Die Erbin
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Die Erbin

  1. 152 Seiten
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Die Erbin

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Über dieses Buch

Der Dean von St. Cyprian in Oxford hinterlässt die Hauptmasse seines Vermögens nicht, wie man erwartet, seinem Neffen Fred Musgrave, sondern seiner Tochter Laura, die vor zwölf Jahren mit ihrem Musiklehrer Mr. Fenton nach Neuseeland durchgebrannt ist und seitdem keinen Versuch gemacht hat, sich mit ihrem Vater zu versöhnen. Freds Hoffnung, Susie Moore heiraten zu können, wird so vereitelt. Fred sucht in seinem Liebesgram Trost bei der noch sehr jugendlich aussehenden Witwe, die sich inzwischen als Mrs. Fenton gemeldet und auch die Erbschaft ausgezahlt bekommen hat. Ehe die Hochzeit stattfinden kann, fordert jedoch ein früherer Bekannter der Erbin, der weiß, dass sie in Wahrheit Letitia Watson ist, Schweigegeld...-

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Information

Jahr
2017
ISBN
9788711462249

Fünftes Kapitel.

Während Fred Musgrave sein kurzes, ihn wenig beglückendes Wiedersehen mit Susie feierte, sass Mr. Breffit in seinem Büreau und blickte verstimmt auf ein offen vor ihm auf dem Tische liegendes Telegramm. Dasselbe trug die Unterschrift „Laura Fenton, Sydney, Neusüdwales“ und brachte die Nachricht, dass die Erbin des Dekans glücklich aufgefunden worden war. Es lautete:
„Aufruf gelesen. Reise sofort nach Europa. Bin seit drei Jahren Witwe.“
„Hole der Henker das Frauenzimmer!“ brummte der würdige Mr. Breffit vor sich hin. „Was geht es mich an, ob sie Witwe ist, oder ob ihr Mann lebt? Und wenn er sie um Jahrzehnte überlebt hätte, so hätte er doch nie den mindesten Anspruch auf die Erbschaft des Alten zu machen. Nun, es soll ihr schwer genug gemacht werden, ihre Identität zu beweisen. Sie stellt sich das sicherlich als ein ganz leichtes Stück Arbeit vor.“
Den Notar erfüllte dieser Vorsatz mit einer gewissen Befriedigung, die aber der junge Mann, dem er die, wie er sich ausdrückte, schlimme Nachricht eiligst zu wissen that, nicht teilte.
„Ich hatte mich auf diesen Ausgang längst vorbereitet,“ erklärte er, „und begriff es nie, dass Sie mit derartiger Bestimmtheit auf den Tod einer kaum dreissigjährigen Frau zählen konnten. Dass sie meines Onkels Tochter ist, wird sie mit Leichtigkeit beweisen können. Ueberlegen Sie selber, wieviel Leute, die in Oxford leben, sich ihrer noch erinnern und sie wiedererkennen müssen.“
„Hm, hm — — ich fürchte, Sie haben recht,“ seufzte Mr. Breffit. „Trotzdem erkennen wir sie nicht eher als Laura Fenton, geborne Musgrave, an, als bis uns der schwerwiegendste Beweis für die Richtigkeit ihrer Aussagen gebracht wird. Ich kann es nicht mit Worten sagen, wie sehr leid Sie mir thun, Musgrave!“
Fred aber war es ganz recht, dass die Ungewissheit ihr Ende erreicht hatte. Seine Stellung war nun auf jeden Fall klar und es lag kein Grund mehr vor, sich länger vom Mooreschen Hause fernzuhalten, wenn seine Besuche dort noch willkommen waren. Am Tage nach dem Eintreffen der Hiobspost begegnete Fred dem alten General und benutzte diese Gelegenheit, ihm ungefragt die Mitteilung zu machen, dass die verlorne Erbin sich gefunden hätte, eine Nachricht, die der General übrigens bereits durch die Zeitung erfahren hatte. Der verstorbene Dekan der St. Cyprianer Universität war eine zu bekannte Persönlichkeit gewesen und sein Testament hatte ein zu grosses Aufsehen erregt, als dass die Zeitungen nicht die Gelegenheit hätten ergreifen sollen, sich damit zu beschäftigen. Die Geschichte von der gefundenen, auf der Heimreise begriffenen Erbin machte bereits ihren Weg durch sämtliche Londoner Zeitungen.
Als die Generalin sie gelesen hatte, hatte sie mitleidig gesagt: „Der arme Mr. Musgrave! Er kann einem leid thun! Wie froh bin ich, dass es seinem Onkel einfiel, zur rechten Zeit zu sterben! Ein Jahr später hätte es vielleicht schon schlimme Folgen für uns gehabt.“
„Du hast ihm doch bisher nie Hoffnung auf Susie gemacht?“ fragte der General.
„Ich? Nie. Aber sie selber — nun, es war die höchste Zeit, dass es sich so wandte. Das Kind war auf dem besten Wege, sich in ihn zu verlieben. Die Sache ist abgethan! Nun überlasse es unbesorgt meiner Klugheit, den Verkehr mit ihm abzubrechen.“
Aber General Moore war ein gutmütiger Mann, der die Notwendigkeit, den jungen Mann zu kränken und zu beleidigen, nicht einsah. „Ich würde es als eine Schändlichkeit betrachten, den armen Menschen jetzt, da er ins Unglück geraten ist, schlecht zu behandeln,“ sagte er. „Und wer weiss, ob du dich nicht irrst, ob Susie wirklich Interesse an ihm nimmt? Meiner Ansicht nach ist Claughton ein weit gefährlicherer Patron als Musgrave.“
„Ich betrachte Claughton seit einiger Zeit mit andern Augen als früher, lieber Mann,“ erwiderte Mrs. Moore. „Wie ich aus sicherer Quelle weiss, ist sein älterer Bruder herzkrank geworden. Aber du irrst, wenn du denkst, dass ich dem armen Musgrave den Rücken kehren wollte. Wenn du ihn siehst, magst du ihn einstweilen zu einem Tage, den ihr beide verabreden könnt, zu Tische einladen.“
Als der General daher Fred auf der Strasse begegnete, konnte er so freundlich und herzlich gegen ihn sein, als sein Herz es nur wünschte. Er sprach ihm sein aufrichtigstes Beileid zu seinem Missgeschick aus und sagte dann: „Am Donnerstag erwarten wir Mittagsbesuch. Wollen Sie uns die Freude machen, dann ebenfalls unser Gast zu sein?“
Fred nahm die Einladung erfreut an und fand sich pünktlich zu der festgesetzten Stunde in dem Hause in der Cromwellstrasse ein. Aber seine Hoffnung, Susies Tischnachbar zu werden oder ein vertrauliches kleines Gespräch wie sonst mit ihr zu haben, wurde getäuscht. Susie gab ihm keine Gelegenheit, sie allein zu sprechen, und die wenigen Worte, die sie vor Zeugen miteinander austauschten, waren so gleichgültig, so fremd, dass sie Freds Herzen ordentlich weh thaten. Er musste sich sagen, dass er schwerlich eingeladen worden wäre, wenn man die Gefahr, dass er Miss Moores Neigung zu erringen suchen könne, überhaupt der Beachtung wert gehalten hätte, und er konnte das Gefühl nicht loswerden, dass jeder derartige Versuch unehrenhaft wäre. Dadurch wurde sein Benehmen linkisch und gezwungen, solange er sich mit Susie unterhielt, und sie schien keine Lust zu haben, das Gespräch fortzusetzen.
Ihre Kälte spornte ihn an, fleissiger denn je an seinem Drama zu arbeiten. Er wollte es Susie beweisen, dass er auch ohne Geld etwas war, dass er sich aus eigner Kraft einen Namen und eine Stellung schaffen konnte, wenn er nur wollte. Die Direktion, die sein erstes kleines Lustspiel erworben hatte, zeigte sich geneigt, auch sein zweites Werk anzukaufen, aber sie konnte nicht daran denken, es vor Ablauf von neun — oder frühestens sechs — Monaten zur Aufführung zu bringen. Diese Aussicht war sehr betrübend für Fred. Was konnte im Laufe von sechs oder gar neun Monaten nicht geschehen! Wie oft bot sich in dieser Zeit einer jungen hübschen Dame Gelegenheit, die offen gezeigte Verehrung eines flotten Gardeoffiziers zu erhören!
Der Monat Juni, in dem die Grasmäher vergnügt auf Wiesen und Feld arbeiteten, in dem die Londoner Mütter die schönsten Hoffnungen für die Zukunft ihrer Töchter hegten, in dem Susie Moore einen Ball nach dem andern besuchte und durch ihre Lieblichkeit und Anmut Herzen gewann, in dem die junge Männerwelt vergnügt ihr Geld in Ascot verlor, verfloss für Fred Musgrave sehr traurig. Der junge Mann zog sich mehr und mehr von seinen Bekannten zurück. Einesteils aus dem Grunde, weil er einsah, dass seine Geldmittel nicht ausreichten, um an ihren Vergnügungen teil zu nehmen, und weil er erst in einigen Monaten ein Honorar für sein Drama zu erhoffen hatte; andrerseits aber auch deshalb, weil es ihm schrecklich war, sich von einem jeden bedauern zu lassen und dazwischen immer die weisen Ratschläge zu hören: „Aber seien Sie froh, dass Sie wenigstens zehntausend Pfund Sterling behalten haben! Etwas ist immer besser als gar nichts.“
Ja, er fühlte sich sehr unglücklich. Und am unglücklichsten, wenn der Zufall ihn mit Susie Moore zusammenbrachte. Das junge Mädchen beharrte in seinem kühlen, unfreundlichen Wesen gegen ihn und mied in auffallender Weise jedes Alleinsein mit ihm. Ihre Eltern dagegen behandelten den jungen Mann ganz mit der alten Freundlichkeit und erkundigten sich jedesmal, wenn sie ihm begegneten, teilnehmend, ob seine Cousine bereits angelangt sei. Verwandte mögen einem vielleicht nicht immer zur ungemischten Freude gereichen, aber in Zeiten der Prüfung richtet man naturgemäss den Blick teilnahmesuchend nach dem eignen Fleisch und Blut, und wie verlassen Fred sich fühlte, mag man danach ermessen, dass er die Ankunft der höchst unbequemen Cousine, die ausser ihm das einzige noch übrige Glied der Familie Musgrave war, mit Ungeduld zu erwarten begann.
Diese Dame langte einige Tage früher in London an, als sie nach Mr. Breffits Berechnung hätte eintreffen müssen, und begab sich sofort nach dessen Büreau in Bedford-Row. Das erste, was dem Notar an ihr auffiel, war, dass sie sehr hübsch war, und das zweite, dass sie höchst geschmackvoll gekleidet ging. Juristen haben einen gewissen Scharfblick für derartige Dinge — so wenig man es zuweilen vermuten mag. Mrs. Fentons Trauerkleid war nicht aus kostbarem Stoffe hergestellt, aber es war nach der neuesten Mode gearbeitet und kleidete sie vorzüglich. Mr. Breffit war innerlich sehr erstaunt darüber, dass die Zivilisation auf der südlichen Hemisphäre eine so hohe Stufe erreicht hatte, denn er wusste, dass Mrs. Fenton ihre Toilette unmöglich fertig in einem Londoner Laden gekauft haben konnte.
Während er von allen diesen Aeusserlichkeiten Notiz nahm, reichte er ihr die Hand, fragte sie, ob sie eine angenehme Reise gehabt, ob sie eine passende Wohnung in London gefunden habe, und bat sie, in seinem Klientenstuhle Platz zu nehmen, der seinem eignen Sitze gegenüberstand. Dann legte Mr. Breffit ein Bein über das andre, stützte seine Arme auf die Lehne des Sessels, sein Kinn auf seine gefalteten Hände und sagte: „Ich wünsche Ihnen zu der unverhofften Erbschaft viel Glück, Mrs. Fenton, und brauche es Ihnen wohl kaum zu sagen, dass Ihres Vaters Testament alle, die ihn kannten, in höchliches Erstaunen und Verwunderung gesetzt hat.“
„Mich ebenfalls,“ antwortete Mrs. Fenton. (Sie hatte eine weiche, sehr melodische Stimme.) „Es war seit Jahren mein sehnlicher Wunsch, mich mit ihm auszusöhnen; aber da ich ihn kannte, so getraute ich mich nicht, einen Versöhnungsversuch zu machen. Dass er mich zu seiner Erbin einsetzen würde, war ein Umstand, an den ich nie — auch nur im entferntesten — dachte. Glauben Sie, dass er einen Brief mit der Bitte um Versöhnung beantwortet hätte?“
Mr. Breffit schüttelte den Kopf. „Ich glaube es nicht. Offen gestanden, habe ich mehr als ein Testament für ihn aufgesetzt, aber mit Ausnahme des einen, das an seinem Todestage angefertigt wurde, hat er Ihnen nie mehr als ein geringfügiges Legat vermacht.“
Mrs. Fenton machte einen Augenblick lang ein trauriges Gesicht. Dann brach ihr sonniges Lächeln sich wieder Bahn. „Nun, ich bin froh, dass er mir wenigstens zuletzt vergeben hat. Und obgleich ich eine so schlechte Tochter gegen ihn gewesen bin, ersehe ich doch aus dem Testamente, dass er mich trotzdem ein wenig lieb behalten hat. Es lag nicht in seiner Art, den Leuten seine Gefühle zu zeigen.“
Mr. Breffit schüttelte abermals sein Haupt. Es war vielleicht eine Grausamkeit, einer Tochter den Glauben zu rauben, dass ihr Vater sie bis zuletzt geliebt habe, aber Mr. Breffit hatte, trotz Mrs. Fentons hübschem Aeusseren, keine Sympathie für sie. Er fand, dass der Besitz der Erbschaft, die ihr so unverdient zufiel, Glückes genug für sie sei, und dass ihr deshalb ein paar kleine Nadelstiche nicht schaden könnten. Daher antwortete er aufrichtig: „Wenn ich ganz offen sein soll, so muss ich gestehen, dass das Testament des Dekans meiner Ansicht nach weniger von väterlicher Liebe als von augenblicklichem Trotze diktiert worden ist. Sein Neffe, dem er sein Vermögen eigentlich bestimmt hatte, hatte sich thörichterweise einem seiner Befehle widersetzt, und er war nicht der Mann, den geringsten Ungehorsam ungestraft hingehen zu lassen.“
„Sein Neffe?“ wiederholte Mrs. Fenton verwundert. „Wer kann das sein?“
„Mr. Frederick Musgrave, der einzige Sohn von des Dekans einzigem Bruder. Sie erinnern sich wohl noch, dass der Dekan einen Bruder hatte?“
Sie nickte mit dem Kopfe. „Ich habe ihn nie gesehen, aber oft von ihm sprechen hören. Er war ein reicher Kaufmann. Mein Vater, der den Kaufmannsstand verachtete, brach aus Aerger über den Beruf seines Bruders jeden Verkehr mit dem Onkel ab.“
„Ganz recht. Nun, dieser Mr. Thomas Musgrave starb als Bettler, und Ihr Vater nahm dessen hinterlassenen Sohn, einen fünfzehn- oder sechzehnjährigen Knaben, an Kindesstatt an. Jetzt ist er ein junger Mann von etwa siebenundzwanzig Jahren, der es sich leider in den Kopf gesetzt, dramatischer Dichter, anstatt wie sein Onkel wünschte, Jurist zu werden. Zur Strafe sind ihm die ihm zugedachten zweimalhunderttausend Pfund Sterling entzogen und statt dessen erhält er nur das Erbteil von zehntausend Pfund Sterling.“
„O, der Arme!“ rief Mrs. Fenton mitleidig. Nach einer kleinen Pause setzte sie hinzu: „Ist er ein angenehmer junger Mann?“
„Meiner bescheidenen Meinung nach ist er ein reizender Mensch,“ erwiderte der Notar lächelnd.
Mrs. Fenton sah nachdenklich auf ihre elegant beschuhten kleinen Hände hinab. Als sie ihre Augen wieder aufschlug, trugen sie einen solchen Ausdruck von Ratlosigkeit und Trauer, dass sie das Herz des härtesten Juristen in Bedford-Row hätten erweichen müssen. Sie waren von jenem unbestimmten Blau, das an und für sich zwar nicht gerade schön zu nennen ist, das aber nach dem jeweiligen Befinden oder in der Erregung variiert, und das in den seltenen Fällen, wo es in Verbindung mit schwarzen Wimpern auftritt, wirklich reizvoll ist. Mrs. Fentons Wimpern waren sowohl dunkel als lang.
„Mr. Breffit,“ sagte sie, „halten Sie es für recht, dass ich meinem Vetter all dies Geld nehme?“
„Verehrte Frau,“ antwortete Mr. Breffit, der seine Härte dahinschwinden fühlte, sich aber den Anschein geben wollte, recht fest und hart zu sein, „ich bin nicht der Papst, sondern ein Rechtsanwalt. Und als solcher kann ich Ihnen nur sagen, dass Ihnen nichts übrigbleibt, als zu nehmen, was Ihnen von Rechts wegen zukommt.“
„Aber — könnte ich das vielleicht mit ihm teilen?“
„Sie können ihm, wenn Sie wollen, eine bestimmte Summe verschreiben. Aber ich mache Sie im voraus darauf aufmerksam, dass Ihr Vetter ein derartiges Geschenk nicht annehmen würde. Doch können Sie es immerhin versuchen!“
Eine lange Pause erfolgte, während welcher Mrs. Fenton abermals ihre schönen Augen niederschlug und der Notar sie mit eigenem Lächeln betrachtete. Aber der Spott, den sein Gesicht ausdrückte, schmolz dahin, als sie jetzt zu sprechen begann und ihre Stimme wie von zurückgehaltenem Weinen zitterte.
„Mir ist zu Mute, als müsste ich auf die Erbschaft verzichten,“ sagte sie. „Aber das würde mir sehr, sehr schwer werden — so schwer, wie Sie es sich kaum vorstellen können! Mein Mann war, wie Sie vielleicht wissen, Musiklehrer. Solange er lebte, erwarb er, anfangs in Neuseeland und dann in Sydney, so viel, als wir zu unsrem Unterhalt brauchten. Dann aber war er lange Zeit krank — Krankheit kostet Geld — und als er starb, blieb ich, von allen Mitteln entblösst, zurück. Zwar fand man allgemein meine Stimme sehr wohlklingend und meinte, sie könnte mir zur Begründung einer Existenz dienen; aber leider Gottes war sie für die Bühne nicht stark genug, und so blieb mir nichts andres übrig, als Stunden zu geben und ab und zu in einem Konzert zu singen. Eine sorgenlose Existenz hat sie mir nie geschaffen. Ich musste mich von früh bis spät quälen und sah von fern immer das Gespenst eines einsamen, in Dürftigkeit verbrachten Alters vor Augen. Sie können daher ermessen, wie glücklich ich war, als ich plötzlich die Nachricht erhielt, dass ich eine reiche Frau geworden sei. Aber meine Freude ist jetzt vollständig durch den Gedanken getrübt, dass ich durch meinen Reichtum einen andern arm und unglücklich mache. Können Sie mir nicht einen Rat geben, Mr. Breffit? Ich glaube nicht, dass ich ihn befolgen würde, falls Sie mir sagten, dass ich meinem Vetter alles abtrete — es wäre zu traurig, wenn ich die weite Reise gemacht hätte und nun nicht besser daran wäre, als vorher. Aber — aber — ich wäre sehr glücklich, wenn Sie mir sagen könnten, dass ich keine Verpflichtung dazu habe.“
Ihr Wesen, ihre Stimme, ihr Blick war so aufrichtig, so rührend, und dabei zugleich von so gesunder Frische, von so offenbar mühsam zurückgehaltenem Humor, dass Mr. Breffit sich gänzlich besiegt fühlte und in herzliches Lachen ausbrach.
„Meine verehrte Frau,“ sagte er, „Sie müssen sich nicht unnötig mit derartigen Zweifeln quälen. Ich kann nicht leugnen, dass ich Ihre Ansicht, Fred sei übel mitgespielt worden, teile; aber er ist ein junger Mann im besten Alter und hat zehntausend Pfund. Mag er arbeiten und sein Geld verdienen. Schliesslich sind Sie Ihres Vaters Tochter und haben daher den nächsten Anspruch auf sein Eigentum. Uebrigens mache ich Sie darauf aufmerksam, dass Sie diese Thatsache erst noch vor Gericht zu beweisen haben werden.“
Es hatte in seiner Absicht gelegen, ihr diese Mitteilung in sehr hartem, drohendem Tone zu machen, aber er war nicht mehr im stande, einen solchen ihr gegenüber anzuschlagen. Wie es schien, hätte er ihr selbst damit keinen Schreck einzujagen vermocht, denn sie antwortete ruhig und gefasst: „Ja, darauf haben meine Bekannten in Sydney mich bereits vorbereitet. Mein Fall ist ein eigener. Alle meine Verwandten — mit Ausnahme dieses Vetters, der mich nie gesehen hat — sind tot; die Leute, die mich als Kind in Oxford gekannt haben, sicherlich ebenfalls zum grossen Teile. Und die, die noch leben,“ setzte sie halb lächelnd, halb seufzend hinzu, „werden mich kaum wiedererkennen. Vor zwölf Jahren war ich ein Kind, jetzt bin ich eine alternde Frau.“
Ihr goldblondes üppiges Haar, ihr durchsichtig zarter Teint, ihre grossen blauen Augen verliehen ihr ein sehr jugendliches Aussehen. Man hätte sie höchstens für eine Frau von fünfundzwanzig Jahren halten können. Das fand auch Mr. Breffit, und in einem bei ihm völlig ungewohnten Anfall von Galanterie sprach er Mrs. Fenton seine Meinung darüber freundlich aus.
Sie lachte. „Ja, manchmal kommt es mir selbst so vor, als sähe ich lächerlich jung aus,“ sagte sie. „Wunderbar genug ist es, dass dem so ist; denn welch hartes, schweres Leben, wie viel trübe Stunden habe ich durchgemacht! Und ich bin bereits volle dreissig Jahre alt. Aber ich glaube, meine glückliche Natur, allen Dingen, die mir zustossen, die beste Seite abzugewinnen zu suchen, ist es, die mich lange jung erhält und mir meine Frische bewahrt hat.“
Sie hatte eine kleine Tasche bei sich, die sie jetzt öffnete und der sie einige Papiere entnahm. „Ich hoffe, sie genügen, um meine Identität festzustellen,“ sagte sie. „Auch habe ich vorsichtshalber ein paar Briefe von Bekannten aus Sydney mitgebracht.“
Mr. Breffit durchflog die Dokumente rasch. Sie bestanden aus einer Abschrift des Ehekontrakts und aus dem in Sydney ausgefertigten Totenscheine Mr. William Fentons. Die in offnen Umschlägen liegenden Briefe waren von Personen von hoher Stellung und Ansehen in Neusüdwales geschrieben. Der Notar las sie mit halblauter Stimme. Der erste war vom Gouverneur der Kolonie.
„‚Gern bin ich bereit, Mrs. Fenton diesen kleinen Dienst zu leisten. Ich hatte das Vergnügen, gleich nach meiner Ankunft hier ihre Bekanntschaft zu machen. Obgleich ihre Vergangenheit mir fremd ist, —‘ hm, hm! ‚— dass sie die Witwe des vor drei Jahren hierselbst verstorbenen Mr. William Fenton ist — — ‚Thatsache‘ — — bestätige ich hierdurch.‘ — Ah, und dieser Brief ist vom Bischof, wie ich sehe: ‚Grosses Talent, tadelloser Lebenswandel — Klugheit — von beispielloser Energie.‘ Nicht gerade hierher gehörend, aber offenbar gut gemei...

Inhaltsverzeichnis

  1. Titel
  2. Erstes Kapitel
  3. Zweites Kapitel
  4. Drittes Kapitel
  5. Viertes Kapitel
  6. Fünftes Kapitel
  7. Sechstes Kapitel
  8. Siebentes Kapitel
  9. Achtes Kapitel
  10. Neuntes Kapitel
  11. Zehntes Kapitel
  12. Elftes Kapitel
  13. Zwölftes Kapitel
  14. Dreizehntes Kapitel
  15. Vierzehntes Kapitel
  16. Fünfzehntes Kapitel
  17. Über "Die Erbin"
  18. Kolophon