Nana
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Nana

  1. 534 Seiten
  2. German
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Über dieses Buch

Der große Gesellschaftsroman von Emile Zola, der seiner Zeit einen Skandal auslöste: Im Zentrum steht Nana, die aus sehr bescheidenen Verhältnissen stammt. Sie wittert den Aufstieg, als sie sich von der einfachen Straßenprostituierten zur Kurtisane entwickelt und sich als Operettenstar in Paris einen Namen macht – jedoch nicht aufgrund ihres Könnens, sondern wegen ihrer erotischen Ausstrahlung. Diese weiß sie geschickt einzusetzen und wickelt damit nicht nur den Pariser Adel um den kleinen Finger. Doch letztendlich ist selbst das nicht ihre Rettung...-

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Information

Jahr
2020
ISBN
9788726642902

KAPITEL XIII

Gegen Ende September kam Graf Muffat, der am Abend bei Nana speisen sollte, in der Dämmerung, um sie von einem plötzlichen Befehl, der ihn in die Tuilerien berief, zu unterrichten. Im Haus war noch kein Licht, die Dienstboten lachten sehr laut in der Bedientenkammer; er ging leise die Treppe hinauf, auf der die Glasfenster in warmen Schatten leuchteten. Die Tür des Salons oben machte kein Geräusch. Rosiges Tageslicht erstarb an der Decke des Raumes; die roten Wandbehänge, die tiefen Diwane, die Lackmöbel und dieses Gewirr von bestickten Stoffen, Bronzen und Fayencen schliefen schon unter einem trägen Regen von Finsternis, der die Ecken ertränkte, ohne Elfenbeinschillern und goldenen Widerschein. Und dort in dieser Dunkelheit gewahrte er auf dem einzig deutlichen Weiß eines großen ausgebreiteten Unterrocks Nana, zurückgebeugt in Georges’ Armen. Jedes Leugnen war unmöglich. Er stieß einen erstickten Schrei aus und blieb mit offenem Munde stehen.
Nana war mit einem Satz wieder aufgestanden und schob ihn ins Schlafzimmer, um dem Kleinen Zeit zum Verschwinden zu verschaffen.
„Komm herein“, murmelte sie kopflos, „ich will dir erklären . . .“
Sie war außer sich über diese Überrumpelung. Niemals hatte sie sich in ihrer Wohnung, in diesem Salon, bei offenen Türen so gehenlassen. Eine ganze Geschichte war dazu nötig gewesen, ein Streit mit Georges, der rasend geworden war vor Eifersucht auf Philippe. Er hatte so sehr an ihrem Hals geschluchzt, daß sie es sich hatte gefallen lassen, weil sie nicht wußte, wie sie ihn beruhigen sollte, und es ihr im Grunde sehr leid tat. Und gerade dieses eine Mal, wo sie die Dummheit begangen hatte, sich so mit einem Bengel zu vergessen, der ihr nicht einmal mehr Veilchensträuße mitbringen konnte, so knapp hielt ihn seine Mutter — gerade da kam der Graf an und platzte schnurstracks bei ihnen herein. Wirklich, so ein Pech! Das hatte man davon, wenn man gutmütig war!
Inzwischen war es vollends dunkel geworden im Schlafzimmer, in das sie Muffat hineingeschoben hatte. Sie tastete umher und klingelte nun wütend, um eine Lampe zu verlangen. Überdies war das Juliens Schuld! Wäre eine Lampe im Salon gewesen, so wäre nichts von alledem geschehen. Diese dumme hereinbrechende Nacht hatte ihr das Herz gerührt.
„Ich bitte dich, mein Kätzchen, sei vernünftig“, sagte sie, als Zoé Licht gebracht hatte.
Der Graf saß da, hielt die Hände auf den Knien und sah zu Boden, ganz verstört durch das, was er eben gesehen hatte. Er brachte keinen Zornesschrei heraus. Er zitterte, wie von einem Schaudern erfaßt, das ihn erstarren ließ.
Dieser stumme Schmerz rührte die junge Frau. Sie versuchte ihn zu trösten:
„Na, ja, es ist nicht recht gewesen von mir . . . Es ist sehr schlimm, was ich getan habe . . . Du siehst, ich bedauere meinen Fehler. Er macht mir großen Kummer, weil das dich doch ärgert . . . Komm, sei du doch nett, verzeihe mir.“ Sie hatte sich zu seinen Füßen niedergehockt und suchte seinen Blick mit einem Ausdruck unterwürfiger Zärtlichkeit, um herauszubekommen, ob er ihr sehr böse sei; als er sich dann, lange seufzend, wieder faßte, gab sie sich noch schmeichlerischer und führte mit ernster Güte einen letzten Grund an:
„Weißt du, Liebling, man muß das einsehen . . . Ich kann das meinen armen Freunden nicht abschlagen.“
Der Graf ließ sich erweichen. Er forderte nur, daß sie Georges wegschickte. Aber jede Illusion war dahin; er glaubte nicht mehr an die geschworene Treue. Am nächsten Tag würde Nana ihn von neuem betrügen; und er verharrte nur aus einem feigen Verlangen, aus Entsetzen vor dem Leben, wenn er daran dachte, ohne sie leben zu müssen in der Qual seiner Leidenschaft.
Das war die Epoche in Nanas Leben, da sie Paris mit verdoppeltem Glanz erhellte. Sie stieg noch höher am Horizont des Lasters und beherrschte die Stadt mit der zur Schau getragenen Unverschämtheit ihres Luxus, mit ihrer Verachtung des Geldes, die bewirkte, daß bei ihr in aller Öffentlichkeit die Vermögen dahinschmolzen. In ihrem Haus war gleichsam der Feuerschein einer Schmiede. Dort flammten ihre ständigen Wünsche auf, ein schwacher Hauch von ihren Lippen verwandelte das Gold in feine Asche, die der Wind zu jeder Stunde wegfegte. Niemals hatte man eine solche Verschwendungssucht gesehen. Das Haus schien über einem Abgrund gebaut; die Männer wurden darin verschlungen mit ihrem Hab und Gut, ihren Leibern, ja sogar ihren Namen, ohne die geringste Spur von Staub zurückzulassen. Diese Dirne mit dem Geschmack eines Papageienweibchens, die Radieschen und gebrannte Mandeln knabberte und im Fleisch nur herumstocherte, hatte für ihre Tafel jeden Monat Rechnungen über fünftausend Francs. In den Wirtschaftsräumen herrschten zügellose Vergeudung und wilde Unterschlagung, die die Weinfässer ausleerte und angeschwollene Rechnungen nacheinander durch drei oder vier Hände wandern ließ. Victorine und François regierten als Herren in der Küche, in die sie Leute einluden, abgesehen von einem Völkchen Vettern, die im Hause mit kaltem Fleisch und fetter Fleischbrühe beköstigt wurden; Julien verlangte Provision bei den Lieferanten; die Glaser setzten keine Scheibe zu dreißig Sous neu ein, ohne daß er zwanzig für sich aufschlagen ließ. Charles brachte den Hafer der Pferde durch, er verdoppelte die Lieferungen und verkaufte durch eine Hintertür das wieder, was durch die Haustür hereinkam, während es Zoé inmitten dieser allgemeinen Plünderung, dieser Brandschatzung einer im Sturm genommenen Stadt mit viel Geschicklichkeit gelang, den Schein zu wahren; sie deckte die Diebstähle aller, um ihre eigenen besser dabei zu verschleiern und zu sichern. Aber noch schlimmer war, was alles umkam: das Essen vom Vortage, das in den Rinnstein weggeworfen wurde, eine Überfülle von Vorräten, an denen sich die Dienerschaft übergegessen hatte, die Gläser verkrustender Zucker, das Gas, das mit großer Flamme brannte, bis die Wände schmorten; und Nachlässigkeiten, Böswilligkeiten, Unfälle — alles das, was den Ruin in einem Hause beschleunigen kann, das von so vielen Mäulern aufgefressen wird. Oben bei Madame wehte außerdem der Zusammenbruch noch stärker herein: zweimal getragene Kleider zu zehntausend Francs wurden von Zoé verkauft, Schmuckstücke verschwanden wie verkrümelt in der Tiefe der Schubfächer, alberne Einkäufe, die Modeneuheiten des Tages, die am nächsten Tag in den Ecken vergessen waren und auf die Straße gefegt wurden. Sie konnte nichts sehr Teures sehen, ohne es zu begehren. So schuf sie rings um sich eine ständige Verheerung von Blumen und kostbaren Nippsachen und war um so glücklicher, je mehr ihre eine Stunde währende Laune kostete. Nichts blieb ihr in den Händen. Sie zerbrach alles. Das wurde welk, das wurde schmutzig zwischen ihren kleinen weißen Fingern. Verstreut umherliegende unkenntliche Scherben, ausgewundene Lappen und schmutzige Fetzen blieben hinter ihr zurück und kennzeichneten ihren Weg. Sodann platzten die großen Rechnungen mitten in diese Klemme mit dem Taschengeld: zwanzigtausend Francs bei der Modistin, dreißigtausend bei der Wäschehändlerin, zwölftausend beim Schuhmacher. Ihr Pferdestall verschlang fünfzigtausend. Bei ihrem Schneider hatte sie in einem halben Jahr eine Rechnung von hundertzwanzigtausend Francs. Ohne daß sie ihren Aufwand, der von Labordette auf durchschnittlich vierhunderttausend Francs geschätzt wurde, erhöht hatte, brachte sie es in diesem Jahr auf eine Million, war selber verdutzt über diese Zahl und außerstande zu sagen, wo eine derartige Summe hatte hinkommen können. Die übereinandergehäuften Männer und das schubkarrenweise ausgeschüttete Gold reichten nicht aus, um das Loch aufzufüllen, das sich immer wieder unter dem Pflaster ihres Hauses beim Krachen ihres Luxus aushöhlte.
Indessen hegte Nana eine letzte Laune. Da sie noch einmal von dem Gedanken geplagt wurde, ihr Schlafzimmer neu einzurichten, glaubte sie, das Richtige gefunden zu haben: ein Zimmer in teerosenfarbenem Samt mit kleinen silbernen Polsterknöpfen, bis zur Decke zeltförmig bespannt und mit goldenen Schnüren und goldener Spitze verziert. Ihr schien, das müsse üppig und zart und ein prächtiger Hintergrund sein für ihre feuergoldene Haut einer Rothaarigen. Aber das Schlafzimmer war im übrigen ja nur dazu da, um dem Bett — einem Wunder, einem Blendwerk — als Rahmen zu dienen. Nana träumte von einem Bett, wie es keins gab — ein Thron, ein Altar, zu dem Paris kommen würde, um ihre hehre Nacktheit anzubeten. Es sollte ganz aus getriebenem Gold und Silber sein gleich einem großen Schmuckstück mit goldenen auf silbernes Gitterwerk hingestreuten Rosen; am Kopfende sollte sich zwischen den Blumen eine Schar von Amoretten lachend herabbeugen und die wollüstigen Vergnügungen im Schatten der Vorhänge belauschen. Sie hatte sich an Labordette gewandt, der zwei Goldschmiede zu ihr gebracht hatte. Man befaßte sich schon mit den Zeichnungen. Das Bett sollte fünfzigtausend Francs kosten, und Muffat sollte es ihr zu Neujahr schenken.
Es setzte die junge Frau in Erstaunen, daß sie in diesem goldenen Strom, dessen Woge zwischen ihren Gliedern dahinfloß, ständig knapp an Geld war. An manchen Tagen befand sie sich wegen lächerlicher Summen von ein paar Louisdors in äußerster Bedrängnis. Sie mußte von Zoé borgen, oder aber sie verschaffte sich selber Geld, wie sie gerade konnte. Aber bevor sie zu den letzten Mitteln Zuflucht nahm, fühlte sie ihren Freunden auf den Zahn und entlockte den Männern mit scherzender Miene das, was sie bei sich hatten, sogar einzelne Sous. Seit einem Vierteljahr leerte sie so vor allem Philippe die Taschen. In kritischen Augenblicken kam er nicht mehr, ohne seinen Geldbeutel dazulassen. Kühn geworden, hatte sie ihn bald um Darlehen gebeten, um zweihundert Francs, dreihundert Francs, niemals mehr, für Wechsel und Läpperschulden; und Philippe, der im Juli zum Hauptmann ernannt worden war und dem die Regimentskasse unterstand, brachte das Geld am nächsten Tag, wobei er sich entschuldigte, daß er nicht reich sei, denn die gute Mama Hugon behandele ihre Söhne jetzt mit sonderbarer Strenge. Nach Verlauf eines Vierteljahres beliefen sich diese oft erneuerten kleinen Anleihen auf etwa zehntausend Francs. Der Hauptmann hatte noch immer sein schönes klangvolles Lachen. Er magerte jedoch ab, war zuweilen zerstreut und hatte einen Schatten von Leid auf dem Gesicht. Aber ein Blick Nanas versetzte ihn in eine Art sinnlicher Ekstase. Sie war sehr schmeichlerisch zu ihm, wie eine Katze, berauschte ihn hinter den Türen mit Küssen und beherrschte ihn durch jähes Hingeben, das ihn an ihre Röcke fesselte, sobald er von seinem Dienst entwischen konnte.
Da Nana gesagt hatte, daß sie auch Thérèse heiße und daß ihr Namenstag auf den 15. Oktober falle, schickten ihr die Herren alle eines Abends Geschenke. Hauptmann Philippe brachte das seine mit, eine alte Konfektdose aus Meißener Porzellan auf einem goldenen Untersatz. Er fand sie allein in ihrem Ankleidezimmer, wie sie gerade aus dem Bad kam, nur mit einem großen Morgenrock aus weiß-rotem Flanell bekleidet und sehr davon in Anspruch genommen, die auf einem Tisch ausgebreiteten Geschenke zu besichtigen. Sie hatte schon einen Flakon aus Bergkristall zerbrochen, als sie den Stöpsel herausziehen wollte.
„Oh, du bist zu lieb!“ sagte sie. „Was ist denn das? Zeig doch mal . . . Bist du ein Kind, daß du deine Sous in solche Dingerchen wie das da steckst!“ Sie schalt ihn aus, weil er ja nicht reich sei, und war im Grunde sehr zufrieden, zu sehen, daß er alles für sie ausgab — der einzige Liebesbeweis, der sie rührte. Inzwischen machte sie sich an der Konfektdose zu schaffen, sie wollte sehen, wie sie gearbeitet war, öffnete sie und schloß sie wieder.
„Paß auf“, murmelte er, „das ist zerbrechlich.“
Aber sie zuckte die Achseln. Er glaube wohl, sie habe Hände wie ein Lastträger! Und mit einemmal blieb ihr das Scharnier in den Fingern zurück, der Deckel fiel herunter und zerbrach. Sie stand verdutzt da, sah auf die Scherben und sagte:
„Oh, er ist kaputt.“ Dann begann sie zu lachen. Die Scherben auf der Erde kamen ihr komisch vor. Es war eine nervöse Heiterkeit; sie hatte das dumme und bösartige Lachen eines Kindes, dem das Zerstören Spaß macht.
Philippe wurde von einer kurzen Empörung erfaßt; die Unselige wußte nicht, was für Ängste ihn diese Nippsache gekostet hatte.
Als sie sah, wie erschüttert er war, suchte sie sich zu beherrschen.
„Du meine Güte, es ist ja nicht meine Schuld . . . Sie hatte einen Sprung. Das hält ja nicht mehr, dieses alte Zeug . . . Na, und dann dieser Deckel! Hast du den Purzelbaum gesehen?“ Und wieder brach sie in tolles Gelächter aus. Da aber die Augen des jungen Mannes trotz seiner Beherrschung feucht wurden, warf sie sich zärtlich an seinen Hals. „Bist du dumm! Ich liebe dich trotzdem. Wenn man nichts zerschlagen würde, könnten die Händler nichts mehr verkaufen. Das ist alles da, um zerschlagen zu werden . . . Da, dieser Fächer, ist der etwa nur zusammengeleimt?“ Sie hatte einen Fächer ergriffen und zog an den Stangen; die Seide riß entzwei. Das schien sie anzufeuern. Um zu zeigen, daß sie sich aus den anderen Geschenken nichts mache, weil sie seines ja nun einmal vernichtet hatte, gönnte sie sich das Vergnügen eines Gemetzels, schlug auf die Gegenstände ein und bewies, daß nicht einer solide war, indem sie alle zerstörte. Ein Schimmern entbrannte in ihren leeren Augen; ein leichtes Hochziehen der Lippen ließ ihre weißen Zähne sehen. Als dann alles in Scherben dalag, schlug sie, hochrot, wieder von ihrem Lachen ergriffen, mit den flachen Händen auf den Tisch und lispelte mit der Stimme eines kleinen Gassenmädchens: „Fertig! Alles weg! Alles weg!“
Von diesem Rausch angesteckt, wurde Philippe nun lustig und küßte ihr die Brust, wobei er sie hintenüberbog.
Sie gab sich hin und hängte sich so glücklich an seine Schultern, daß sie sich nicht erinnerte, seit langem so viel Spaß erlebt zu haben. Und ohne ihn loszulassen, sagte sie in schmeichelndem Ton:
„Hör mal, Liebling, du könntest mir eigentlich morgen zehn Louisdors mitbringen . . . Eine ärgerliche Geschichte, eine Rechnung meines Bäckers, der mir lästig wird.“
Er war blaß geworden; dann drückte er ihr einen letzten Kuß auf die Stirn und sagte lediglich:
„Ich werde mich bemühen.“
Es herrschte Schweigen. Sie zog sich an. Er lehnte die Stirn an eine Fensterscheibe.
Nach einer Minute besann er sich und sprach langsam:
„Nana, du solltest mich heiraten.“
Mit einem Schlag erheiterte diese Vorstellung die junge Frau derart, daß sie ihre Unterröcke nicht fertig zubinden konnte.
„Aber, mein armer Liebling, du bist ja krank! — Bietest du mir etwa deine Hand an, weil ich dich um zehn Louisdors bitte? — Niemals. Ich liebe dich zu sehr. Das wäre eine Dummheit, du meine Güte!“
Und da Zoé eintrat, um ihr die Schuhe anzuziehen, sprachen sie nicht mehr davon. Die Zofe hatte sofort zu den zertrümmerten Geschenken auf dem Tisch hingeschielt. Sie fragte, ob sie diese Sachen wegschließen solle; und nachdem Madame gesagt hatte, sie solle sie wegwerfen, trug sie alles in einem Zipfel ihres Rockes hinaus. In der Küche wurde Auslese gehalten, und man teilte sich Madames Scherben.
An diesem Tag war Georges trotz Nanas Verbot ins Haus eingedrungen. François hatte ihn zwar vorübergehen sehen, aber die Dienstboten waren schon so weit, daß sie untereinander über die Ungelegenheiten der Herrschaft lachten. Gerade war er bis zum kleinen Salon geschlichen, als ihn die Stimme seines Bruders veranlaßte stehenzubleiben; und wie angewurzelt hinter der Tür, hörte er die ganze Szene, die Küsse und das Heiratsangebot. Ein Grauen ließ ihn zu Eis erstarren; wie schwachsinnig ging er davon mit dem Gefühl einer großen Leere unter der Hirnschale. Erst in der Rue Richelieu in seinem Zimmer über den Räumen seiner Mutter brach sein Herz in wildem Schluchzen los. Diesmal konnte er nicht zweifeln. Ein gräßliches Bild trat immerzu vor seine Augen: Nana in den Armen Philippes; und das kam ihm wie Blutschande vor. Wenn er glaubte, er habe sich beruhigt, kehrte die Erinnerung wieder, und ein neuer Anfall eifersüchtiger Wut warf ihn auf sein Bett. Er biß in die Decken und schrie gemeine Worte, die ihn noch kopfloser machten. Auf diese Weise verging der Tag. Er sprach von einer Migräne, damit er eingeschlossen bleiben konnte. Aber die Nacht wurde noch furchtbarer; ein mörderisches Fieber schüttelte ihn in ständigem Alpdrücken. Hätte sein Bruder im Hause gewohnt, so würde er ihn mit einem Messer erstochen haben. Bei Tagesanbruch wollte er vernünftig überlegen. Er war derjenige, der sterben mußte; er könnte sich aus dem Fenster stürzen, wenn ein Omnibus vorbeikäme. Doch gegen zehn Uhr verließ er das Haus; er lief durch Paris, streifte auf den Brücken umher und empfand im letzten Augenblick das unbezwingliche Verlangen, Nana wiederzusehen. Vielleicht würde sie ihn mit einem Wort retten. Und es schlug drei Uhr, als er das vornehme Haus in der Avenue de Villiers betrat.
Gegen Mittag hatte eine fürchterliche Nachricht Frau Hugon niedergeschmettert. Philippe saß seit gestern abend im Gefängnis; er wurde beschuldigt, zwölftausend Francs aus der Kasse seines Regiments gestohlen zu haben. Seit einem Vierteljahr hatte er kleine Summen entwendet in der Hoffnung, sie zurückerstatten zu können, und hatte das Defizit durch falsche Belege vertuscht; und dank der Nachlässigkeit des Verwaltungsrates gelang dieser Betrug immer. Die alte Dame, die angesichts des Verbrechens ihres Kindes zu Boden geschmettert war, stieß zuerst einen Zornesschrei gegen Nana aus; sie wußte von Philippes Verhältnis; ihre Niedergeschlagenheit rührte von diesem Unglück her, das sie in der Angst vor einer Katastrophe in Paris zurückhielt; aber niemals hatte sie so viel Schande befürchtet, und jetzt warf sie es sich wie eine Mitschuld vor, daß sie ihm Geld verweigert hatte. Auf einen Sessel gesunken, die Beine von Lähmung befallen, kam sie sich überflüssig vor und außerstande, etwas zu unternehmen, wie dort festgenagelt, um zu sterben. Doch der plötzliche Gedanke an Georges tröstete sie; Georges blieb ihr, er konnte handeln und sie alle vielleicht retten. Ohne jemandes Hilfe zu erbitten, weil sie diese Dinge zwischen ihnen geheimhalten wollte, schleppte sie sich nun vorwärts und ging in das obere Stockwerk hinauf, an den Gedanken geklammert, daß sie noch eine zärtliche Liebe bei sich habe. Aber oben fand sie das Zimmer leer. Der Concierge sagte ihr, Herr Georges habe zeitig das Haus verlassen. Noch ein Unglück wehte sie in diesem Zimmer an; das Bett mit seinen zerbissenen Laken erzählte von all der Herzensangst; ein zwischen Kleidungsstücken umgerissener Stuhl wirkte wie tot. Georges mußte bei diesem Weib sein. Und Frau Hugon ging mit trockenen Augen und festen Beinen hinunter. Sie wollte ihre Söhne; sie machte sich auf, sie zurückzufordern.
Seit dem Morgen hatte Nana Ärger. Zuerst war gleich um neun Uhr dieser Bäcker mit seiner Rechnung erschienen eine Lappalie, hundertdreiunddreißig Francs für Brot, die zu begleichen ihr inmitten der königlichen Haushaltsführung nicht gelang. Unzählige Male hatte er sich eingefunden, gereizt darüber, daß sie von dem Tage an, da er den Kredit gesperrt hatte, zu einem anderen übergewechselt war; und die Dienstboten machten sich seine Sache zu eigen. François sagte, Madame würde ihn nie bezahlen, wenn er nicht eine richtige Szene mache; Charles sprach davon, ebenfalls hinaufzugehen, damit sie eine alte, im Rückstand gebliebene Strohrechnung begleiche, während Victorine riet, die Anwesenheit eines Herrn abzuwarten und das Geld herauszuschlagen, indem man mitten in die Unterhaltung hineinplatze. Die ganze Küche erregte sich leidenschaftlich. Alle Lieferanten wurden unterrichtet. Es gab drei und vier Stunden langes Geklatsche; Madame wurde mit der Erbitterung einer müßiggängerischen Dienerschaft, die vor Wohlleben barst, entkleidet, untersucht und durchgenommen. Nur Julien, der Haushofmeister, tat so, als verteidige er Madame: trotz allem sei sie schick; und als die anderen ihn beschuldigten, mit ihr zu schlafen, lachte er mit geckenhafter Miene, wodurch die Köchin außer sich geriet, denn sie hätte ein Mann sein mögen, um d...

Inhaltsverzeichnis

  1. Titel
  2. Kolophon
  3. KAPITEL I
  4. KAPITEL II
  5. KAPITEL III
  6. KAPITEL IV
  7. KAPITEL V
  8. KAPITEL VI
  9. KAPITEL VII
  10. KAPITEL VIII
  11. KAPITEL IX
  12. KAPITEL X
  13. KAPITEL XI
  14. KAPITEL XII
  15. KAPITEL XIII
  16. KAPITEL XIV
  17. Über Nana
  18. Anmerkungen