Irren ist menschlich Kapitel 8
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Irren ist menschlich Kapitel 8

Der sich und Andere versuchende Mensch (Abhängigkeit)

  1. 85 Seiten
  2. German
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Irren ist menschlich Kapitel 8

Der sich und Andere versuchende Mensch (Abhängigkeit)

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Über dieses Buch

Handliche Häppchen für kluge Köpfe!Kapitel 8: »Der sich und Andere versuchende Mensch (Abhängigkeit)« aus dem sozialpsychiatrischen Standardwerk »Irren ist menschlich« jetzt als preiswerter Einzelband!Das Lehrbuch »Irren ist menschlich« hat mit klaren Positionen die Versorgung psychisch erkrankter Menschen erneuert und geprägt. Die in ihm vertretene Position, dass es für das volle Verständnis von psychischen Beeinträchtigungen und Krankheiten auf die Haltung ankommt, mit der wir uns den Betroffenen und den Phänomenen nähern, hat die nachfolgenden Generationen geprägt.

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Information

ISBN
9783884149911
Auflage
1

8 Der sich und Andere versuchende Mensch (Abhängigkeit)

Andreas Heinz
Landschaft der Seelenkapitäne
Versuchte Nähe von außen (Diagnose)
Auffällige Unauffälligkeit
Begriffe der Abhängigkeit, Definitionen
Typen der Abhängigkeit
Alkoholabhängigkeit
Verlauf (nach Jellinek)
Körperliche Alkoholauswirkungen
Psychoorganische Alkoholauswirkungen
Perspektivische Ziele und Hilfsmittel
Medikamentenabhängigkeit
Stil-Besonderheiten der Medikamentenabhängigkeit
Problemmaskierung
Zugänge zur Welt des medikamentenabhängigen Menschen
Definition, Einteilung, Verlauf
Typen der Medikamentenabhängigkeit
Schlafmittel
Tranquilizer (Ataraktika)
Schmerzmittel (Analgetika)
Aufputschmittel (Psychostimulanzien, -analeptika)
Betäubungsmittel (Morphintyp)
Rauschmittelabhängigkeit
Jugendliche Stil-Besonderheit
Definition, Einteilung, Verlauf
Typen der Rauschmittelabhängigkeit
Cannabis
Halluzinogene (Psychotomimetika, psychedelische Drogen)
Andere Drogen als Rauschmittel
Nikotinabhängigkeit
Versuchte Nähe von innen (Selbstdiagnose)
Selbstwahrnehmung
Wahrnehmungsvollständigkeit
Beziehungsnormalisierung
Was tun? – Beziehungen in Therapie und Selbsthilfe
Kontext – Angehörige
Ort der Handlung bei Abhängigkeit von Mitteln
Fachambulanz (Beratungs- und Behandlungsstelle)
Kurzfristig-stationäre Therapie
Mittelfristig-stationäre Therapie
Selbsthilfe
Spielregeln
Team und Gruppe
Alle Chancen des Zufalls
Vertrauen und Kontrolle
Selbst-Interesse
Team als Modell
Der Rückfall
Spielverlauf
Der Langzeitabhängige – Ersatzspiel ohne Ende
Berufsbezogene Schwerpunkte
Pflegeberufe
Sozialarbeiterin
Ergotherapeut
Ärztin bzw. Psychiater
Psychologe
Epidemiologie und Prävention
Verbreitung
Bedingungen
Bedeutung
Prävention

Landschaft der Seelenkapitäne

Sucht (= Krankheit) ist eine Gefährdung, in die man überwiegend bei der Lösung der typischen Aufgaben des Erwachsenenalters, also zwischen 25 und 45 Jahren, gerät. Auch sonst werden Sie überraschende Ähnlichkeiten mit der Depressivität feststellen, hier wie dort geht es um Wünsche und Sehnsüchte, mit denen wir scheitern können. Auch der süchtige Konsum von Drogen, Spielen und Beziehungen ist grundsätzlich eine positive wie negative Möglichkeit für jeden Menschen: Denn einerseits kennen wir alle den Wunsch nach Rausch, Trunkenheit, Ekstase, Exzess, Transzendenz, Maßlosigkeit und Identität, also das Sprengen der Grenzen unseres alltäglichen, erlaubten Lebens – am besten erfasst in dem Wort »Sehn-Sucht«; und andererseits lassen wir uns lebenslang auf Menschen, Rollen, Dinge, Institutionen, Umstände ein, suchen Halt in ihnen, formulieren uns in sie hinein, werden ein Teil davon, machen uns von ihnen abhängig. Beides kann sich verselbstständigen und uns und Andere zerstören. »Sucht« kommt aber nicht von dem Wort Sehnsucht, sondern von Siechen, das häufig am Ende der »Suchtkarriere« steht.
Wie sieht die Landschaft des süchtigen, abhängigen Weges aus? Heutzutage sind wir alle leicht zu der Ansicht zu verführen, dass alles Negative eigentlich nicht zu unserem Leben gehört. Schmerz, Schlaflosigkeit, Angst, Leiden, Unberechenbares, Unerwartetes sehen wir als überflüssige Umwege, die wir heute wegorganisieren können. Dafür gibt es technische Mittel. Täler und Tiefen der Landschaft sind zu planieren, da wir Anspruch darauf haben, die Gipfel und Höhen mühelos und ungetrübt zu genießen. Wir wollen ständig die »Kapitäne unserer Seele« sein, worin BATESON (1983) zugleich den größten Irrtum des Abendlandes und das Geheimnis der Suchtdynamik sieht. Nur das Positive zählt, das Negative wird weggemacht. Rationalisierung und Automation erlauben höhere Leistung mit weniger körperlicher Anstrengung. Gleichzeitig kann man »sein wie die Anderen« (Anpassung, Sicherheit) und »besser sein als die Anderen« (Freiheit, Unabhängigkeit). Träume, Wünsche, Möglichkeiten sind nicht mehr jenseitig. Die Landschaft ist nach unseren, meinen Wünschen restlos anzueignen.
Natürlich erkennen Sie den Unsinn dessen, was Sie gerade gelesen haben. Positives ist ohne Negatives nicht zu haben. Keine Selbst- ohne Weltverwirklichung. Entwickeln können wir uns weitgehend über die Bearbeitung von Negativem. Das wusste schon Hegel. Die begradigten Umwege lassen das Gehen des Weges verarmen und fördern Verkehrsunfälle. Die planierten Täler nehmen den Genuss an den Gipfeln. Automation erhöht den Stress für die Arbeitenden und die Arbeitslosen. Man kann nicht gleichzeitig gleich und besser sein. Träume und Wünsche werden schal, wenn sie erfüllt werden. Nur wenn wir die Spannung zu ihnen aufrechterhalten, auf die Transzendenz zum Jenseits unserer Grenzen achten, können wir unsere Wirklichkeit anreichern. So hart, dann aber auch fruchtbar ist unser Verhältnis zum Jenseitigen, zum Absoluten.
Die Landschaft, die wir nicht nach ihren, sondern nur nach unseren Möglichkeiten manipulieren, verliert ihre Widerständigkeit uns gegenüber, kann uns nichts mehr geben, uns nicht mehr tragen, ist tot und macht uns leer. Wenn ich mich mit der berauschenden Droge oder dem unaufhörlichen Spiel vermeintlich von diesen Widrigkeiten unabhängig mache, verliere ich den Kontakt mit wesentlichen Bereichen des eigenen Lebens und Erlebens wie auch mit dem Leben der Anderen.
Nun ist der Suchtanteil in jedem von uns nicht bereit zu solchem »vernünftigen« Nachdenken, das schmerzhafte, armselige und einschränkende Kompromisse in Kauf nimmt. Das Sisyphus-Scheitern macht unserem Suchtanteil nichts aus. Er versucht es wieder und wieder. Er versucht sich und Andere, auch die Götter: Er entspricht der Figur des Prometheus, der den Göttern das Monopol des Feuers entriss, um die Menschen ihnen gleichzustellen. Bei diesem ewigen Versuch der Sehnsucht, sich Ausschließendes restlos zur Deckung zu bringen, entstehen Enttäuschungen und Verletzungen. Wir überdecken diese Verletzungen und plombieren die Lücken und Risse in der Fassade: mit Alkohol, Medikamenten oder Drogen. Je mehr ich ein Ziel verfolge, den ursprünglichen Rausch, den absoluten Sieg beim Glücksspiel, die früher greifbar nah erscheinende grenzenlose Freiheit veränderter Bewusstseinszustände, desto langweiliger werden die Mühen der Ebene, die alltäglichen Interaktionen, Enttäuschungen, Zurückweisungen. Und desto mehr sehne ich mich nach Drogenwirkung, dem großen Glück, der absoluten Freiheit, auch wenn ich einen immer höheren Preis für diese Suche zahle. Wer derart unbeugsam und stur sich und Andere versucht, geht einen gefährlichen Weg: Körperkrankheiten, sozialer Ruin, Suizid, Betriebsunfälle, Verkehrsunfälle und Straftaten können folgen.
Wann und wie kann man in einer »süchtigen Gesellschaft« (nach Erfolg, Wachstum, Gesundheit usw.) überhaupt von einer Sucht- bzw. Abhängigkeitserkrankung sprechen? Denn wir leben in sozialen Zuständen, in denen die grenzenlose Gier nach Wachstum, insbesondere nach Profitraten, für das wirtschaftliche Überleben unserer Gesellschaften unabdingbar zu sein scheint. Ohne Wirtschaftswachstum keine Aussicht auf zumindest ansatzweise Rückzahlung der sich immer höher türmenden Schulden – dann wandert das Kapital ab, Investitionen bleiben aus und die Arbeitslosigkeit nimmt zu –, koste es, was es wolle, ob es der Klimawandel ist oder die zunehmende Ungleichheit zwischen den Armen und Reichen in allen Teilen der Welt. Wenn aber alle irgendwie süchtig sind, verliert der Krankheitsbegriff der »Sucht« seine Schutzfunktion für die Betroffenen. Und ist es wirklich angemessen, aufgrund oberflächlicher Ähnlichkeiten den alkoholabhängigen Patienten im Delir mit dem habgierigen Menschen zu vergleichen, der um den Preis der eigenen wirtschaftlichen Existenz immer höhere Gewinne erzielen muss?
Ein Problem hier ist, dass sich die Diskussion um die Suchterkrankungen in den letzten zehn Jahren wieder stark in Richtung des englischen Begriffs »addiction« verschoben hat. Demnach beginnt eine Suchterkrankung durch impulsives, auf kurzfristige Belohnung setzendes Verhalten, das die langfristig schädlichen Folgen des Drogenkonsums oder des exzessiven Glücksspielens negiert. Mit zunehmender Wiederholung der immergleichen Handlungen oder des Drogenkonsums komme es dann zur Gewöhnung, die schließlich in einen »Zwang« zum Drogenkonsum mündet. Vernachlässigt wird mit dieser Definition der Aspekt der Entzugssymptomatik, der von EDWARDS (1990) ins Zentrum des Begriffs der substanzgebundenen Abhängigkeitserkrankungen gerückt wurde – und zwar gerade deshalb, weil Edwards den Begriff der »Sucht« bzw. »addiction« als stigmatisierend empfand.
In der Tat erinnern die modernen Konzepte der Impulsivität fatal an ältere stigmatisierende Konzepte der »Haltlosigkeit« und »Willensschwäche«, mit denen suchtkranke Menschen über viele Jahrzehnte herabgesetzt wurden. Dabei korreliert Impulsivität vor allem mit einem: dem sozialen Status. Wer viel Geld hat, kann es sich leisten, langfristige Planungen durchzuhalten und z. B. auf eine kurzfristige Gewinnmöglichkeit zugunsten einer späteren, weitaus höheren Gewinnauszahlung zu verzichten (so der Versuchsaufbau eines zentralen Paradigmas zur Erfassung der Impulsivität). Impulsivität wird so zum Etikett für eine Vielzahl gesellschaftlich unli...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
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  5. Impressum
  6. Inhalt
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  8. 8 Der sich und Andere versuchende Mensch (Abhängigkeit)