Erstes MorgenlĂ€uten zittert ĂŒber den Rhein, der plötzlich durch den Nebel emporsteigt.
Ein Riesenkran reckt sich ĂŒber den Hafen. Eiserne KĂ€hne erwachen aus tiefem Schlaf. Ketten beginnen zu rasseln. Ein Köter klefft einen Matrosen an, der mit Eimer und Scheuertuch ĂŒber die Planken schlurft . . .
Schrill pfeifend stampft eine Dampfpinasse heran. Sie kommt wie ein Schatten durch den weichenden Nebel geschwommen. â Die Hafenpolizei unternimmt eine Rundfahrt.
Hinter den Schleiern hebt sich die Stadt empor; die grosse Stadt am Rhein mit ihren Zinnen und TĂŒrmen wischt sich den Schlaf aus den Augen . . .
Bald regt es sich ĂŒberall. Luken werden geöffnet; Rufe erschallen; tappende Schritte dröhnen auf eisernem Bootsbelag.
Der Matrose hat mit Scheuern begonnen. Dabei pfeift er einen Gassenhauer zwischen den ZĂ€hnen. Vom Dach der KajĂŒte aus schaut ihm der Köter zu.
An den Dampser, tief ins Wasser gedrĂŒckt, schmiegt sich ein beladener Eisenkahn; aus der WohnkajĂŒte steigt blĂ€ulicher Rauch empor. â
Plötzliches Kettenrasseln und Zischen verkĂŒndet, dass der grosse Dampfkran seine Arbeit begonnen hat. Er keucht wie ein gewaltiges Tier dabei. Ueber die Hafenstrasse, die eine Erneuerung ihres Pflasters sehr nötig hat, holpert ein schwer beladener Wagen. Auf dem Gleisanschluss rollt eine Lokomotive. Grelle Pfiffe reissen die Luft entzwei.
Die WohnkajĂŒte des Eisenkahns âMargaretheâ wird soeben geöffnet. Ein junger Mann steigt, seine Augen gegen die aufsteigende Sonne schĂŒtzend, an Deck empor. Er steckt in einem Matrosenanzug, der ihm zu weit ist. Helle, blaue Augen schauen gross in den lachenden Morgen hinaus. Er reckt sich, gĂ€hnt und atmet aus voller Brust, als ob er die ganze Schönheit dieses Morgens in sich aufsaugen wolle. Dann tritt er in die KajĂŒte zurĂŒck und klopft an die TĂŒr einer Bretterverkleidung.
âHe, â Vadder! âs wird Zeit!â
Eine brummende Stimme erwidert etwas von innen; doch man versteht sie nicht.
Der JĂŒngling nimmt sich des Herdes an. Er hatte schon vor einer Viertelstunde Feuer entzĂŒndet; es will aber noch nicht brennen.
Ein anderer, Ă€lterer Bursche tritt in HemdĂ€rmeln aus der Bretterverkleidung. âNu, â haste Kaffee gekocht?â
âNe! Dat Holz will nicht brennen! Kommt Vadder bald?â
âVadder is wieder eingeschlafeâ erwiderte unwirsch der Ăltere. âUnd ĂŒbrigens könnte der Kaffee lĂ€ngst fertig sein!â
âDu has gut rede! Hilf mer lieber mal blase!â
Mit vereinten KrĂ€ften schĂŒrten beide die Glut. Endlich brannte das Feuer. Aber der Kaffee kochte noch nicht, als der Vater kam.
Der Mann hob seine schwielige Rechte und knallte, ohne ein Wort zu sagen, dem jĂŒngeren seiner beiden Söhne eine Maulschelle herunter. Der duckte sich wie ein geschlagener Hund. Dann hantierte er ruhig weiter. âDat Holz war nassâ, sagte er nur zur Entschuldigung.
Der Bruder schnitt sich eine Scheibe Brot ab, die er dick mit Butter bestrich. Endlich konnte man Kaffee trinken . . .
Da ertönte eine keifende Stimme aus dem Innern des Bretterverschlages: âPitter! Is de Kaffee all fertig?â
Peter, der junge Koch, steifte sich auf. âJa, Mudder!â rief er nach dem Inneren der KajĂŒte. âVon mir aus kannste jetz uffstehân!â
Die Stimme von innen nahm einen kratzenden Ton an, indem sie erwiderte: âVon dir aus! â Ich will dir: von dir aus! Warte nur, bis ich ârauskommâ, dummer Schöps, woste bis!â
Kurze Zeit spĂ€ter kam eine alte, hĂ€ssliche Person im Unterrock in die KĂŒche gehumpelt. Peter war jetzt allein. Vater und Bruder hatten die KajĂŒte verlassen. âWo is dĂ€ Kaffee?â
âWo is dĂ€ Raffee?â
âHier!â
âWarum haste mir noch nit einjeschenkt?â
âDann wĂ€râ er jo kalt geworde! Und iwerhaupt haste jo nix jesagt!â
Die Stiefmutter gab dem Jungen einen energischen Rippenstoss, dass er gegen die Ofenbank taumelte. âMan kann euch zu nix gebrauche!â wetterte sie, wĂ€hrend sich der Junge die HĂŒfte rieb.
Ein graubĂ€rtiger Mann trat in die KajĂŒte. Die Frau blickte auf:
âNu, Matjes Sepp â â alleweil so frĂŒh schon am Morge â?â
âIch sollte entlade helfe. DĂ€ grosse Kran wird erst zu Mittag frei. Wo is enger Mann?â
âMinge Mann? Uff un davon! Wahrscheinlich zum âOnkel Tomâ. Ihr wisst doch, dass er am ersten Tag nach der Landung zu feiern pflegt . . .â
âJa, dat weiss ich. Aber man sollte ihn hole. Diesmal isâs eilig. DĂ€ Jung könntâ ja mal hinspringe!â
Peter trat an den Tisch, wo die Stiefmutter eben anfing, schmatzend Kaffee zu schlĂŒrfen.
âAuch ebbes Kaffee gefĂ€llig, Herr Matjes!â fragte er freundlich.
âNe! Aber ân Schnaps, wennâs wat sein muss. Un dann mach, dass de zum Vadder kommst. Haste verstande? Ich warte hier. Die Kiste von Amsterdam mĂŒssen heut noch zu Stucker und Kompagnie.â
Peter ging. Als er die TĂŒr hinter sich zuschlug, bemerkte er noch, wie der Mann ganz dicht an seine Stiefmutter heranrĂŒckte . . . .
âZum Onkel Tomâ hiess die Hafenkneipe, in der Peter Vater und Bruder zu finden wusste. Vor beiden stand je ein grosses Glas Kognak. Eine feiste Kellnerin, die ihre Morgentoilette noch nicht völlig beendet hatte, hantierte mit einer Flasche hinter dem grossen Buffet umher.
Peter wurde mit lautem Hallo begrĂŒsst. Auch einige Leute vom Nachbarkahn sassen schon in der Kneipe.
âVadder,â sagte Peter, als er endlich nach der BegrĂŒssung zu Worte kam, âdu sollst rasch komme, der Kahn muss heute entlade werde.â
Die beiden starrten den Sprecher an, als ob er verrĂŒckt sei. Dann packte ihn der Vater am Kragen.
âJĂŒngelche, â dat Entlade hat Zeit. Erst lösche mer mal unsere Durst, â und dann kĂŒtt die Ladung noch lange nich. Haste verstande? Nu bleibste gleich hier un trinkst mit â Kathinka! Bring ens noch e Bittere!â
Als Peter sich strĂ€uben wollte, hielt man ihn mit Gewalt fest. Unter lautem Gejohle aller Beteiligten wurde ihm der Schnaps Glas auf Glas in die Kehle gegossen. Endlich lag er ganz still und rĂŒhrte sich nicht mehr. Abends schleppten ihn Vater und Bruder völlig betrunken nach Hause.
Die Mutter war nicht daheim. Sie wĂ€re zu Bekannten gegangen, erzĂ€hlte eine Frau von dem benachbarten Eisenkahn, wĂ€hrend ein eigentĂŒmliches LĂ€cheln ihre ZĂŒge umspielte. â
Am folgenden Morgen begann man die Ladung zu löschen. Wieder brach ein herrlicher Herbsttag an. Peter griff wacker zu. Er machte sich nĂŒtzlich, wo er nur eben konnte, obwohl er völlig zerschlagen war. Er musste Vater und Bruder bewundern, denen man gar nichts anmerken konnte. Die beiden taten, als ob nichts geschehen sei . . .
Ihm kam das alles ekelhaft vor â die schmutzige Kneipe, â â das liederliche Weib mit den aufgedunsenen Backen, â â â und vor allem der brennende Branntwein, â das wollte ihm nicht mehr aus dem Kopfe gehen . . . .
Ăber Mittag erschien auf einmal ein fremder Herr, der behauptete, mit Peters Eltern verwandt zu sein. Er sei ein Vetter des Vaters, erzĂ€hlte er, was er aber erst unlĂ€ngst erfahren habe. Er wolle doch seine Verwandten auch einmal kennen lernen.
Peter sah sich in das Haus eines wohlhabenden Kaufmanns geladen.
Als der Vetter gegangen war, machte der Vater eine verĂ€chtliche Handbewegung. âDĂ€ soll uns in Ruhâ lasse!â sagte er mit seiner tranigen Stimme, âmer brauche keine Landratteverkehr!â
Peter und Johann suchten den neuen Onkel aber doch heimlich auf. Er wohnte in einem gerÀumigen Hause und besass eine stattliche Frau. Von drei Kindern war die Àlteste Tochter ein fast erwachsenes MÀdchen.
Den beiden Besuchern kam das friedliche Leben in einem BĂŒrgerhause ganz neu vor. Sie fĂŒhlten sich aber in dieser Umgebung wohl.
Der Vater brummte, als er von diesen Besuchen erfahren hatte, zumal ihm Johann dadurch entzogen wurde, den er als eifrigen Trinkkumpan schĂ€tzte. Aber er machte keinen ernstlichen Einwand dagegen, als er bemerkte, dass die Liebe im Spiele war. Wie man hörte, sollte der Vetter Vermögen haben, und wenn seine Tochter mit einem der Jungen â â das liess sich schon ĂŒberlegen!
Wirklich hatten sich beide Jungens bald in die hĂŒbsche Paula verliebt. Dadurch kamen die BrĂŒder heftig zusammen. Johann hegte eine erbitterte Feindschaft gegen den jĂŒngeren Bruder und suchte, ihn mit allen Mitteln aus dem Felde zu schlagen.
Peter sprach ĂŒber seine GefĂŒhle nicht; er tat vielmehr, als ob ihm das MĂ€dchen gleichgĂŒltig sei, und gestand sich selbst nur im stillen seine Neigung ein . . .
Paulas Wohlwollen wandte sich Johann zu. Der verstand besser zu prahlen und zu renomieren, als sein in diesen Dingen unbeholfener Bruder.
Johann wusste gegen ihn so spitze und giftige Stiche zu fĂŒhren, dass Peter in den Augen des MĂ€dchens allmĂ€hlich minderwertig und verĂ€chtlich erscheinen musste. Er aber war eine zu gerade Natur, um sich mit gleichen Waffen zu wehren.
Zu Hause hetzte Johann auch die Eltern noch gegen den Bruder auf. Dadurch spitzte sich das VerhÀltnis zwischen Peter und seiner Umgebung immer mehr zu.
Er war ein Aussenseiter, â das empfand er ganz deutlich. Es drĂ€ngte ihn, aus dem Schmutz und Chaos seiner Umwelt herauszukommen; er war doch nur das Aschenbrödel seiner Familie . . . .
Der Schlepper fuhr nach Holland hinunter, um erst nach einigen Wochen wieder zurĂŒckzukehren. Da hĂ€tte Peter Gelegenheit finden können, abermals mit Paula zusammenzutreffen. Indessen blieb er dem Hause des Kaufmanns fern. So tief auch diese, erste Liebschaft in seiner jungen Seele gewurzelt hatte, er hatte sie doch ĂŒberwunden. Instinktiv fĂŒhlte er, dass ein solches MĂ€dchen wie Paula einer tieferen Neigung nicht fĂ€hig und auch nicht wert war. Andererseits wusste er wohl, dass er sich dieser Neigung nicht mehr wĂŒrde entziehen können, wenn er wieder in dem Hause des Onkels verkehrte. Deshalb mied er peinlich jede neue BerĂŒhrung. FĂŒr die triumphierende Miene des Bruders hatte er nur ein ĂŒberlegenes Achselzucken.
Das VerhĂ€ltnis zwischen Peter und seiner Stiefmutter war bald unertrĂ€glich geworden. Auch die Reibereien zwischen ihm und dem Vater nahmen kein Ende mehr. Als ihn der Alte einmal im Rausch ĂŒber die Reling ins Wasser geworfen hatte, sodass er nur mit knapper Not vor dem Ertrinken davonkam, verliess er die âMargaretheâ und verdingte sich auf einem grösseren Handelsschiff.
Die Eltern trauerten ihm nicht nach. Schon lange war er ihnen ein Dorn im Auge gewesen. Durch seine Beobachtungsgabe und scharfe Kritik erschien er ihnen nur lĂ€stig und unbequem, wenn er auch meistens nur wenig sprach. Sie hatten seine Verachtung des liederlichen Lebens herausgefĂŒhlt, in das man versunken war.
Johann, ein wenig angeheitert, grinste dem Bruder, als er mit seinem kleinen BĂŒndel davonschreiten wollte, frech ins Gesicht.
âNa â alles Gute, Pitter! Du willst ja woll höher hinaus â wennsde erst MillionĂ€r bist und siehst mich irgendwo Drehorgel drehe, wirfste mer auch mal e Grosche in minge MĂŒtz, gell?â
Peter wandte seinem Bruder verĂ€chtlich den RĂŒcken und schritt davon . . .
Auf der âHansaâ, wo er zunĂ€chst nur Hilfsdienste leistete, wusste man seinen Eifer und seine Gewissenhaftigkeit bald zu schĂ€tzen. Trotz aller Verspottungen seitens der Kameraden, die ihn einen DuckmĂ€user nannten, blieb er ein anstĂ€ndiger Junge.
Eines Tages hatte er in der KajĂŒte des KapitĂ€ns aufzuwischen. Bei dieser Gelegenheit fiel ihm ein Buch in die HĂ€nde. Das zog ihn an, obwohl es nur ein kaufmĂ€nnisches Handbuch war. Er blĂ€tterte und las eifrig, bis ihn der KapitĂ€n ĂŒberraschte.
âNu, JĂŒngsken, was machste da?â
Peter drehte das Buch verlegen in seiner Hand.
âIch hab als emol da ringekucktâ gestand er offen. Der KapitĂ€n lĂ€chelte und meinte, wenn er in seiner freien Zeit einmal mehr darin lesen wolle, so solle er das Buch ruhig eine Weile behalten.
Peter benutzte nun jede freie Minute, um zu studieren. Auch unterhielt er sich vielfach mit einem HollÀnder, der auf dem Dampfer als Hilfsheizer angestellt war. So lernte er in wenigen Wochen eine fremde Sprache beherrschen.
Eines Tages, als er eben Lampen putzte, trat der Sohn des KapitĂ€ns zu ihm heran, um das kaufmĂ€nnische Handbuch von ihm zu erbitten. Dieses Buch, erzĂ€hlte der junge Herr, der ein Student war, gehöre ihm, und nicht seinem Vater, dem er es nur zur Orientierung ĂŒber Havariefragen geliehen habe.
Peter machte ein recht bestĂŒrztes Gesicht dazu. Die RĂŒckforderung des Buches kam ihm sehr ungelegen. Dem jungen Philologen entging das nicht. LĂ€chelnd legte er dem Jungen seine Hand auf die Schulter.
âIch sehe,â sagte er âSie interessieren sich scheinbar sehr fĂŒr dieses Buch. Ich kann mir schliesslich ein neues kaufen. Um Ihnen eine Freude zu machen, schenke ich es Ihnen. Da die âHansaâ hier doch noch einige Tage vor Anker bleibt, können Sie mich auch einmal besuchen. Morgen frĂŒh um 10 Uhr bin ich zu Hause. Kommen Sie dann einmal zu mir. Es ist leicht möglich, dass ich Ihnen noch etwas anderes leihen kann, was Sie noch mehr interessieren wird.â
Peter war durch dieses freundliche Anerbieten so sehr ĂŒberrascht, dass er zunĂ€chst gar nichts sagen konnte. Endlich stammelte er unbeholfen seinen Dank.
Am folgenden Morgen klopfte er bei dem Studenten an. âFranz Urfeldâ stand auf einer sauberen Karte an der TĂŒr.
Der Raum, den Peter betrat, war an drei Seiten mit BĂŒcherborten umstellt. EinbĂ€nde jeder Art, sauber und mit Liebe geordnet, blickten freundlich von den WĂ€nden her.
Urfeld erhob sich und streckte seinem Besucher die Hand hin. âGuten Morgen, Herr Steffens,â sagte er lebhaft ânett von Ihnen, dass Sie gekommen sind!â
Der ungekĂŒnstelte, offene Ton, in dem diese Worte gesprochen wurden, nahm Peter alle Befangenheit. Einfach zwar aber sauber und mit Sorgfalt gekl...