Schloss Frydenholm
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Schloss Frydenholm

  1. 569 Seiten
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Schloss Frydenholm

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Über dieses Buch

Hans Scherfigs satirischer Geniestreich spielt sich während der deutschen Besetzung Dänemarks ab. Der seeländische Landsitz Frydenholm ist Schauplatz verdächtiger Vorgänge, und eine illustre Gesellschaft geht dort ein und aus: so geben sich der dänische Polizeichef, Geheimdienstagenten und Gestapobeamte aus Berlin, samt Mitglieder eines geheimnisvollen "Schmetterlingsvereins", angeführt durch den neuen Schlossherrn, Graf Preben, die Klinke in die Hand. Solch mysteriöse Ereignisse wecken natürlich die Neugierde der Nachbarn.-

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Information

Jahr
2019
ISBN
9788711842782

1

Im Frühjahr 1939 verkaufte Frau Julie Skjern-Svendsen den Herrenhof Frydenholm im Landkreis Præstø an ihren jüngeren Bruder Preben Flemming Fido Graf Rosenkop-Frydenskjold.
Frau Julie Skjern-Svendsen, geborene Komtesse Rosenkop-Frydenskjold, war die Witwe des Gutsbesitzers und Fabrikanten C. C. Skjern-Svendsen, an dessen Namen sich vielleicht noch einige erinnern. Jedenfalls hat man ihm, um sein Wirken für das Reich Gottes und für das dänische Wirtschaftsleben zu würdigen, in der kleinen Anlage vor dem Missionshaus ein Denkmal errichtet. Später setzte man neben das Denkmal Skjern-Svendsen ein weiteres. Es wurde zu Ehren eines einfachen Arbeiters errichtet, der in einer merkwürdigen Zeit ungewöhnliche Taten vollbracht hatte. Wenn heute Touristen diesen Ort besuchen und die beiden Monumente Seite an Seite stehen sehen, kann es vorkommen, daß sie sagen: „So demokratisch geht es hier zu! Hier macht man keinen Unterschied zwischen einem Arbeiter und einem Gutsbesitzer!“
Auf dem Friedhof, unweit der kleinen Anlage, findet man das geräumige und unvergängliche Mausoleum, das noch der Gutsbesitzer selbst in Form eines – sehr modernen – altnordischen Grabhügels erbauen ließ; mit seiner kostbaren Einrichtung und seinen bombensicheren Gewölben muß es teurer gewesen sein als die Kirche. Kurz nach der Vollendung und der kirchlichen Weihe dieses eigenartigen Grabmals starb Gutsbesitzer Skjern-Svendsen; unter großer Beteiligung wurde er in seinem Grabhügel beigesetzt. Bekanntlich hatte man ihn ermordet. Ein Mann, der als Schloßgärtner auf Frydenholm angestellt war, hatte ihn in seinem Schlafzimmer in einem Anfall von Wahnsinn erwürgt. Und weil ein Mord damals noch etwas Ungewöhnliches war, erregte dieses Ereignis sehr viel Aufsehen und war Gegenstand ausführlicher Erörterungen in allen Zeitungen des Landes.
Der Arbeiter, dessen Monument heute neben dem des Gutsbesitzers steht, wurde hingegen nicht auf dem Friedhof von Frydenholm begraben. Er wurde überhaupt nicht begraben. Denn von ihm war nichts zu bestatten. Dieser Umstand gab bei einer bestimmten Gelegenheit Anlaß zu peinlichen und unerfreulichen Auftritten.
Der Herrenhof Frydenholm war viele Generationen hindurch im Besitz des Geschlechtes Rosenkop-Frydenskjold gewesen, und in weitem Umkreis wurde mit Zufriedenheit begrüßt, daß wieder ein richtiger Graf auf dem alten Schloß Einzug hielt. Das gab dem Ganzen mehr Stil, wie Bäcker Andersens Frau sagte. Die älteren Leute erinnerten sich noch an die gute alte Zeit mit vierspännigen Kutschen und großartigen Treibjagden, bevor der bürgerliche Skjern-Svendsen sich hier niedergelassen hatte. Nun saß wieder ein richtiger Graf auf dem Schloß, und damit war gleichsam etwas wiedererstanden.
Nicht, daß Gutsbesitzer Skjern-Svendsen das alte Schloß vernachlässigt hätte. Er hatte viel Geld geopfert, um das Schloß restaurieren zu lassen und es wieder altertümlich zu machen. Ritterrüstungen, Henkersbeile und Hellebarden hatte er in der billigen Zeit in Deutschland zusammengekauft und auf Treppen und Gängen aufgehängt. Historische Gobelins aus der Textilfabrik in Præstø bedeckten die Wände des Rittersaals. Neue, solide Ketten aus der Schmiede des Ortes schmückten den Kerker, in dem man zuvor Kartoffeln aufbewahrt hatte. Über den gereinigten Festungsgraben ließ er eine richtige Zugbrücke schlagen. Das hölzerne Pferd, das pietätlose Bauern vor anderthalb Jahrhunderten gedankenlos verbrannt hatten, mußte der Zimmermann des Dorfes originalgetreu nachbauen. An seinem historischen Platz im Burghof neben der Steintreppe stand es nun wieder als würdige Erinnerung an das romantische Landleben in der guten alten Zeit.
Sonst aber war nichts Außergewöhnliches oder Glanzvolles an dem kleinen, unansehnlichen, religiösen Fabrikanten gewesen, der trotz großer öffentlicher Mildtätigkeit bescheidene Gewohnheiten hatte und von einfachen Leuten abstammte. Bei all der Macht, die von dem Gutsherrn, Fabrikbesitzer und Bankier Skjern-Svendsen ausging, und bei aller Abhängigkeit, die die ganze Gegend fühlte – und sich mit ihr abfand –, wußte man doch, daß er ein gewöhnlicher Mensch ohne blaues Blut und ohne richtige Ahnen war. Er hatte zwar eine adlige Dame geheiratet und sich ein Wappen anfertigen lassen, mit einem Spinnrad und dem Bruchstück eines Patentwebstuhles als Symbol, doch das konnte nichts daran ändern, daß er ein einfacher Mensch gewesen war, der mit Wollwaren hausieren ging, bevor er Industrieherr, Direktor des Kreditvereins und Gutsbesitzer wurde.
An dem Tage, da der junge Graf in das alte Schloß des Geschlechtes Einzug hielt, wurde im Dorf geflaggt. Und es gab doppelten Anlaß zu flaggen, weil dies am fünften Juni geschah, dem Tag, an dem die Verfassung des dänischen Reiches neunzig Jahre alt wurde. Ob man nun aus dem einen oder dem anderen Anlaß flaggte, war Sache jedes einzelnen. Den Fahnen konnte man nicht ansehen, ob sie für den Grafen oder für die Verfassung oder für beides wehten. Es war ein herrlicher Tag mit Sonnenschein und hellblauem Himmel, mit Lerchengesang und einer leichten, südlichen Brise, die Wärme brachte und den Sommer und kommende Freuden verhieß. Die rotweißen Fahnen bauschten sich feierlich im Wind und leuchteten über den grünen Gärten.
Im Pfarrgarten hißte Pfarrer Nørregaard-Olsen eigenhändig den großen Danebrog, während Frau und Kinder, die Mädchen und der Gast des Hauses, Dr. Harald Horn, wie eine Ehrenkompanie in Reih und Glied standen. Dr. Horn nahm stramme Haltung ein und hob grüßend die rechte Hand, als die Fahne emporstieg und sich im Südwind entfaltete. „Nichts mahnt so sehr wie eine Fahne, die am Mast empor sich schwingt!“ sagte Pfarrer Nørregaard-Olsen, und Dr. Horn, der ein Mann der Literatur war und Zitate sehr schätzte, nickte anerkennend.
In der langen Dorfstraße wehte Fahne neben Fahne, von Bäcker Andersens neuer Villa genau wie vom Hause des Doktors. Der Doktor flaggte nur für die Freiheit und die Verfassung, denn er war ein alter Radikaler und hegte vor Grafen keinen Respekt. Auf Niels Madsens gepflegtem Hof, den er mit Hilfe von Fürsorgekindern tüchtig und ertragreich betrieb, wehte der Danebrog schon morgens um vier Uhr. Und Niels Madsen ließ bestimmt nicht für die Verfassung flaggen, denn er gehörte nicht zu den Anhängern dieses „Systems“ der Demokratie und des Judentums. Er ließ die Fahne allein zu Ehren des Grafen hissen, der – wie man sagte – ein Herrenmensch mit Verständnis für die Forderungen der Zeit sei und willens, Ordnung in die Verhältnisse zu bringen: ein Mann zu Pferde mit Schaftstiefeln und Führergaben.
Auch Gemeinderatsmitglied Rasmus Larsen, den man früher einmal „Roter Ras“ genannt hatte – er war in seiner Jugend roter Sozialist und somit ein gefährlicher Mensch gewesen –, hatte den alten Danebrog an der neuen Fahnenstange vor seiner roten Ziegelvilla gehißt. Und seine Fahne wehte sowohl für den Grafen als auch für die Verfassung, denn Larsen war von großzügiger Gesinnung. „Wir sitzen doch alle im selben Boot“, pflegte er zu sagen. Die Entwicklung hatte Rasmus besonnen gemacht, und mit der Besonnenheit war er zu seiner Villa gekommen und zu dem Fahnenmast mit der vergoldeten Glasspitze, war er Gewerkschaftsvorsitzender geworden und Arbeitervertreter im Gemeinderat.
Sogar Höschen-Marius zeigte eine kleine, verblichene Fahne. Der wunderliche Höschen-Marius, der diesen Spitznamen bekommen hatte, weil er Damenwäsche, die zum Trocknen aufgehängt war, nicht in Ruhe ließ. Die Polizei war wegen dieser Leidenschaft hinter ihm her gewesen. Sie war auch hinter ihm her gewesen, als Gutsbesitzer Skjern-Svendsen ermordet worden war, und sie hatte eine Zeitlang geglaubt, Höschen-Marius sei der Mörder, denn man hatte ihn in der Mordnacht gesehen, wie er durch das Dunkel schlich, weiblichen Wäschestücken nachstellend. Aber Höschen-Marius war wirklich nicht der einzige gewesen, den man verdächtigt und verhaftet hatte, und hätte sich der verrückte Gärtner nicht selbst gestellt, wäre vielleicht ein unschuldiger Mensch verurteilt worden.
Der Kaufmann flaggte und die Hebamme und die Molkerei und das Gemeindebüro. Und eine Fahne wehte vor dem „Historischen Krug“, wo der Gøngehøvding 1 einstmals Schinken und Ei gegessen hatte und Rasmus Larsen am Abend des fünften Juni vor den Mitgliedern des Wählervereins über die freieste Verfassung und Demokratie der Welt und über die Volksgemeinschaft sprechen wollte; danach würde ein Zauberkünstler auftreten, und dann sollte getanzt werden.
Nur der Gutshof flaggte nicht, als der junge Graf Preben Flemming Fido Rosenkop-Frydenskjold seinen Einzug hielt. Das große rote Gebäude lag düster und zurückgezogen zwischen uralten, hohen Lindenbäumen hinter Wällen und grünen Gräben. Ein seltsam fremdartiges Bauwerk inmitten der lieblichen seeländischen Landschaft, errichtet von ausländischen Junkern als Feste gegen die Einwohner, groß und massiv und anmaßend, mit Ecktürmen und Schießscharten und schmalen Fenstern in den meterdicken Mauern. Ein geheimnisumwobener Ort mit verborgenen Gängen, mit vermoderten Leichen hinter der hölzernen Täfelung, mit Skeletten unter den Steinfliesen des Fußbodens und voller dunkler Erinnerungen an Jahrhunderte währenden Mord.
Erst vor einem Jahr war der vorige Besitzer in seinem historischen Himmelbett erwürgt worden, ein Ereignis, das sich gut in die Tradition des Hauses einfügte.
Frydenholm sollte auch in Zukunft eine Heimstatt des Verbrechens sein.

2

Die erste Spazierfahrt, die Graf Rosenkop-Frydenskjold durch das Dorf unternahm, ging nicht in einer vierspännigen Kutsche vor sich, wie viele es zu sehen erwartet hatten, sobald wieder ein Graf auf Frydenholm wohnen würde.
Der junge Graf kam auf einem Traktor mit hoher Geschwindigkeit im Zickzack angefahren. Darunter litten die kleinen Zäune vor den Häusern, erst auf der einen Seite der Straße, dann auf der anderen. Höschen-Marius’ weißgestrichener Zaun zersplitterte, die Ligusterhecke der alten Emma schräg gegenüber wurde flachgedrückt, und ihr Grünkohl und die roten Bete und der Porree wurden tief in die gutgedüngte Erde gepreßt. Danach wurde die Gartentür des Doktors abgerissen und Rasmus Larsens Steinmauer umgeworfen, und schließlich landete das gräfliche Fahrzeug in Bäcker Andersens neuer Spiegelglasscheibe zwischen Kuchen und Schokoladenfiguren.
Höschen-Marius kam zum Vorschein, groß, schwer, mit hängendem Schnurrbart und feuchter Nase, starrte verwundert auf die seltsame Fahrspur und fühlte trotz des Erschreckens eine Art Wohlbehagen in seinem langen Körper, weil ein Graf ihm so nahe gewesen. Doch die alte Emma war wütend, sie schimpfte und wetterte über die Zerstörung der Ligusterhecke und der Gemüsepflanzen, die sie so sorgsam mit dem Latrineneimer gepflegt hatte. „Ist das eine Art, so zu fahren?“ schrie sie. „Ist denn auf der Straße nicht genügend Platz? Da hat man den Porree gegossen und gedüngt, und dann kommt so ein Affe und macht alles kaputt! Und meine schöne Ligusterhecke!“
„Das war der Graf“, sagte Höschen-Marius.
„Ich scheiß was auf den Grafen! Er soll mit seinem elenden Schlitten nicht anderer Leute Ligusterhecken kaputt fahren“, antwortete Emma respektlos; sie war wütend und vergaß, daß sie einmal dem Nähzirkel der Damen angehört und im Pfarrhaus verkehrt hatte.
Der Doktor war nicht zu Hause, dafür eilten Bäcker Andersen und Frau Andersen herbei, um Erste Hilfe zu leisten. Aber dem Grafen war nichts zugestoßen, und als man ihn stützen und ihm das in solchen Fällen übliche Glas Wasser aufdrängen wollte, verlangte er ein Bier. Man holte rasch ein paar Flaschen und trank zwischen Glasscherben und zerdrücktem Butterkuchen, und der Graf war natürlich und jovial, trank aus der Flasche, stieß mit dem Bäcker an und duzte ihn, als wäre er seinesgleichen. Der Graf war nicht hochmütig, und es wurde mehr Bier geholt, und der Graf pißte demokratisch in den Bäckerladen, bevor er beschloß, aufzubrechen und sich zurück ins Schloß zu begeben, ehrerbietig von Andersen gestützt.
Alles wäre friedlich und ruhig verlaufen, wäre nicht Landpolizist Hansen zufällig auf dem Rad vorbeigekommen, der sich über den Traktor im Schaufenster, die umgeworfenen Zäune und die breitgetretenen Torten dann doch reichlich wunderte. Er hörte sich Emmas heftige Klagen an und hielt es für notwendig, Anzeige über die Sache zu erstatten. Dadurch wurde der kleine Spaß in weiteren Kreisen bekannt. Einige Lokalzeitungen schrieben darüber, und der Graf mußte später eine Geldstrafe von einhundert Kronen an die Staatskasse zahlen.
„Was da für Papier verbraucht wird!“ sagte Niels Madsen. „Papier und Anzeigen und Schreibereien: Das ist das System‘! Dafür verschwendet man das Geld der Steuerzahler! Und die Juden müssen schließlich etwas haben, worüber sie in ihren Zeitungen schreiben können!“
„Aber Redakteur Jörgensen vom Kreisblatt ist ja nun wirklich kein Jude“, wandte seine Frau ein.
„Er wird wohl doch einer sein!“ erwiderte Niels Madsen.
„Hast du eigentlich jemals einen Juden gesehen?“ fragte seine Frau verdrossen.
„Was heißt gesehen? Ich habe sie nicht direkt gesehen. Aber man fühlt sie doch immerzu. Sie haben sich überall eingeschlichen. Der eine hilft dem anderen hinein. Sie sitzen in ihren Geschäftshäusern dort in Kopenhagen und bestimmen alles. Sie beherrschen die Hochfinanz und die Zeitungen und die Banken und alles!“
„Skjern-Svendsen war doch auch kein Jude“, sagte Frau Madsen. „Er war nur Jüte. Und er besaß Güter, Webereien, die Knopffabrik und die Textilfabrik und was weiß ich noch alles.“
„Skjern-Svendsen vielleicht nicht. Aber die anderen. An wen, glaubst du, zahlen wir Zinsen, wenn nicht an die Juden? Und wer, glaubst du, regiert die Gewerkschaften und macht den Sozialismus?“
„Hier regiert ja Rasmus die Gewerkschaft“, sagte Frau Madsen stur. „Ich habe nie gehört, daß er Jude sein soll. Er geht in die Kirche und ißt Schweinebraten, und Juden dürfen kein Schweinefleisch essen.“
„Du kannst Gift darauf nehmen, daß sie Schweinefleisch essen“, sagte Niels Madsen. „Sie sitzen auf Schweinefleisch und fressen es auch. Es sind gerade die Juden da drüben in England, die unseren feinen Schinken fressen, ohne etwas dafür zu bezahlen!“
Rasmus Larsen brachte seine Mauer wieder in Ordnung und die herausgerissenen Steingartenpflanzen und immergrünen Gewächse wieder in die Erde. „Hierzulande sind alle vor dem Gesetz gleich“, sagte er. „Bei uns herrscht Demokratie. Auch ein Graf wird zur Rechenschaft gezogen, wenn er die Verkehrsregeln verletzt. Wir sitzen doch alle im selben Boot, ohne Ansehen der Person. Da werden keine Unterschiede gemacht.“
Und Bäcker Andersen bekam seine Scheibe erstattet, und Höschen-Marius seinen Zaun und der Doktor seine Gartentür. Aber die Ligusterhecke der alten Emma wurde nicht für so wertvoll befunden, daß man dafür eine Entschädigungssumme festsetzte. Sie würde wohl auch von selbst nachwachsen.
„Es gibt kein Recht für die Armen!“ jammerte Emma. „Und der schöne Porree, der bis zum Herbst so dick wie ein Arm werden sollte! Der soll nichts wert sein, wo ich ihn so gedüngt habe! Nein, es ist schon so, wie im Psalm geschrieben steht: Unrecht spricht man jetzt statt Recht!“
„Bist du vielleicht Bolschewik geworden, Emma, wie Martin Olsen?“ fragte Rasmus. „Ist es Margrete, die es dir eingibt?“
„Nein, das bin ich nicht! Und ich habe auch keine Ahnung, wovon du sprichst. Und du sollst nicht grob werden, Rasmus, und anderen irgend etwas nachsagen! Denn ich habe dich schon gekannt, als du noch so klein warst, daß du deine Hosen nicht alleine zuknöpfen konntest!“
Obwohl der Graf bescheiden und natürlich sein konnte, auf dem Traktor fuhr und mit den Leuten Bier trank: er hatte Stil. Als natürlicher Abkömmling eines oldenburgischen Königs stand ihm das Recht zu, seine Lakaien rote Livree tragen zu lassen. Ein neuer, aristokratischer Geist war auf dem alten Herrenhof eingezogen. Die kleinliche Knauserei und die Schnüffelei in der Speisekammer, der sich der verstorbene bürgerliche Gutsbesitzer hingegeben hatte, war vorbei. Der Graf überwachte die Arbeit auf dem Gut, er ritt auf die Felder hinaus und munterte die Leute auf, doch er mischte sich nicht in die Haushaltsführung ein und zählte nicht die Zuckerstücke in der Tüte.
Zu Skjern-Svendsens Zeiten hatte es nur einen einzigen Diener im ganzen Schloß gegeben, einen wortkargen, bleichen Mann namens Lukas. Er durfte bleiben, obwohl er eine undurchsichtige Vergangenheit und ein schlechtes Führungszeugnis hatte. Aber mit Graf Preben kamen mehrere neue Diener nach Frydenholm, kam ein neuer Verwalter, der in Deutschland ausgebildet worden war, kamen ein neuer Großknecht und eine Anzahl neuer Knechte. Es waren besonders ausgesuchte Leute, die der Graf eingestellt hatte, Leute mit Schneid; sie schlugen die Hacken zusammen, daß es knallte, und grüßten militärisch, wenn ihr Herr seine tägliche Runde ritt.
Es kam auch vor, daß der Graf die Leute im Hof antreten ließ, mit weißen Hemden, schwarzem Schlips und Mützen und blankgewienerten Schaftstiefeln. Sie machten unter dem Kommando des Verwalters Freiübungen und marschierten und exerzierten mit Spaten, als seien es Gewehre. Sie machten „rechtsum“ und „linksum“, formierten sich zur Kolonne und sangen: „In allen Reichen und Ländern ...“ Der Graf sah von der Schloßtreppe aus zu und grüßte seine Leute mit erhobener rechter Hand, wenn sie den Spaten präsentierten.
Graf Preben war nicht verheiratet. Er nahm seine Mahlzeiten gewöhnlich ganz allein im großen Speisesaal des Schlosses ein, wo altersdunkle Ahnen von den Wänden auf ihn niedersahen. Dabei ging es ganz feierlich zu. Jeden Abend setzte er sich in braunem Smoking und weißem Seidenhemd zu Tisch und ließ sich das Essen auf silbernen Tellern servieren. Wenn der junge Mann von einer Speise genug hatte, klatschte er in die Hände, und der Diener, der mit dem nächsten Gang bereitstand, kam eilends herein und richtete an. Neben dem Stuhl des Grafen lagen zwei große Schäferhunde; sie bekamen die gleichen Speisen auf den gleichen silbernen Tellern serviert und wurden vom dienenden Personal mit der gleichen Ehrerbietung behandelt.
Der Graf war ein großer, hellblonder junger Mann, fast weißblond, mit hellblauen Augen und ohne Brauen. „In dem Mann steckt Rasse!“ sagte Niels Madsen, der dunkel war und wie ein Zigeuner aussah. „Das ist echt nordische Gestalt. Das ist die Sorte Mann, die berufen ist, Männer zu führen!“
Der junge Führer sprach den weichen fünischen Dialekt, der zu Hause im Stall des Familiengutes in der Nähe von Assens gesprochen wurde. Den größten Teil seines Wissens hatte er im Pferdestall erworben, und er liebte Pferdegeschirr und Reitstiefel und Wichse. Dienende Geister hatten sich um seine Erziehung gekümmert und ihn gelehrt, Tabak zu schnupfen und Karten zu spielen. Von seinen Eltern hatte er nie viel gemerkt; sie waren ständig beschäftigt gewesen; Reisen und Gesellschaften, der Hofdienst und die räts...

Inhaltsverzeichnis

  1. decken
  2. Titel
  3. Kolophon
  4. 1
  5. 2
  6. 3
  7. 4
  8. 5
  9. 6
  10. 7
  11. 8
  12. 9
  13. 10
  14. 11
  15. 12
  16. 13
  17. 14
  18. 15
  19. 16
  20. 17
  21. 18
  22. 19
  23. 20
  24. 21
  25. 22
  26. 23
  27. 24
  28. 25
  29. 26
  30. 27
  31. 28
  32. 29
  33. 30
  34. 31
  35. 32
  36. 33
  37. 34
  38. 35
  39. 36
  40. 37
  41. 38
  42. 39
  43. 40
  44. 41
  45. 42
  46. 43
  47. 44
  48. 45
  49. 46
  50. 47
  51. 48
  52. 49
  53. 50
  54. 51
  55. 52
  56. 53
  57. 54
  58. 55
  59. 56
  60. 57
  61. 58
  62. 59
  63. 60
  64. 61
  65. 62
  66. 63
  67. 64
  68. 65
  69. 66
  70. 67
  71. 68
  72. 69
  73. 70
  74. 71
  75. 72
  76. 73
  77. 74
  78. 75
  79. 76
  80. 77
  81. 78
  82. 79
  83. 80
  84. 81
  85. 82
  86. 83
  87. 84
  88. 85
  89. 86
  90. 87
  91. 88
  92. Nachwort
  93. Om Schloss Frydenholm
  94. Anmerkungen