Wolfsburg
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Wolfsburg

  1. 85 Seiten
  2. German
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Über dieses Buch

"Tief im Hessenland, verloren in endlos gedehnten Waldungen, auf einsamer Bergkuppe ragend, steht eine Ruine, die â€șWolfsburgâ€č genannt. Wenig Mauerreste zeugen von ihrer Vergangenheit..." Doch: "Wenn der Vollmond durch die Wolken bricht und der verspĂ€tete, wegmĂŒde Wanderer sich an der Ruine zur Ruhe gelegt hat und wie im Traum fern her vom Dörflein zwölf dumpfe SchlĂ€ge hört, dann ist es ihm plötzlich wie ein seltsames Gesicht: langsam baut sich Stein auf Stein in der Ruine, wie mit ZaubermĂ€chten wachsen die verwitterten TrĂŒmmer empor, schimmernde Hallen und SĂ€ulen wölben sich ĂŒber dem Zitternden, er schaut den Burghof, er sieht die geharnischten Gestalten in wilder Hast ĂŒber die Fließen stĂŒrmen, bĂ€umende Rosse jagen an ihm vorĂŒber – Waffenklirren und Kampfruf..." Was Eschstruth hier in der bestrickenden Einleitung ihrer MeistererzĂ€hlung beschreibt, ist genau das, was in der Tat nun auch dem Leser passiert, wenn er sich in den packend-anschaulichen Bericht vom Schicksal und den Ă€ußerlichen und inneren KĂ€mpfen des Freiherrn Carl Wolfgang von Wolfsgeil vertieft. Wie von Zauberhand lĂ€sst Eschstruth in dieser Mittelalter-ErzĂ€hlung eine untergangene, ferne Welt plastisch wiedererstehen!Eschstruth erzĂ€hlt die Geschichte der legendĂ€ren Wolfsburg in Hessen, um die herum sich im 12. Jahrhundert die Stadt Marburg grĂŒndete. In der fast tausendjĂ€hrigen Geschichte des Hauses trug das Bauwerk verschiedene Namen und erfĂŒllte diverse Zwecke. Eschstruth zeichnet diese wechselvolle Geschichte exemplarisch am Hause der Freiherrn von Wolfsgeil nach. Als Carl Wolfgang von Wolfsgeil mitten in der Heide einen Unfall erleidet, findet ihn das schöne, wilde HeidemĂ€dchen Mustela und ist sogleich fasziniert von ihm. Als seine Gefolgsleute ihr sagen, um wen es sich bei dem schwer Verwundeten handelt, weigert sich Mustela jedoch, ihm mit ihrer Heilkunst zu helfen. Denn ihr Großvater, der Vogelsteller Juan Piccolo, hegt gegen die Wolfsgeils einen tiefen, unĂŒberwindbaren Hass. Schließlich erklĂ€rt sich das MĂ€dchen bereit, den Edelmann bei sich aufzunehmen, jedoch nur unter der einen Bedingung, dass ihr Großvater auf keinen Fall erfĂ€hrt, um wen es sich handelt...-

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Information

Jahr
2017
ISBN
9788711627617
Blume, Laub und weisse BlĂŒt’
Muss sich rasch entfalten,
Schwarzbraun Kind, dein Herz behĂŒt,
Wirst es nicht behalten.
Geibel.
Tief im Hessenland, verloren in endlos gedehnten Waldungen, auf einsamer Bergkuppe ragend, steht eine Ruine, die „Wolfsburg“ genannt. Wenig Mauerreste zeugen von ihrer Vergangenheit, ein halbzerfallener Turm, eine zackig gebrochene Mauer, durch deren spitze Bogenfenster man hinab auf die rauschenden WaldeshĂ€upter blickt, welche einförmig in dunklen Wogen hinwallen, wie ein unermessliches und ununterbrochenes Meer, das seine trĂ€umerische Flut gegen diesen einzig aufstrebenden Burgfelsen treibt. Ganz fern im Hintergrund zittern die nebelverschleierten Konturen des hessischen Berglandes, und dicht zu FĂŒssen des Schlosses schĂ€umt ein BĂ€chlein in wilder Eile ĂŒber das Gestein, um nach einigen kurzen Windungen in dem Buchenwald drunten zu verschwinden: das ist die einzige Abwechslung in dem einsamen, waldesgrĂŒnen Ausblick vom Ruinenfenster. Keller und dumpfige Gewölbe gĂ€hnen hie und da zu dem grasbewachsenen Burghofe auf und dicht am schroff abfallenden Berghang, wo sich ein schmaler, felsiger Pfad in mĂŒhseligen Windungen zu der Burg emporschlĂ€ngelt, ragt noch als stolzestes Mauerwerk die breitgewölbte Eingangspforte, aus schweren Quadern aufgefĂŒhrt und von dem durch Wetter und Zeit mit grĂŒnlichem Moos bezogenen Wappen gekrönt. Es ist ein seltsames Bild, welches uns hier steingehauen entgegenschaut: ein freies Wappenfeld, in welchem zwei Frauenarme einen Ring emporhalten.
Die Freiherrn von Wolfsgeil, welche hier gehaust und seit Urzeiten auf der Wolfsburg sassen, und denen alles Land, soweit nur der Blick von dem obersten Turmfensterlein schweifen konnte, mit Gut und Blut zu eigen war, die fĂŒhrten seit dem zwölften Jahrhundert dieses Wappenschild, das der Freiherr Carl Wolfgang in einer Stunde höchster Not und Gefahr in sein Schild aufgenommen und damit den springenden Wolf verdrĂ€ngte, der schon zwei Jahrhunderte lang die Ahnherrn als grimmes Bannerzeichen in Kampf und Streit begleitet hatte. Und ĂŒber jene Stunde, da Carl Wolfgang sein Wappen Ă€nderte, erzĂ€hlt uns die Chronik eine wundersame Fabel und fĂŒhrt uns zurĂŒck in die graue Vorzeit, da hier auf dem Berg noch die gewaltigen Mauern der Wolfsburg trotzten, da unter den BuchenstĂ€mmen drunten Speer und Schild der feindlichen Heerhaufen gleissten, da Rauch und Brand ihr furchtbares Banner der VergĂ€nglichkeit auf die Söller gepflanzt.
Wenn der Vollmond durch die Wolken bricht und der verspĂ€tete, wegmĂŒde Wanderer sich an der Ruine zur Ruhe gelegt hat und wie im Traum fern her vom Dörflein zwölf dumpfe SchlĂ€ge hört, dann ist es ihm plötzlich wie ein seltsames Gesicht, er schrickt empor von den moosigen Steinen und starrt mit bleichen Wangen auf unfassliches: langsam baut sich Stein auf Stein in der Ruine, wie mit ZaubermĂ€chten wachsen die verwitterten TrĂŒmmer empor, schimmernde Hallen und SĂ€ulen wölben sich ĂŒber dem Zitternden, er schaut den Burghof, er sieht die geharnischten Gestalten in wilder Hast ĂŒber die Fliessen stĂŒrmen, bĂ€umende Rosse jagen an ihm vorĂŒber, — Waffenklirren und Kampfruf, — und dann wirbeln Rauch und Funken, — tobende furchtbare Hast der Verzweiflung, — und eine Frauenstimme gellt durch das Getöse: „Mein Leben fĂŒr den Ring! ...
Andern Morgens aber steht der Wanderer mit bleichen Wangen vor dem Dorfkrug, und wenn er der Wirtin Töchterlein nach der alten Ruine droben fragt, dann sieht ihn die Kleine mit scheuen Augen an und fragt mit Ă€ngstlichem Umblick nach der fernen Bergkuppe: „Ward Ihr droben zur Nacht und habt Ihr auch den Carl Wolfgang kĂ€mpfen sehen?!“ ... —
Die Sonne aber lacht am Himmel und weisse LĂ€mmerwölkchen treiben ĂŒber der Wolfsburg.

Vor langen, langen Jahren wars. —
Wenn man den kleinen Bach verfolgt, welcher eilig das dichtverwachsene GestrĂŒpp durchbricht, um tagelang ĂŒber Moos und Steine durch endlos gedehnte WĂ€lder zu irren, dann trifft man plötzlich auf einen Flecken kahles Heideland, das wie ein vergessen StĂŒcklein Poesie tief versteckt zwischen den laubigen Waldmassen liegt. —
Mitten durch hochstarrendes Ginsterkraut sucht sich der schĂ€umende Gesell seinen Weg, klettert keck ĂŒber die sperrenden Felssteine und kĂŒsst mit neckender Welle die schlanken Brombeerranken, welche in fast undurchdringlichen Blattschlingen, gelb und rot gefĂ€rbt, ĂŒber die Ufer herabhĂ€ngen.
Die Sonne sinkt, grellrote Strahlen flimmern ĂŒber die blĂŒhende Heide und mengen Gold und Purpur zu mĂ€rchenhafter Pracht: feiner, sĂ€uselnder Duft steigt aus dem Blumenmeer empor, und die Schmetterlinge wiegen sich voll zweifelnder Lust ĂŒber braun’ Erika, ehe sie, berauscht von sĂŒssem Odem, an die lockenden Kelche hernieder taumeln. Mitten in dem wehenden Riedgras erheben sich zackige Felsblöcke, hochgetĂŒrmt wie ein steinerner Thron, belegt mit einem Teppich ĂŒppich wuchernden Moses, so weich und schwellend und farbenhell gestickt, als sei er zur Wiege fĂŒr ein Königskind bereitet worden.
Grell umflutet steht er von dem Abendrot und die kleine Eidechse huscht neugierig nÀher und lauscht mit klugen Augen zu dem jungen Wesen empor, welches einsam, regungslos in dieser Einöde auf sonnigen Steinen liegt.
Braune Arme stĂŒtzen ein MĂ€dchenhaupt, geknickte Haidestengel schmiegen sich an ruhende Glieder, schmeicheln um die kleinen FĂŒsse, welche mechanisch den gelben Sand scharren, und schmĂŒcken den groben Zwilchrock, welcher grau und unschön ĂŒber den Felsen weht. Schlank und geschmeidig sind die Glieder, lebendig selbst in ihrer Ruhe, und das Antlitz, welches mit grossen, blaugrauen Augen ĂŒber das schimmernde Heideland starrt, trĂ€gt einen fremden, einen seltsamen Charakter. So wild und ungefĂŒgig, wie das lange Haar um Stirn und Schultern flattert, so trotzig herb legen sich die Lippen auf feste, weisskeilige ZĂ€hne, scharf und spitz wie bei dem Wiesel, welches oft hier durch das Gestein huscht; und die Augen, gross und lebhaft, durchglĂŒht von unbĂ€ndig jĂ€hem GefĂŒhl und dennoch oft von dunklen Wimpern verschleiert, durch welche listig und klug der Blick bricht, magnetisch fesselnd mit leuchtendem Schimmer, diese Augen sind die einzige Schönheit in dem schmalen, wettergebrĂ€unten Oval, — der Spiegel einer ungefĂŒgen, fessellosen MĂ€dchenseele.
Der Kuckuck lacht leise aus dem Wald herĂŒber, mit silbernem Klang schĂ€umt der Bach durch die Steine, und ein ungeduldiger Griff der wettergehĂ€rteten Hand wirft die HaarstrĂ€hne zurĂŒck und bricht aus dem rotblĂŒhenden Sauerampfer zur Seite, dessen saftige BlĂ€ttlein und Stengel die kleinen ZĂ€hne der Dirne rastlos zerbeissen. Wieder und wieder hebt sie das Haupt spĂ€hend nach dem dunklen Waldessaum, legt das Ohr auf den sandigen Boden und lauscht mit verhaltenem Atem. Ein seltsames Zucken fliegt ĂŒber die ZĂŒge, sie lĂ€chelt, schaut empor und atmet tief auf; noch ein Augenblick angestrengten Schauens — dann springt das Waldkind empor, schĂŒttelt Halme und Sand von sich und gleitet leis und behend wie ein Schatten zwischen die hohen Felsblöcke, schmal ist die Spalte zwischen dem Gestein, undenkbar fast, dass ein Menschenkörper dazwischen Platz findet, — das sonngebrĂ€unte MĂ€dchen jedoch windet sich schlank hindurch, duckt sich nieder unter das blĂŒhende Gerank der Heiderose und blinzelt mit dunklem Blick ĂŒber die Ebene.
Da klingt Hufschlag und heiho! Wie die wilde Jagd knattert es durch die GebĂŒsche, stampft mit flĂŒchtigen Hufen ĂŒber das Flachland und stösst schmetternd in’s Horn.
Allen voran auf goldrotem Pferd ein JĂŒngling, schön und keck wie Ritter Georg, der heilige Streiter; prunkendes Jagdgewand gleisst in dem Abendrot, und um die Schultern weht licht das Haar, wie aus SonnenfĂ€den gesponnen! Ihm nach ein schmucker Zug stolzer Wehrgesellen und WeidmĂ€nner, hohe, reckenhafte Gestalten voll trutziger Kraft und KĂŒhnheit, — wie ein Traumbild fliegen sie an dem Felsen vorĂŒber, Sandwolken und geknickte Heidestengel wirbeln hinter ihnen auf, dann ziehts hinab in den Wald.
Zwei Augen haben die Reiter angestarrt, zwei brennende, weitgeöffnete MĂ€dchenaugen sind von Angesicht zu Angesicht gehuscht und schliesslich zurĂŒckgekehrt zu dem goldlockigen JĂŒngling in langem, unaussprechlichem Blick, welcher noch jetzt wie gebannt auf dem wogenden BlattgrĂŒn haftet, hinter welchem die rotwallende MĂ€hne zum letztenmal aufflatterte. Leise gleitet das Heidekind aus dem Versteck, presst die HĂ€nde gegen die Brust und breitet sie dann in stĂŒrmischem Jubel dem glĂŒhenden Sonnenball entgegen, silberhelles Jauchzen hallt ĂŒber die grabesstille Heide, der Kuckuck lockt leise herĂŒber, und tief im Riedgras raschelt die scheue Eidechse, zirpt es ihr heimliche Antwort.
Hastig stĂŒrmen die nackten FĂŒsse ĂŒber die FlĂ€che, genau hat sie’s erspĂ€ht, wo der Huf des goldroten Rosses die Erde traf, zerwĂŒhlte BlĂŒten liegt rings umher, geknickt und abgeschlagen von dem Eisen des flĂŒchtigen Tieres. Da hebt sie den Zweig der grĂŒnen Klette empor, drĂŒckt ihn gegen die Brust und lacht leise auf, wie er sich so fest in die groben Zwilchfalten klammert, — dann tut sie prĂŒfenden Umblick ĂŒber das Flachland, vorgeneigten Hauptes wie das Reh, ehe es sicheren Fuss auf fremdem Gebiete fasst, — und schnell wie der Sturmwind eilt sie den HĂŒgel hinab, haltlos hinein in dĂ€mmernden Wald, durch welchen noch immer das Heiho, Horn uud MeutengeklĂ€ff wiederhallt. —
Das Eichenlaub zittert, als trĂŒge es tiefes Weh. Drunten auf schwellendem Moos liegt ein goldblondes Haupt, warmer Purpur rieselt ĂŒber bleiche Wangen und fĂ€rbt die weissen Sternblumen, welche sich klagend ĂŒber die geschlossenen Augen neigen. Stumm und ernst stehen die Jagdgesellen und netzen das weiche Tuch im Wasser, um die brennenden Wunden zu kĂŒhlen, rote Wellen trĂ€gt das schĂ€umende BĂ€chlein, und je greller sie sich unter dem feuchten Leinen fĂ€rben, desto tiefer erblassen die Wangen des jungen Reiters. Herrenlos scharrt der Goldfuchs, an einen Baumast gebunden, die nickenden Farren in den Staub.
Da regen sich leise die Zweige, scheu und dennoch entschlossen tritt eine Maid aus dem GebĂŒsch, achtlos der MĂ€nner schreitet sie nĂ€her, nur einen Einzigen sieht ihr glanzloser Blick.
Wortlos neigt sie sich ĂŒber den Verwundeten, schaut prĂŒfend die blutende Stirn und streicht mit der braunen Hand die Locken zur Seite. „Wasser hilft hier nicht“, flĂŒstert sie leise zu dem NĂ€chststehenden auf, „daheim habe ich Wundsalbe, die stillt jedes Blut sofort!“
„Wer bist du, Dirne, und wo wohnst du?!“ NĂ€her umdrĂ€ngen sie die Waidgesellen in ungestĂŒmer Frage.
„Der Vogelsteller Juan Piccolo ist mein Grossvater, unsere HĂŒtte steht dicht bei der Klause des frommen Paters Severin, keine hundert Schritt weit!“ entgegnete sie mit fliegendem Atem, „schafft ihn zu mir, ich will ihn heilen!“
„Verstehst du dich auf solch’ wundersame Kunde, Maid?“ fragte ein weissbĂ€rtiger Alter, zweifelnd auf die kleinen HĂ€nde, auf den groben, oft zerfetzten Rock herniederblickend, „so hilf ihm! Es soll dir wohl belohnt werden, wenn du dem jungen Ritter Obdach gibst. Er ist ein reicher Herr und hochgeehrt im Hessenland!“
Da sprĂŒht und blitzt das dunkle Auge zu ihm auf: „Ich helfe ihm, weil ich’s will, nicht weil ich’s soll, oder sein Gold erschleichen will!“ grollt sie zornig durch die ZĂ€hne, „ich brauche keinen Lohn, ich bin frei, ich habe alles, was ich will, so weit der Himmel glĂ€nzt, kann ich gehn, und die Vögel gehorchen mir und die Tiere tun nach meinem Willen und nach den Menschen frage ich nichts! Schafft ihn auf! Auch der Vogelsteller bewirtet seinen Rittersmann!“
Und sie wirft das Haupt in den Nacken, weist gebieterisch auf den Kranken und wendet sich voraus, den Weg zu zeigen.
Da trifft ihr Blick noch einmal den Alten. „Wie heisst er?“ fragt sie, kurz nach dem blonden Haupt zurĂŒckweisend.
„Carl Wolfgang, Dirne, — ’s ist ein edler Herr von Wolfsgeil!“
Da zuckt sie zusammen, als trĂ€fe sie ein giftiger Pfeil. „Wolfsgeil? ..“ stottert sie ... „Wolfsgeil? .. von der Burg droben?! — — und ihre HĂ€nde sinken schlaff hernieder und ihr Antlitz ĂŒberzieht fahle BlĂ€sse. „So schaut ein Wolfsgeil aus?“
„Just so, Dirne, und ich denke: schmuck genug, wenn wir ihm erst das Antlitz frei gewaschen haben! Aber vorwĂ€rts nun, zeig uns den Weg zur HĂŒtte!“
Starr und regungslos steht die braune Maid, wie Wetterleuchten flammt es ĂŒber ihre ZĂŒge, und sie hebt finster wehrend die Hand. „Halt ein! ein Wolfsgeil tritt nicht ĂŒber Juan Piccolos Schwelle ... es klebt ein Fluch daran!“
„Bist du bei Sinnen, schwarze Hexe?!“ Der greise Waidgesell fasst mit schmerzendem Griff ihr Handgelenk und schaut zornig in ihr bleiches Antlitz. „Soll Carl Wolfgang uns auf freiem Feld verbluten, weil ein gottvergessener Vogelsteller keinen Raum fĂŒr ihn in seiner HĂŒtte hat? Voran sag’ ich, kleine Wildkatz! bei deinem Leben, zeig uns den Weg!“
Da wirft sie das wilde Haupt trotzig in den Nacken und zeigt die weissen ZĂ€hne. „Hoho! weisst du keine andere Sprache, Alter? Befiehl dem Bach, dass er stille steht, befiehl der Mustela Piccolo, dass sie einem Menschen auf der Welt gehorcht, und sie höhnen dich beide „einen Narren“, Gesell! Ich tue, was ich will, ich bin frei wie der Falk und die Hand, die mich ducken will, schlag’ ich, wie er, mit blutigen FĂ€ngen!“ Und sie reisst in wildem Trotze ihre Hand los. — „Zum Teufel mit den Wolfsgeils! ich helf ihm nicht!“ Hastig wendet sie sich zur Flucht, noch einen schnellen, glimmenden Blick wirft sie zurĂŒck nach dem blonden Haupt des Verwundeten, und der erhobene Fuss stockt, machtlos wurzelt er im Moos, mit regungslosem Antlitz, wie gebannt starrt sie in Carl Wolfgangs Auge.
Sekundenlang hat der junge Reiter in aufflackerndem Bewusstsein die dunklen Wimpern aufgeschlagen und in langem, fieberisch leuchtendem Blick haften die Blauaugen auf den erbarmungslosen Lippen Mustelas. Dunkle Schatten legen sich tief um diese Augen, gross und zauberisch schön in trĂ€nenlosem Schmerz glĂŒht eine Welt von nie gelösten RĂ€tseln daraus entgegen, und langsam sinken wiederum die Lider, leises Seufzen lĂ€sst die farblosen Lippen beben, und tiefe Starrheit ruht abermals auf seinen ZĂŒgen.
Mustela verschlingt die zitternden HĂ€nde, ein tiefer Atemzug hebt ihre Brust, und mit glĂ€nzendem Blick winkt sie dem Alten. „Folg mir, Gesell, ich will es, dass der Wolfsgeil Obdach findet, — ich will’s!“ Und wie ein Schatten gleitet sie lautlos voran durch das flĂŒsternde Gezweig.
Der Weg ist kurz, den sie zu gehen haben; schweigend folgt der kleine Zug. Über die Heide geht’s, am Bach entlang in den Wald hinab. Mustela schaut nicht nach dem Kranken zurĂŒck, aber sie zuckt empor, wenn sein schwerer Atem ihr Ohr trifft, und sie legt den Arm auf den Nacken des goldroten Pferdes und leitet es sicher auf ebneren Weg. Da wendet sie sich zu dem Alten und faltet finster die Stirne.
„Ich nehme den Kranken in unsere HĂŒtte“, sagt sie kurz, „ihn und sein Pferd, sonst keine Seele weiter, verstehst du mich? Und wenn du es mir gelobst, dass dem Juan Piccolo sein Namen verborgen bleibt, so schwöre ich dir hingegen bei der heiligen Jungfrau, dass du ihn bis zum Neumond frisch und gesund wieder sehen sollst, so gesund wie heut morgen, da er sich in dieses Rosses Sattel schwang! Tust du nicht nach meinem Willen, und verrĂ€tst du dem Vogelsteller, welchen Gast er beherbergt, so bĂŒrge ich nicht fĂŒrder fĂŒr Carl Wolfgangs Leben; wirst du mir aber vertrauen und sein Geschick in meine HĂ€nde legen, so verpfĂ€nde ich dir meine Seele fĂŒr sein Heil!“ und die seltsame Sprecherin bietet mit befehlerischer Geste die Hand entgegen. „Schlag ein!“
„Ihn allein willst du aufnehmen, MĂ€dchen?“ Ludolf, der Wildmeister, schĂŒttelt finster das Haupt, „wie sollten wir unsern Herrn also verlassen? Wer bĂŒrgt fĂŒr seine Sicherheit? Wehe dem, der glattem Weiberworte traut!“
„Und wehe dem, der Wahrheit nicht zu schĂ€tzen weiss!“ ein jĂ€her Blick bricht leidenschaftlich aus ihrem Auge und mit gedĂ€mpfter Stimme fĂ€hrt sie fort: „HĂ€tte ich arges im Sinn, verschwieg’ ich wohl den Hass, den Juan Piccolo wider die Wolfsburg hegt, so sage ich ihn ehrlich in euer aller Gesicht und ich fĂŒge hinzu, Juan wird verfolgen und ich werde schĂŒtzen, Juan ist ein alter, kindischer Mann, seine Enkelin aber ist Mustela, und Mustelas Willen ist das Evangelium fĂŒr Wald und Heide, — töte mich, aber sag’ nicht, dass ich falsch sei! Sieh, hĂ€tte ich einen Feind auf dieser Welt, ich wĂŒrde vor ihn treten unter Gottes Sonnenlicht, wĂŒrde die Augen aus seinem Antlitz kratzen, hĂ€tte er mich mit bösem Wort gereizt, zu Boden schlagen wĂŒrd’ ich ihn in jĂ€her Leidenschaft; aber nie und nimmer wĂŒrde ich sichere Nacht erwarten, um ihn meuchlings in sein Verderben zu locken. Mustela wird zum Hasse nie zu feig, doch stets zu stolz zur Feigheit sein!“
Ludolf wiegt nachdenklich sein weisses Haupt. „Mag’s immerhin so sein, Dirne ich glaube dir’s, und freu’ mich deines graden Sinns; aber schau, es ist nicht Ritterart, den Herrn hilflos allein zu lassen, und darum höre, welch ein Ausweg mir einfĂ€llt. Nimm Carl Wolfgang denn immerhin allein unter dein Dach, doch zĂŒrne nicht, wenn ich einen Knappen bei dem Klausner Severin zu Gaste bitte, damit er, und sei es auch auf der Schwelle nur, fĂŒr seinen Junker wacht! Ich selber reite ab und zu, bring’ Wein und Speise aus der Wolfsburg und eine SĂ€nfte, wenn deine wunderkrĂ€ftige Salbe die Wunden auf der Stirne heilen liess. Bist du’s zufrieden, kleiner Kobold? so schlag’ ein!“
Das Heidekind reichte ihm abgewandt die Hand, presste in finsterem Trotze die Lippen zusammen und schritt schweigend weiter. DĂ€mmerung wehte wie graue Nebel ĂŒber die Heide und durch die fernen Baumwipfel schimmerte die fahle Mondscheibe; Mustela winkte leise gegen die Reiter, huschte behutsam an eine dichtverwachsene Hecke laubigen Schlehdorns und legte die HĂ€nde an den Mund, zirpender Vogellaut ertönte, leise flötend wie glockenheller Amselschlag perlte es von...

Inhaltsverzeichnis

  1. Titel
  2. Kolophon
  3. Wolfsburg
  4. Anmerkungen