Nietzsche, das ›Barbarische‹ und die ›Rasse‹
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Dem 'Barbarischen' sowie damit verbunden der 'Rasse' kommt zweifellos die Stellung von Grundbegriffen in Friedrich Nietzsches Denken zu, auf die er immer wieder zurückgreift. Seine Texte zeigen allerdings, dass diese Begriffe von schwankender Bedeutung und somit deutlich vielschichtiger sind, als es auf den ersten Blick scheinen mag: Überwiegt in den frühen und mittleren Werken etwa noch ein vergleichsweise konventionelles Konzept des 'Barbarischen', dem zufolge 'Barbarei' als Gegensatz der Zivilisation bestimmt wird und einen Mangel an kultureller, intellektueller sowie ästhetischer Bildung bedeutet, so erfährt das pejorative Konzept des 'Barbarischen' in Nietzsches späten Werken eine deutliche Kritik: Enthüllt wird dessen Geburt aus dem Geist einer 'Sklavenmoral', die die (kultur)schöpferische Kraft einer 'Herrenmoral' als gewalttätige 'Barbarbei' zu delegitimieren sucht. Ähnliche Verschiebungen und Verwerfungen lassen sich für Nietzsches Rede von der 'Rasse' beschreiben. Diesen spannungsreichen Konzeptualisierungen, die sich vereindeutigenden und/oder vereinnahmenden Rezeptionen entziehen, gehen die Beiträge des vorliegenden Bandes nach und bieten damit Orientierung auf einem bislang noch unterforschtem Feld.

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Information

Jahr
2021
ISBN
9783110734867

Nietzsches Begriff des Barbarischen: Von der Rhetorik zur Genealogie

Markus Winkler
Anmerkung: Die nachfolgenden Ausführungen basieren auf einem ursprünglich in englischer Sprache verfassten Buchkapitel; vgl. Winkler 2018b. Für die vorliegende deutsche Fassung wurde das Kapitel zum Teil umgearbeitet.

Abstract

Nietzsche’s Concept of Barbarism: From Rhetoric to Genealogy.
In Nietzsche’s writings of the early and middle period, a rather conventional and humanistic concept of barbarism prevails: ‚barbarism‘ is the opposite of ‚culture‘; it signals a lack of educational and aesthetic achievement, that is, a lack of unity and homogeneity on the levels of form and style. It is mainly in Nietzsche’s later writings, in particular Jenseits von Gut und Böse (Beyond Good and Evil) and Zur Genealogie der Moral (On the Genealogy of Morality), that the concept of barbarism undergoes a genealogical critique aiming at uncovering the concept’s emergence („Entstehung“) and provenance („Herkunft“). This critique tends to de-legitimize the concept insofar as the violence to which the concept refers proves to be the hidden foundation of culture and not culture’s opposite. What is labelled as ‚barbarian‘ is in fact the manifestation of creative aristocratic strength, namely the morality of the masters („Herrenmoral“). Thus the derogatory concept of barbarism turns out to be a manifestation of the violent inversion of the morality of the masters by the morality of the slaves („Sklavenmoral“). At times however, this de-legitimization of the concept gives way to its mythicizing vindication: Nietzsche uses it then to legitimize his postulate of a neo-aristocratic morality ‚beyond good and evil‘. Nietzsche’s genealogy of barbarism thus proves to be profoundly ambiguous. This ambiguity can be traced back to the interference of legitimization and de-legitimization which characterizes genealogies in the non-metaphorical sense, as mythical narratives of past origins.

1 Vorüberlegungen

Wie in der Einleitung zum vorliegenden Band erwähnt, nimmt der Begriff des Barbarischen in Nietzsches Kulturkritik eine wichtige Stellung ein: Eine Recherche in Nietzsche-Source führt auf mehr als 300 Belegen für das Lexem barbar-.1 Sie sind auf das Gesamtwerk verteilt und finden sich in den publizierten Schriften ebenso wie in den nachgelassenen Fragmenten. Die Stellung des Begriffs entspricht somit derjenigen des Dekadenz-Begriffs (208 Belegstellen), zu dem er eine komplexe semantische Beziehung hat. Dennoch wurde dem Begriff des Barbarischen in der Nietzsche-Forschung nicht annähernd so viel Aufmerksamkeit zuteil wie dem Begriff der Dekadenz und dem damit verwandten Begriff des Nihilismus (175 Belegstellen). Die Weimarer Nietzsche-Bibliographie führt 11 Artikel an, die unterschiedliche Aspekte von Nietzsches Begriff des Barbarischen behandeln; erschienen sind sie zwischen 2003 und 2018.2 Zu seinem Begriff der Dekadenz liegen hingegen um die 200 Forschungsarbeiten vor, die vom Beginn der Nietzsche-Forschung (1893) bis zur Gegenwart (2021) reichen.
Die Gründe für diese frappierende Diskrepanz sind vermutlich denen analog, die für das Fehlen einer umfassenden Begriffsgeschichte des Barbarischen geltend gemacht werden können.3 Zu nennen ist hier vor allem der problematische Status des Begriffs „barbarisch“, der darin besteht, dass seine Extension und seine Intension divergieren und dass er zugleich an das Lexem barbar-, das in allen europäischen Sprachen vorhanden ist, gebunden bleibt. Ein weiterer Grund ist in dem weitverbreiteten Eindruck zu suchen, dass der Begriff dennoch unentbehrlich ist, aber nicht für wissenschaftliche Aussagen, sondern für die politische Rhetorik: Dort dient er dazu, Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu kennzeichnen und den für solche Verbrechen Verantwortlichen die Zugehörigkeit zur Menschheit abzusprechen. Zum besseren Verständnis von Nietzsches Stellung in der Geschichte des Barbarenbegriffs seien beide Punkte zunächst kurz erläutert.
Die lange Geschichte des Begriffs „barbarisch“, die mit Homer beginnt, führt vor Augen, dass seine Extension, d. h. die Referenz des Begriffs, durch große Variabilität gekennzeichnet ist: Als ‚asymmetrischer Gegenbegriff‘ (Koselleck 1989) oder ‚Feindbegriff‘ (Koselleck 2006) wurde und wird das Lexem barbar- auf die unterschiedlichsten Ethnien, Bevölkerungsgruppen, Religionsgemeinschaften und Nationen angewandt. Die Intension des Begriffs hingegen, d. h. die Menge seiner Bedeutungsmerkmale (‚ausländisch‘‚ ‚unverständlich‘, ‚ungebildet‘, ‚unzivilisiert‘ ‚unmenschlich‘‚ ‚grausam‘ etc.), blieb konstant und löste sich nie vom Lexem barbar-; es diente immer als Instrument der Ausschließung. Die begriffsgeschichtliche Grundregel, der zufolge „[…] the persistence of […] expressions tells us nothing reliable at all about the persistence of the […] questions which the expressions may have been used to answer“ (Skinner 1969, S. 39), trifft auf den Begriff „barbarisch“ also nicht zu.4
Um diesen „erstaunlichen Befund“ (Koselleck 2006, S. 277) zu verstehen, muss man die Etymologie des Lexems bedenken:5 Das griechische Nomen und Adjektiv βάρβαρος (bárbaros) ist eine onomatopoetische Reduplikationsbildung, die unverständliches fremdes Gestammel oder tierähnliche Laute und dann den Fremden, dessen Sprache man nicht versteht, imitiert oder fingiert. Onomatopoetische Wörter sind bis zu einem gewissen Grade motivierte, daher aber auch opake (intransparente) Zeichen: Signifikant und Signifikat sind nicht klar zu trennen; es dominiert die Ausdrucksfunktion und Affektbezogenheit des jeweiligen Wortes (vgl. Bredin 1996, S. 557). Daraus ist zweierlei zu folgern: (1) Die Untrennbarkeit von Wort- und Begriffsgeschichte des Barbarischen geht auf die onomatopoetische Herkunft des Lexems barbar- zurück. (2) Wegen dieser Herkunft des Lexems barbar- kann der daran haftende Begriff nur scheinbar der Organisation und Vermittlung von Wissen dienen; das gilt auch für den von der aufklärerischen bis zur evolutionistischen Anthropologie reichenden Versuch, durch Verzeitlichung den asymmetrischen Gegenbegriff in einem wissenschaftlichen Begriff für ein Stadium der Menschheitsentwicklung, nämlich das zwischen Wildheit und Zivilisation vermittelnde, aufgehen zu lassen (vgl. dazu Moser 2018). Letztlich dominiert bis heute das semantische Merkmal des Unverständlichen, Tierähnlichen, Sub-Humanen und der damit verbundene Affekt der Ablehnung, der freilich in kulturellen Krisenzeiten in Faszination umschlagen kann. Die angsterfüllte Hoffnung auf das von Grund auf Neue konkretisiert sich dann in der Figur des ‚Wartens auf die Barbaren‘ (vgl. Boletsi 2013 und 2018).
„Barbarisch“ erweist sich also als ein Pseudo-Begriff, der nicht zum Instrument der Vermittlung von Wissen taugt und sich deshalb traditioneller begriffsgeschichtlicher Erforschung entzieht (vgl. Winkler 2018a, S. 1 – 4 und 23 – 32). Zugleich aber war und ist er als europäisches „Schlüsselwort“, „das andere Menschen schlagen und verletzen will“ (Borst 1988, S. 19), in der politischen Rhetorik erstaunlich präsent. Seine Effizienz scheint die Legitimität, ja Selbstverständlichkeit seiner Verwendung zu verbürgen (vgl. Winkler 2018a, S. 19 – 23). Das ist vermutlich einer der Gründe dafür, dass vereinzelte Ansätze zu seiner De-Legitimierung – einer dieser Ansätze findet sich bei Nietzsche, wie im Folgenden zu zeigen ist – bislang ohne nachhaltige Wirkung blieben. Festzuhalten ist jedenfalls, dass sich die rhetorische Effizienz des Schlagworts (nicht Begriffs) der traditionellen begriffsgeschichtlichen Forschung ebenso entzieht wie seine onomatopoetische Struktur. Beide sind miteinander verbunden: Zur Effizienz des Schlagworts trägt die Onomatopöie, die, wie dargelegt, ausdrucks- und affektbezogen ist, nicht wissensbezogen, wesentlich bei.
Es verwundert also nicht, dass die Forschung Nietzsches Verwendung des Barbarenbegriffs bislang weitgehend gemieden hat. Und es verwundert ebenfalls nicht, dass Nietzsche als Rhetoriker auf den Begriff – insbesondere auf seine Opposition zu „Bildung“, „Kultur“ etc. – nicht verzichtet, obwohl er, wie sich zeigen wird, als klassischer Philologe weiß, dass es sich in Wahrheit um ein gefährliches Schlagwort handelt.
Im Folgenden sollen zunächst einige aussagekräftige Variationen über die Opposition von Barbarei und Bildung (Kultur) in Nietzsches Schriften der frühen und mittleren Schaffenszeit analysiert werden. Dabei kommen strukturbezogene Aspekte ebenso zur Sprache wie begriffsgeschichtliche. Ein besonderer Akzent liegt auf Stellen, an denen Nietzsche, wenngleich zögerlich, jene Opposition in Frage stellt. Denn diese Stellen weisen vor...

Inhaltsverzeichnis

  1. Title Page
  2. Copyright
  3. Contents
  4. Siglenverzeichnis
  5. Das ‚Barbarische‘, die ‚Rasse‘ und Nietzsche: Zur Einführung
  6. Nietzsches Begriff des Barbarischen: Von der Rhetorik zur Genealogie
  7. Das archaisch-griechische Modell für Nietzsches Verständnis von ‚Rasse‘ und ‚Barbarei‘
  8. Bestiarium des Barbaren: Nietzsches Raub-, Sklaven- und Haustiere im Lichte der Antike
  9. „Barbarische Avantagen“. Verhältnisse von Kunst und Barbarei in Abschnitt 223 von Menschliches Allzumenschliches I
  10. Wild auf Arbeit: Nietzsches Palliative gegen die Ansteckung des alten Europa durch „das eigentliche Laster der neuen Welt“
  11. „Rückkehr zur Natur“: Nietzsches Transformation eines primitivistischen Topos im Ausgang von Rousseau
  12. Arbeit am ‚arischen Mythos‘: die sprachhistorisch-vergleichende Komponente in Genealogie der Moral I 5
  13. Nietzsches kulturschöpferische Barbaren: Beobachtungen zu blonden und anderen Bestien in Genealogie der Moral I 11, nebst einer unwissenschaftlichen Nachschrift
  14. Nietzsches Vorstellungen von Reinheit der Rasse
  15. „Nicht nur fort sollst du dich pflanzen, sondern hinauf!“ Nietzsche und die Rassenhygiene
  16. Die ‚Entnazifizierung‘ von Nietzsche bei Georges Bataille und Thomas Mann: Anmerkungen zu „Wiedergutmachung an Nietzsche“ („Réparation à Nietzsche“) und „Nietzsches Philosophie im Lichte unserer Erfahrung“
  17. „I forgot how hilarious Nietzsche is“: ‚Politischer‘ Nietzsche bei der internationalen ‚Neuen Rechten‘ als Figuration des ‚Unpolitischen‘ bei Thomas Mann
  18. Namenregister
  19. Sachregister