
„Und rate mal, was die größte Überraschung bei der Enthüllungszeremonie des Bonner Beethoven-Denkmals war“, wandte sich Megan mit einem herausfordernden Blick an Will, während beide an ihren Cappuccinos nippten und die Touristen bei ihrem beständigen Kommen und Gehen rund um die Statue beobachteten.
Er warf ihr einen argwöhnischen Blick zu, denn ihr Hang zu den kleinsten, oft von allen anderen übersehenen, doch stets auch sehr witzigen und interessanten historischen Details war ihm bestens bekannt.
„Hm. Ich will jetzt nicht herumrätseln. Sag’s mir einfach.“
„Na schön. Du weißt ja, dass die junge Queen Victoria mit ihrem geliebten Gemahl Prinz Albert eigens aus London nach Deutschland angereist kam, um an der Zeremonie teilzunehmen, nicht wahr?“
„Wenn du das sagst. Warte mal, ja. Jetzt fällt es mir wieder ein. Sie traf hier in Bonn ihren Cousin Friedrich Wilhelm IV. von Preußen und Erzherzog Friedrich von Österreich, stimmt’s?“
„Stimmt. Und jetzt schau ein kleines Stück weiter nach rechts. Was siehst du dort, hinter der Statue?“
„Hinter der Statue? Nun, ein großes, gelbes Gebäude. Postamt steht auf der Fassade.“
„Das ist es heute. Aber im Jahr 1845 residierte der Graf von Fürstenberg in diesem Stadtpalais. Er war der Gastgeber der Majestäten aus England, genau in diesem Haus empfing er sie. Und der Balkon, den du dort siehst, war der Ehrenplatz für die königlichen Gäste bei der Enthüllung des Denkmals.“
Megan wartete und beobachtete Will, der, wie sie ahnte, blitzschnell kombinieren und dann in schallendes Gelächter ausbrechen würde. Es folgte unmittelbar.
„Ha! Ich verstehe, was du meinst. Bei der Enthüllungszeremonie mussten Victoria und Albert und die anderen Repräsentanten des Hochadels die ganze Zeit auf Beethovens Kehrseite schauen. Wie peinlich!“ Beide schmunzelten amüsiert.
„Aber war denn Victoria nicht in ihrer Ehre gekränkt?“, fragte Will schließlich.
„Es gibt sogar einen Tagebucheintrag von ihr, anlässlich des Ereignisses. Lass mich mal nachsehen.“ Megan tastete nach ihrem iPhone, das in seiner roten Silikonhülle leicht zu finden war. Im Internet, ja überhaupt in diesem ganzen Informationszeitalter mit seinen immer neuen Tools war sie in ihrem Element. Tatsächlich fragte sie sich oft, wie sie früher ohne all die praktischen Neuerungen der Technik auskommen konnte. Es war ihr mittlerweile schleierhaft, wie es ihr damals gelingen konnte, ihren immer noch relevanten Wälzer über die „Geburt“ des Mythos Beethoven zu schreiben. Damals war sie bei ihren Recherchen statt auf Internet und Google auf echte Bibliotheken und echte Bücher angewiesen, und nicht zu vergessen, auf ihr unvergessliches gelbes Lineal als Forschungswerkzeug.
„Der Punkt ist, dass Victoria diesen Fauxpas nicht als beleidigend empfand, wie einige andere aus ihrem Gefolge, sondern einfach nur als unglücklichen Moment. Ah, da ist die Stelle: Als die Statue enthüllt wurde, drehte sie uns bedauerlicherweise den Rücken zu.“
„Das ist alles? Mehr schrieb sie dazu nicht in ihr Tagebuch?“
„Tja. Das ist alles. Kein weiterer Kommentar.“
„Nun, apropos Kommentar, was hältst du selbst als Kunsthistorikerin von dem Bonner Beethoven-Denkmal?“, fragte Will, ernsthaft interessiert an dem Urteil seiner Kollegin über die Bronzefigur, deren Sockel aus dem massiven Zementfundament unmittelbar vor ihnen emporwuchs.
„Mir gefällt sie. Sehr sogar. Schließlich musste ein großer Kompromiss gefunden werden: einerseits sieht man die bildhauerische Akkuratesse anhand des Gesichts und der zeitgemäßen Kleidung, andererseits wird die Ausstrahlung des Heroischen vermittelt. Ich glaube, das ist Hähnel wirklic...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Über das Buch
  3. Titel
  4. Impressum
  5. Hinweis
  6. Widmung
  7. Liste der Figuren
  8. Kapitel 1
  9. Kapitel 31
  10. Kapitel 58
  11. Kapitel 90
  12. Über die Autorin und die Übersetzerin
  13. Besuchen Sie unsere Webseite