Paradais
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Paradais

  1. 144 Seiten
  2. German
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Über dieses Buch

Am Rand des Paradieses ist das Wasser schlammgrün. Jede Nacht sitzen sie unten am Fluss und trinken bis zur Besinnungslosigkeit: der übergewichtige blonde Franco, der in der Luxus-Anlage Paradise wohnt, und der sechzehnjährige Polo, der dort als Gärtner arbeitet. Doch Franco ist kein Freund, er braucht Polo nur, um seine grotesken sexuellen Phantasien auszubreiten. Die drehen sich obsessiv um eine einzige Frau: die unerreichbare Nachbarin Señora Marián. Polo bleibt trotzdem sitzen und säuft: um die Plackerei, die Herabwürdigungen zu ertragen, um nicht zurück ins Dorf zu müssen, wo alle für die Drogenmafia arbeiten – und ihn seine schwangere Cousine und die Vorwürfe seiner Mutter erwarten. Die Nachbarin wolle ihn verführen, sagt der Dicke, er müsse mit ihr schlafen, notfalls mit Gewalt. Polo hält das für lächerliche Hirngespinste, aber allmählich wird er vom stummen Saufkumpan zum Komplizen. Und wittert seine Chance auf den großen Ausbruch?…Mit unheimlicher Wucht erzählt Fernanda Melchor, wie aus Begehren etwas Finsteres, Aggressives, Lebensgefährliches entsteht. Ein hochexplosives Gemisch aus unüberbrückbaren Klassenunterschieden, Frustration und Frauenhass durchdringt "Paradais" in jedem Satz – bis in die letzte Ritze, bis zum irrwitzig flackernden Ende.

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Information

Jahr
2021
ISBN
9783803143167
DER DICKE war an allem schuld, das würde er ihnen sagen. An allem war Franco Andrade schuld, mit seiner Versessenheit auf Señora Marián. Polo hatte nur getan, was der Dicke ihm gesagt hatte, seine Befehle ausgeführt. So verrückt war der nach der Frau, Polo hatte das Gefühl, der Typ redete seit Wochen von nichts anderem, als dass er sie um jeden Preis vögeln wollte; ohne Ende dieselbe Leier, wie eine gesprungene Schallplatte, und wie er dabei vor sich hin stierte, die Augen blutunterlaufen vom Alkohol, Käsepulver an den Fingern, die das Schwein erst sauber schleckte, wenn er die ganze Megatüte Chips in sich hineingemampft hatte. So fick ich die, stammelte er, nachdem er sich am Rand des Stegs schwankend aufgerichtet hatte; erst pack ich sie so, dann dreh ich sie auf den Bauch und bumse sie richtig von hinten durch, dabei wischte er sich mit dem Handrücken den Sabber vom Mund und bleckte grinsend seine großen Zähne, die so weiß und schön gerade waren wie in der Zahnpastawerbung und die er wütend zusammenbiss, während sein wabbeliger Körper eine unbeholfene Sex-Pantomime aufführte und Polo lustlos grinsend wegschaute und einen großen Schluck aus der Flasche nahm, solange der Dicke abgelenkt war, sich eine neue Zigarette anzündete und den Rauch in die Höhe blies, um die Killermoskitos der Mangroven zu verscheuchen. Bloß Gelaber, was der Dicke da von sich gab, dachte Polo, reiner Schwachsinn, besoffenes Geschwätz – zumindest hatte er das anfangs geglaubt, bei ihren ersten Besäufnissen hinten im Dunkeln auf dem kleinen Bootssteg, der parallel zum Fluss verlief, wo die Terrassenbeleuchtung nicht hinreichte und die Schatten der Zweige des Amatebaums sie vor den Blicken des Nachtwächters und der Bewohner der Anlage schützten, vor allem vor Francos Großeltern, die, so der Dicke, einen Herzinfarkt kriegen würden, wenn sie ihren Kleinen beim Trinken und Rauchen und sonst was erwischen würden, und noch dazu mit einem vom Personal, wie der dämliche Urquiza die Angestellten der bewachten Wohnanlage nannte – und dann auch noch mit dem Gärtner; ein Riesenskandal wäre das, ein absoluter Vertrauensmissbrauch, der Polo seinen Job kosten würde, was ihm im Grunde ziemlich egal war, er hätte nichts dagegen gehabt, für immer aus dieser Scheißanlage abzuhauen, müsste er das nicht früher oder später zu Hause seiner Mutter verklickern, die ihm die Hölle heißmachen würde, doch obwohl diese Aussicht alles andere als rosig war – wenn nicht sogar ziemlich entsetzlich –, kam Polo einfach nicht dagegen an. Er konnte nicht nein sagen, wenn der Fettsack ihm vom Fenster aus Zeichen machte; das Saufen am Steg war seine Rettung, auch wenn der Trottel ihm schrecklich auf den Sack ging, auch wenn er sein pausenloses Gesülze nicht mehr ertrug, den Schwachsinn mit der Nachbarin, von der er so besessen war, in die der Dicke sich an einem Nachmittag Ende Mai auf den ersten Blick hoffnungslos verliebt hatte, als die Maroños in ihrem weißen Grand Cherokee, am Steuer Señora Marián, in die Wohnanlage Paradais gefahren kamen, um die Schlüssel zu ihrem neuen Heim in Empfang zu nehmen.
Polo erinnerte sich noch gut an den Tag; er hatte sich gerade darüber amüsiert, dass die Frau am Steuer und der Mann auf dem Beifahrersitz saß, als surrend die Fensterscheibe herunterglitt und ihm aus dem Innern ein Hauch eiskalter Luft ins verschwitzte Gesicht blies. Die Frau trug eine große Sonnenbrille, in der Polo sein eigenes Spiegelbild sah, während sie ihm erklärte, wer sie waren und was sie hier wollten, ihr Mund knallrot geschminkt, an den nackten Armen silberne Armreifen, die wie ein Windspiel klimperten, als Polo schließlich die Schranke öffnete und sie ihm dankend zuwinkte. Eine x-beliebige Frau, sie hatte ihn nie besonders beeindruckt. Kein Unterschied zu den anderen Damen, die in den weißen Villen mit den falschen Ziegeldächern der Anlage wohnten: immer mit Sonnenbrille, immer frisch wie der blühende Tag hinter den verdunkelten Scheiben ihrer dicken Autos, die Haare getönt und geglättet, die Nägel lackiert, aber aus der Nähe keine große Sache, ehrlich, jedenfalls kein Grund, so völlig durchzudrehen wie der Dicke, ganz bestimmt nicht. Sie kannten sie garantiert von Fotos, ihr Mann war berühmt, er hatte eine Sendung im Fernsehen, die vier waren ständig in der Klatschpresse zu sehen: er untersetzt und glatzköpfig, immer in Sakko und langärmeligem Hemd, egal, wie heiß es war, die beiden Jungs geschniegelt und gebügelt und sie, die alle Blicke auf sich zog, mit ihren roten Lippen und den funkelnden Augen, die einen heimlich anzulächeln schienen, halb amüsiert, halb boshaft, unter kokett verschwörerisch hochgezogenen Augenbrauen, größer als ihr Mann mit ihren Plateauabsätzen, eine Hand in die Hüfte gestemmt, das schulterlange Haar offen, den Hals mit auffälligen Ketten behängt. Auffällig, das war das Wort, das sie am besten beschrieb: Sie war weniger hübsch als auffällig, sie war wie dafür gemacht, ins Auge zu stechen, mit ihren im Fitnessstudio getrimmten Kurven, ihren bis knapp unter den Po entblößten Beinen in Seiden-Miniröcken oder hellen Leinenshorts, die mit dem matten Schimmer ihrer stets gebräunten Haut kontrastierten. Einen netten Hintern hatte sie, das musste man zugeben, einen ziemlich akzeptablen Hintern, der dank teurer Cremes und Stoffe immer noch erfolgreich die Kilometer kaschierte, die er schon draufhatte, die Falten und Verwüstungen, die zwei Geburten angerichtet haben mochten – ihr älterer Sohn war schon ein Teenager –, und den sie bei jedem Schritt präzise wie ein Metronom hin und her schwenkte, ob auf Absätzen oder in Sandalen oder barfuß auf dem Rasen, sodass die halbe Anlage sich nach ihr umdrehte, wenn sie vorbeiging. Und genau das wollte sie ja, oder etwa nicht? Dass man ihr voller Lust und Geilheit nachstarrte, dass einem versaute Gedanken kamen. Es war offensichtlich, dass sie das toll fand, und ihr glatzköpfiger Mann genauso; immer wenn Polo die beiden zusammen sah, berührte sie der Typ gerade, entweder umfasste er ihre Taille oder tätschelte ihr den Rücken oder strich ihr über eine Pobacke, mit dem Stolz des Besitzers, der sein Revier markiert oder sein Preisvieh vorführt, während sie einfach nur lächelte und sich über die Huldigungen freute, und genau deshalb unterdrückte Polo immer den Impuls, sie anzuschauen, zwang sich, die instinktive Anspannung seines Nackens zu kontrollieren, den fast mechanischen Ruck, mit dem sein Kopf sich drehen wollte, um diesen schaukelnden Arsch zu verfolgen, den sie fröhlich und zufrieden über die Straßen der Anlage spazieren führte, weil er nicht wollte, dass irgendjemand – weder sie noch ihr Mann noch ihre Söhne oder der Idiot von Urquiza, vor allem aber nicht sie, die verdammte Tusse – ihn dabei ertappte, wie er sie taxierte, sie mit zusammengekniffenen Augen geil anstarrte, mit offenem Mund nach ihr lechzend wie der Fettsack, wenn er sie von Weitem beobachtete. Es war so unübersehbar, dass er verrückt nach ihr war, er konnte es gar nicht verbergen, sogar Polo hatte es irgendwann kapiert, obwohl er damals, als es anfing, als die Maroños Ende Mai im Haus Nummer 7 einzogen, noch gar nichts mit Franco Andrade zu tun hatte; die Party dieses verzogenen Pissers Micky war noch nicht mal angekündigt gewesen, und sie hatten nie auch nur ein Wort miteinander gewechselt. Allerdings war es wirklich unmöglich, den Dicken zu übersehen, wenn er allein und ziellos über die gepflasterten Straßen von Paradais schlenderte, mit seinem mächtigen Bauch und seinem geröteten, von Eiterpickeln übersäten Gesicht und diesen lächerlichen blonden Löckchen, die ihn aussehen ließen wie einen übergewichtigen Engel; ein Riesenpummel, dessen ausdrucksloser Blick nur zum Leben erweckt wurde, wenn er Señora Maroño vor sich hatte, der er seit ihrem Umzug auflauerte. Man musste schon blind oder völlig bescheuert sein, um nicht zu merken, welche verzweifelten Bemühungen der Fettsack unternahm, um sich ihr zu nähern; jedes Mal, wenn sie in ihren Vorgarten trat, um mit ihren Söhnen herumzutollen, in engen Lycra-Shorts und einem bauchfreien Fitnesstop, das irgendwann an ihrer Haut klebte, weil sie sich mit den Jungs lachend um den wasserspritzenden Gartenschlauch stritt, kam der blonde Fettsack aus seinem Haus herausgerannt und tat so, als müsse er das Auto seiner Großeltern waschen, worum er sich immer gedrückt hatte, was er jetzt aber machte, ohne dass die Alten es ihm wie sonst laut schreiend befehlen mussten, unter der Androhung, ihm andernfalls Computer oder Telefon wegzunehmen. Und was für ein Zufall, dass auch jedes Mal, wenn die Señora sich im Bikini zum Sonnen an den Pool legte, drei Minuten später das Elefantenjunge auftauchte, in einer viel zu knappen Badehose, einem zeltartigen T-Shirt, das die Fettrollen seines Bauchs kaschieren sollte, und auf der Nase eine Sonnenbrille, durch die er auf den mit Sonnenöl eingeriebenen Körper seiner Nachbarin stierte, die sich zwei Liegen weiter ausgestreckt hatte und den lüsternen Seufzern des Jungen so wenig Beachtung schenkte wie seinem gelegentlichen Herumgefummel, mit dem er sich linkisch bemühte, seinen Steifen zu verbergen. Doch besonders lächerlich waren seine wiederholten Versuche, mit den beiden Sprösslingen der Señora Freundschaft zu schließen, dem langen, dünnen Andrés und dem verzogenen Weichei von Miguel, in der Anlage besser bekannt als Andy und Micky, so hatten die Maroños sie aus einer Kitschlaune heraus selbst getauft, weiß der Himmel warum, denn von Amis hatten die beiden herzlich wenig, eine völlig hirnverbrannte Idee, aber noch jämmerlicher war der Dicke, wenn er beim Spielen auf dem Rasen ihre Namen rief, während er wie ein Büffel dem Ball hinterherschnaufte, den Andy ihm mit einer Finte durch die Beine schob, oder sich kriecherisch Mickys Launen unterwarf, um mit einer Einladung zum Nachmittagskakao bei den Nachbarn belohnt zu werden und sich dort eine kleine Weile am Anblick seiner Traumfrau zu ergötzen, Hauptdarstellerin seiner schlüpfrigsten sexuellen Fantasien, Herrscherin über den zähflüssigen Schwall, den der Wichser Nacht für Nacht aus sich herauspresste, manchmal bis ins Morgengrauen hinein, während er an ihre sinnlichen Lippen dachte, ihren prallen Hintern, ihre üppigen Brüste, weil er so unglaublich auf diese Frau stand, dass er nicht schlafen konnte, sie derart inbrünstig begehrte, seit er sie das erste Mal aus ihrem weißen Jeep hatte steigen sehen, jeder Gedanke an sie prickelnd wie der Champagner, mit dem seine Großeltern aufs neue Jahr anstießen und den der Dicke heimlich auch schlürfte, wenn die Alten einen sitzen hatten; bei ihrem Anblick erfasste ihn ein Schwindel, und wenn sie nicht da war, stürzte er in einen Abgrund aus Angst und Leere, ein tiefer Spalt tat sich in seiner Seele auf, wenn er das Haus der Maroños abends verlassen musste, weil Señor Maroño von der Arbeit kam und die Jungen duschen und ihre Hausaufgaben fertigmachen mussten und Señora Maroño ihn besonders nett und freundlich bat, zu gehen, es sei doch schon spät, und seine Großeltern fragten sich sicherlich, wo er denn bleibe, und mit einem spielerischen Klaps auf den Rücken begleitete sie ihn lächelnd zur Tür, sodass dem Dicken nichts anderes übrigblieb, als mit eingezogenem Schwanz nach Hause zu gehen, den Duft der Señora – ihm zufolge eine Mischung aus Carolina Herrera, Mentholzigaretten und der säuerlichen Note der Schweißperlen in ihrem Dekolleté – noch in der Nase, und vergeblich zu versuchen, die wachsende Leere mit Reality-TV und derben Zeichentrickserien zu füllen, die seine Großeltern missbilligten, sowie haufenweise Keksen und Fertigküchlein und riesigen Schalen Choco Krispies mit Milch, um dann nach oben in sein klimatisiertes Zimmer zu flüchten, sich aufs Bett zu werfen und sich ungestört Pornos auf dem neuen Laptop anzusehen, den die Alten ihm zu seinem letzten Geburtstag geschenkt hatten und dessen Speicher schon fast voll war mit schweinischen Videos, die Franco aus Foren und von einschlägigen Seiten herunterlud, mit Bildern von Titten, Mösen und Ärschen, die ihn inzwischen selbst schon etwas abstießen, auf die er aber trotzdem aus reiner Gewohnheit stundenlang starrte. Was sollte er denn sonst tun gegen dieses juckende Glühen, das in ihm brannte, ihn schier zum Verzweifeln brachte?
Denn etwas Komisches ging in dem Dicken vor, seit Señora Marián in sein Leben getreten war: Alle Pornos kamen ihm plötzlich künstlich vor, ein grotesker Scheiß; die Beine spreizenden Tussen, die Kerle, die es ihnen besorgten, alle aufgespritzt, lustlos in ihrem Gehabe, im Grunde total enttäuschend und sinnlos. Diese kleine Braune mit dem kurzen Haar zum Beispiel, die Franco monatelang so rattenscharf gefunden, inbrünstig verehrt hatte, weil sie angeblich auf jungfräuliche Teenager stand, wirkte auf ihn jetzt wie eine x-beliebige Schlampe aus einem Fixerloch, viel zu jung, um überzeugend den Puma zu spielen, und ohne jede Spur von der Grazie und Klasse, die Señora Marián noch bei den belanglosesten Tätigkeiten ausstrahlte: allein ihr Anblick, wenn sie an die Küchentheke gelehnt mit einer Freundin telefonierte, eine Zigarette zwischen den ausgestreckten Fingern, und dabei den nackten Fuß an der glatten, ach so glatten Haut ihres wohlgeformten anderen Knöchels rieb. Keine der Poserinnen, die Franco mit jugendlicher Leidenschaft bis zum Wahnsinn begehrt hatte, konnte ihr das Wasser reichen; keine einzige aus der langen Liste von Pornodarstellerinnen, auf die der Dicke abgefahren war, seit seine Großeltern Internet im Haus hatten installieren lassen, als er elf war; nicht mal die allererste, die reife Blonde mit den himmelblauen Augen, die mit wippenden rosigen Brüsten kreischte und lachte, während eine Bande finster aussehender Typen gleichzeitig über sie herfiel. Wie oft hatte Franco sich zu Ehren dieser Schlampe frenetisch einen runtergeholt und wie abstoßend kam sie ihm vor, wenn er diese Videos jetzt wieder anschaute, die ältesten auf seinem Computer gespeicherten, eine abgetakelte Hexe, mit ihren schlechten Zähnen und der bleichen Haut, die von grünen Adern durchzogen war wie die eines Salamanders. Kein Vergleich zu dem goldenen Teint von Señora Marián, wenn sie bäuchlings neben dem Pool in der Sonne lag, die Bänder ihres Bikinioberteils offen, damit sie keine weißen Abdrücke auf ihrem göttlichen Rücken hinterließen, ihr saftiger Hintern auf der Höhe von Francos Augen, so unglaublich wirklich und nah, dass er nur an den Rand des Pools hätte schwimmen und eine Hand hätte ausstrecken müssen, um ihn zu betasten wie einen straffen reifen Pfirsich; ein absolut perfekter Hintern, der alle anderen Hintern der Welt in den Schatten stellte und der irgendwann, irgendwie, ihm gehören würde, ihm ganz allein, und dann würde er mit seinen Händen über ihn streichen, ihn kneifen und hineinbeißen und mit seiner Zunge lecken und nicht aufhören, bis sie erschrocken, aber schluchzend vor Lust seinen Namen stöhnen würde, Franco, Franco, sein Schwanz tief drin in ihrer Möse, Franco, ihn anflehen würde, sie härter ranzunehmen, härter, papacito, fester, und dann würde er sie zum Orgasmus bringen, einem multiplen Orgasmus, wie sie ihn noch nicht gehabt hatte, er würde auf ihr abspritzen, sein heißes Sperma überall, und dann würde er ihn ihr wieder reinstecken, die ganze Nacht lang ging das so in seinem verkorksten Kopf, ohne Pause, auch tagsüber, wenn seine Großeltern am Wochenende in den Country Club gingen und der Dicke sich ungestört in seinem Zimmer einschließen konnte, wo er mit Kopfhörern Pornos schaute und sich die dutzendfach abgefingerten Videos mit Szenen aus seiner eigenen Imagination überlagerten, das Gesicht von Señora Marián über die vulgären Züge der Pornoschauspielerinnen legte, in der Hand seinen steifen Schwanz, die Hose bis zu den Knien heruntergeschoben, ein ums andere Mal ihren Namen flüsterte, sie mit wippenden Leisten, geschlossenen Lidern und zusammengepressten Zähnen heraufbeschwor, die Distanz zwischen ihnen überwand wie ein Gespenst, das den Fleischberg auf dem Bett zurückließ und schwerelos durch sein Zimmerfenster und die Wände des Nachbarhauses glitt, sie überall suchte und schließlich fand: im Wohnzimmer neben ihrem Mann auf dem Sofa, die beiden Söhne dazwischen, Kissen im Rücken, der Kopf des Kleineren an Señora Mariáns göttliche Brüste gelehnt, die durch das dünne Nachthemd schimmern, die Lippen des schläfrigen Jungen ganz nah an der Brustwarze, die sich durch den Stoff abdrückt, ein zarter dunkler Knopf, der unter Francos unsichtbaren Fingern hart wird, erst schüchterne, dann immer festere Berührungen, als er sie aufseufzen hört, sie auf ihrem Platz herumrückt, erregt von seinem Tasten, dem Kitzel, der plötzlich heftiger wird, feuchter, ein ektoplasmischer Mund, der gierig saugt und beißt und ihr ein unfreiwilliges Stöhnen entlockt. Was ist das?, wird sie sich fragen, warum ist sie plötzlich ganz feucht? Warum pocht diese ungekannte Lust in ihr, wo sie doch einfach nur auf dem Sofa sitzt und mit ihrem Mann und den Söhnen eine Castingshow guckt? Und was zum Teufel ist diese übermächtige Gewalt, die ihre Oberschenkel auseinanderschiebt und die so himmlisch brutal in sie eindringt, gegen die sie sich wehrt, sich windet, bis sie in einem erstickten Höhepunkt explodiert, zu den verdutzten Mienen ihres Mannes und ihrer Söhne? Francos Schwanz pulsierte, zuckte, und aus der Spitze quoll ein milchiges Rinnsal, benetzte seine tauben Finger, die plötzlich nicht mehr Señora Mariáns enger Schlitz oder ihr praller Hintern waren, sondern einfach nur noch seine dicken, fettigen, vom Käsepulver verschmierten Finger; ungeduldige Finger, die schon bald wieder in seine Hose wandern würden und mit dem zwanghaften Gezerre weitermachten, und dieses Mal stellte er sich vor, dass er allein mit ihr war, im Schlafzimmer der Maroños, sie sitzt am Rand des Bettes, Franco steht mit gesenktem Kopf vor ihr, die Hände in den Hosentaschen, gerade hat er ihr sein Geheimnis gestanden: seine Sehnsucht, seine Angst, seine Scham, es ihr zu sagen, das Gefühl, sterben zu müssen, wenn er sein Verlangen nicht bald stillen könne, und Señora Marián nickt verständnisvoll und streckt ihre zierliche Hand aus, um durch die Bermuda sanft sein Glied zu betasten. Mach dir keine Sorgen, sagt sie und reibt seinen steifen Schwanz, der den Stoff ausbeult. Sie könne gut verstehen, was Franco durchmache, mit so einem Ungetüm in der Hose, ein so langer, so harter Schwanz müsse eben regelmäßig gemolken werden, erklärt sie ihm in dem nachsichtigen Tonfall, mit dem sie sonst die Trotzanfälle ihrer Söhne beschwichtigt. Es sei richtig gewesen, dass er sich ihr anvertraut habe, er solle nur jedes Mal zu ihr kommen, wenn es ihm so gehe, sie sei immer für ihn da, und mit ihren zarten Fingern löst sie seinen Gürtel, zieht seine Hose herunter, umschließt sein Glied zärtlich von der Wurzel bis zur Spitze mit ihren rot lackierten Fingern und macht sich daran, ihm eifrig und lustvoll einen herunterzuholen, während Franco mit zusammengebissenen Zähnen und zuckenden Hüften vor ihr steht und schließlich ihr lächelndes Gesicht bespritzt, ihre halb geöffneten blutroten Lippen: So ging es stundenlang, eine Fantasie nach der anderen – er überraschte sie nackt im Pool oder an Händen und Füßen gefesselt auf dem Küchenboden, oder sie kam gerade mit harten Brustwarzen und feuchtem Schamhaar aus der Dusche, bis seine Harnröhre so brannte, dass er aufhören musste und irgendwann einfach einschlief, die Beklemmung vorübergehend aus dem Körper gewichst, zumindest bis zum nächsten Morgen, wenn er, kaum hatte er die Augen aufgeschlagen, als Erstes zum Fenster lief, um die Nachbarin zu überraschen, wenn sie im Sport-Outfit das Haus verließ und ins Auto stieg, um ihre uniformierten, geschniegelten und sichtlich schlechtgelaunten Söhne in die Schule zu bringen und danach ins Fitnessstudio oder in den Schönheitssalon zu gehen, wo sie tat, was Frauen eben so tun, wobei der Dicke sie liebend gern beobachtet hätte, aus nächster Nähe, wenn er sie nur hätte begleiten dürfen oder andernfalls mit einem Auto verfolgen können wie in einem Agentenfilm.
Aber keine Chance, seine Großeltern hätten ihm nie einfach so den Wagen überlassen, obwohl er einen Führerschein hatte, und überhaupt, sein Vater hatte ihm das Fahren beigebracht, als er noch ein kleiner Junge war. Dummerweise nahmen es ihm die Alten immer noch übel, dass er von der Schule geflogen war, sie hatten sogar die Ferien in Italien gestrichen, die seine Großmutter seit Monaten organisierte, und wollten ihn jetzt stattdessen auf eine schreckliche Militärakademie in Puebla schicken, die versprach, den Dicken in weniger als einem halben Jahr auf Linie zu bringen. Sie erlaubten ihm auch nicht, auf Partys zu gehen, und machten keinen Peso Taschengeld locker, aber der Dicke schaffte es auch so, an Kohle zu kommen, er nahm sich einfach die Brieftasche seines Großvaters vor, sobald der nicht aufpasste, oder er bediente sich in der mit Samt bezogenen Schmuckschatulle seiner Großmutter, die dann die ständig wechselnden Dienstmädchen beschuldigte – keine ertrug die bärbeißige Alte besonders lange –, weil sie plötzlich kleine Schmuckstücke, Goldkettchen oder geschmacklose Ohrringe vermisste, die ihr irgendeine arme Verwandte geschenkt hatte und die sie nie trug und deren Verschwinden sie erst Monate später überhaupt bemerkte, wenn der Dicke sie schon längst heimlich im Pfandhaus in der Shopping Mall verscherbelt hatte, wo die Familie sonntags zu Mittag aß; echt lausige kleine Diebstähle, mit denen der Dicke sich brüstete, als hätte er eine Bank ausgeraubt, vielleicht wollte er Polo beeindrucken und ihn glauben machen, dieser Franco Andrade sei ja eigentlich ein krasser Typ, der es mit allen aufnehmen konnte, einer von den ganz Harten, ein furchteinflößender Rebell, der sich einen Dreck um Gesetze und gute Sitten scherte, doch für Polo war der Dicke nichts weiter als ein bescheuerter Wichser, ein Waschlappen, ein verzogenes Muttersöhnchen, das den lieben langen Tag nichts anderes tat, als sich in seinem Zimmer auf den Arsch der Nachbarin einen runterzuholen, dabei war die weiß Gott nicht so scharf, wie der Junge meinte, aber das sagte Polo ihm nie.
Polo sagte nie irgendwas, wenn er sich mit dem Dicken besoff; er behielt schön für sich, was er wirklich über den Dicken und seine lächerlichen Fickfantasien mit Señora Maroño dachte, zumindest anfangs, bei ihren ersten Besäufnissen am Steg, als der Dicke hackedicht alle möglichen Widerlichkeiten zum Besten gab, stundenlang, völlig hemmungslos und mit Liebe zum Detail, welche Pornos er schaute oder wie oft am Tag er masturbierte oder was er mit Señora Marián anstellen würde, wenn er sie endlich zu fassen kriegte, ob sie wollte oder nicht, während Polo bloß schweigend nickte, in sich hineinlachte und unauffällig den Rum, den der Dicke spendiert hatte, zu drei Vierteln leerte, das Sabbermaul labern ließ und den Mund nur aufmachte, um seinen Plastikbecher anzusetzen und den Rauch der Zigarette in die Luft zu blasen, was wenigstens für einen Moment die Moskitos verscheuchte, die in dicken Schwaden über ihren Köpfen sirrten, ab und zu nickte er, damit der ...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Impressum
  3. Widmung
  4. Zitate
  5. Paradais
  6. Über die Autorin