Duale Ökonomie und historische Eigentumsformen
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Duale Ökonomie und historische Eigentumsformen

Band 2

  1. 460 Seiten
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Duale Ökonomie und historische Eigentumsformen

Band 2

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Über dieses Buch

Martin Seelos macht in diesem Buch auf knapp 1.000 Seiten (Band 1 und Band 2) den Begriff der dualen Ökonomie für die Wirtschaftsgeschichte fruchtbar. Das Konzept der "Dualökonomie" wurde bislang hauptsächlich in der Ethnologie oder der Entwicklungssoziologie verwendet, um die Gleichzeitigkeit von einem modernen mit einem vormodernen Wirtschaftssektor zu umreißen.Dieser begrenzte Fokus wird hier überwunden. Erstens, weil die "Modernität" konkret zu bestimmen ist, um sie historisch einzuordnen. Und zweitens findet sich die duale Ökonomie in der Globalgeschichte immer wieder als dynamisches Element: Die Dualität umreißt den Konflikt zwischen unterschiedlichen Eigentumsformen, der jede neue Produktionsweise begleitet.Im Fokus des vorliegenden zweiten Bandes dieses Buches steht die duale Ökonomie der Sowjetunion sowie die Dialektik der historischen Entwicklung seit der Antike. Der inhaltliche Schwerpunkt von Band 1 liegt in der Wechselwirkung zwischen dem frühneuzeitlichen Europa und Afrika sowie den Antillen.Bei all diesen Konstellationen geht es auch um die Frage, nach welchen Kalkülen so unterschiedliche Gesellschaften miteinander in Kontakt treten, mit welchen Methoden und mit welchen Folgen: Aus dem Nebeneinander wird ein Nacheinander. In dieser Hinsicht kann von einer globalgeschichtlichen Relevanz jeder Dualökonomie gesprochen werden.Das vorliegende Werk ist originär, kenntnisreich verfasst und spannend zu lesen. Die Untersuchung liegt im Schnittpunkt der Geschichtsforschung und der politischen Ökonomie. Konkrete Berührungspunkte zu der Wirtschaftsanthropologie fehlen nicht. Ein umfangreicher Anmerkungsapparat sowie ein Literaturverzeichnis (Band 2) machen die Textbelege nachvollziehbar.

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Information

Verlag
tredition
Jahr
2021
ISBN
9783746900568
DIALEKTIK DER DUALEN ÖKONOMIE
Wir haben in diesem Buch verschiedene historische Konstellationen von dualer Ökonomie kennen gelernt. Soweit unterschiedliche Produktionsweisen sich miteinander austauschen, ist das Thema des Handels und des Regimes, das diesen Handel prägt, das naheliegende Thema. Handelsstatistiken machen auf den ersten Blick einen recht prosaischen und unspektakulären Eindruck. Findet hier überhaupt Geschichte statt?
In der Tat. Da jede Produktionsweise ihr spezifisches inneres Regime hat, kann der Austausch zwischen unterschiedlichen Produktionsweisen nur nach einem Handelsregime erfolgen, das zumindest mit einer der unterschiedlichen Seiten im höchst lebendigen Konflikt steht. In diesem Buch wurden einige dieser Konflikte zumindest grob skizziert. Der Natur der Sache nach werden diese Konflikte langfristig ausgetragen, sozusagen strukturell. Sie müssen sich nicht in politischen Konflikten äußern, zumindest nicht in offenen oder bewussten.
Aber das Konfliktpotential war doch deutlich vorhanden: zwischen Mesolithikern und Neolithikern, zwischen dem frühkapitalistischen Europa und den feudalen Strukturen Europas, zwischen dem frühkapitalistischen Europa und den Taíno auf Hispaniola, zwischen dem frühkapitalistischen Europa und Altafrika, zwischen der Warenwirtschaft der Bauern und der planwirtschaftlichen Industrie in der Sowjetunion. Die Beispiele ließen sich fortsetzen. Und diese Darstellung ist nicht einmal eine systematische Aufarbeitung. Hier geht es darum, das Thema an sich vorzustellen. Wie bereits mehrfach erwähnt, kommt auch der Gegensatz zwischen der antiken oἰκoυµένη (Griechenland, Rom) und den altorientalischen Reichen in einer dualen Ökonomie zum Ausdruck.
Letzteres Beispiel ist überhaupt von besonderem Interesse. Denn hier sehen wir die Dualität nicht im Handel, sondern in der militärischen Konfrontation – zugespitzt in der Anabasis Alexanders III. von Makedonien, der Eroberung des Achämenidenreiches. Hier stand die antike Produktionsweise mit Privateigentum, Warenwirtschaft und Sklavenarbeit der asiatischen Produktionsweisen mit kollektiv wirtschaftenden Bauerngemeinschaften, Gebrauchswertökonomie und Staatswirtschaft gegenüber. Ein sehr deutlicher Gegensatz, der sich als Widerspruch „auslebte“.
Aber ach! Wie wurde dieser Widerspruch aufgelöst? Das ist besonders interessant: Obwohl „die Griechen“ im Osten Sklaven machten und den aufgespürten Goldschatz in Münze schlugen, ging die asiatische Produktionsweise zumindest deswegen nicht unter. Wir simplifizieren hier etwas, um zum wesentlichen Punkt zu kommen. Konkret war die Sache komplizierter, da sich im Hellenismus ein Netz von zum Teil neugegründeten Städten über die orientalischen Gebiete zog, die antike Strukturen mitbrachten. Dies umso erfolgreicher, umso näher sie zum Mittelmeerraum angelegt waren. Wie auch immer, die wesentliche Frage ist für uns nur: Wie wurde die Agrarproduktion betrieben?
Der Raub an dem ehemaligen Achämenidenreich gab der antiken Sklavenhalterwirtschaft vielleicht neues Material, aber keine neue progressive Entwicklung. Mehrere inflationäre Schübe waren die Folge, von denen uns die antiken Autoren berichten, ohne deren Auslöser wahrnehmen zu können. Und das Beste kommt noch: Nicht die asiatische Produktionsweise erwies sich als statisch und die antike als dynamisch. Immerhin beließ selbst das römische Reich die Produktionsverhältnisse in Ägypten so, wie sie seit Jahrtausenden waren und die Fellachen lieferten ihr Getreide so wie immer ab. Nur dass dieses nun – ohne wie jede andere Ware bezahlt zu werden – nach Ostia verschifft wurde. Dieser Abfluss von ökonomischen Werten hielt lange an. Immerhin erfahren wir von einer Folge der ägyptischen Unruhen gegen Diokletians Nachfolger:
„Afrika fällt 308 durch eine Revolte des L. Domitius Alexander aus, der auch die Kornlieferungen nach Rom sperrt.“224
Der Getreidezufluss nach Rom blieb bis 309 n. Chr. unterbrochen und wurde erst wiederhergestellt, nachdem Maxentius die Revolte Alexanders niederschlagen konnte. Offensichtlich war in all den Jahrhunderten seit der Inkorporation Ägyptens in die hellenistischen Staaten und später in den Orbit Roms der Getreideanbau nicht unproduktiver als zum Beispiel auf den großen Latifundien in Italien respektive auf Sizilien. Der konstante Zufluss des ägyptischen Getreides nach Roms war zugleich das historische Eingeständnis der Grenzen der antiken Produktivität. Etwa so, wie das schnell gewonnene Gold, geraubt von den Kombattanten Alexanders von Makedonien, die Produktivität des antiken Eigentums nicht anhob. Höchstens wurde damit der Warenumlauf gegenüber der Gebrauchswertproduktion für den Eigenbedarf ausgeweitet – aber die Inflationsschübe nach dem Alexanderzug würden dieser Vermutung wiederum widersprechen.
Dabei muss man die unterschiedlichen Produktionsverhältnisse im Blick haben: Das Getreide auf Sizilien wurde eher mit der Verwendung von Sklaven produziert, die und deren Produkte im Privateigentum von Geschäftsleuten standen. Das Getreide am Nil wurde eher von Bauerngemeinschaften („Dörfern“) produziert, die von alters her dem Staat eine Quote davon abliefern mussten. Das war auch in römischer Zeit nicht anders, nur dass nun der Staat auch Agent der antiken Produktionsweise Roms war:
„Da trotz der Abwanderung von Bauern die Höhe der pro Dorf festgesetzten Getreideabgaben nicht reduziert wurde (…)“.225
Hier ist vom Ende des 2. nachchristlichen Jahrhunderts die Rede. Wenn diese Schilderung stimmt, ist noch das „Dorf“ die Einheit, die produziert und Mehrarbeit leistet – wie von alters her. Es fragt sich nebenbei, was in Ägypten das Ziel der Abwanderung und Landflucht sein konnte. In der Spätantike und im Westen des römischen Reichs haben wir geographisch eher eine Stadtflucht und sozial gesehen eine Flucht in die Scheinselbstständigkeit der ehemaligen Bauern vor uns und hier zeigt sich ein qualitativer Unterschied innerhalb Nordafrikas: Die Mitte, also die Provinz Africa, zeigte in der Entwicklung der Eigentumsverhältnisse mehr Ähnlichkeiten mit Gallien, Italien und Spanien – der Osten (Ägypten) mehr mit Mesopotamien. In Africa:
„(…) hatten die Kolonen folgende Schritte einzuhalten: Bei allen Erträgen ihrer Feldarbeit, die sie zur Tenne bringen und dreschen mußten, sollten sie nach ihrer Schätzung den Pachtunternehmern bzw. den Verwaltern des Gutes die Gesamtmengen beziffern.“226
Der Autor, Dieter Flach, wertet in dieser Darstellung Inschriften von einem fundus der Provinz Africa aus dem 2. Jahrhundert aus.227
Selbe Gegend, zwei Jahrhunderte später:
„Im 4. nachchristlichen Jahrhundert und am Anfang das 5. (…) hat sich die wirtschaftliche Wichtigkeit Nordafrikas vielleicht gegenüber früher noch erhöht. Schon darum, weil Italien immer mehr von den nordafrikanischen Kornlieferungen abhing, und Ägypten, aus dem ebenfalls Getreide geliefert wurde, nach der Teilung des Imperiums dem Ostreich zufiel. Die Folgen, die die Entwicklung der nordafrikanischen Landwirtschaft mit sich brachte, waren jedoch keineswegs auf den wirtschaftlichen Bereich beschränkt. Die Verbreitung ausgedehnter privater Domänen, die von Kolonen bewirtschaftet wurden und die administrativ einen Staat im Staat bildeten, spiegelte sich im wachsenden Einfluß der örtlichen Grundbesitzer auf das politische Leben nicht nur Nordafrikas, sondern auch des ganzen Imperiums.“228
Wie gesagt, das Kolonat als Spaltprodukt der antiken Produktionsweise findet sich im zentralen Nordafrika, aber zu dieser Zeit vermutlich weniger in Ägypten – wo noch die alte, vorantike Tradition der Agrarproduktion lebendig war. Ganz richtig ist der Ursprung des Kolonats (im Westen des römischen Reiches) in dieser Passage formuliert:
„Keine andere Schicht in der kaiserzeitlichen Gesellschaft war nun von diesen Maßnahmen der Berufsbindung nach Umfang und Ausmaß in einer solchen Weise betroffen wie die Pächter landwirtschaftlich genutzten Bodens, die Kolonen.“229
Zu Pächtern wurden die ehemaligen Eigentümer einer Parzelle, zuerst als die Sklavenwirtschaft in der Republik Bauern nieder-konkurrierte, dann durch den Prozess der Bodenkonzentration in den Händen Weniger, den späteren Herren der fundi. Pächter sind nur Besitzer des Bodens, keine Eigentümer. Der eben zitierte Autor weiter:
„Sie sanken in einem Prozeß, der etwa von der Mitte des 3. bis in die zweite Hälfte des 4. Jahrhunderts andauerte, von Pächtern und formal gleichberechtigten Vertragspartnern zu abhängigen Bauern herab. Seine volle Ausprägung hat der Kolonat erst im spätrömischen Kaiserreich des 4. bis 6. Jahrhunderts gefunden, als er die Sklaverei in der Landwirtschaft weithin ablöste. Unter sozialökonomischem Aspekt war der Kolonat geradezu ein Wesensmerkmal der untergehenden Antike.“230
Der Ursprung dieser Mutation lag im antiken Privat-, nicht im altorientalischen Kollektiveigentum. Und:
„Die Voraussetzung für eine Ausbreitung der Kolonenwirtschaft war die Herausbildung von mit Sklaven arbeitenden mittleren und größeren Gutswirtschaften.“231
Das war der Anfang. Und hier das Ende:
„Faßbar werden die bodengebundenen Kolonen erstmals in einem Edikt vom 30. Oktober 332. Im weiteren Verlauf des 4. Jahrhunderts wurde die Bodenbindung ausgebaut und festgeschrieben. Aus dem Jahre 357 stammt die Verordnung, derzufolge Grund und Boden nicht ohne die dazugehörigen Kolonen verkauft werden darf. Sieben Jahre später begegnet uns erstmals die Erblichkeit, wenn es in einem Gesetz heißt, die Bestimmungen für kaiserliche Sklaven und Kolonen sollen auch für deren Kinder und Enkel Geltung besitzen. Im Jahre darauf wird ihnen eine Veräußerung ihres Besitzes ohne die Zustimmung des Grundherrn verboten.“232
Derselbe Autor unterscheidet eine Frühform in der Republik und dem Prinzipat und eine Spätform in der Militärmonarchie. Wenn wir dem folgen, würde sich unserer Ansicht nach folgende Entwicklung ergeben: Zuerst – etwa im antiken Griechenland – sind Pächter nur noch Besitzer ihres Landes und nicht mehr Eigentümer. Sie zahlen Pacht – also eine Form der Mehrarbeit, die sich aus ihrer Degradierung vom Status des Eigentümers in den Status des Besitzers ergibt. Sie sind aber immerhin noch im Arbeitsprozess selbstständig und arbeiten auf eigene Rechnung. Als coloni sind sie zwar auch Besitzer und rechtlich selbstständig – unterliegen also dem Recht des Privateigentums, das von Rom so schön kultiviert wurde. Aber im Produktionsprozess sind sie bereits in die Arbeitsteilung des großen Gutes eingegliedert und nicht mehr „frei“. Sie werden in einen Bearbeitungsplan eingeteilt und in diesem aufgelistet. Und nun müssen sie auch unentgeltliche Tagwerke für den patronus ableisten. Über diesen erfahren wir aus einer anderen Quelle:
„Der Begriff patronus verweist auf das Institut des Patronats (patrocinium), das in der Spätantike eine Vielfalt von Erscheinungsformen aufweist. Besondere soziale Bedeutung kam dem Patronat im Verhältnis zwischen einem Herrn und seinem ehemaligen Sklaven zu, dem der Herr die Freiheit zugestanden hatte: Als Freigelassener stand er nunmehr zu seinem Patron in einer besonderen rechtlichen Beziehung, die zur wechselseitigen Förderung verpflichtete. Es können drei Typen unterschieden werden: Das Patronat über Einzelpersonen, das ländliche Patronat des Grundbesitzers über Kolonen bzw. freie Bauern und schließlich das Städtepatronat. Gemeinsam ist allen Formen die Gegenüberstellung von Pflichten des Klienten (officia, reverentia, salutatio, servitium) und von Pflichten des Patrons (beneficium). Der Patron übt auch das Gerichtspatronat aus, d.h. er gewährt in seiner Eigenschaft als Schirmherr (advocates) dem Klienten Verteidigung (defensio) und Schutz (intercessio). Die Patronatsgewalt tendiert immer mehr zu einem allgemeinen Schutzverhältnis, das durch die Bindungen von pietas und fides bestimmt wird.“233
Diese Passage beleuchtet die rechtliche Dimension, die ohne die ökonomische Dimension die Veränderung nur beschreiben, aber nicht erklären kann. In der Spätform hat die Produktionsweise des großen Gutes bereits die Produktionsverhältnisse umgeformt und die coloni sind nicht mehr frei, können keinen Vertrag mehr aufkündigen und woanders weiterarbeiten. Sie sind Teil des fixen Inventars des Großbetriebes geworden und deswegen ortsunfrei. Es handelt sich bei ihnen aber auch nicht um neue Sklaven. Denn Hand in Hand mit der gesamten Entwicklung, zu der notwendig die Verlagerung des Schwerpunktes von der Stadt aufs Land und damit das Verblassen der Warenwirtschaft gehört, verliert das Privateigentum an Durchsetzungskraft. Die antiken Sklaven sind aber Privateigentum und ihre Mehrarbeit wird zur Ware. Dieser Weg ist wegen des Schwindens der Warenwirtschaft versperrt und so kommt es zum Kollektivbesitz als letzte Entwicklungsstufe: Das Kolonat wird zum Feudaleigentum.
Zurück zur von Klaus-Peter Johne genannten Frühform: Für diese gibt es nicht im gesamten römischen Reich schriftliche Quellen. Sie beziehen sich zumeist auf Italien. Und:
„Allein in den epigraphischen Quellen treten auch die afrikanischen Provinzen nennenswert hervor, während aus allen anderen Teilen des Imperium Romanum durch die Jahrhunderte hindurch aus den genannten Quellen immer nur sporadische Nachrichten vorliegen.“234
Hier sind wahrscheinlich die sehr großen Domänen der Kaiser in der Provinz Africa gemeint. Denn die Wahrscheinlichkeit, dass Kolonen neben Sklaven eingesetzt wurden und dann Sklaven ersetzten, stieg mit der Größe der Betriebe.235
Nun zur reifen Form des Kolonats: Offensichtlich gab es bei dessen Ausbreitung ein West-Ost-Gefälle:
„371 wurde die Bodenbindung für die Präfektur Illyrien und das heißt für große Teile der Balkanhalbinsel ausdrücklich festgestellt, 393 für die Diözese Thrakien und 386 für die Provinzen Palästinas erst eingeführt.“236
Dort, wo etwa unter Justinian im 6. Jahrhundert auch für Ägypten von coloni die Rede ist, könnten in Wirklichkeit ortsgebundene Arbeitskräfte mit Abgabepflicht gemeint sein … das würde jedenfalls auch auf die ägyptischen Fellachen der alten Zeit zutreffen. Wenn wir die Fragestellung umdrehen und nicht die Ausbreitung des klassischen Kolonats von West nach Ost verfolgen, sondern die Ausbreitung von ortsgebundener und daher unfreier Arbeit, dann sehen wir – ungefähr im Sinne Michael Rostovtzeffs – ein Ost-West-Gefälle und das Kolonat erscheint als Danaergeschenk des eroberten Ostens, um das antike Eigentum aufzulösen.237 Auch an dieser Sichtweise ist was dran. Aber diese Sichtweise sagt nur etwas über Wechselwirkungen der hellenistisch-römischen Epoche aus, nichts darüber, aus welchen Elementen sich das Kolonat tatsächlich entwickelte. Das eine ist sozusagen die Fragestellung der Ökologie, das andere die der Genetik.
Zugegeben, mit der Vermutung, dass für die Anbaugebiete am Nil und östlich von Syrien der Begriff colonus generell einen unfreien Bauern ansprach, nicht einen Kolonen als Nachfolger der antiken Sklavenarbeit … mit dieser Vermutung haben wir uns weit aus dem Fenster gelehnt und wir haben keinen Beleg aus der Literatur zur Hand. Vielleicht verhielt es sich auch anders. Aber der springende Punkt ist jedenfalls, dass die zuerst griechische und später römische Expansion in die Gebiete der altorientalischen Reiche ebendort nicht zu einer Nivellierung der sozialen Verhältnisse führte und diese antike „Toleranz“ wird auch von konservativen Historikern festgestellt. Ein wenig erinnert dies an das, was dem osmanischen Reich nachgesagt wird: die sozialen Verhältnisse in eroberten Gebieten zu belassen, solange der Tribut entrichtet wird. Indes ist hier immer ein richtiges Element verkehrt herum gesetzt. Der Grund für die Ökonomie war nicht die Toleranz, sondern umgekehrt: Die reiche Ökonomie eroberter Gebiete förderte die Toleranz auf politischer Ebene. Genauer: Wenn ein erobertes Territorium mit den eigenen sozialen Verhältnissen produktiver arbeiten kann als mit jenen, die hinter dem zuerst einmal erfolgreichen Militär stehen, setzt diese Differenz der Produktivität bereits Fakten, an denen sich die Politik orientiert. Ähnlich hat es Moses I. Finley in seinem paradigmatischen Klassiker zur antiken Wirtschaft aufgefasst – wir werden noch darauf zu sprechen kommen.
Es zeigt sich jedenfalls, dass militärische Erfolge einer Produktionsweise nicht immer den Ausschlag geben. Es ist überhaupt fraglich, inwiefern mittels territorialer Expansion der Konflikt einer dualen Ökonomie aufgelöst werden kann. Auf den ersten Blick mag es etwa scheinen, dass die antike Produktionsweise von der germanischen der Völkerwanderungszeit verdrängt, sozusagen beiseitegeschoben wurde. Wenn wir näher zu dem Geschehen heranzoomen, erkennen wir sofort, dass der erste Schein komplett trügt: Die „germanische Produktionsweise“ fasste nicht auf römischem Territorium Fuß. Eher gaben die Germanen ihre Produktionsweise zugunsten der römischen Verhältnisse auf. Und als sich die antike Produktionsweise auflöste, geschah dies aus anderen Gründen: weil die Kolonen die Sklaven als Hauptproduzenten der Mehrarbeit ablösten; viele Eigentümer an Grund und Boden zu Besitzern wurden; die wenigen verbliebenen großen Eigentümer statt in der Stadt sich am Lande niederließen; in der villa rustica und in großen, aber selbstgenügsamen fundi Produktionseinheiten schufen und so der Warenproduktion der Städte den Markt entzogen. Dieser Prozess der sozialen Umwandlung der antiken Welt war bereits irreversibel im Gange, als Alarich, Odoaker oder Theoderich auf den Plan traten. Ja, bereits unter Diokletian, Ende des 3. Jahrhunderts, sehen wir die Warenwelt der Antike erodieren:
„Wie die Staatsfinanzen versucht Diocletian auch die Währung zu konsolidieren. Im 3. Jh. sind Goldmünzen praktisch ganz aus dem Verke...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titelblatt
  3. Urheberrechte
  4. Inhalt
  5. VORWORT
  6. DER INPUT DES SOZIALISTISCHEN EIGENTUMS
  7. DER INPUT DES BÄUERLICHEN EIGENTUMS
  8. DUALÖKONOMIE DER 1920ER–1930ER JAHRE
  9. PREISPOLITIK UND DUALE ÖKONOMIE
  10. DIALEKTIK DER DUALEN ÖKONOMIE
  11. ANHANG