Der Oslo-Report
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Der Oslo-Report

Wie ein deutscher Physiker die geheimen Pläne der Nazis verriet

  1. 224 Seiten
  2. German
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Der Oslo-Report

Wie ein deutscher Physiker die geheimen Pläne der Nazis verriet

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Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

Eine unglaublich mutige Tat des politischen Widerstands eines Einzelnen gegen die Nazis.Acht Wochen nach dem Überfall Nazideutschlands auf Polen 1939 gingen zwei Briefe in der britischen Botschaft in Oslo ein. Der anonyme Verfasser beschrieb neue deutsche Waffensysteme und umriss die Ziele militärischer Forschungsprogramme der Wehrmacht. Der britische Geheimdienst fürchtete gezielte Desinformation. Doch ein junger Geheimdienstoffizier erkannte, dass die Informationen größtenteils zutreffend waren – und zum Vorteil der Alliierten genutzt werden konnten. Aber wer hatte den "Oslo-Report" geschrieben?Bis heute ist Hans Ferdinand Mayer, der Verfasser des Dokuments, kaum bekannt. Er riskierte alles und entkam nur knapp dem Tod im KZ. In diesem Buch zeichnet David Rennert die atemberaubende Geschichte des Oslo-Reports nach.

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Information

Jahr
2021
ISBN
9783701746408

1. Kapitel:

Ein Physiker für den Geheimdienst

Der Anruf aus Berlin kommt am 31. August 1939 gegen 16 Uhr. »Großmutter gestorben.« Auf diese Worte hat Alfred Naujocks in seinem Hotel im oberschlesischen Gleiwitz (polnisch: Gliwice) seit mehr als zwei Wochen gewartet. Sie sind das Startsignal für die bisher wichtigste Geheimoperation des 27-jährigen SS-Sturmbannführers. Naujocks hat sich im berüchtigten Sicherheitsdienst, dem Geheimdienst der SS, in den vergangenen Jahren einen Namen gemacht: Morde, Bombenanschläge und Spezialaufträge im Ausland sind das Metier des glühenden Nationalsozialisten. Die geplante Aktion in Gleiwitz ist von besonderer Tragweite, der Befehl dazu kommt von ganz oben. Reinhard Heydrich, der Chef des Sicherheitsdienstes, hat Naujocks persönlich damit beauftragt. Heute Abend soll es also wirklich beginnen.
Gleiwitz liegt nur wenige Kilometer von der polnischen Grenze entfernt. Nordwestlich der Stadt ragt der »Schlesische Eiffelturm« 118 Meter in die Höhe, ein Rundfunksender aus Holz, der ein wenig an das berühmte Wahrzeichen von Paris erinnert. Um Punkt 20 Uhr stürmt Naujocks mit sechs bewaffneten SS-Männern – alle als Zivilisten getarnt – das Stationsgebäude neben dem Sender. Die Angreifer schießen wild um sich, überwältigen das Personal der Radiostation und dringen in den Senderaum ein. Doch ihnen ist ein grober Fehler unterlaufen: Entgegen ihren Erwartungen sitzt hier kein Moderator am Mikrofon, der Sender Gleiwitz überträgt die Sendungen des Reichssenders Breslau. Zwar gibt es auch in Gleiwitz ein eigenes Radiostudio, doch das befindet sich am anderen Ende der Stadt.1
Der Auftrag, die laufende Sendung gewaltsam für eine dramatische Durchsage zu unterbrechen, steht auf der Kippe. Mit einiger Mühe finden Naujocks’ Männer aber schließlich doch noch eine Möglichkeit, ihre Botschaft in die Welt zu schicken: Es gibt ein »Gewittermikrofon«, über das Hörer informiert werden können, wenn es durch Unwetter zu Unterbrechungen im Sendebetrieb kommt. Jetzt brüllt einer der SS-Männer seine einstudierte Nachricht auf Polnisch und Deutsch in dieses Notmikrofon: »Achtung! Achtung! Hier ist Gleiwitz. Der Sender befindet sich in polnischer Hand … Die Stunde der Freiheit ist gekommen!«2
Dreister könnte die Lüge kaum sein. Naujocks’ Aktion in Gleiwitz ist nichts anderes als eine mörderische Inszenierung, die Deutschland einen Vorwand für den Überfall auf sein Nachbarland liefern soll. Die fingierte polnische Attacke auf den Sender ist eines von mehreren aufwendig vorbereiteten Täuschungsmanövern, welche die SS in dieser Nacht im deutsch-polnischen Grenzgebiet durchführt, um dem Angriffskrieg gegen Polen wenigstens den dünnen Anstrich einer Rechtfertigung zu geben. »Ich werde propagandistischen Anlass zur Auslösung des Krieges geben, gleichgültig, ob glaubhaft«, hatte Adolf Hitler seine Generäle nur Wochen zuvor wissen lassen. »Der Sieger wird später nicht danach gefragt, ob er die Wahrheit gesagt hat oder nicht.«3
Etwa vier Minuten dauert die gefälschte Radiodurchsage in Gleiwitz, am Ende rufen die SS-Männer »Hoch lebe Polen!« ins Mikrofon. Damit ist es aber noch nicht getan – ein Mord soll die Lüge glaubhafter machen, dass es sich um einen Überfall polnischer Aufständischer handelt. Schon am Vortag hat die Geheime Staatspolizei (Gestapo) zu diesem Zweck Franciszek Honiok verhaftet, einen Vertreter für Landmaschinen aus dem nahe gelegenen Ort Hohenlieben (Łubie), der für seine pro-polnische Haltung bekannt ist. Während drinnen noch die Durchsage läuft, wird Honiok, vermutlich betäubt, vor den Eingang des Sendegebäudes geschleppt und erschossen. Es soll so aussehen, als wäre er einer der Angreifer gewesen und bei einem Schusswechsel getötet worden.4
Dass der Großteil der Worte aus dem Gewittermikrofon aus ungeklärten Gründen gar nicht gesendet wird und kaum jemand live etwas von dem fingierten Überfall mitbekommt, spielt letztlich keine Rolle, die deutsche Propagandamaschinerie läuft davon unbeirrt auf Hochtouren. Schon gegen 22 Uhr senden andere Radiostationen erste Berichte über den »polnischen Angriff« in Gleiwitz, während die Gestapo die örtliche Polizei an der Untersuchung des Vorfalls hindert.5
Auch in Pitschen (Byczyna), nordwestlich von Gleiwitz, und im südlich gelegenen Hochlinden (Stodoły) kommt es in den folgenden Stunden zu inszenierten »Zwischenfällen«. Auch dort lässt die SS Tote zurück – Häftlinge aus dem KZ Sachsenhausen, die zum Tragen polnischer Uniformen gezwungen und anschließend ermordet werden. Es soll so aussehen, als hätten sogar reguläre polnische Soldaten Grenzverletzungen begangen. Hitler hat seinen »Anlass«. Kurz vor Sonnenaufgang nimmt das deutsche Schiff »Schleswig-Holstein« ein polnisches Munitionslager auf der Halbinsel Westerplatte bei Danzig unter Beschuss – und gibt damit den Startschuss für die deutsche Invasion. Gleiwitz wird bald nur noch eine Randnotiz sein im größten Krieg, den die Menschheit je erlebt hat. An Franciszek Honiok erinnert sich kaum jemand.
Alfred Naujocks erzählt 1963 in einem Interview mit dem »Spiegel« nicht ohne Stolz von seinem Einsatz und gibt offen zu, dass er den Angriff auf den Sender Gleiwitz angeführt hat: »Es handelte sich um eine hochpolitische Aufgabe, die befehlsgemäß durchgeführt wurde.«6 Es sollte nicht seine letzte sein. Keine zwei Monate nach dem Überfall auf Polen erhält der SS-Geheimdienstmann seinen nächsten großen Auftrag aus Berlin.

Das Ende der Beschwichtigung

»Ich spreche zu Ihnen aus dem Kabinettszimmer in 10 Downing Street.« Es ist kurz nach 11 Uhr vormittags am Sonntag, dem 3. September 1939 – und Neville Chamberlains Karriere hat ihren Tiefpunkt erreicht. Lange hat der britische Premierminister versucht, das nationalsozialistische Deutschland zu besänftigen und durch immer neue Zugeständnisse an Hitler einen Krieg abzuwenden. Doch seine Beschwichtigungspolitik ist offenkundig gescheitert: Die deutsche Wehrmacht hat vor zwei Tagen Polen überfallen, eineinhalb Millionen Soldaten sind blitzartig in das Land einmarschiert, begleitet von Tausenden Flugzeugen und Panzern. Eine Reaktion Großbritanniens ist unvermeidlich – und überfällig.
Während die deutschen Panzerkolonnen auf Warschau zurollen und Kampfflugzeuge der Luftwaffe polnische Städte bombardieren, spricht Chamberlain mit Grabesstimme ins Radiomikrofon: »Heute früh hat der britische Botschafter in Berlin der deutschen Regierung eine letzte Mitteilung übergeben, dass zwischen uns Kriegszustand herrschen würde, sollten wir nicht bis 11 Uhr hören, dass sie bereit sind, ihre Truppen aus Polen abzuziehen. Ich muss Ihnen jetzt mitteilen, dass keine Zusage bei uns eingegangen ist und sich dieses Land nun im Krieg mit Deutschland befindet.« Hitler habe alle Möglichkeiten zu einer friedlichen Einigung mit Polen ignoriert, sagt Chamberlain. Sein Vorgehen zeige, dass von diesem Mann nichts anderes mehr zu erwarten sei als »Gewalt zur Durchsetzung seines Willens. Er kann nur mit Gewalt gestoppt werden.«7
Der Weg zu dieser öffentlichen Einsicht ist weit gewesen. Deutschland hat sich in den vergangenen Jahren nicht nur in einen totalitären Terrorstaat verwandelt, in dem Jüdinnen und Juden Schritt für Schritt diskriminiert, ausgegrenzt, beraubt und entrechtet werden, in dem als »rassisch minderwertig« klassifizierte Menschen und politisch Andersdenkende brutaler Verfolgung ausgesetzt sind. Hitlers aggressive Expansionspolitik lässt auch keine Zweifel daran, dass er es mit dem Eroberungskrieg ernst meint, von dem er schon ein Jahrzehnt zuvor in seiner Hetzschrift Mein Kampf fantasierte. Von deutschem »Lebensraum im Osten« und »rücksichtsloser Germanisierung« ist da die Rede. Doch bis zu diesem 3. September 1939 hat Chamberlains Regierung alles darangesetzt, einem Konflikt mit Deutschland aus dem Weg zu gehen.
Diese Appeasement-Politik hat zwar zu teils scharfer Kritik geführt, ist aber lange Zeit auf breite Unterstützung in der britischen Öffentlichkeit gestoßen. Zwei Jahrzehnte nach den Schrecken des Ersten Weltkriegs ist die Vorstellung eines neuerlichen Waffengangs alles andere als populär – Wähler und Wählerinnen lassen sich mit Kriegsrhetorik und der Aussicht auf deutsche Luftangriffe sicher nicht mobilisieren. Und was hätte Großbritannien schon zu gewinnen? Das Empire ist 1918 als Sieger aus einem katastrophalen Krieg hervorgegangen, aber taumelnd. Die 1920er-Jahre sind im Kolonialreich sehr unruhig verlaufen: Seit 1918 hat es kaum ein Jahr istgegeben, in dem die Herrschaft des Vereinigten Königreichs in den Kolonien nicht durch Unabhängigkeitsbewegungen und Rebellionen infrage gestellt worden ist. Oft antwortete London mit brutaler Gewalt, manchmal vergeblich. Zu einem neuen großen Krieg ist man weder wirtschaftlich noch militärisch bereit – Stabilität und die Erhaltung des Status quo sind das oberste Gebot, wie es ein Stabschef der britischen Armee ausdrückt: »Wir sind uns alle einig – wir wollen Frieden, nicht nur weil wir ein zufriedenes und deshalb von Natur aus friedliches Volk sind. Sondern weil es im imperialen Interesse unseres überaus verwundbaren Reiches liegt, nicht in den Krieg zu ziehen.«8
Infolge der Weltwirtschaftskrise 1929 sind die britischen Rüstungsausgaben auf ein Minimum reduziert worden, während die deutsche Kriegsmaschinerie auf Hochtouren läuft. Die Erfahrung des Ersten Weltkriegs hat gezeigt, wie sehr sich die Kriegsführung gewandelt hat. Dass ein künftiger Konflikt eine Materialschlacht noch größeren Ausmaßes werden würde, zieht in den 1930er-Jahren niemand mehr in Zweifel – und darauf ist Großbritannien nicht vorbereitet.
Zudem mangelt es an verlässlichen Verbündeten für einen Krieg gegen Deutschland: Die USA setzen auf Isolationismus und beabsichtigten nicht, sich erneut militärisch in Europa zu engagieren. Frankreich ist mit schweren innenpolitischen Krisen beschäftigt, und bei aller Abscheu gegen die Nazis erscheint die kommunistische Sowjetunion vielen Angehörigen der britischen Oberschicht als die größere Gefahr für Europa. Also hat man Hitler gewähren lassen und in Kauf genommen, dass Deutschland in Mitteleuropa neuerlich zur Hegemonialmacht aufsteigen konnte. Im Gegenzug wollte man Hitler diplomatisch verpflichten und in internationale Verträge einbinden – so die Hoffnung.
Hitler verfolgt ganz andere Pläne. Schon 1935 erklärte Deutschland die Abrüstungsverpflichtungen, die ihm 1919 von den Siegermächten des Ersten Weltkriegs im Vertrag von Versailles auferlegt worden waren, offiziell für nichtig, daran gehalten hatte sich das Land schon vorher nicht. 1936 revidierte Hitler die Vertragsbestimmu...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Vorwort: Über dieses Buch
  6. Prolog: Hotel Bristol, Oslo 1939
  7. 1. Kapitel: Ein Physiker für den Geheimdienst
  8. 2. Kapitel: Briefe aus Oslo
  9. 3. Kapitel: Der Himmel über England
  10. 4. Kapitel: »Operation Hydra«
  11. 5. Kapitel: Falsche Fährten
  12. 6. Kapitel: Von der Front an die Universität
  13. 7. Kapitel: Licht und Schatten in Berlin
  14. 8. Kapitel: Wendepunkt
  15. 9. Kapitel: Am Abgrund
  16. 10. Kapitel: Der Vorhang fällt
  17. Epilog: Unpolitische Wissenschaft?
  18. Dank
  19. Anhang
  20. Namenregister