Mein Freund Jim
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Mein Freund Jim

  1. 143 Seiten
  2. German
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Mein Freund Jim

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Inhaltsverzeichnis
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Über dieses Buch

Als die drei Freunde Bracknell, Harry und Jim, alle aus der gleichen Ortschaft stammend, die Studierstuben von Eton verlassen, ist die Welt noch in Ordnung. Besonders Jim weiß seinen Weg vor sich. Er, der kleine Landedelmann, liebt die Pfarrerstochter Hilda Turner. Die jedoch hat ganz andere Pläne, sie hat es auf den sehr viel vermögenderen Bracknell abgesehen. Als dieser tatsächlich zum Entsetzen von Jim um ihre Hand anhält, weiß Bracknells Vater dies gerade noch zu verhindern. Für alle überraschend wendet Hilda sich nun augenblicklich wieder Jim zu, der allzu bereit ist, ihr zu vergeben. Kurz vor der Hochzeit der beiden kehrt Bracknell nach Hause zurück und nun nehmen die Dinge ihren unglückseligen Lauf.-

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Information

Jahr
2017
ISBN
9788711462270

Sechzehntes Kapitel.

Das Volk sagt, dass Mord zum Himmel schreit, und obgleich wir nicht wissen, wie viele Mordthaten unentdeckt geblieben sind, scheint das Sprichwort doch sehr häufig recht zu behalten. Ebenso habe ich immer beobachtet, dass alles, was Skandal heisst, zur allgemeinen Kenntnis gelangt, ob es auch noch so sehr im Interesse der Beteiligten liegen mag, darüber zu schweigen — jedenfalls ist die Beobachtung sehr tröstlich für die vielen, denen ein saftiger Bissen Skandal lieber ist als jegliche andre Nahrung. Ehe ich am andern Morgen mein Schlafzimmer verlassen hatte, wusste das ganze Haus, dass zwischen Graf Vieuzac und Beauchamp ein furchtbarer Auftritt stattgefunden habe; dass sie nahe daran gewesen waren, sich gegenseitig den Leib aufzuschlitzen nach guter Vätersitte; dass sie nur durch die vereinten Bemühungen Lord Bracknells und meiner Wenigkeit hätten besänftigt werden können, und dass eine hochdramatische, haarsträubende Scene zwischen Lady Bracknell und ihrem wutschnaubenden Gemahl gespielt habe — kurz alles war bekannt, und als ich endlich zum Frühstück erschien, fand ich meine Nebengäste samt und sonders im Zustand höchster Neugier und freudigster Erregung. Wenn sie von mir keine weitere Aufklärung erhielten, so lag dies keineswegs daran, dass sie versäumt hätten, mich zu fragen. Auch glaube ich, dass die gezähmten Nebenbuhler einem Verhör nicht entgangen wären, hätten sie nicht vernünftigerweise ihr Heil schon vorher in der Flucht gesucht. Sie mussten beide mit dem Frühzug nach London abgereist sein, und ich hätte damals recht wohl wissen mögen, worüber sie sich unterwegs unterhalten, fand jedoch vorerst keine Gelegenheit, mich nach dem Inhalt ihrer Gespräche zu erkundigen, und später hatte der Gegenstand sein Interesse verloren.
Damit man mir aber nicht den Vorwurf mache, dass ich mich in Selbstüberhebung über meine Mitmenschen stelle, will ich bekennen, dass mir sehr viel daran lag, irgendwie Kenntnis von der Vorlesung zu erhalten, die Bracknell in jener Nacht seiner Frau gehalten. Ich hielt es für wahrscheinlich, dass er sich dabei in schöner, kraftvoller Sprache ausgedrückt, wie man es in unsern Tagen der abgedroschenen Phrasen und der verwickelten, verhüllten Satzbildung nur zu gern einmal wieder hört. Die Hausfrau, die mir ein ziemlich saures Gesicht machte, teilte mir mit, dass die Bracknells noch an diesem Vormittag abreisen würden, so dass ich mein Frühstück in fürchterlicher Eile hinunterschlingen musste. Denn nach all der Mühe, die ich mir mit der Sache gegeben, hätte ich mich wirklich geärgert, wenn mir die Freude entgangen wäre, Lady Bracknells Gesicht vor der Abreise noch zu sehen.
Es fand sich, dass ich nicht nur das Glück hatte, ihr Antlitz zu sehen, sondern auch den Vorzug, ihre Stimme zu vernehmen, und ich kann mich kaum erinnern, dass irgend etwas mir so viel Vergnügen gemacht hätte, wie die Unterredung, die sie mir huldvoll im Gewächshaus gewährte, wo ich sie zufällig getroffen hatte. An diesem Tag war sie die Besiegte, und bitter waren die Vorwürfe, mit denen sie über mich herfiel.
„Sie haben die ganze Geschichte angerichtet von A bis Z,“ rief sie. „All das Elend und all die Schande, die sie nach sich ziehen wird, lege ich Ihnen zur Last.“
Und als ich versicherte, dass ich die Verantwortung mit Freuden auf mich nehme und stolz darauf sei, verlor sie alle Selbstbeherrschung — ein bei ihr sehr seltenes Vorkommnis — und erklärte mir, dass dies nur beweise, was für ein hohlköpfiger, eingebildeter Tropf ich sei. „Sie halten sich für so gescheit, dass Sie Ihre Nase in alles hineinstecken müssen. Ich möchte wirklich wissen, wem Sie in diesem Fall glauben eine Wohlthat erwiesen zu haben. Ihrem Freund Jim Leigh keinesfalls, denn, merken Sie sich meine Worte, Mr. Beauchamp geht geradeswegs hin und wirbt um Mildred. Dass er ihr Jawort erhält, brauche ich Ihnen nicht zu sagen. Trotz ihrer bescheidenen Miene weiss sie ein glänzendes Einkommen so gut zu schätzen, wie jede andre. Was mich betrifft, so haben Sie mir einen bösen Streich gespielt, was Ihnen wahrscheinlich zu höchster Befriedigung gereichen wird. Seit fünf oder sechs Jahren habe ich Ihnen alle Aufmerksamkeiten erwiesen, habe Sie wieder und wieder zu Diners eingeladen, obwohl Sie mich zu Tode langweilten, und habe Sie in die besten Kreise eingeführt, in welchen Sie ohne mich nie Zutritt erlangt hätten. Dass Sie mich dafür hassen, ist natürlich. Weshalb Sie Bracknell ebenfalls hassen, weiss ich nicht, aber Sie haben ihn thatsächlich zu Grunde gerichtet. Alfred Beauchamps Verheiratung hat für ihn nichts mehr und nichts weniger zu bedeuten als den Bankrott.“
Wie gross musste ihre Wut sein, um sie zu solcher Ehrlichkeit zu veranlassen! „Sie geben also zu, liebe Lady Bracknell,“ bemerkte ich, „dass es Ihre Absicht war, die Aussichten der Familie dadurch zu verbessern, dass Sie Ihren Vetter durch einen dritten aus dem Wege räumen lassen wollten?“
„Ich gebe gar nichts derartiges zu,“ erwiderte sie, „und ich lasse es ruhig darauf ankommen, ob Sie auch nur den Schatten eines Beweises beibringen können, dass ich Vieuzacs Forderung veranlasst habe. Dass ich mit Beauchamp kokettiert habe, das will ich zugeben. Wenn das Ihre tugendhaften Gefühle verletzt, so seien Sie so entrüstet, als Sie Lust haben. Bracknell war nicht entrüstet darüber, und er wusste sehr genau, was ich that. Das konnte er auch letzte Nacht nicht in Abrede ziehen, trotz all seines Rasens und Tobens.“
„War er so aufgebracht?“ fragte ich mit grösstem Interesse.
„Ja, er schäumte vor Wut und hat mir so entsetzliche, abscheuliche Dinge gesagt, dass ich sehr im Zweifel bin, ob ich noch länger an seiner Seite fortzuleben vermag.“
„Ich denke mir, Sie werden es abwarten,“ sagte ich, „ob er in Zukunft etwas zum Leben hat oder nicht, und Ihren Entschluss danach richten.“
Weshalb diese Bemerkung sie ausser sich brachte, kann ich nicht sagen; vielleicht weil es die einfache ungeschminkte Wahrheit war, jedenfalls schrie sie mich wütend an: „Sie scheinen mich für so hilflos zu halten, dass man mich ungestraft beschimpfen kann. Sie werden Ihren Irrtum dereinst erkennen. Ich habe ein erstaunlich gutes Gedächtnis und werde schwerlich vergessen, was ich Ihnen zu danken habe. Der Tag wird kommen, an dem Sie es bereuen werden, sich in einen Kampf mit mir eingelassen zu haben.“
Mag sein, dass der Tag kommt, bis jetzt ist er noch nicht erschienen und meine Reue auch nicht. Ich glaube, dass ich einer der wenigen Menschen bin, die sich rühmen können, Lady Bracknell in Leidenschaft versetzt zu haben.
Sie und ihr Gatte fuhren miteinander zur Bahn, trennten sich aber, soviel ich hörte, dort. Mylady reiste nach einem andern Landhaus, in welches sie eingeladen war, und Bracknell ging nach London. Am folgenden Tage begab ich mich ebenfalls dorthin und empfing daselbst kurz darauf einen Brief von meiner Mutter, in welchem sie mich bat, hinunterzufahren, und sie zu besuchen.
„Ich bin in Sorge wegen unsrer Freunde in Staines Court,“ schrieb sie, „und wäre froh, die Sache mit dir besprechen zu können. Der junge Beauchamp ist angekommen. Ich fürchte, weiss es jedoch nicht bestimmt, dass er mit der Absicht erschienen ist, seine höchst unerwünschten Aufmerksamkeiten zu erneuern.“
Wie dieses böswillige Betragen des jungen Beauchamp durch mein Erscheinen auf dem Schauplatz verhindert werden sollte, war mir nicht klar, aber ich beeilte mich natürlich, dem mütterlichen Ruf Folge zu leisten, und als ich das Ziel meiner Reise erreichte, fand ich keinen andern als Jim Leigh auf dem Perron, meiner harrend. Er sagte, er habe gehört, dass ich mit diesem Zug erwartet werde, und habe gedacht, er wolle mich abholen, was mir natürlich höchst schmeichelhaft war.
„Ich habe den Dogcart hier,“ fügte er hinzu, „so dass ich dich an deinem Haus absetzen kann, wenn du willst, aber meinst du nicht, dass das Gehen dir wohl thäte nach der langen Fahrt in dem rauchigen Eisenbahnwaggon? Der Wagen kann deine Sachen mitnehmen.“
Es war gerade kein sehr verlockendes Wetter zum Spazierengehen, die Strassen und Fusswege waren furchtbar schmutzig und den ganzen Tag hatte ein heftiger Nordwestwind geblasen, der kalte Regenschauer mitgebracht hatte, die sich bald in Schnee verwandeln zu wollen schienen; da Jim aber offenbar viel auf dem Herzen hatte, wollte ich seinen Plan nicht durchkreuzen.
„Du weisst,“ begann er, sobald wir uns auf den Weg gemacht, „was ich dir letzten Sommer in Bezug auf Lady Mildred sagte?“
„Jawohl,“ versicherte ich. „Wenn ich mich recht erinnere, warst du ihn grossen Nöten wegen ihrer Heiratsaussichten und du wünschtest sehnlich, dass Beauchamp ihr seine Hand antragen möchte.“
„Mein lieber Harry,“ erwiderte Jim sehr ernst, „die Dinge ändern sich mit den Umständen. Ich weiss nicht, ob ich das jemals so sehnlich wünschte, wie du sagst, jedenfalls wünsche ich es jetzt durchaus nicht. Ich ging damals davon aus, dass sie Beauchamp gern sehe.“
„Ich begreife,“ sagte ich, „was für Umstände die Sachlage geändert haben, und wünsche euch beiden, dir und Lady Mildred, von Herzen Glück dazu. Einen Kampf wird es natürlich absetzen, aber sei nur mutig und suche deine Scheu davor zu überwinden.“
Jim seufzte schmerzlich. „So einfach wird es leider nicht ins reine kommen, weisst du. Ich glaube, ich habe dir schon einmal gesagt, dass Mildred ein Engel ist — eine wirkliche Heilige, die auf dieser Erde wandelt!“
„Ich meine mich dieser Mitteilung erinnern zu können,“ erwiderte ich. „Was folgt aber daraus? Gehört es etwa zu den berechtigten Eigentümlichkeiten der Heiligen und der Engel, Männer zu heiraten, die sie nicht lieben, und die im Stich zu lassen, denen ihr Herz gehört?“
„Allerdings ist es so,“ sagte Jim ein klein wenig ärgerlich. „Unter gewissen Verhältnissen handeln sie genau auf diese Weise.“
„Ich kann natürlich nicht behaupten, dass mir die Handlungsweise jener himmlischen Wesen so bekannt ist wie dir, aber einem gewöhnlichen nüchternen Sterblichen, wie ich einer bin, scheint es —“
„Ach Harry,“ fiel mir Jim ins Wort, „ich bitte dich, sprich nicht in diesem Ton, komisch ist die Sache wahrhaftig nicht und deine geistreichen Bemerkungen nutzen mir gar nichts. Erlaube mir, dir genau zu sagen, wie die Dinge stehen, und lass mich ein paar Minuten sprechen.“
Nachdem er mich so grausam abgefertigt und zum Schweigen verurteilt hatte, fing er an, mir seine Lage darzustellen, nicht eben mit grosser Klarheit, muss ich sagen. Kurz gefasst war die Geschichte die, dass er nicht länger mehr im stande gewesen sei, zu schweigen, und Lady Mildred seine Liebe gestanden habe — zu seiner unaussprechlichen Freude hatte er erfahren, dass dieselbe erwidert wurde. Sie hatte ihm jedoch ausdrücklich erklärt, dass sie es für ihre Pflicht halte, ihres Vaters Wünsche zu erfüllen, wenn ihr die Möglichkeit dazu gegeben, und ich erkannte, dass nur die tröstliche Ueberzeugung, dass dies nicht in ihrer Macht stehe, die Herzen des unglücklichen Paares bis jetzt vor einem tragischen Schicksal bewahrt hatte. Selbst Lord Staines, der seiner Tochter ernst aber gütig Vorstellung gemacht hatte, wie er es mir damals angekündigt, hatte zugeben müssen, dass man bis jetzt kein Mittel kenne, einen Mann zu heiraten, ohne dass derselbe um einen wirbt. „Und ich glaube wirklich,“ setzte Jim hinzu, „dass, wenn Beauchamp deutlich gezeigt hätte, dass er keine Absichten auf Mildred habe, der alte Herr nichts gegen mich einzuwenden gehabt hätte.“
„Das heisst mit andern Worten: Wenn er vierzigtausend Pfund jährlich nicht kriegen kann, so gibt er sich allergnädigst auch mit dem sechsten Teil davon zufrieden,“ bemerkte ich.
„Ach, darum handelt es sich nicht allein, die Hauptsache ist jene Schuldverschreibung, von der ich dir erzählte. Das ist jetzt aber ganz einerlei, denn Beauchamp ist da und will vorwarts machen, und ich gestehe dir ehrlich, Harry, dass ich mit meiner Weisheit vollständig zu Ende bin und nicht weiss, was ich anfangen soll.“
„Hat Beauchamp angehalten?“ fragte ich.
„Noch nicht, aber es kann jeden Tag geschehen. Dass er zu dem Zweck hierherkam, ist ganz gewiss. Er schrieb an Lady Mildred und fragte an, ob er für eine Woche kommen dürfe — das würde er schwerlich gethan haben, wenn er nicht die Angelegenheit hätte ins reine bringen wollen. Aus gelegentlichen Aeusserungen vermute ich, dass er sich mit Lady Bracknell gezankt hat und den Streit gern zu einem vollständigen Bruch zwischen ihr und ihm werden lassen möchte. Der alte Lord ist seelenvergnügt und hält die Geschichte für abgemacht. Harry, zum Kuckuck, was soll ich denn thun?“
„Glaubst du nicht, dass Lady Mildred dir das unter allen Umständen am besten sagen könnte?“
Er schüttelte verzweifelnd den Kopf. „Sie ist entschlossen,“ erwiderte er, „sie glaubt klar zu wissen, was ihre Pflicht ist, und ist bereit, sich für die Ihrigen zu opfern. Aber soll ich ruhig dabei stehen und zusehen, wie das Opfer vollzogen wird? Das ist die Frage!“
Es war nicht leicht, eine Antwort auf dieselbe zu finden. Die Situation war eine der in Geschichte und Sage des öftern dagewesenen. Iphigenia entging, wie wir wissen, auf eine für die Beteiligten mehr oder weniger befriedigende Weise, dem ungeschickten Orakelspruch, allein wo war in unserm Fall der Deus ex machina aufzutreiben, der mit einem Meisterstreich des Vaters Gelübde erfüllen und der Tochter Fesseln lösen sollte?
„Das ist klar,“ sagte ich endlich, „eins von beiden muss geopfert werden — Mildred oder die Familie, und in Anbetracht aller Umstände meine ich, sollte die Familie den kürzeren ziehen.“
„Ja, und darein willigt Mildred nicht,“ sagte Jim kläglich.
„Ganz richtig, und deshalb sehe ich wahrhaftig nicht, was mir zu thun übrig bleibt, als warten und zusehen. Hast du dir einen andern Plan ausgedacht?“
„Nein,“ versetzte er trostlos. „Meine Hoffnung war, dass du etwas vorzuschlagen wüsstest, du bist doch so viel klüger und erfahrener als ich.“
Das Kompliment that mir wohl, allein ich fühlte mich durchaus nicht im stande, diesen Erwartungen zu entsprechen. Ich hätte sicherlich verschiedene vortreffliche Kriegspläne ausarbeiten können, zu allen aber wäre Lady Mildreds Zustimmung und Mitwirkung erforderlich gewesen. Was war zu thun, solange das Opferlamm hartnäckig darauf bestand, sein Haupt dem tödlichen Streich zu bieten? Um aber meinen unglücklichen Freund nicht noch zu entmutigen, versprach ich ihm, die schwierige Frage gründlich und reiflich zu überlegen, und sei es nun, weil ein Ertrinkender sich an jeden Strohhalm klammert, sei es, dass er wirklich ein ungerechtfertigtes Vertrauen in meine Fähigkeiten setzte, kurz, diese Versicherung schien ihn sehr aufzurichten.
An meinem Gartenthor fanden wir den Dogcart wartend und Jim verabschiedete sich. „Morgen nachmittag komme ich herüber, alter Kamerad,“ sagte er. „Ich möchte darauf wetten, dass dir bis dahin ein vortrefflicher Einfall gekommen ist.“ Mit diesem höchst sanguinischen Ausspruch fuhr er davon.
Und nun sollte es sich zeigen, aus welchem Stoff meine gute Mutter gemacht, und welch kühner Geist in ihr lebte. Nicht ein Wort wollte sie hören von meinen nüchternen vernünftigen Vorstellungen über die Gefahren einer Einmischung in seines Nächsten Angelegenheiten, und als ich erbärmlich genug war, sie mit ihren eignen Waffen bekämpfen zu wollen, und sie daran erinnerte, dass dies alles der Wille der Vorsehung sei und zu unserm Besten geschehe, obgleich wir mit unserm menschlichen Denken und Ermessen dies vorderhand nicht erkennen, wurde sie ernstlich böse.
„Ein andermal,“ sagte sie, „will ich dir zeigen, wie thöricht und sündhaft dein Gerede ist. Für den Augenblick genügt es, wenn ich dir sage, dass ich meine arme Mildred nicht zur Tilgung von Schulden, wer dieselben auch gemacht haben möge, an einen Mann verschachern lasse, den sie verabscheut.“
„Ich glaube nicht, dass sie ihn verabscheut,“ bemerkte ich, „aber streiten wir nicht darüber. Auf welche Weise gedenkst du ihre Auslieferung zu verhindern?“
Darauf teilte sie mir zu meinem höchsten Erstaunen ganz kühl mit, dass sie im Sinn habe, sich nach Staines Court zu begeben, und den neuen Agamemnon in seinem Zelt aufzusuchen. Da sie seit etlichen zwanzig Jahren die Grenzen unsres Gartens nicht überschritten hatte, und die einzige Equipage, über die wir verfügen, ein zweiräderiges Ponywägelchen ist, so kann man sich denken, dass dieser Entschluss mir ordentlich den Atem benahm.
„Lord Staines,“ fuhr sie lächelnd fort, „ist zu schwach, um das Haus zu verlassen. Der Berg kommt nicht zu Mahommed, also kommt Mahommed zum Berg. Ich werde ihm schreiben und ihn bitten, mir seinen Wagen zu schicken; du musst mich dann hineinheben, so gut es geht.“
Der Gedanke, beim Feind die Transportmittel zu entlehnen, um das Schlachtfeld zu erreichen, imponierte mir — es lag entschieden Humor darin, aber billigen konnte ich den kühnen Plan deshalb doch nicht. Aber erst nachdem ich meiner Mutter zugerufen: „Nur über meine Leiche geht der Weg“ — zu unsrer Gartenthür hinaus nämlich, gab sie, obgleich bitter ungern, nach, indem sie sagte: „Es sei denn; ich will es dir zuliebe unterlassen, aber ich bitte dich, recht zu verstehen, Heinrich, dass ich meine Pflicht klar vorgezeichnet sehe und dass nichts mich abhalten wird, dieselbe zu erfüllen. Du musst diesen Mr. Beauchamp bewegen, mir einen Besuch zu machen.“
Wenn meine Mutter mich „Heinrich“ nennt, so weiss ich, dass nicht mit ihr zu spassen ist. Ich ging also am andern Morgen nach Staines Court, fragte nach Beauchamp, sagte ihm, wie ausserordentlich ich mich freue, ihn wiederzusehen — es schien dies bei ihm in geringerem Mass der Fall zu sein — und liess einfliessen, dass meine Mutter, die in nächster Nähe wohne, äusserst begierig sei, seine Bekanntschaft zu machen. Er war ein wohlerzogener junger Mann, und trotzdem ihn diese plötzlich in mir erwachte freundschaftliche Wärme sichtlich befremdete, folgte er mir doch ohne Schwierigkeiten nach meinem Hause.
Meine Mutter empfing ihn in ihrem freundlichen, kleinen Wohnzimmer im oberen Stock, in dem sie einen so grossen Teil ihres Lebens zubringt, und das immer von einem schwachen altmodischen „Potpourri“-Duft erfüllt ist. Sie ist eine sehr hübsche, vornehm aussehende alte Dame, und ist sich dieser Vorzüge meiner Ansicht nach auch vollständig bewusst. Ich bemerkte auf den ersten Blick, dass sie die hochgeschätzten wertvollen, flandrischen Spitzen trug, die schon ihrer Urgrossmutter gehört hatten, und sobald sie den Mund aufthat, wusste ich, dass sie sich ihrer allerfeinsten Manieren bediente, welche wie die Spitzen nur bei wichtigen Gelegenheiten zur Anwendung kamen.
Sie hiess mich einen Stuhl für Beauchamp neben ihr Sofa stellen und lächelte ihm über den Rand eines grossen Fächers hinweg, den sie während des Sprechens langsam hin und her bewegte, huldvoll zu. „Es ist sehr gütig von Ihnen Sir,“ begann sie, „eine an ihr Lager gefesselte alte Frau zu besuchen, deren Unterhaltung wenig Anziehungskraft für Sie haben kann. Ich hätte auch nie gewagt, eine derartige Zumutung an Sie zu stellen, wenn ich nicht aus ganz besondern Gründen gewünscht hätte, Sie zu sehen.“
Ich denke mir, Beauchamp hatte in seinem Leben so etwas noch nicht gehört. Es war ihm ganz neu, mit „Sir“ angeredet und mit so ausgesuchter Höflichkeit behandelt zu werden, und er ward sichtlich ein wenig dadurch verwirrt.
„O, aber wirklich, in der That, gnädige Frau, auf Ehre, es macht mir ja das allergrösste Vergnügen!“ sagte er, mit der unserm Zeitalter eignen anmutigen Redekunst.
„Es ist sehr freundlich von Ihnen, das zu sagen...

Inhaltsverzeichnis

  1. Titel
  2. Erstes Kapitel
  3. Zweites Kapitel
  4. Drittes Kapitel
  5. Viertes Kapitel
  6. Fünftes Kapitel
  7. Sechstes Kapitel
  8. Siebentes Kapitel
  9. Achtes Kapitel
  10. Neuntes Kapitel
  11. Zehntes Kapitel
  12. Elftes Kapitel
  13. Zwölftes Kapitel
  14. Dreizehntes Kapitel
  15. Vierzehntes Kapitel
  16. Fünfzehntes Kapitel
  17. Sechzehntes Kapitel
  18. Siebzehntes Kapitel
  19. Achtzehntes Kapitel
  20. Anmerkungen
  21. Über "Mein Freund Jim"
  22. Kolophon