Aber die Zeit fürchtet die Pyramiden
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Aber die Zeit fürchtet die Pyramiden

Die Wissenschaften vom Alten Orient und die zeitliche Dimension von Kulturgeschichte

  1. 275 Seiten
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Aber die Zeit fürchtet die Pyramiden

Die Wissenschaften vom Alten Orient und die zeitliche Dimension von Kulturgeschichte

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Über dieses Buch

Die zeitliche Dimension von Kulturgeschichte wurde lange Zeit durch die Schilderungen der Bibel, ergänzt um die Darstellung klassischer Autoren bestimmt. Mit dem frühneuzeitlichen Aufkommen der Naturwissenschaften bildete sich allmählich ein alternatives Paradigma heraus, das religiöse Gewissheiten in Frage stellte und geistige und geistliche Autoritäten herausforderte. Im Rahmen dieser weltanschaulichen Auseinandersetzung erhofften sich beide Seiten Unterstützung durch die Erkenntnisse der sich zum Ende des 18. Jahrhunderts ausbildenden Altertumswissenschaften. Ihre Vertreter waren sowohl durch die Verfahren des kritischen Quellenstudiums geprägt wie auch durch die Anwendung naturwissenschaftlicher Untersuchungsmethoden.

Dabei verlief die Entwicklung von einer "biblischen Chronologie" hin zu naturwissenschaftlich und durch historische Belege gesicherten Geschichtsschreibung keineswegs linear und einseitig. Gerade aufgrund der doppelten Prägung früher Altertumswissenschaftler durch religiöse Weltbilder und die Schulung in (natur-)wissenschaftlichem Denken, entstanden immer neue Vorstellungen und Konzepte über das Alter menschlicher Kultur.

Der Band setzt sich in mehreren wissenschaftshistorischen Fallstudien mit diesen Entwicklungen auseinander.

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Information

Jahr
2022
ISBN
9783110760231

II Fallbeispiele

1 Revolution der Chronologie – der Dendera-Zodiak in Paris

[L]es études égyptiennes creusent les fondements de la religion et détruisent les autorités de la Bible.
Giulio Cordero di San Quintino
Am Wüstenrand auf der linken Seite des Nils gelegen, befindet sich etwa 4 km von dem auf dem gegenüberliegenden Ufer entstandenen modernen Ort Qena in Oberägypten entfernt der Tempel von Dendera. Dieser ist der altägyptischen Göttin der Liebe und Freude, Hathor, geweiht, die entweder in Gestalt einer Kuh oder auch menschengestaltig z. T. mit Kuhohren dargestellt wird. Auch wenn sich der Kultbetrieb bis in die Zeit des Alten Reiches unter der Herrschaft des Pharao Cheops aus der vierten Dynastie – also zur Mitte des 3. Jtsd. v. Chr. – zurückverfolgen lässt, stammen die bis heute dort erhaltenen Tempelanlagen aus ptolemäisch-römischer Zeit.164 Der Haupttempel wurde unter der Regierung von Ptolemaios XII. Auletes (= dem Flötenspieler) begonnen und auch unter dessen Nachfolgern, u. a. Kleopatra VII., weitergebaut. Unter deren Ko-Regentschaft mit ihrem minderjährigen Sohn Caesarion wurde der Tempel im Jahr 42 v. Chr. offiziell eingeweiht. Aufgrund der politisch wechselhaften Verhältnisse zum Zeitpunkt seiner Errichtung wurden die Kartuschen, welche üblicherweise den Namen des regierenden Königs enthielten, in den Tempelinschriften leer belassen bzw. nie ausgefüllt. Dieser Umstand ist für die im Folgenden geschilderten Ereignisse von erheblicher Bedeutung, welche auch deutlich werden lassen, wie sehr die Wissenschaftsgeschichte mitunter von Zufällen und Irrtümern abhängt.165
Nachdem der Tempel jahrhundertelang, ebenso wie viele andere Monumente aus pharaonischer Zeit, weitgehend unter dem Sand der ägyptischen Wüste begraben gewesen war, begann mit der Ägyptenexpedition Napoleon Bonapartes (1769 – 1821) im Jahr 1798 ein neues Zeitalter der Erforschung ägyptischer Altertümer. Zwar war das Land der Pharaonen nie völlig in Vergessenheit geraten, aus den Texten klassischer Autoren wie Herodot, den Schilderungen der Bibel als auch den Schriften muslimischer und jüdischer Gelehrter bekannt und hatten sich europäische Gelehrte bereits 200 Jahre zuvor mit der Entzifferung altägyptischer Hieroglyphen befasst.166 Doch läutete der nunmehr unmittelbare imperiale Zugriff auf die Denkmäler im Lande einerseits, vor dem Hintergrund der geistesgeschichtlichen Veränderungen der Aufklärung andererseits eine neue Ära der Auseinandersetzung mit diesem Forschungsgegenstand ein.
Die Anfänge der modernen Ägyptologie sind dabei unzweifelhaft im Kontext einer europäischen Aneignung des modernen als auch antiken Ägyptens zu verorten – mit allen daraus folgenden Implikationen, die im weitesten Sinne mit dem Begriff des Orientalismus beschrieben werden können: Die europäischen Eroberer des Landes stilisierten sich selbst als Befreier der Ägypter von der als rückständig betrachteten Herrschaft der Osmanen bzw. Mamelucken. Weiterhin sahen sich die Franzosen als Vertreter der Errungenschaften der Revolution und der lumières in Europa und wollten dadurch den ‚Orient‘ gewissermaßen ‚erleuchten‘.
Auch wenn Napoleon in Begleitung von 150 Forschern und Künstlern ins Land gekommen war, verfolgte er primär die militärische Eroberung des Landes und seine strategischen Ziele im Kampf gegen Großbritannien. Die wissenschaftliche Erkundung fand also unter den erschwerenden Bedingungen eines Feldzuges statt. Die Aufnahme durch die einheimische Bevölkerung war alles andere als freundlich, schließlich machten die selbsternannten Befreier auch keinen allzu guten Eindruck. Der Gelehrte Abd al-Rahman al-Jabarti (1753 – 1825) schilderte eindrücklich seine zwar durchaus differenzierenden, im Ganzen aber wenig positiven Eindrücke von diesen selbsternannten Vertretern der europäischen Aufklärung.167 Diese wiederum fühlten sich zunehmend frustriert durch die vermeintliche Unbelehrbarkeit der Ägypter und den Kontrast des zeitgenössischen Ägyptens gegenüber ihren Vorstellungen von der einstigen Größe und Pracht des Pharaonenreiches, auf welches sie zudem ihre Vorstellungen eines idealen Staatswesens projizierten. Dieses untergegangene Ägypten dem Vergessen und auch der vermeintlichen Ignoranz der gegenwärtigen Bewohner des Nillandes zu entreißen, machten sich die savants zur Aufgabe und zu einer Mission des revolutionären Frankreichs.
Einer dieser Gelehrten war Dominique-Vivant Denon (1747 – 1825), der sich – teilweise wörtlich – mitten im Kampfgetümmel um die ‚Aufzeichnung‘ der Ereignisse und Entdeckungen der napoleonischen Ägyptenexpedition bemühte und später einen – allerdings wohl etwas geschönten – Bericht seiner Erlebnisse veröffentlichte.168 Sowohl die durch militärische Notwendigkeiten beeinträchtigten Arbeitsbedingungen als auch die zeitnahe Veröffentlichung nach Ende der Expedition spielen für die Einschätzung von Denons Arbeiten eine wichtige Rolle, bzw. sie lassen einige der später zu erörternden Defizite seiner Dokumentation altägyptischer Denkmäler verständlich werden. An dieser Stelle soll jedoch zunächst sein Aufenthalt im Tempel von Dendera ausführlicher geschildert werden.
Der Gelehrte war dem General Louis Charles Antoine Desaix beigeordnet worden, welcher den Auftrag hatte, die geflohenen Mameluckenführer oder Beys nach Oberägypten zu verfolgen. Unter diesen Voraussetzungen konnte Denon dem Tempel von Dendera auch erst bei einem zweiten Besuch mehr Aufmerksamkeit widmen. Mit einer Gruppe von 30 Mann brach er früh morgens von dem nahegelegenen Dorf, wo sie die Nacht verbracht hatten, auf, um so viel als möglich von dem Tempel zu zeichnen. Im vollen Bewusstsein um seine eingeschränkten – v. a. zeitlichen – Ressourcen begab sich Denon direkt zum Tempeldach in einen darauf befindlichen Kapellenbau:
Mon temps ne pouvait être que très limité; je commençai donc par ce qui était en quelque sorte l’objet de mon voyage, le planisphère céleste, qui occupe une partie du plafond du petit appartement bâti sur le comble de la nef du grand temple.169
Die Arbeitsbedingungen waren alles andere als vorteilhaft: Der Innenraum war dunkel und die Decke, mit ihrer reichen und detaillierten Gestaltung mit Hieroglyphen, niedrig, so dass man schwer einen guten Gesamtüberblick von ihrem Dekor und den Darstellungen gewinnen konnte. Davon ließ sich der 51-jährige Denon jedoch nicht abschrecken und schilderte später seinen heroischen Einsatz:
Rien ne m’arrêta; la pensée d’apporter aux savants de mon pays l’image d’un bas-relief égyptien d’une telle importance me fit un devoir de souffrir patiemment le torticolis qu’il me fallait prendre pour le dessiner.
Im flackernden Licht der mitgebrachten Öllampen und dem wenigen Sonnenschein, der nur eine bestimmte Zeit am Tag lang von außen in den Kapelleninnenraum hineinfiel, zeichnete er die Deckengestaltung und vermaß in der verbleibenden Tageszeit das Gebäude. Auch wenn zu diesem Zeitpunkt noch niemand Hieroglyphen lesen konnte und Denon die Darstellungen der Hathor für solche der Göttin Isis erachtete, bildete er sich gleichwohl eine Meinung zu der wissenschaftlichen Bedeutung der von ihm dokumentierten Darstellungsinhalte:
Il est bien difficile d’arrêter une pensée sur ce que pouvait être ce petit édifice si bien soigné dans ses détails, orné de tableaux si évidemment scientifiques; il paraît que ceux des plafonds sont relatifs au mouvement du ciel, et ceux des murailles à celui de la terre, aux influences de l’air, et à celles de l’eau.170
Für Denon stand fest: „[Ce] zodiaque […] prouvait d’une manière si positive les hautes connaissances des Égyptiens en astronomie!“171
Denons Zeichnungen sollten die ersten sein, die in Frankreich veröffentlicht wurden, sie blieben aber nicht die einzigen und auch der Tierkreis oder Zodiak von Dendera selbst hatte eine Reihe von bereits damals bekannten Parallelen, u. a. im ebenfalls ptolemäerzeitlichen Chnum-Tempel von Esna, der ebenfalls in Oberägypten gelegen ist. Dennoch kommt der Publikation jenes Denkmals durch den 1802 zum Directeur Général du Musée Central des Arts (ab 1804 Musée Napoléon), dem heutigen Louvre, ernannten Gelehrten eine zentrale Bedeutung zu. Durch die 1802 erfolgte zeitige Erstveröffentlichung sowie die Autorität des Verfassers, und begünstigt durch bereits herrschende Vorstellungen von dem hohen Stand der Astronomie in den Kulturen des alten Orients, erlangten aber nicht nur die Zeichnungen, sondern auch ihre Deutung einen besonderen Stellenwert.
Auf dem Weg zurück von Oberägypten nach Alexandria war Denon einer weiteren Gruppe französischer Gelehrter begegnet, unter denen sich auch zwei junge Absolventen der École Polytechnique befanden: Jean-Baptiste Jollois (1776 – 1842) und René Edouard Devilliers (1780 – 1855), die 1809 ebenfalls ihre „Recherches sur les bas-reliefs astronomiques des Égyptiens“ als Teil der „Description de l’Égypte“ veröffentlichen sollten, wobei allerdings gerade die Tafeln mit der Abbildung des Zodiak von Dendera erst 1817 publiziert wurden.172 Zu Recht weisen Jed Buchwald und Diane Greco Josefowicz auf den generational divide zwischen dem 51-jährigen Denon und den 23- bzw. 19-jährigen jüngeren Kollegen hin, der sich hier in Ägypten offenbarte:
The stylistic differences between Denon’s drawin...

Inhaltsverzeichnis

  1. Title Page
  2. Copyright
  3. Contents
  4. Vorwort
  5. I Einleitung
  6. II Fallbeispiele
  7. III Schluss
  8. IV Anhang
  9. 6 Register