Der Brandner Kaspar
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Der Brandner Kaspar

  1. 432 Seiten
  2. German
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Der Brandner Kaspar

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Über dieses Buch

Dass man den Tod überlisten kann und weiterleben darf, ist mehr als eine bayerische Geschichte; es ist ein uralter Menschheitstraum. Der Brandner Kaspar behandelt ein ewiges und großes Thema: Der Kaspar liebt seine Heimat so sehr, dass er sich nicht vorstellen kann, sie je zu verlassen. Als ihm aber vergönnt wird, ins Paradies zu schauen, erkennt er, dass im Jenseits das Spiegelbild der Seligkeit des Diesseits zu finden ist. Der Trost, der von dieser Vorstellung ausgeht, ist vielleicht ein Grund für die Faszination und den anhaltenden Erfolg der Geschichte vom Brander Kaspar. Kurt Wilhelm legt hier die umfangreiche Romanfassung des beliebten Stoffes vor.

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Information

Jahr
2021
ISBN
9783475549120

Die Jagd

Der Tag, an dem der Brandner Kaspar hat sterben sollen, war einer von jenen, an denen die Natur behaglich zu schmunzeln scheint, wo poetische Seelen davon schwärmen, wie schneeweiß die Wolken sind, wie angenehm frisch das Elf-Uhr-Lüftl von den Bergen herab weht, wie die Mittagssonne nicht gar so heiß sticht, wie die Wälder widerhallen vom bunten, emsigen Lärmen der Vögel, wie es zirpt und summt in Wiesen und Gründen, und Schmetterlinge zuhauf über die Blüten hin schaukeln.
Am Mittag noch war der Kaspar gänzlich gesund und springlustig und hat so viel Lazzi und G’spaß gemacht, dass ihn der Flori gefragt hat:
»Was ist denn, du bist ja heut gar so fidel? Gibt’s einen Anlass?«
»Grad den«, war die Antwort, »dass mich’s Leben unbändig g’freut. Des g’langt doch!«
Die kleine weite Welt um den See ist von stiller Beständigkeit. Das Altbewährte wird sorgsam bewahrt, das Neumodische argwöhnisch beäugt, ob man es überhaupt braucht und für was es gut sein soll. Ein jeglicher hat seinen Platz, ein jegliches Tun und jegliches Ding seinen einfachen Sinn.
Ein Durcheinander und elendes Lärmen gibt es in dieser Zeit der neuen Maschinen und Eisenbahnen nur in den Städten. Ja, vier Stunden entfernt, in München drin, da rasseln die Fuhrwerke, eines am anderen, und fahren einander in die Quere, da schreien und fluchen die Kutscher wie die Kutscher, plärren Hausierer, streiten Bettelweiber, gießt man Unrat aus den Häusern in die Rinnsteine, hämmern und wuchten Handwerker an ihrem Zeug den lieben langen Tag und die halberte Nacht, und unaufhörlich tappen Leute scheinbar ziellos hierhin und dorthin, mit schallenden Sohlen über die buckligen Kopfsteinpflaster. Uhren und Glocken schlagen von den Türmen eine jegliche Viertelstunde, das Militär marschiert mit klingendem Spiel, es ist ein ständiges Schwätzen und Hasten, und immer gibt es etwas zum Schauen, zum Hören, nie ist Ruh, und man muss sich seine Behaglichkeit suchen.
Am Tegernsee rasselt halt ein-, zweimal am Tag ein Stellwagen oder ein Landauer von Gmund aus mit trabenden Rössern die Uferstraße entlang und bringt ein paar Sommergäste nach Bad Kreuth hinter zur Molkenkur. Es ist rundum so still, dass man am Ufer die Stimmen der Fahrgäste draußen über das Wasser vernehmen kann, wenn das kleine Dampfboot auf dem See herum schinakelt.
Freilich krähen die Hähne sich von aller Herrgottsfrüh an heiser, brüllt vor dem Füttern und Melken das Vieh, hört man den Hufschlag der einzelnen Reiter oder gar einer Kavalkade weithin. Fuhrwerke knirschen auf sandigen Wegen, beim Marmorbruch am Lohbach, hinten am Ringberg, kracht dann und wann eine Sprengung, deren Echo lange durchs Tal rollt, und auf dem Sixtnhof bei Finsterwald drüben quietscht gottserbärmlich die alte Wasserpumpe, wenn man die Tröge füllt für die Fackein, das Vieh und die großen Gemüsebeete. Aber sonst, und abgesehen davon, herrscht eine weite Stille. Die Einheimischen sind sie gewohnt, und den Stadtfräcken ist sie ein Labsal. Dann und wann freilich wird’s lauter, so wie heute, wo eine Hofjagd die Idylle verscheucht. Da sind alle versammelt, die es angeht, die teilnehmen und helfen, und sie wuseln voll Eifer durcheinander.
Das zweite Treiben ist am Spätnachmittag. Die Hunde haben das Wild bestätigt, verbellen und kreisen es ein, Jagdhörner tönen rundum, die es zum See lenken müssen, und der Kaspar spürt und weiß es, diesmal kommt der Hirsch nicht mehr aus, wie heut in der Früh, wo ein paar Deppen nicht Obacht gegeben haben, und er ist ihnen hinaus durch die Kette und hinauf in das Dickicht, versteckt und verloren für den Moment.
Das war eine böse Blamage, wo er doch dem alten, schon etwas wackligen König angesagt und versprochen war. Der Prinz Carl hat recht unglücklich dreingeschaut, und der Herr Königliche Advokat Dr. Senger hat den Brandner beiseite genommen:
»Was meinen S’, derwisch ma den noch?«
»Man müsst suchen«, hat der Kaspar erwidert. »Ich kunnt mir eppa scho denken, wo dass er naus is.«
»Tun Sie uns den Gefallen? Wenn einer ihn findet, dann Sie mit Ihrem tüchtigen Söllmann.«
Da ist der Kaspar in der Mittagszeit, während die Herrschaften zum Picknick gelagert waren, mit seinem Leithund, dem Söllmann, über die Holzeralm den Kogel hinauf. Er hat fleißig geschaut, wo Zweigerln von dem fliehenden Hirschen geknickt worden waren, der Söllmann hat bald die Witterung gehabt und die Fährte lautlos verfolgt, bis er mit einem kurzen Bellen angesprochen hat. Der Brandner hat sich niedergebeugt und das frische Fädlein betrachtet, den dünnen Erdstreifen, der zwischen den Schalen des Hirsches emporgedrückt wird. Kein Zweifel, der Tritt war noch jung, der Hirsch ist ausgemacht, er muss in der Nähe sein. Der Brandner war nicht grad begeistert, dass der fremde König den Napoleon bekommen sollte, aber um der Herrschaft die Freud nicht zu verderben, hat er es unten gemeldet und angezeigt, wo man die Treiberkette erneuern und frisch aufstellen kann.
Gegen Abend zu ist dann der Hirsch aus dem Dickicht gescheucht. Er stürmt talzu, verfolgt vom Bellen der Meute und den Rufen ›Tajo!‹ und ›Harro!‹ der Treiber, die sein Kommen ankünden. Jeden Augenblick muss er im Blickfeld des Brandner auftauchen, an ihm vorbei hinunter zur Fürlege hetzen, wo die Jagdgesellschaft schussbereit harrt. Der ist so gut wie Halali.
Weiter oben brechen zwei Schüsse. Kann es da einer nicht derwarten, wo der Schuss doch dem König der Belgier gebührt, keinem sonst? Der Brandner tritt ärgerlich aus dem Gebüsch auf die Lichtung, will nach dem Rechten sehen, läuft ein paar Schritte –
Da geschieht es. Das soll der Moment seines Todes sein. Er hört den Schuss schallen, ganz nah, eh er ihn wie ein Peitschenschlag am Kopf trifft und ihn umwirft. Im Fallen vermeint er, es dauere eine Ewigkeit, bis er den Boden erreicht, und während des schnellen, langsamen Sturzes jagen allerhand Bilder aus seinem Leben vorbei. Dann wird es ihm gänzlich schwarz vor dem Blick. Er liegt auf seinem Gesicht, seine Augen sind zu, und doch erkennt er ganz deutlich, wie und wo er da liegt, so, als stünde er aufrecht daneben und blicke von oben auf sich hinab. Zwischen ihm und der Welt sind auf einmal dicke gläserne Wände errichtet, die alles verzerren, verziehen, und durch die kein Laut dringt. Mit dem Peitschenschlag ist es um ihn stumm und still, starr und betäubt, und vor seinem unwahren Blick regt sich kein Ast und kein Blattl.
Doch – etwas bewegt sich! Eine schwarze Gestalt erhebt sich in der Entfernung aus dem Dicket und schreitet langsam herzu. Ein Jäger in dunkler Livree will sich forschend über ihn beugen, über ihn, der vermeint, sich selber da liegen zu sehen.
Der Kaspar möchte ihn anschreien: »Schaug net so loami, tu was und hilf«, da schwindet ihm diese unwirkliche Sicht von oben auf sich herab, wird blass und vergeht. Er kann seine wahren Augen wiederum öffnen, und sie sehen ganz nah vor sich die Steine, Gräser und das Moos des Waldbodens, auf den er gestürzt ist.
Er ist wieder bei Sinnen, er versucht aufzustehen, dreht den Kopf und erkennt über sich, schattenhaft gegen den weiß-blauen Himmel, wie ein Etwas einen schwarzen Mantel aufhebt, um ein Gesicht zu verbergen, und gleich sich auflöst und fort ist, als sei da niemand gewesen, sondern nur ein Schatten, ein Schemen, sonst nichts.
»Was is mir denn g’schehn? Warum hat’s mi hing’haut?«, will der Kaspar in seiner Wirrnis fragen und rufen: »Heda, ich bräuchert an Beistand!« Doch aus der Kehle kommt nur Gurgeln und Pfeifen, und gleich darauf fällt wieder Dunkel um ihn, seine Glieder strecken sich leer und schlaff, und der Söllmann, der ihn ängstlich umkreist hat, stupst den Leblosen mit der Schnauze und winselt.
An diesem Morgen hatte man sich früher versammelt als sonst bei Hofjagden mit erlauchten Gästen, denn die meisten der Teilnehmer waren nicht Sonntagsjäger, die den Schießprügel nur gelegentlich auf gut Glück handhaben, sondern des edlen Waidwerks Kundige. Jagdherr und Gastgeber war der Feldmarschall und Generalinspektor der Armee, Prinz Carl, der Halbbruder des gewesenen Königs, ein Reiter vor dem Herrn, der es an Jagderfahrung mit einem jeden aufnehmen kann. Mit von der Partie waren Mannsbilder, die gleich ihm das Leben in freier Natur der Stadtluft allezeit vorziehen:
Graf Arco-Zinneberg mit seinem Freund Franz von Kobell, Professor für Mineralogie. Der Advokat Dr. Senger, der sich oberhalb der ehemals gefürsteten Benediktinerabtei Tegernsee ein protziges Lustschlössl erbaut hat. Die Herren von Krempelhuber, von Stegmaier und Reichenbach aus dem Münchener Kaufherrenstande, Herr von Wydenbruckh und der Lord Ponsby, kurz alle jene, die in den letzten Jahrzehnten am Tegernsee, nahe der Gnadensonne des lange betrauerten ersten Königs von Bayern, Max des Ersten Joseph, und seiner sanften Gemahlin Caroline von Baden ein Sommer- und Jagddomizil sich errichtet hatten.
Die Jagd war zu Ehren Leopolds I., des bald sechzigjährigen Königs der Belgier. Der hohe Besuch, ein Spross des befreundeten Hauses Sachsen-Coburg-Gotha, war ein viel bewunderter, gerechtsamer Herr, ein wichtiger Mann unter den Herrschern Europas. Von großem Einfluss auf seine Nichte Victoria, die englische Königin, dem Hause Frankreich verwandt und den Bayern gewogen. Der Witwer war mit seiner siebzehnjährigen Tochter auf der Reise nach Wien, wo sie dem österreichischen Erzherzog Maximilian verlobt werden sollte. Der alte Herr war, bei allem Wohlwollen, nicht grad als ein exzellenter Schütze zu preisen. Man bot ihm daher nicht eine Pirsch wie einem echten Jäger, sondern eine jener althergebrachten Treibjagden, bei denen man sich nicht echauffieren muss, weil einem gewiss etwas vor die Flinte gebracht wird.
»Es wird eh a Trauerspiel«, hatte Graf Arco schon in aller Herrgottsfrüh beim hastig getrunkenen Kaffee zu Kobelln gesagt.
»Na, was denn. Ma kann ihm bloß brav zutreiben. Kommt daher, was mag, wir selber dürfen nix treffen, aus Höflichkeit.«
»Jedenfalls nicht, bis er einigermaßen a Strecke beinand hat, der Belgierpoldl.«
Kobell machte schmale Augen unter seinen großen, buschigen Brauen: »Das Beste wird sein, ich halt mich in seiner Näh, und wenn er abdruckt, schieß ich im selben Moment mit, damit wenigstens hie und da irgendwas umfallt. Er wird gewiss nit lang fragen, ob’s meine Kugel war oder die seine.«
»Hauptsach, er bringt überhaupts eine Strecke z’amm, na is er schon glücklich.«
»Stehen tät gnua im Revier. Ich hab gestern den alten Brandner gebeten, dass er vorsucht. Könnt sein, am End kommt sogar der Napoleon daher.«
Graf Arco musste lächeln. ›Napoleon‹ hatte der Brandner einen alten, rauflustigen Zwölfender getauft, der so unberechenbar war wie einst der Franzosenkaiser.
»Is der vom Fockenstoa abi zum Kogel g’wechselt?«
»Ja, die vorige Woch’.«
Bei der gestrigen Behangzeit am Abend hatte der Brandner mit seinem Söllmann die Abtritte des Napoleon ausgemacht und für die Treiber mit Verbruch aus Zweigen bezeichnet. Der gerissene alte Hirsch war nicht von jener edlen Rasse, die Graf Arco vor einiger Zeit angesiedelt hatte. Er hatte a...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Die Jagd
  6. Der Tod
  7. Das Leben
  8. Das Altern
  9. Die Schuld
  10. Das Fest
  11. Die Sühne
  12. Das Jenseits
  13. Der Schmerz
  14. Die Seligen
  15. Die Beschwerde
  16. Die Trauer
  17. Die Reise
  18. Die Ewigkeit
  19. Ubersetzung
  20. Latein