Du sollst dir kein Bildnis machen - Ein Roman aus Hollywood
eBook - ePub

Du sollst dir kein Bildnis machen - Ein Roman aus Hollywood

  1. 362 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
eBook - ePub

Du sollst dir kein Bildnis machen - Ein Roman aus Hollywood

Angaben zum Buch
Buchvorschau
Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

Ein absolut faszinierendes Buch über den Einfluss von Hollywood!Dr. Paul Pauer, ein deutscher Schriftsteller, kann es kaum fassen, als er gemeinsam mit seiner Frau Claire in Amerika landet: Eine große Filmgesellschaft hat sich tatsächlich dazu entschieden, eins seiner Bücher zu verfilmen – und zwar mit seiner Frau in der Hauptrolle. Das Leben des Paares könnte nicht besser sein, bis der Autor feststellen muss, dass aus dem Menschen Claire immer mehr der Filmstar Claire wird...-

Häufig gestellte Fragen

Gehe einfach zum Kontobereich in den Einstellungen und klicke auf „Abo kündigen“ – ganz einfach. Nachdem du gekündigt hast, bleibt deine Mitgliedschaft für den verbleibenden Abozeitraum, den du bereits bezahlt hast, aktiv. Mehr Informationen hier.
Derzeit stehen all unsere auf Mobilgeräte reagierenden ePub-Bücher zum Download über die App zur Verfügung. Die meisten unserer PDFs stehen ebenfalls zum Download bereit; wir arbeiten daran, auch die übrigen PDFs zum Download anzubieten, bei denen dies aktuell noch nicht möglich ist. Weitere Informationen hier.
Mit beiden Aboplänen erhältst du vollen Zugang zur Bibliothek und allen Funktionen von Perlego. Die einzigen Unterschiede bestehen im Preis und dem Abozeitraum: Mit dem Jahresabo sparst du auf 12 Monate gerechnet im Vergleich zum Monatsabo rund 30 %.
Wir sind ein Online-Abodienst für Lehrbücher, bei dem du für weniger als den Preis eines einzelnen Buches pro Monat Zugang zu einer ganzen Online-Bibliothek erhältst. Mit über 1 Million Büchern zu über 1.000 verschiedenen Themen haben wir bestimmt alles, was du brauchst! Weitere Informationen hier.
Achte auf das Symbol zum Vorlesen in deinem nächsten Buch, um zu sehen, ob du es dir auch anhören kannst. Bei diesem Tool wird dir Text laut vorgelesen, wobei der Text beim Vorlesen auch grafisch hervorgehoben wird. Du kannst das Vorlesen jederzeit anhalten, beschleunigen und verlangsamen. Weitere Informationen hier.
Ja, du hast Zugang zu Du sollst dir kein Bildnis machen - Ein Roman aus Hollywood von Arnold Höllriegel im PDF- und/oder ePub-Format sowie zu anderen beliebten Büchern aus Literature & Classics. Aus unserem Katalog stehen dir über 1 Million Bücher zur Verfügung.

Information

Jahr
2020
ISBN
9788726416374

VIII.

Der folgende Tag ist der Montag, an dem Doktor Pauer den Generaldirektor der Fantoma Film Company aufsuchen soll. Die Besprechung ist wichtig, es kann von ihr die Entscheidung der Frage abhängen, wie lange Paul und Claire in Hollywood bleiben werden. Claire scheint an diesem Morgen recht aufgeregt; fortwährend blickt sie auf ihre Armbanduhr: muss Paul nicht schon fort? In Hollywood ist alles so weit; er darf, um Gotteswillen, nicht verspätet hinkommen. — Paul wird ein Taxi nehmen, es ist noch Zeit. Claire beisst nervös an ihren Lippen herum; man muss doch pünktlich kommen, zu so einem offiziellen Besuch! Endlich geht Paul und nimmt auf der Western Avenue das Taxi und kommt um zwanzig Minuten zu früh vor das Tor des Fantoma-Studios. Da kann er nun auf der Strasse warten, vor einem Drug-Store. Im Fenster des Drug-Stores sind kleine Plakate: man bekommt hier an der Sodafontäne ein grünes Getränk, Green River geheissen, um fünf Cents das Glas, und dazu ein Gebäck, Spezialität des Hauses, genannt:
„The delight of delights, real
Viennese Apple - Strudle.“
Aus lauter Nervosität geht Paul hinein und trinkt ein Glas von dem eiskalten Pfefferminzzeug; der echt wienerische Apple-Strudle sieht nicht sehr verführerisch aus. Paul denkt daran, was er dem Mister Parker Brown denn eigentlich sagen soll. Soll er die Idee erwähnen, die ihm gekommen ist, zu einem Film, mit dem Strolch darin, der durch die kalifornische Wüste auf Hollywood zu marschiert? Aber es ist bisher nur so ein vager Umriss da, die eigentliche Geschichte dazu hat Paul noch gar nicht gefunden, der Filmmensch lacht ihn nur aus, wenn er damit anfängt! Am besten, denkt Paul, ich sage noch nichts und rede doch nur von dieser „Erpressung“. O Gott, wenn der Sketch nur besser wäre, ich verstehe gar nicht, warum die Leute das angekauft haben! — Vielleicht, wenn sie mich das Drehbuch verfassen lassen, fällt mir noch etwas Vernünftiges ein; die Sache ist dumm und so trivial!
Diese „Erpressung“, an die Paul Pauer jetzt mit einem Schamgefühl denkt, ist als ein Variétésketch entstanden. Er sollte in Amerika spielen: ein Junggeselle, glücklicher Bräutigam, erscheint an einem Vormittag in der schönen Wohnung, in die er morgen, nach der Hochzeit, mit Mary einziehen wird. Er hat die Wohnung ganz allein eingerichtet (— wie dumm, denkt Paul, als ob irgendeine Mary auf Erden das dulden würde!) — und jetzt wird Mary mit ihrer Mutter erwartet, sie sollen das fertiggestellte Liebesnest ansehen. Da — — wie der Bräutigam die Tür des Schlafzimmers öffnet, liegt in dem ehelichen Bett eine wildfremde Frau. Eine Einbrecherin! Der Mann wird wütend, geht zum Telephon, will die Polizei verständigen. Da sagt dieses fremde Weib ganz gelassen: Wer wird Ihnen glauben? Ich bin Ihre Geliebte, die Sie hier ein paar Tage beherbergt haben, in Ihrer künftigen Ehewohnung! Ich weiss, dass Ihre Braut auf dem Weg hierher ist; zahlen Sie zehntausend Dollars, und ich ziehe den Kittel dort an und bin nur die Scheuerfrau. Wenn nicht — —
— Im Kabarett, denkt Paul, wäre die Situation ziemlich lustig gewesen: wie der Mann tobt und schreit und sich doch nicht zu helfen weiss, und wie die schöne Verbrecherin lachend im Bett liegt und wartet, bis er kapituliert, sie ist ihrer Sache ja sicher; und wie dann das Telephon geht und Mary, die Braut, es ist, die da ruft: sie kommt nicht! Worauf Marys glücklicher Bräutigam gelassen den Rock auszicht; da erschrickt die Erpresserin; was tut er? —
Für einen Variétésketch, überlegt sich Paul, war’s genug; er zieht sich aus und geht auf die Dame im Bett zu, Vorhang. Im Film wird man’s doch komplizieren müssen; hier fängt die Komödie erst richtig an. Ein Film mit nur zwei Personen, das geht nicht; ich brauche natürlich die Braut und die Schwiegermutter ― ― verdammter Blödsinn!
Vor dem grossen Tor der Fantoma Film Company, um Punkt elf Uhr, ist Paul Pauer vollkommen aufgelöst in Verzweiflung. Der Sketch ist der ärgste Mist; wer hat denn nur sowas für zehntausend Mark ankaufen können? Die Idioten! Soll er das Manuskript nicht zurückziehen, die andere Filmidee dafür den Leuten anbieten? Das ist etwas, daraus kann etwas werden! O Gott, wie stehe ich da, ich, der ich den Film reformieren möchte! —
Paul Pauer geht durch das monumentale Tor, das die lange Umfassungsmauer des Studios durchschneidet, und befindet sich in einer pompösen Vorhalle, in der auf Wandbänken viele Leute sitzen, geduldig wartend. Alle diese Menschen sind jung, und die meisten sehen gut aus; wahrscheinlich sind es lauter Filmaspiranten. Ein Cerberus von Portier lässt niemand ins Innere des Gebäudes, der nicht feierlich und schriftlich um einen Passierschein ersucht und ihn, was schwerer ist, erhalten hat, nach einem geheimnisvollen Telephonruf aus einem der Bureaus. Paul Pauer muss sich der gleichen Prozedur unterziehen, wird aber nach wenigen Minuten eingelassen. Im Vorzimmer des Gewaltigen ist er rasch; dann beginnt auch für ihn ein peinliches Warten. Er sitzt auf einem Stuhl im Bureau der Sekretärin des Generaldirektors, eines hübschen, jungen Frauenzimmers mit einer Hornbrille. Sie lässt eine Schreibmaschine klappern und sagt nur von Zeit zu Zeit zu Paul hinüber, nun dauere es nicht mehr sehr lange. Diese Stunde in dem banalen Bureau wird Pauer so bald nicht vergessen; das Bild prägt sich ihm ein: die zwei grossen Schreibtische, der Wasserbehälter aus porösem Ton, neben dem papierene Trinkbecher liegen, die Photographien von Filmstars an allen Wänden, die gerahmten Texte, die sagen: Sei kurz, Besucher, wir haben zu tun! — und: Immer nur weiterlächeln! (Keep smiling!) — Das Lächeln wird dem Paul Pauer schwer; er ist bedrückt, eine Verzweiflung presst ihm die Gurgel zu. Da sitzt er und sässe gern anderswo, daheim in Europa! Er fühlt, dass die Situation da unwürdig ist. Was will er von diesem Mann, der ihn warten lässt? Dass er ihn mit offenen Armen empfange, den grossen Dichter, der den amerikanischen Film von Grund auf reformieren zu wollen die Güte hat, und der sich unterdessen nur durch dummes Kitschzeug legitimieren kann, durch die „Erpressung“, den müssigen Einfall einer Kaffeehausnacht! — Eine Filmidee, die er, das sieht er jetzt ein, nicht schlecht verrissen hätte, als gestrenger Filmrezensent in der Neustädter Zeit! Mit peinlicher Klarheit sieht er nun, was er von dem Amerikaner wollte und will: nur Dollars! Kein Wunder, dass man ihn warten lässt, einen Herrn aus Europa, der käuflich ist wie die andern!
Gegen zwölf Uhr kommt ein Mensch aus dem Zimmer des Generaldirektors, der mit ihm konferiert haben muss, dann erscheint, für einen Augenblick nur, Mister Brown in Person, ein grosser, quadratischer Herr mit dem grauen Hut auf dem Kopf, und sagt zu Paul: „How do you do? Erfreut, Sie kennenzulernen.“ — Und entschuldigt sich kurz: er hat auch jetzt keine Zeit für Paul, ob der denn nicht für ein Weilchen die Anlagen ansehen möchte, bis zur Zeit des Lunchs in der Atelierkantine? Während des Essens hat Mister Brown noch am ehesten Zeit! Paul Pauer sagt höflich ja und bittet nur seine Frau anrufen zu dürfen; sie haben ein Telephon in dem Bungalow.
Merkwürdigerweise meldet sich niemand auf den Telephonanruf; Claire scheint nicht zu Hause zu sein. Paul Pauer ruft das Bureau der Sycamore Bungalow Courts an und bittet, die Post auszurichten, er kommt zu Mittag nicht heim. — Gut, aber wo ist denn Claire? Sie hat nichts vom Ausgehen gesagt. Paul entlässt den Gedanken; es wird sie wohl Lotto abgeholt haben, oder Ilona Lupu, zu einer Spazierfahrt. —
Keine Ahnung sagt ihm, wo Claire um diese Stunde wirklich ist: gar nicht weit von ihm, im Atelier der Mirador Pictures Corporation, Abteilung der Gabriel-Garisch-Film — — und dass sie sich dort soeben, fieberhaft eilig, mit Fettschminke einreibt, für eine Probeaufnahme, zu der Gabriel Garisch sie gestern abend aufgefordert hat!
Die Stunde vor dem Mittagessen verbringt Paul Pauer im Filmgebäude der Fantoma Company, so gut wie allein, denn ein junger Herr von der Presseabteilung der Fantoma, den man ihm als Führer mitgegeben hat, weiss mit dem Schweigsamen nicht viel zu beginnen, versteht auch sein Englisch schlecht, hat vielleicht selbst auch andere Sorgen und trottet nur neben ihm her, mit Pfefferminzgummi im kauenden Maul.
Die Fantoma Company ist, für Hollywood, keine sehr grosse Firma; die Filmleute, die er nun kennt, haben ein bisschen mitleidig dreingesehen, als Dr. Pauer erwähnte, er habe Geschäfte mit Parker Brown. Für Paul, der noch nicht in Culver City war, bei Metro Goldwyn, und nicht auf dem Paramount Lot, und nicht im Gelände der Mirador Corporation, nicht in Universal City und nirgends, — ist hier schon Betrieb genug und vieles zu sehen, was ihn faszinieren könnte; nur dass diese Sorge ihn quält, diese Selbstverachtung! Missmutig geht er über den ummauerten Platz, zwischen den grossen Schuppen, in denen die Aufnahmebühnen untergebracht sind; und da sein Führer ihm eine Türe öffnet, tritt er unwillig ein; was sollen ihm jetzt Aufnahmen zu der Filmkomödie „Der Taxi-Chauffeur“? Eine andere Filmkomödie, eine noch schlechtere, beschäftigt ihn! Wenn er nur den Dreck nicht geschrieben hätte, diese „Erpressung“!
— Und der Teufel hole den Kerl, den Matelian. — — Hat er nicht wissen können, wie dumm dieses Zeug ist?
Dann fängt der Theaterzauber den verzweifelten Dichter dennoch ein, trotz seiner Autorensorgen. — Er ist durch die dunkle Scheune gegangen, vorsichtig, auf Bretterpfaden, zwischen wildem Gerümpel hindurch, auf eine Stelle zu, von der aus Musik tönt; und ein magisches Licht weist den Weg. Paul stolpert im Finstern über einen Schlauch, der eine elektrische Leitung enthält, und biegt um eine Kulissenwand, und steht hinter der Kinokamera, die sich dreht und die Orgie aufnimmt.
Herren im Frack, mit gelben Gesichtern, und Damen, verführerisch kleiderarm, sehr schön, doch der Teint ist nicht sehr natürlich, — trinken Champagner und tanzen, den Champagnerbecher stets in der Hand, um die üppige Tafel, auf der glückselig besoffen der Taxichauffeur liegt, in der Lederjacke; eine Neger-Jazzband im Hintergrund macht mit übertriebenen Gesten Musik; das Ganze begiessen künstliche Sonnen und Monde, weissviolette, mit Lichtern. Eine Dame, erheblich beschwipst, zieht aus dem riesigen Straussfederfächer mit dem sie dezent bekleidet ist, eine lange Feder und kitzelt, haha, den Taxichauffeur. Da pfeift auf einmal der Regisseur ab. Die Musik verstummt. Da Kitzeln war nicht bacchantisch genug. Musik! Und Kamera! Der Herr mit der Champagnerflasche im Arm wiegt sie, haha, wie ein Baby. Der Straussenfächer. Jetzt kitzeln! Stop das Ganze, noch immer nicht bacchantisch genug, der Teufel soll’s holen!
Auf den Zehenspitzen hinaus. Im Freien, jenseits der Bühnenhäuser, wird im Lichte der kalifornischen Mittagssonne die Welt phantastisch. Eine Strasse von runden Negerhütten führt ganz direkt zum Hauptplatz von Bukarest; man kann das aus den rumänischen Ladenschildern erkennen. Der heilige Lotosteich eines Hindutempels grenzt an; das heisst, die eine Hälfte des Wasserbeckens ist heiliger Lotosteich, und die andere, von Badekabinen umgeben, ist der Strand von Deauville. Wie geriet der Herr im Cutaway und Zylinder auf das hohe Trampolin? Drei grosse Scheinwerfer strahlen, trotzdem auch die Sonne scheint, aufs Trampolin und den Herrn im Zylinder; am Ufer des heiligen Lotosweihers stehen Musikanten und machen Musik, Musik muss sein, wenn man Filmszenen aufnimmt. Kamera! schreit hinter dem Trampolin ein Regisseur. Die Scheinwerfer spritzen ein Licht, das wie konzentrierter Mond wirkt; und der Herr in dem Cutaway, mit dem Zylinderhut und dem Regenschirm, springt („Daisy, Daisy!“ singt die Musik) — mit einem Platsch ins Bassin; haha, beim Springen öffnet er seinen Regenschirm — —
„Das ist natürlich nicht der Star“, erklärt, nachdem er seinen Kaugummi ausgespuckt hat, der junge Gentleman vom Publicity-Departement, der Paul herumführt. „Der Star, Jack Mac Gregor, steht dort, hinter dem Regisseur, sehen Sie, genau so gekleidet wie sein Doppelgänger, der jetzt ins Wasser gesprungen ist. Vorhin, natürlich, stand Jack auf dem Trampolin, nicht der ,Double‘; das ist nur ein Extra, der Jack Mac Gregor wirklich sehr ähnlich sieht: man engagiert ihn, für dreissig Dollars, eigens zu diesem Sprung ins Wasser. Natürlich, man kann nicht riskieren, dass Jack sich ein Bein verstaucht oder sich einen Schnupfen holt! Wissen Sie, was für eine Gage Jack bezieht? Tausend Dollars die Woche! Nehmen Sie an, es geschähe ihm was, mitten im Film! Nein, das geht nicht! Fast jeder wirkliche Star in Hollywood hat seinen Double, den Mann, der ihm ähnlich sieht, und der die gewagten Sachen an seiner Stelle tut; man merkt es im Filmbild nicht, wenn der Regisseur nur geschickt ist. Haben Sie das gewusst?“
Ja, Paul Pauer hat das schon einmal gelesen, und doch steht er da und macht ein erstauntes Gesicht. Die ganze Zeit, vorhin beim Warten in dem Bureau, und jetzt im Herumgehen, hat er auf dem Grund seines Unterbewusstseins die Lösung gesucht, die sich ihm hier aufdrängt: Ein Double! Ein Doppelgänger des Stars, gemietet für grobes Risiko; das ist es; so kann der Vagabund, der durch die kalifornische Wüste gewankt kam, seine Filmkarriere beginnen; so hängt die Geschichte zusammen! Eine grosse Erleichterung kommt über Paul, er atmet auf; es ist ihm, in der höchsten Not, zu seinem neuen Filmstoff der Übergang eingefallen, der es möglich macht, nachher beim Essen dem Mister Parker Brown doch mindestens einen äusseren Umriss der Filmidee zu erzählen, die ihn jetzt seit Tagen so sehr beschäftigt. — Es ist noch nicht alles klar, nein, bei weitem nicht; dennoch nimmt er sich vor, dem Mann zu sagen: „Machen Sie nicht diese ,Erpressung‘, das ist doch nur dummes Zeug, ich habe einen besseren Filmstoff für Sie!“
Und nachher, da er das Restaurant betritt, sieht Paul Pauer noch in dem Verschlag nahe dem Eingang den Mann, der die Teller wäscht, den hemdsärmeligen Hausknecht — — Oh, das ist gut, das hat er auch noch gebraucht, auf diese Weise sieht sein Strolch zum erstenmal diese Frau — —
*
Die Kantine der Fantoma Film Company ist eine hölzerne Halle, summarisch mit Tischen und Stühlen möbliert, und dennoch ist sie eine Art Zauberland. An einem Tisch sitzen lauter verwegene Cowboys und einige Indianerhäuptlinge, wirkliche Indianer, scheint es, mit Adlerfedern geschmückt, und auch die Cowboys sehen ganz echt aus; sie haben in einem Wildwestfilm mitgewirkt, jetzt sitzen sie da und schaufeln Bohnen und Speck, mit dem Messer. Daneben ist die befrackte Gesellschaft aus dem Taxi-Film, und eine Gruppe beturbanter Hindus, die mit dem Lotosteich etwas zu tun haben müssen; eine Rokokodame mit weisser Perücke, wie kommt die hierher, sitzt neben einem indischen Prinzen und hat zwischen den unnatürlich grellroten Lippen eine Zigarette. Ein Honoratiorentisch der Regisseure und anderer Würdenträger steht vornehm auf einer erhöhten Estrade; hier präsidiert Parker Brown, mit seinem Hut auf dem Kopf, und neben ihm ist ein Platz für den Gast reserviert, den Autor aus Deutschland. Paul geht, ein bisschen verlegen, dorthin und tauscht nach rechts und links einige „How do you do?“ mit den Regisseuren, die der Generaldirektor mit ihm bekannt macht; dann beachtet man ihn nicht weiter besonders. Die Leute nennen einander Harry und Jim; auch der Generaldirektor wird hier nur „Park“ angesprochen, es gibt keine Formalitäten. Dennoch lacht jeder ein bisschen zu viel, wenn Park einen mässigen Witz macht. Das Essen scheint nicht sehr wichtig; man isst kaltes Fleisch und grosse Haufen Salat, trinkt Eiswasser dazu und am Schluss eine Menge guten schwarzen Kaffees; dann kommt das tägliche Hauptgeschäft des Mittagessens: man spielt, während schon die schweren Zigarren dampfen, ein Spiel mit Zahnstochern, dessen Regeln der Neuling nicht ganz versteht. Soviel ist sicher: wer einen gewissen Zahnstocher zieht, der hat verloren und darf die ganze Zeche bezahlen; beim nächsten Lunch trifft es, hoffentlich, einen andern. Paul, als ein Gast, nimmt an dem Spiele nicht teil; wie dürfte er denn bezahlen? — Es ist ihm ein bisschen peinlich.
Der Generaldirektor hat während des Essens zwei- oder dreimal das Wort an Paul gerichtet; der muss sagen, wie ihm denn das Klima und Kalifornien vorkommt und ob es drüben in Deutschland um diese Jahreszeit nicht schon viel kälter sei. Erst nachher, als die anderen Tafelgäste, mit einem grüssenden Nicken, rasch auseinander gegangen sind, gleich wieder an ihre Arbeit, bleibt Parker Brown noch ein wenig neben dem German sitzen und leitet mit einem „Well!“ die Besprechung ein, auf die alle Nerven Pauls so unruhig warten.
„Well,“ sagt Parker Brown, „wir haben von Ihrem Agenten diese Story erworben. Ich schrieb Ihnen wohl nach Berlin, dass sie jetzt gedreht werden soll, aber ich fürchte, es wird noch ein bisschen dauern. Vielleicht im Frühjahr, vielleicht in der nächsten Saison. Sehen Sie her, Dan Silver, der Filmschauspieler, für den wir den Stoff erworben haben, macht augenblicklich einen anderen Film; es hat sich ganz plötzlich entschieden. Das ist in dem Filmgeschäft nun mal nicht anders; man kauft viele Storys auf Vorrat und sieht dann zu, wie man sie am besten besetzen kann — —. Ihnen braucht nichts daran zu liegen, Sie haben das Geld doch richtig bekommen — —.“
Paul würgt an seinem Entschluss. „Mister Brown,“ sagt er endlich mit einer gepressten Stimme (die englischen Worte wollen nicht fliessen), „ich habe — — ich möchte — — Glauben Sie, dass man die ,Erpressung‘ überhaupt filmen sollte?“
Der Amerikaner ihm gegenüber wird aufmerksam, in seinem roten Quadratgesicht unter dem grauen Hut werden die Linien härter. Was will dieser Mensch? Dollars natürlich, denkt der Amerikaner, und Paul errät das, natürlich Dollars, aber auf welche Weise? Was ist denn das für ein faules Manöver? Er hat die Story einmal verkauft und er kriegt sie nicht wieder zurück!
Mit einem Stottern sagt Paul, was so schwer zu sagen ist: er hat es sich überlegt, er hat die Geschichte noch einmal bedacht, ist diese „Erpressung“ nicht eigentlich doch nur ein Variété-Sketch, kann denn wirklich ein brauchbarer Film daraus werden?
Der Generaldirektor der Fantoma-Film-Company macht zuerst ein verblüfftes Gesicht, dann ein beleidigtes. Er glaubt jetzt Paul zu verstehen: der meint, weil er den Literaturpreis gekriegt hat, die Fantoma-Company ist nicht „highbrow“ genug für solche verstiegene europäische Sachen! Natürlich, da steckt was dahinter, der Mann hat in Hollywood jemand von einer Konkurrenzfirma kennengelernt, und es ist ihm die Fantoma nicht vornehm genug für sein Zeug! Was sagt er? Einen anderen Film hätte er vorzuschlagen, vielleicht einen besseren? „Nicht so grün!“ denkt sich Parker Brown. „Auf den Leim wird nicht gegangen!“ Er sagt, ungemein frostig: „Thank you, das ist sehr interessant; schreiben Sie eine Synopsis dieses neuen Films und reichen Sie das Manuskript bald unserem Scenario-Department ein. Die Rechte an dem anderen Film haben wir nun einmal erworben, und wir verzichten auf sie nicht! Was Sie gegen Ihre eigene Story sagen ― ―. Der Titel jedenfalls ist sehr gut; wir haben, ehrlich gestanden, den Stoff hauptsächlich wegen des guten Titels erworben: ,Blackmail‘ ist ausgezeichnet! Der Gang der Handlung kann ja immer geändert werden. So weit halten wir überhaupt nicht. Wir werden die Story von Morris Goldenberg bearbeiten lassen, da seien Sie nur ganz ruhig!“
Es scheint, dass man wissen muss, wer Morris Goldenberg ist, aber Paul Pauer weiss es doch nicht und fragt. Der beliebte Short-Story-Autor der Saturday Evening Post, selbstverständlich! — „Ach so“, sagt Paul, nicht ganz überzeugt. Die „Erpressung“, denkt er bei sich, ist doch schliesslich von mir, was soll der Herr Goldenberg?
Dann äussert er so etwas, schüchtern genug, und erfährt von Parker Brown, dass das ein Prinzip ist: man lässt den Stoff des einen Schriftstellers von einem anderen für den Film bearbeiten, gar eine europäische Story muss immer durch die Hände eines Amerikaners gehen, der das amerikanische Publikum kennt. Paul Pauer hat seine „Erpressung“ bisher für einen amerikanischen Reisser gehalten, aber es scheint, dass die Fantoma Company hingegen der Meinung ist, in diesem Meisterwerk etwas Exklusiv-Europäisch-Vergeistigtes erworben zu haben; das bedarf nun der Amerikanisierung durch Goldenberg.
Und ich? erkennt Paul Pauer, tief getroffen. Wozu bin ich eigentlich nach Hollywood gereist?
Er wird rot im Gesicht, um ihn wackeln die Dinge. Er greift nach dem letzten Halt: fängt an, von dem Film zu erzählen, den er schreibe...

Inhaltsverzeichnis

  1. decken
  2. Titel
  3. Kolophon
  4. I.
  5. II.
  6. III.
  7. IV.
  8. V.
  9. VI.
  10. VII.
  11. VIII.
  12. IX.
  13. X.
  14. XI.
  15. XII.
  16. XIII.
  17. XIV.
  18. XV.
  19. XVI.
  20. XVII.
  21. XVIII.
  22. XIX.
  23. XX.
  24. XXI.
  25. XXII.
  26. XXIII.
  27. XXIV.
  28. XXV.
  29. XXVI.
  30. XXVII.
  31. XXVIII.
  32. Über Du sollst dir kein Bildnis machen - Ein Roman aus Hollywood