Godekes Knecht
eBook - ePub

Godekes Knecht

  1. 351 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
eBook - ePub

Godekes Knecht

Angaben zum Buch
Buchvorschau
Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

Der Roman erzählt in Chronikform die Geschichte der als "Vitalienbrüder" berühmten Seeräuber nach der Hinrichtung ihres Anführers Klaus Störtebecker im Jahre 1401. Magister Wikbold aus Oxford ist aus Abenteuerlust Freibeuter geworden und hat es bis zum Stellvertreter von Anführer Godeke Michels gebracht. Er erreicht einen zwischenzeitlichen Friedensschluss mit der Hanse, verliebt sich in die schöne Begine Hillgesill und flieht schließlich mit ihr auf die Burg ihrer Familie, um sein altes geruhsames Gelehrtenleben wieder aufzunehmen. Doch die Sehnsucht nach dem Meer lässt ihn nicht los und plötzlich ist er wieder an Bord der "Sünte Mareiken" und auf abenteuerlicher Kaperfahrt zu den Trauminseln Zipangu und Antilia... "Godekes Knecht" bedeutete für Hans Leip den literarischen Durchbruch, und der Roman ist bis heute sein bekanntestes Werk geblieben – neben "Lili Marleen" natürlich –, das unter anderem Thomas Mann sehr begeistert hat: "Ein brutaler Stoff, von Zartheit durchleuchtet, Leidenschaft der Handlung und des Wortes..."-

Häufig gestellte Fragen

Gehe einfach zum Kontobereich in den Einstellungen und klicke auf „Abo kündigen“ – ganz einfach. Nachdem du gekündigt hast, bleibt deine Mitgliedschaft für den verbleibenden Abozeitraum, den du bereits bezahlt hast, aktiv. Mehr Informationen hier.
Derzeit stehen all unsere auf Mobilgeräte reagierenden ePub-Bücher zum Download über die App zur Verfügung. Die meisten unserer PDFs stehen ebenfalls zum Download bereit; wir arbeiten daran, auch die übrigen PDFs zum Download anzubieten, bei denen dies aktuell noch nicht möglich ist. Weitere Informationen hier.
Mit beiden Aboplänen erhältst du vollen Zugang zur Bibliothek und allen Funktionen von Perlego. Die einzigen Unterschiede bestehen im Preis und dem Abozeitraum: Mit dem Jahresabo sparst du auf 12 Monate gerechnet im Vergleich zum Monatsabo rund 30 %.
Wir sind ein Online-Abodienst für Lehrbücher, bei dem du für weniger als den Preis eines einzelnen Buches pro Monat Zugang zu einer ganzen Online-Bibliothek erhältst. Mit über 1 Million Büchern zu über 1.000 verschiedenen Themen haben wir bestimmt alles, was du brauchst! Weitere Informationen hier.
Achte auf das Symbol zum Vorlesen in deinem nächsten Buch, um zu sehen, ob du es dir auch anhören kannst. Bei diesem Tool wird dir Text laut vorgelesen, wobei der Text beim Vorlesen auch grafisch hervorgehoben wird. Du kannst das Vorlesen jederzeit anhalten, beschleunigen und verlangsamen. Weitere Informationen hier.
Ja, du hast Zugang zu Godekes Knecht von Hans Leip im PDF- und/oder ePub-Format sowie zu anderen beliebten Büchern aus Literatur & Literatur Allgemein. Aus unserem Katalog stehen dir über 1 Million Bücher zur Verfügung.

Information

Jahr
2015
ISBN
9788711467398

Die See

Die See nahm uns an, warf uns Schwung um Schwung, flach prangten wir vorm Wind. Morgen und Abend erhoben sich im Ringe, sprangen zur Höhe, neigten sich zueinander, verschmolzen und vergingen. Unersasslich war die gläsern wechselnde Wölbung über uns gestülpt, die wir dahinschwalken, acht winzige Schalen voll Sucht und Getöse.
Wir hatten zu tun, beschlugen die Fockrah neu, verschalkten eine zerbrochene Luke, hingen bei allen Segeln, refften sie kleiner, stachen die Reffe wieder aus, je nachdem die Beordnung erscholl. Fern dunte die englische Küste auf, blieb dünn über Steuerbord den langen dritten Tag und sank hinter die Kimm.
Ich sass in der Back und frass den Labskaus mit. Niemand zählte auf mich, meine Stimme fiel nicht heraus. Der Husumer schob mir den Zwieback hin, sah mich an, sein Lächeln war krank von Heimweh. Ich fragte ihn dies und das, merkte gleich, er war verliebt, der Arme, und hatte bei seiner Fischerdeern weicher geschlafen als auf dem Bultsack. Ich hieb mit der Handkante durch die Luft und kaute ihm zu, ein Mann habe anderes zu tun, als sich ewig an Weiberhaare in Farbe von Dünensand zu hängen. Fragte auch nach den Dänen, nach der Dronning Magret. Sie habe einen Täuscher verbrennen lassen, der sei als ihr verlorener Sohn aufgetreten.
Darüber wurde ich noch zufriedener, wie hätte sie nicht Winland auch für Betrug erachten sollen. Sie hätte mich womöglich als Vitalier erkannt, und Hönris hatte trotz des Friedebriefes bei Skagen geräubert, eben bevor ich wegging. Ich war mit dem Pflasterkasten drüben gewesen auf seiner Hulk. Gott mochte wissen, was inzwischen dazugeschehen war! So wollte ich schon lieber bei den Schalmen meinen Urteilsspruch vernehmen, wenn es sein musste, und in der guten Muttersprache.
Meine Hände wurden rissig, meine Unterlippe drängte sich vor, meine Kehle war heiser, die Worte mahlten sich breit aus den Kiefern. Ich spie den Strahl wie eine Trense sein durch die Zähne, grölte wie sie alle und kannte ihre Lieder, plattdeutsch, friesisch, flämisch, dänisch, und wie es kam.
Wohin die Fahrt? So brummte es laut und leise. In die Bai! Da wollen wir saufen. In die Bucht! Da wollen wir lausen. Aber einer hatte etwas von den Kanaren läuten hören, da gäbe es Berge von Gold und strotzend genug für die Wampen. Es schwelte eine hungrige Gier unter diesen neuen Schalmebrüdern, die war uns sonst fremd gewesen. Aber auch die alten Leute wurden davon angesteckt. Man merkte, es war ein burgundisches Schiff gewesen, und sie hatten es die Eule getauft, den morschen Kaperkasten, dessen Planken vollgesogen waren von Krämergeist. Eine brandige Lust zog die Spannung an, es schnupperten alle Nüstern vorweg in ein unaufhörliches Nehmen. Der Garten Eden würde uns blühen auf Erden und aufklappen wie ein kostenloser Brotschrangen, vollauf mit Beute und Suff und mit taufrischem Saftfleisch von Schlachtvieh und Weibern.
Sie machten sich im Ablauf der Wachen eine Musik aus Schellen und Kettengerassel, aus Latten und Segelgarn, aus dünnen Markknochen und einem löcherigen Kupferkessel. Davon gab es ein Höllengeziepe und war kein Ort mehr, wo man nach Feierabend ein ruhiges Ohr hätte in den Wind hängen können, so sehr zingelte es über Deck bis in die Nacht. Das nannten sie den Kanarenton. Sie grölten auch einen Hackmack aus Küstenbrocken dazu, und wenn es bis an meine Wurfmangel klang, wo ich mich meistens aufhielt, wurde es oft vom Sausen der Bugwelle blass und fast wehmütig, als sei es ein Lied, das ich als Kind gehört hätte auf der Zwitscherwiese zwischen den Blumen, da sang der Vogel Augentrost, und ich lag geschützt in meiner Mutter Arm. Solche Augenblicke erlauerte mein Herz, um sich heimlich auf den Wurflöffel zu schleichen, und sah mich danach bittend an, es auf die Sunte Mareiken zu schleudern, die fernweg an der Spitze unserer schrägen Entenreihe von Schiffen schwebte. Aber ich presste meine Finger hinterrücks zusammen und pfiff mein Entschlüpfen aus wie einen schmutzigen Köter, schüttelte den Wind ab und ging in die prasselnde Back, mich in ihren Lärm zu verflechten und nicht anders zu sein als sie. Ich schonte das Dünnbier nicht, das uns voll gegönnt war, da Weddemunkel, der Anführer, selbst sich am doppelten beglimmerte und wir doch bald den wahren Wein schlürfen würden. Und jeder krächzte in seiner Heimatsprache, wie er es bei seiner Buttkurre gewohnt gewesen war oder in seiner Glanzzeit, da ihm noch die Rittersporen klirrten oder das Zunftwappen über seiner Tür hing. Denn es war bei uns ein Gemisch aus allen Menschenständen, so wie die Müdigkeit der Zeit oder ein Zusammenstoss mit der versteinten Sitte oder Godekes Gewalt sie hingeworfen hatte aufs Meer.
Kanari bitsch verdori,
Hau mors betankur mori,
Ma fors is sku olla matjes
Hölp sunte kakalatjes!
So klang es von morgens bis abends, und das verrückte Kauderwelsch änderte sich nach Bedarf und Laune. Die Musikantenbande vergrösserte sich rasch, bis alle daran teilhatten, ausser den Bootsleuten und Weddemunkel, denen es Mühe genug machte, ihre Wachen rechtzeitig für die notwendigen Arbeiten heranzuschleifen. Wie eine Seuche ergriff es alle, so dass sie mit Eimern und Schöpfkellen, Bratpfannen, Beschlagnägeln, Panzerschienen, Hämmern, Helmen, Schürhaken und Sägeblättern und Gott mag wissen was, anrückten und ihrem jeweiligen Werkzeug auf alle erdenkliche Art ein wildes Getön abzuquälen suchten. Selbst der Smutje wutschte ab und an von seinem Herd herüber, einen Hafen trockener Erbsen schüttelnd. Da gab es alsbald staunenswerte Zusammenstellungen aus alten Kisten, Spieren und gedrehten Därmen, die mit aus Bogenholz gespannten Hanfsaiten bearbeitet wurden, da gab es Instrumente wie grausliche Tiere geformt und solche, die wie gewaltige Mordmaschinen aussahen, seltsame Verbindungen von trommel-, geigen- und schellenartigen Gefässen, auch Hörner mit allerlei Schlagblechen, sodann mit Wasser gefüllte Ledersäcke, die sowohl quietschen als auch erdonnern konnten, wer sich rein gar nichts aus seinem Grips saugen konnte, der schlug wenigstens seinen Kannendeckel auf und zu oder klopfte an sein Waffengehänge oder versuchte, seinen Schemelbeinen, hin- und herrückend, das Bellen eines Hundes abzugewinnen.
Ich selber spannte einen Eisendraht über ein mannshohes, schmales und zähes Brett und schob einen alten Topf dazwischen, so dass der Draht klirrend straff über diesen Steg lief. Darauf geigte ich mit einem alten Krückstock, den ich von oben bis unten eingekerbt hatte. Und ich behängte diese Bombenfiedel mit allerlei Blechstücken, alten Deckeln und Harnischschliessen, holte auch mein Herz wieder und baumelte es dazu, und meine Geige vermochte zugleich zu toben und zu erklingeln und ging wie der Satan, so dass ich grosse Bewunderung damit erntete. Ein leidenschaftlicher Polacke, oder was es war, der sich die Hand geklemmt hatte und sonst nicht recht etwas zu leisten imstande war, musste uns den Takt schlagen, und er trieb es mit Anstrengung und Erfolg, zügelte hier und paukte dort und liess es wie Gott bald mit Blitz und Krach gewittern, bald honigsanft ersäuseln. Da hatten wir bald Soli links, wo die eigentlichen Flöten, Hörner, sozusagen richtigen Fiedeln und Kammbläser sassen und ihre Melodie hervorzulocken unternahmen, und bald Soli rechts, wo mehr das harte Schlagzeug sich aufhielt, samt den Schemeln und Krugdeckeln. Ich aber befand mich in der Mitte bei den schwierigeren, unheimlicheren und sonst nicht recht unterzubringenden Instrumenten, die natürlich auch ab und an ihr Solo vortragen durften, so dass Himmel und Erde erbebten. Diejenigen nun, die nichts mit dem Munde zu bewerkstelligen hatten, mussten zwischendrein das Kanarenlied singen, das heisst, es mit aller Macht, die ihnen verliehen war, hervorstossen, da das Schlagzeug und auch die Mitte es sich zur Ehre gereichen liessen, sämtliche Nebengeräusche zu übertönen.
Aber nachts, wenn ich im Schnarchen des vollen Raumes aus dem Traum erwachte, oder wenn ich mich ruhelos wälzte und mein Atem sich gegen den stickigen Dunst der Kojen wehrte, oder auf der Hundewache nach Mitternacht unter den fliegenden Sternen, dann hörte ich aus dem Nichts vergessene Dinge hervorwehen, irgendeine milde Stimme, auch ein silbriges Lachen. Es ebbte wohl der tolle Taglärm in mir nach. Manchmal meinte ich deutlich den Hymnus auf die gelobte Stadt zu vernehmen, und ich redete mir vor, dass es mir peinlich sei, trotzdem kam ich mir enttäuscht vor, dass in Wirklichkeit kein Mensch auf diesem Schiff daran dachte, irgend etwas anderes als das verrückte Kanarenlied zu singen. Aber schlimmer war eine andere Gaukelei, die mich überfiel, wenn ich so recht dabei war, Gott zu danken, dass er mir diese Prüfung der Entäusserung auferlegt habe. Dann hörte ich es durch die Nachtstille auf und ab spielen wie eine dünne Flöte, und die Weise hatte kein Ende noch Genügen, liebkoste sich, entflog, weinte fern und kehrte zurück. Dann fürchtete ich mich vor der werdenden Einfalt meines Sinnes, und es dauerte nichts, da wühlte es mir taumelnd über die Brust, und wilde Gedanken zerhieben meine Sanftmut. Dann wusste ich nichts, als dass ich ein Zeichen anzünden müsse, ich sei zurückgekommen, einen Flammenstoss, der bis in die Wälder reiche, einen Gruss, einen Schrei, und der mich selber verbrenne und erlöse. Schon bedachte ich es schärfer, erwog es hin und her zu meinem eigenen Entsetzen, heimlich die Hulk in Brand zu stecken, dass wir in die Boote gehen müssten und auf die anderen Schiffe verteilt würden, und dass ich so der Sunte Mareiken näherkäme und damit den vergangenen Tagen. Ich schwor es mir ab, es sei nicht Godeke, der mich dahinzog. Ich malte mir gewaltsam einen süsslichen Schauder vor, als sei vielleicht noch dies und das, ein Tuch, eine Nadel, ein verwehtes gelbes Haar dort zu finden. Ich war auch drauf und dran, auf den Kielboden hinabzuschleichen, trug einen Bohrer auf der blossen Haut, den hatte ich dem Zimmermann entliehen, ohne dass er es wusste. Aber ich bezwang die Versuchung und gab ihm den Bohrer wieder hin und sagte, ich habe ihn ein wenig auf der blossen Haut getragen, das sei gut gegen Herzzuckungen. Er langte mir eine Maulschelle, und ich nahm es als gerechte Strafe und freute mich meiner inneren Peinigung.
Die See ging ruhiger, der Wind blies raum und schön. Fünf Tage waren wir nun unterwegs, und die Sunte Mareiken war weit voran. Ich lag unter meiner Wurfmangel und starrte in die Sonnenrüste. Die langen Wogenkämme überholten unser Schiff, tauchten sich ungeheuerlich in Blutröte und ritten den acht Hulken nach, die uns voraufseilten, hoben eine nach der anderen empor, beschnüffelten sie und entpreschten in das glühende Tor der Kimm, dahinein das Admiralsschiff voll und bei mit allen Segeln hielt. Und es krängte ein wenig, als habe es einen rechten Godekeschwung vor.
Die Wolken lagerten in einer grossen Bank prächtig über dem Glutbogen, sanken tiefer herab, dunkler und blauer, an den Kanten kräuselnd verbrämt. Nun schnitten die Sonnenbänder von unten scharf dazwischen; ein schöner Fächer öffnete sich und erschien mir alsbald wie ein Spiel Karten, das zauberisch vor mir über den Weltrand aufgeschlagen wurde. Doch konnte ich die Zeichen nicht erkennen bis auf eines, das plötzlich in der Mitte sichtbar wurde. Es war Herzas, welches ein unvorhergesehenes Glück bedeutet, dazu die Treue der Geliebten bis in den Tod. Da fiel mir zum erstenmal nach meinem Verlassen der Abschied von Leuba auf die Seele wie ein Unrecht.
Ich sah mich als Bräutigam auf dem Stein am Markt stehen, wie es hätte sein müssen der Sitte nach; von den Bürgermeistern war ich würdig hingeführt, um vor aller Welt abzuwarten, ob sich nicht noch ein anderes liebes Kind melde mit ehelichem Anspruch. Ach nein, es würde keine andere kommen, sie waren alle in guter Hut und in besserer, als meine hätte sein können. Aber statt ihrer würde jener Dominikaner kommen und wild gegen mich schelten, ich habe das Gelübde gebrochen. Aber das Gelübde kratzte mich nicht, und so wenig andere ihren geistlichen Saft in den Lenden faulen liessen, so wollte ich es doch gern ohne Lüge, Heimlichkeit und Sündgefühl bekennen und verantworten. Danach jedoch würde Godeke Michels zu mir treten. Und er würde mich ansehen, mich, den jungen, krossen Ehemann. Und er würde sprechen, dass die Freiheit der Likedeeler keine andere Bindung dulde als die der Treue zu der Schalme Brüder; denn Weib und Gut, Leben und Zeit, es ist mein und dein und dein wie mein. Und Störtebeker würde danebentreten und mir höhnisch seinen Kopf schenken für die eheliche Kohlsuppe.
Bei solchen Gedanken wurde es mir wehleidig, spöttisch und glückhaft zugleich ums Gemüt. Was stand ich denn aus! Die See lag vor mir, die unbegrenzte Ferne war angeschnitten von dem Bug der Likedeeler, unser Feld wurde gross. Wir zogen die Kielfurchen für eine neue Saat. Ich presste die Fäuste gegen die Schläfen Gott musste wollen, dass sie gut werde!
Die Nacht war kühl. Der Wind schien ein wenig abzufallen und nördlich umzulaufen. Die Sterne waren überklar. Der Mond sah spitz und stiefmütterlich herab. Aber die Milchstrasse bog sich wie ein einziges Segel für uns alle und reichte von unserer Besanrute bis zum Klüver der Sunte Mareiken.
Im Westen sah ich einen weissen Stern. Ich redete mir zu, es sei der Jupiter, und grüsste ihn, den Adler Godekes. Ich teilte die Häuser des Himmels ab in dieser klaren Nacht. Ich fühlte, es würde ein gefährliches Beginnen sein, doch konnte ich es nicht lassen. Da besah ich den ersten Ort, wo das Schicksal steht, und scheuchte die Bedrückung hinweg; denn es stand der Saturn da und blinzte wie ein trübes Greisenauge aus seiner Nachtherberge hervor. Die war beim Wassermann. Da vermeinte ich die Stimme des Jägers Wotan aus ihm zu vernehmen: Die See! Die verfluchte See!
Lange sah ich nach Osten, prüfte und erwog. Schon einmal war der Saturnsblick giftig in meine Wissenschaft gefallen, als ich ersah, dass er Hilgesills Geleiter sei und von ihrem Schicksal sich auch auf meines zu erstrecken wohl gelüsten mochte. Zu deutlich fiel mir auch ein, dass er Störtebekers Tod uns bis auf das Kap Finisterre zugerufen hatte. Dennoch suchte ich alle List zusammen, ihn unschädlich zu erachten. Entflohen wir ihm nicht? Was ging uns der Osten noch an! Mochte er uns so scheel triefend nachäugen, wir fuhren nach Westen. Der Wassermann würde es ihm schon begiessen, und der Wassermann bedeutete für uns, wenn man es nur recht auslegte, nichts als vielfältige Meerfahrt, Zusammenkunft mit grossen Herren und die Erreichung des Zieles voll ungewöhnlichen Festtrunkes. Und ich verbarg vor mir die schlimmen Sicheln, die ich in den Häusern der Feinde und des Todes erkannte. Ja, ich würfelte mir die Gezelte durcheinander und sah es nicht mehr klar vor Bedrängnis: Saturn stand im Geviertschein zu Mars, Jupiter und Venus, Merkur war uns bissig gesonnen, der Löwe versank, Mars ritt von Süden gegen uns auf dem bösen Skorpion. Da war es nicht mehr zu leugnen, was ich schon immer gewusst und manchmal mit Stolz, manchmal als Irrtum empfunden hatte: Wir standen alle unterm Saturn, die wir uns zu Godeke stellten, und waren den allzeit wachen Gedanken anheimgegeben, den bohrenden Süchten, der Gemeinschaft mit Träumen und Geistern, der Verachtung der menschlichen Gebote und des hergebrachten Glaubens.
Auch sah ich die Fische vom westlichen Grunde aufsteigen und vieles verschlingen, was der Schalme Glück und Lust gewesen war. Der Wage Schale, darin unsere Fügung lag, neigte sich tief und versank gegen Ost und wurde ausgeschüttet hinter die Schwelle, bevor der Winter kam. Doch hoch über uns hing die andere Schale noch in der Himmelsmitte und war angefüllt mit Aufflug, Unrast und Sehnsucht, und sie schied zwischen demgrollenden Stier und der Jungfrau, die ihre unfruchtbare Ähre gegen uns neigte, davon floss ein milder Duft auf mein beengtes Herz.
Da zwang ich meinen Willen hervor und sprach es fest in die Sterne, dass man vieles durch Erkennen ändern könne. Ein Grimm erfasste mich, und ich warf alles auf Godekes Absicht, zu den Kanaren zu segeln. Wieder brannte es mich, zu ihm zu gelangen, aber nun hatte ich ernsthaftere Gründe. Ich wollte es ihm zuschreien, sein Vorhaben sei zum Scheitern verurteilt, er müsse das Ziel ändern. Mars stand im Süden, uns zu vernichten. Ach, flehentlich wollte ich sein Knie umklammern, ihn daran erinnern, was wir uns in mancher guten Stunde zurechtgebaut hatten, den Westweg zu suchen, den noch keiner gefahren war. Und wenn er nicht wollte, so sollte er mich zerschlagen mit seiner roten Faust; denn ich würde ihm das Steuer aus der Hand reissen, sobald es sein musste.
Wieder schlich ich mich an die Zimmermannskoje. Ich musste auf die Hulk! Wie hasste ich dieses plumpe Burgunderfass von Kogge, die als letzte hinterdreinhinkte, diese Tollkiste voll albernen Krakeels, darin ich der grösste Hanswurst war. So sehr ich mich quälte, Stolz, Liebe und Furcht in mir zu verbrennen, es nützte nichts, und die Glut wuchs, und nichts war gemildert, und mittendrin stand Godekes Faust und dorrte nicht und hielt das Steuer. So wollte ich ihn bitten, meine Hand wenigstens mit daranlegen zu dürfen. Ich torkelte mittschiffs herum, so dass es allerorts fluchte über meinen Lärm. Wieder lag ich auf dem Vorkastell, starrte lange in die unheimliche Schale der Nacht, darin die Schicksalskörner rollten. Bis es sich verschleierte und der Mond einen Hof zog und mir die Wahrheit verhüllt wurde wie einem vorwitzigen Naseweis. Doch desto schrecklicher fühlte ich es hinter dem Schleier lauern. Ich zerraufte meinen Sinn, verachtete mein Selbst, der ich ohne Tat und wie ein elender Schwächling dalag, als wollten mir die Gedärme zum Halse hinaus.
*

Der andere Tag brach hervor mit schralem Wind und harter See. Eine Wolkengalle bespie uns mit Hagel und machte die Wellen bitter. So empfing uns die Spanische Bucht. Da wurden wir nun recht gewahr, wie liederlich die Kogge sich machte, darauf sie uns geheuert hatten. Wir schlingerten um und um, es war kein Halt auf dem Seelenverkäufer, die Seen hieben elend um unsere Beine. Es gingen einige über Bord. Wer kannte sie, wer wollte ihretwegen sein Leben verwagen! Sie gingen in den rechten Himmel der Schalme ein, das war die See; und manche, die kotzend an die Reling gebunden waren, mochten ihnen verdammt neidisch sein. Es sang auch keiner mehr das Kanarenlied. Aber mir konnte Wind und Wetter nicht so leicht mehr etwas anhaben, je toller es tobte, desto lieber war es mir. Ich stand wieder stur und hielt mich dem Schwunge angepasst, wo andere dahinsausten und ihnen das Erbsenmus aus allen Spunden quoll. Es lag eben an der Eule, unserem dummen Schiff. Wie anmutig wäre doch die Sunte Mareiken gleich einem Schwan über dieserlei kleines Getürme hinweggeglitten, sie war ein lustiges Tanzhaus und die Gasten keine grünen Soldaten. Nur jammerte es mich um unsere schöne Musik. Die beste Flöte war dahin, und kein Mensch hatte Mut, sich anders als mit Flüchen um die tollen Dinge zu kümmern, die die Ecken unsicher machten und überall zu unrechter Zeit hervorstachen und lebensgefährlich zwischen die Beine fuhren, als wollten sie sich rächen für die ausgestandene Quälerei. Als die Trübsal aber hochging und Weddemunkel wie ein Heide am Ruder zeterte und nichts Rechtes mehr wusste und sich unterm Überlauf hielt, denn er war nicht Godeke, niemand auch mehr in die Takelungen zu bringen war, da überkam mich eine ingrimmige Munterkeit. Ich erhaschte meine Lattenfiedel und kroch damit auf das Vordeck und band mich an den Fockmast. Ich sah unsere Hulken fern zwischen den Brechern stampfen und...

Inhaltsverzeichnis

  1. Titel
  2. Die Erweckung
  3. I. Der Wind
  4. II. Triebsand
  5. III. Die See
  6. Nachwort
  7. Über "Godekes Knecht"
  8. Kolophon