150 Jahre Continental
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150 Jahre Continental

The Skill of Transformation

  1. 412 Seiten
  2. German
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150 Jahre Continental

The Skill of Transformation

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Information

Jahr
2021
ISBN
9783110731699

1 Jubiläumsdaten und Transformationsphasen in der Unternehmensgeschichte

Mit 150 Jahren ist Continental eine Erfolgsgeschichte. Eine, die auf dem ständigen Umbau und Sich-neu-Erfinden der Organisation beruht. Continental hatte allerdings bisher mit ihren Jubiläumsdaten nie Glück. Verfolgt man die Geschichte des Unternehmens zurück, so sieht man, dass die Jubiläumsfeiern selten ein positives Vorzeichen für herausragenden Geschäftserfolg bedeuteten, sprich: sie fielen oft mit gerade erst überstandenen oder unmittelbar bevorstehenden veritablen wirtschaftlichen Krisen oder industriellen und organisatorischen Umbrüchen zusammen, die zudem kumuliert durch externe wie interne Faktoren vielfach tiefgreifend und zum Teil existenzbedrohend waren. Zum 25jährigen Bestehen im Jahr 1896 – das explizit nicht gefeiert wurde – hatte das Unternehmen gerade erst seine Gründungskrise mit Kapitalnot hinter sich und befand sich noch in der letzten Phase der „großen Depression“, der tiefgreifenden weltweiten Konjunkturkrise, die mit Börsenkrach und Wirtschaftseinbruch seit 1873 dem Gründerboom des noch jungen Industrielandes Deutschland gefolgt war. Die Jubiläen zum 50. und 75. Geschäftsjahr – 1921 und 1946 – fielen in die unmittelbare Zeit nach den beiden Weltkriegen. 1921 sah sich der Continental-Vorstand, um die Erfolge der bis 1914 vorangetriebenen Globalisierung beraubt, mit zerstörten, verloren gegangenen oder enteigneten Auslandsniederlassungen sowie einer bedrohlich anschwellenden Inflation konfrontiert. 1946 standen Unternehmensführung und Belegschaft buchstäblich vor den Trümmerhaufen der durch Bombenkrieg weitgehend zerstörten Continental, zudem mussten sich das politisch durch die Unterstützung des NS-Regimes vielfach diskreditierte Unternehmen und seine deformierte Unternehmenskultur erst wieder gleichsam neu erfinden. 1971, zum 100jährigen Jubiläum, spielten weltpolitische Ereignisse keine Rolle, dafür sorgten das Ende der „Wirtschaftswunderjahre“, eine vom Management verschlafene Revolution in der Reifentechnologie und auch weitere unternehmensinterne Fehler dafür, dass die weitere Existenz von Continental höchst ungewiss war. Auch 1996 war kein Jahr ungetrübten Erfolgs. Zum 125jährigen Gründungstag wirkten immer noch die Wunden des unfreundlichen Übernahmeversuchs von Pirelli nach, insbesondere litt das Unternehmen an der inneren Schwäche, die es überhaupt erst angreifbar gemacht hatte. Continental steckte mitten in einem radikalen Sanierungs- und Restrukturierungsprozess, bei einem sich verschärfenden weltweiten Konkurrenz- und Überlebenskampf der Reifenbranche. 2021 schließlich, nach einer langen Erfolgs- und Expansionsphase, steckt das Unternehmen zu seinem 150jährigen Jubiläum erneut in einem fundamentalen Transformations- und Anpassungsprozess, der wieder einmal durch die Kumulation mehrerer Krisenfaktoren konjunktureller, technologischer und unternehmensinterner Art besonders tiefgreifend ist und die Krisenrobustheit und Wettbewerbsfähigkeit von Continental auf eine ernsthafte Probe stellt. Die zwischen diesen zahlreichen Umbruchphasen immer wieder erreichten neuen Erfolgshöhen zeugen jedoch von enormer innerer Robustheit, kultureller Stärke sowie dem Streben nach Unabhängigkeit und unternehmerischer Freiheit der Organisation und ihrer Menschen.
Die Jubiläumsdaten, ob dekadenweise oder im 25-Jahres-Rhythmus gezählt, waren aber nur Teil größerer Transformationsphasen, in denen sich das Unternehmen gerade befand. Vielfach waren sich die Zeitgenossen des ablaufenden Umbruchs bewusst. Oft aber wurden diese Veränderungsprozesse erst im Rückblick sichtbar. Dies vor allem auch im Hinblick darauf, wer oder was der Treiber der Transformation war und auf die Vieldimensionalität des Transformationscharakters: Verlief er offensiv oder defensiv? War die Transformation intendiert und Teil einer Strategie? Oder war sie nicht intendiert und von Inkrementalismus geprägt, also von Durchwursteln und Aussitzen? Und schließlich: War sie getrieben von einer Vision oder von eher kurzfristigen pragmatischen unternehmenspolitischen Zielen?
Es gab in der Geschichte von Continental mindestens neun mehr oder weniger ausgeprägte und sich zum Teil überlappende Transformationsphasen, die im Folgenden kurz beschrieben werden. Die zeitgenössischen Begriffe zur Beschreibung und Analyse der jeweiligen Unternehmensentwicklung wurden oft normativ verwendet, indem sie wünschbare oder als notwendig erachtete Merkmale eines modernen Unternehmens bezeichneten. Entsprechend differierten sie. Letztendlich meinten sie aber – auch wenn damals nicht explizit verwendet und später scheinbar neu erfunden – oft dasselbe. Sie waren nur alte Schlagworte oder Managementbegriffe in neuem Gewande, die sich bei genauerem Hinsehen wie ein roter Faden durch die Unternehmensgeschichte ziehen. Das beginnt mit dem jüngst in der Unternehmenswirtschaft allenthalben verwendeten Begriff der Transformation selbst, von dem oft dann die Rede ist, wenn man die Worte Krise, Restrukturierung oder Sanierung vermeiden will. Gegenwärtig wird von „agilen Unternehmen“ und sich transformierenden Konzernen gesprochen, früher war von „lernenden Unternehmen“ und „Change Management“ die Rede und meinte dasselbe. Unternehmenskultur als Steuerungsinstrument und Management-Modell gab es schon vor 1900. Den unter dem schrecklichen Kürzel VUCA (Volatilität, Unsicherheit und Risiko, Komplexität sowie Mehrdeutigkeit sprich Ambiguity) zusammengefassten scheinbar neuen Herausforderungen sahen sich Unternehmensführer wie Siegmund Seligmann und Willy Tischbein schon vor dem Ersten Weltkrieg gegenüber. Auch „Purpose“, CSR (Corporate Social Responsibility) oder Stakeholder Value als Ausdruck von neu entdeckter und vielfach von außen eingeforderter, gesamtgesellschaftlicher Unternehmensverantwortung hat seine Wurzeln in der Selbstverpflichtung zu betrieblicher Sozialpolitik für die Beschäftigten und gegenüber dem Unternehmensstandort im 19. Jahrhundert. Der entscheidende Unterschied zur Moderne liegt zum einen in der zunehmenden Dimension dieser Aufgaben. Zum anderen in ihrer steigenden, weltweiten Komplexität und vor allem im Streben danach, die immer kürzeren Umbruchzyklen vorausschauend und kontinuierlich zu gestalten. Denn der Wandel „geschieht“ einer Organisation nicht, er wird von ihr und ihren Menschen betrieben, gefördert und genutzt. Entsprechend wählen sie ihre Begriffe.
Continental musste schließlich schon in den 1870er Jahren und erst recht in den 1920er und 30er Jahren ein erhebliches Maß an Resilienz entwickeln, auch wenn damals niemand von Krisenrobustheit und von entwickelten Fähigkeiten, eine Krise gut zu meistern, sprach. Interessanterweise wurde vor oder nach jeder Transformationsphase immer wieder auch eine „neue Continental“ ausgerufen. Das bezog sich nicht nur auf eventuelle Änderungen in der angewendeten oder entwickelten Technologie und unternehmensorganisatorische sowie strategische Neuausrichtungen, sondern auch auf eine damit verbundene veränderte Positionierung innerhalb des Branchen- und Wettbewerbsumfeldes. Insofern lassen sich die unternehmerischen Umbruchphasen auch in Korrelation zur jeweiligen Mobilitätsgeschichte und deren spezifischen Ausprägungen setzen.
Ihre erste Transformationsphase durchlief Continental zwischen 1871 und 1895/96. In diesen 25 Jahren entwickelte sich das Unternehmen von einem risiko- und mängelbehafteten Start-up-Business zu einem etablierten Unternehmen. Konjunktureinbruch, Kapitalmangel und Managementfehler ließen die Firma, kaum existierend, fast wieder zu Grunde gehen. Als die neun Privatbankiers und Unternehmer, die das Gründungskonsortium bildeten, die Continental-Caoutchouc- und Gutta-Percha-Compagnie aus der Taufe hoben, war der Zeitpunkt eigentlich günstig. Das Deutsche Reich erlebte nach dem gewonnenen Krieg gegen Frankreich einen massiven Gründungsboom und starken Industrialisierungsschub, in dem tausende Unternehmen in der damals noch vergleichsweise neuen Gesellschaftsform der Aktiengesellschaft entstanden. Wirtschaft und Gesellschaft standen zwar ganz im Zeichen des Eisenbahnzeitalters, aber der neue und höchst zukunftsträchtige Rohstoff Kautschuk, dessen Werkstoffeigenschaften, geschweige denn sein nahezu unbegrenztes Marktpotenzial, bestenfalls ansatzweise bekannt waren und geahnt werden konnten, versprach die Erschließung eines lukrativen Zukunftsgeschäftsfeldes. Weitblickend wie die Wahl der Rohstoffbasis war auch die Wahl des Firmennamens, der Transnationalität signalisierte. Die Gründer hatten zudem eine sorgfältige Marktanalyse vorgenommen und die künftigen Absatzmöglichkeiten erörtert, was umso leichter war, als eine Reihe von ihnen auch kapital- wie funktionsmäßig in der schon neun Jahre zuvor, 1862, gegründeten Hannoverschen Gummi-Kamm-Compagnie aktiv waren. Diese stellte Schmuckgegenstände und Kämme aus Hartgummi her, während für Continental das weite Gebiet der aus Weichgummi hergestellten Artikel vorgesehen war – von Gummibällen und anderem Spielzeug über Schläuche für Wasser-, Dampf- und Gasleitungen bis zu Wärmeflaschen und medizinischen Artikeln. Dazu bestand das Potenzial zur Herstellung zahlloser Konsumartikel aus Gummi wie Einkochringe, Dichtungen, Gummimatten, Parfümzerstäuber oder Reise-Luftkissen und Regenschutzbekleidung. Und dennoch war die Gründung eine Risikoinvestition, denn seit dem Aufkommen der Gummiindustrie in Deutschland Ende der 1850er Jahre war es zu zahlreichen Konkursen gekommen.
Abb. 1 Gründungsurkunde vom 8. Oktober 1871 und erster Geschäftsbericht vom Oktober 1872.
Tatsächlich verdüsterten sich auch für Continental die Aussichten schnell. Bereits die Bauarbeiten für die Fabrik und Fertigungsanlagen verzögerten sich. Als im Herbst 1873 endlich in Vahrenwald die Produktion anlief, erschütterte der Gründerkrach mit Börseneinbruch und nachfolgender langanhaltender Deflationsperiode und Konjunkturabschwung die Wirtschaft. Continental geriet, kaum gegründet, in ihre erste Weltwirtschaftskrise, der noch zahlreiche weitere folgen sollten. Es folgten häufige Wechsel in der Unternehmensleitung – allein bis 1876 wurden vier Fabrik- und Unternehmensleiter ausgewechselt –, die weder das erforderliche betriebswirtschaftliche noch das ingenieurtechnische oder chemische Know-how besaßen. Dazu kamen interne Konflikte. Die technologische Konvergenz in der Kautschukindustrie ließ die Abgrenzung zwischen Hart- und Weichgummi schnell Makulatur werden, so dass die Continental und die Gummi-Kamm-Compagnie sich zunehmend mit ihren Geschäftsfeldern ins Gehege kamen. Dies führte in den 1880er Jahren zunächst zu einer engen Kooperation, dann auch zu Fusionsgesprächen, die aber letztlich scheiterten und erst über 40 Jahre später unter anderen Bedingungen erfolgreich sein sollten. 1875/76 war das für damalige Verhältnisse erhebliche Gründungskapital von 300.000 Talern (heute umgerechnet ca. 6,3 Mio. Euro) zum größten Teil bereits verbrannt, so dass die Anteilseigner frisches Kapital nachschießen mussten. Im Vorfeld hatte man aber ein Sanierungsgutachten erstellen lassen, das ohne neues Kapital einerseits den unmittelbar bevorstehenden Zusammenbruch des Unternehmens vorhersagte, andererseits aber auch bei der Durchführung von diversen Restrukturierungsmaßnahmen für Continental in der Zukunft florierende Absätze sah.
So setzte seit den späten 1870er Jahren eine langsame Erholung und Etablierung als Unternehmen mit inzwischen ca. 300 Beschäftigten ein. Das Unternehmen präsentierte sich quasi als „neue Continental“. Die Unternehmensleitung wurde ausgewechselt und man schrieb seit 1876 nennenswerte schwarze Zahlen. Auch eine Dividende wurde nun erstmals ausgeschüttet – 5 Prozent des Grundkapitals. Was die rasant mobilisierte und sich urbanisierende Gesellschaft des hoch industrialisierten Deutschland anging, so konnte Continental zwar nicht vom Eisenbahnboom profitieren, aber man produzierte neben Hufpuffern für die vielfach als Zugtiere bei Straßenbahnwagen und Droschken eingesetzten Pferde seit 1883 Massivbereifungen (Vollgummireifen) für Kutschen und Fahrräder. Der Umsatz erreichte 1,37 Mio. Mark und steigerte sich – allerdings unter deutlichen Schwankungen – auf immerhin 3,26 Mio. Mark im Jahr 1884, um dann aber, weiter deutlich schwankend, bis Anfang der 1890er Jahre tendenziell zu stagnieren. Erst danach setzte eine deutliche Aufwärtsbewegung ein, die mit der sich aufhellenden Konjunkturentwicklung und dem langsam in Gang kommenden Luftreifengeschäft zusammenhing. Mit der Einstellung des Chemikers Adolf Prinzhorn 1874 errichtete das Unternehmen ein unternehmenseigenes Forschungslabor. Continental wandelte sich damit zu einem Mitglied im immer größer werdenden Kreis der wissenschaftsbasierten High-Tech-Industrie, die unter Führung der deutschen Chemie- und Elektrokonzerne inzwischen das Bild der deutschen Industriewirtschaft prägte und bald Weltmarktstellung erreichen sollte.
Ein entscheidender Durchbruch war die Entwicklung von luftgefüllten Reifen für Fahrräder seit 1890. Fahrräder standen damit nicht nur im Mittelpunkt einer aufkeimenden Radrennsportbewegung, sondern wurden auch Massenverkehrsmittel und Mobilitätsmittel für eine breite Bevölkerungsschicht. 1892 präsentierte Continental als erstes deutsches Unternehmen Luftreifen für Fahrräder. Schon 1894 wurde den Aktionären im Geschäftsbericht stolz mitgeteilt, dass sich der „Continental-Pneumatic“ auf dem Markt eine beherrschende Stellung erobert hatte. Der Erfolg des Fahrradreifengeschäfts hatte einen Namen: Willy Tischbein, damaliger Europameister im Dreirad-Herrenfahren und ebenso Konkurrent wie Freund des ebenfalls im Radrennsport aktiven Georg von Opel, dem Enkel des Firmengründers, in dessen zunächst auf Nähmaschinenherstellung ausgerichteten Fabrik seit 1886 zusätzlich Fahrräder hergestellt wurden. Tischbein war 1894 ins Unternehmen eingetreten und trieb das Geschäft mit den bald wie Pilze aus dem Boden schießenden Fahrradunternehmen wie etwa den Adlerwerken vormals H. Kleyer AG in Frankfurt, bald einer der wichtigsten Kunden von Continental, an.
Die zweite Transformationsphase lässt sich auf Mitte der 1890er Jahre bis 1913 verorten. In diesen 23 Jahren erfolgte der Durchbruch zum Automobilreifenhersteller, der durch zahlreiche Innovationen in der kurzen ersten Globalisierungsphase der deutschen Wirtschaft bis 1913/14 auch international erfolgreich agierte. 1898 startete die Produktion von Pkw-Luftreifen oder „Autopneumatiks“ wie es damals auch hieß, die zwei Jahre zuvor erst von Michelin in Frankreich erfunden und zur Großserienreife entwickelt worden waren. „Die Erwartungen, welche wir für das abgelaufene Jahr hegten“, so hieß es im Geschäftsbericht für die Generalversammlung am 24. März 1897,
sind voll und ganz in Erfüllung gegangen und [es] übersteigt die Gewinnziffer sogar wiederum die letztjährige. Wir haben diese Erfolge der fortwährend steigenden Beliebtheit unserer Fabrikate zu verdanken, durch welche wir im Stande waren, unsere Umsätze pro 1896 um weitere ca. 2 Millionen Mark zu erhöhen. Diese erhebliche Ziffer verteilt sich gleichmäßig auf sämtliche Artikel unserer Fabrikation. Unser Continental-Pneumatic hat seine dominierende Stellung auf dem Weltmarkt nach wie vor behauptet.
Noch trug das Fahrradreifengeschäft den Hauptteil zum Gewinn außerhalb der technischen Produkte bei. Aber spätestens seit der Jahrhundertwende dominierte das Automobilreifen-Geschäft. Am sprunghaften Wachstum des Umsatzes lässt sich der Erfolg des neuen Hauptgeschäftsfeldes gut erkennen: Zwischen 1897, mit immerhin bereits 10,4 Mio. Mark Umsatz, und 1913 kletterten die Zahlen Jahr für Jahr um zwei bis drei Millionen Mark, seit etwa 1904 sogar um 20 Mio. Mark und mehr, bis schließlich 1913 ein Umsatz von 119,33 Mio. Mark erreicht wurde. Zum Geschäftserfolg trug die vorangetriebene Diversifikation in technische Gummiprodukte und Konsumartikel aus Gummi erheblich bei: 1908 nahm man etwa die Fertigung von Schuhbedarfsartikeln auf und kreierte mit der 1912 entwickelten Continental-Gummisohle nicht nur einen weithin bekannten Markenartikel, sondern leitete auch die Revolutionierung der Schuhfabrikation ein.
Daneben sorgte aber auch die Erschließung neuer Geschäftsfelder in der Mobilitätsgeschichte des Deutschen Reichs für eine nachhaltige Expansion: die Herstellung von Flugzeugspanngewebe und Ballonstoff sowie auch erste Flugzeugluftreifen. Es gab keinen Zeppelin, der damals nicht mit einer Continental-Lufthülle ausgestattet war. 1909 überquerte der Franzose Louis Blériot als erster Mensch den Ärmelkanal mit einem Flugzeug, das mit Continental-Aeroplanstoff bespannt war. Die Ablösung des Fahrrads als Massenmobilitätsmittel durch Motorräder und Automobile und die damit um die Jahrhundertwende ausgelösten Krisen der Fahrradindustrie, von denen Continental durchaus spürbar betroffen war, mahnten allerdings zur Vorsicht. Das Luftreifengeschäft konnte höchst zyklisch und konjunktursensibel sein. Nicht zuletzt drohte obendrein eine Abhängigkeit von den Automobilherstellern wie Opel, dem damals größten Autokonzern. Lange Jahre konnte man als bevorzugter Erstausrüster jedoch im Windschatten von Opel immer neue Stufen des Umsatz- und Gewinnwachstums erklimmen. In rascher Folge nahm auch die Zahl der Beschäftigten zu. Aus den knapp 500 Arbeitern und Angestellten Anfang der 1890er Jahre wurden bis 1913 über 7.000 Beschäftigte – in einem Analystenbericht von 1932 ist sogar davon die Rede, dass zu diesem Zeitpunkt die Gesamtzahl der im In- und Ausland in den Diensten der Continental stehenden Personen bereits 13.000 betrug –, und 1929 dann fast 16.800. Im selben Tempo kletterten auch die Dividenden, die – bezogen auf das damalige Grundkapital – seit 1893 auf 30 Prozent, dann auf 40 und 50 Prozent erhöht wurden, bis schließlich 1896 mit 55 Prozent die Höchstmarke erreicht wurde. Danach pendelte sich die Dividende bis 1913 auf jährlich zwischen 40 und 45 Prozent ein.
Continental glänzte in dieser Phase mit zahlreichen Innovationen. 1904 wurde der weltweit erste Profilreifen für Automobile gefertigt. 1905 begann die Produktion von Nietengleitschutzreifen, die den Spikereifen 70 Jahre später ähnelten. Und 1908 erfand man die abnehmbare Felge, die den mühevollen und kraftraubenden Reifenwechsel erheblich erleichterte. Auf den sich in Europa rasch ausbreitenden Automobilrennen fuhren alle bekannten Rennfahrer – 1901 erstmals auch in Daimler-Benz-Automobilen – auf Continental-Reifen ihre Siege ein. Wie kein anderes Unternehmen prägten die Hannoveraner mit ihren Reifen den internationalen Automobilrennsport und sorgten so für ein entsprechend tief verwurzeltes Image in weiten Teilen der Öffentlichkeit. Und das Unternehmen trieb in dieser Phase auch die Internationalisierung und Globalisierung seines Geschäfts voran. Bis 1913 wurde auf allen Kontinenten ein dichtes Netz von Vertriebsniederlassungen und Tochtergesellschaften aufgebaut und in Frankreich oder Australien eigene Fertigungsfabriken aufgezogen, um die den internationalen Handel prägenden Zollbeschränkungen zu unterlaufen bzw. zu umgehen. Etwa 60 Prozent des Gesamtumsatzes entfiel auf den Auslandsexport, davon ca. ein Drittel allein auf Nordamerika. Continental war zu diesem Zeitpunkt ein Weltunternehmen. Auf den Weltausstellungen der damaligen Zeit, sei es in Paris 1900 oder 1904 in St. Louis, heimste das Unternehmen eine Auszeichnung nach der anderen ein.
Abb. 2 Postkarte mit der Nachricht über die Preisauszeichnungen für Continental auf der Weltausstellung 1904 in St. Louis, USA.
„Auf der Weltausstellung in Brüssel 1910 sind uns drei Große Preise verliehen, und zwar je ein Grand Prix für Automobil- und Fahrradreifen, für Stoffe zu lenkbaren Luftschiffen und Aeroplanen, sowie für technische Gummiartikel“, hieß es dazu im Geschäftsbericht für 1910. „Ebenso ist uns ein Großer Preis verliehen seitens der Internationalen Eisenba...

Inhaltsverzeichnis

  1. Title Page
  2. Copyright
  3. Contents
  4. 1 Jubiläumsdaten und Transformationsphasen in der Unternehmensgeschichte
  5. 2 Von Gründungskonsortien, Großanlegern und Ankeraktionären. Zur Corporate Governance und einigen prägenden Persönlichkeiten in der Continental-Geschichte
  6. 3 Die Continentäler. Identitäten und Interessen im Zeichen von Umbrüchen in der Arbeitswelt
  7. 4 Kautschuk – Ressourcenmanagement, Nachhaltigkeit und Umwelt oder: Von der Metamorphose eines Schlüsselrohstoffs
  8. 5 Der Continental-Reifen: Eine kurze Entwicklungsgeschichte oder: Metamorphosen eines Hightech-Produkts und des Continental-Produktportfolios
  9. 6 Die Continental-Aktie: Lebenszyklen eines Wertpapiers zwischen Großanteilseignern, Kleinanlegern und Belegschaftsaktionären im Wandel der Kapitalmarktentwicklung
  10. 7 Von der lokalen Schutzmarke zur Global Brand. Marke und Marketing in der Continental-Geschichte
  11. 8 Continental als Weltunternehmen. Die verschlungenen Wege der Internationalisierung
  12. 9 Zwischen Vision und Spekulation: Continental im Jahr 2046 oder: Zur Geschichte und Gegenwart von Zukunftserwartungen im Unternehmen