1 EinfĂŒhrung
Die KomplexitĂ€t und Mannigfaltigkeit der Schöpfung sollten vermuten lassen, dass die Menschen â ein bedeutender Teil dieser Schöpfung â PluralitĂ€t per se als Bereicherung betrachten. Doch entgegen dieser wohlmeinenden Annahme sieht die RealitĂ€t oft anders aus. Aus unterschiedlichen GrĂŒnden wird Vielfalt â insbesondere in ihrer religiös-weltanschaulichen AusprĂ€gung â zunehmend als ein kĂŒnstlich herbeigefĂŒhrter und falsch verstandener Toleranz geschuldeter Zustand wahrgenommen, der die eigene kulturelle und religiöse IdentitĂ€t bedroht und daher eigentlich zu ĂŒberwinden sei.
Wie wenig selbstverstĂ€ndlich ein wertschĂ€tzender Umgang mit PluralitĂ€t bzw. mit religiös-weltanschaulicher Vielfalt ist, zeigt sich auch daran, dass deren Ablehnung mittlerweile auch in freiheitlich-demokratischen Gesellschaften im Zunehmen begriffen ist. Dies wiederum deutet darauf hin, dass eine Haltung, die ein friedliches und wertschĂ€tzendes Miteinander in einer pluralen Gesellschaft gewĂ€hrleistet, durch Reflexions- und SelbstĂŒberwindungsprozesse erst angeeignet und dann kontinuierlich gepflegt werden muss.
Eine wesentliche Rolle bei der Gestaltung eines wertschÀtzenden Umgangs mit PluralitÀt kommt naturgemÀà den Religionen zu, die angehalten sind, der wachsenden religiös-weltanschaulichen Vielfalt in unserer Gesellschaft mit neuen und theologisch fundierten Konzepten zu begegnen. Denn entgegen der apologetischen Behauptung, dass die Religionen an sich pluralistisch seien, gilt:
In jeder der groĂen Religionen finden sich recht unterschiedliche Einstellungen zur religiösen Vielfalt. Diese Unterschiede betreffen sowohl die Frage, wie man diese Vielfalt aus der Perspektive der Glaubenslehren der jeweiligen Religionen deuten soll, als auch den praktischen Umgang mit ihr.1
Daraus den Schluss zu ziehen, dass es den Religionen grundsĂ€tzlich an PluralitĂ€tsfĂ€higkeit fehle, wĂ€re freilich genauso falsch wie das Beharren auf dem Gegenteil. Allerdings ist ein wertschĂ€tzender Umgang mit PluralitĂ€t â anders als manche meinen â kein in den religiösen Quellen eindeutig festgeschriebenes Gebot, das bloĂ auf seine Entdeckung wartet. Ganz im Gegenteil bedarf es einer besonderen Geisteshaltung und hermeneutischen Geschicks, um religiös-weltanschauliche Vielfalt aus religiöser bzw. theologischer Perspektive heraus zu begrĂŒnden. Zahlreiche Beispiele von religiöser Intoleranz gegenĂŒber AndersglĂ€ubigen und Andersdenkenden in Geschichte und Gegenwart offenbaren die ambivalente Natur der Religionen und verweisen zugleich auf die Notwendigkeit eines angemessenen, kontextuellen Herangehens an die religiösen Quellen, das allein die Möglichkeit eröffnet, eine wertschĂ€tzende Haltung gegenĂŒber religiös-weltanschaulicher Vielfalt aus den eigenen Quellen heraus zu entwickeln.
Um diese Anstrengung kommen natĂŒrlich auch die Islamische Theologie und ReligionspĂ€dagogik nicht herum. Besonders in religiös-weltanschaulich pluralen Gesellschaften wie den europĂ€ischen braucht es theologische und religionspĂ€dagogische Konzepte, auf deren Grundlage PluralitĂ€t als natĂŒrliche Bereicherung begriffen und aus der theologischen Binnenperspektive begrĂŒndet werden kann. Denn auch wenn â infolge der verstĂ€rkten interreligiösen Zusammenarbeit der letzten Jahre, aber auch aufgrund der Zunahme von religiös motivierten Gewalttaten radikalisierter muslimischer Jugendlicher â die Frage nach einem wertschĂ€tzenden Umgang mit religiös-weltanschaulicher PluralitĂ€t immer öfter auch von Muslim*innen selbst aufgeworfen wird und klassische Positionen der Islamischen Theologie, die als pluralitĂ€tshemmend gelten, immer mehr hinterfragt werden,2 sind ausgereifte theologische Konzepte weitgehend ausgeblieben â ein Umstand, der sich auch fĂŒr die Islamische ReligionspĂ€dagogik als verhĂ€ngnisvoll erweisen kann.3 Denn so wenig gravierend dessen Folgen fĂŒr kulturell und religiös-weltanschaulich homogene Gesellschaften sein mögen, fĂŒr eine plural verfasste Ordnung sind solche Konzepte ânotwendige Bedingung des Ăberlebensâ4. Gerade dem österreichischen Kontext, in dem konfessionell-kooperative Religionsunterrichtsmodelle erprobt werden und die theologische und religionspĂ€dagogische Ausbildung mancherorts interreligiös ausgerichtet ist, ja teilweise in Kooperation angeboten wird, wĂ€re ohne eine wertschĂ€tzende Haltung zur religiös-weltanschaulichen Vielfalt kaum Aussicht auf Erfolg beschieden.5
Demnach besteht eine der gröĂten Herausforderungen fĂŒr die Islamische Theologie und ReligionspĂ€dagogik im europĂ€ischen Kontext darin, besagten Mangel zu beheben â eben durch die Entwicklung von neuen Konzepten, die einen wertschĂ€tzenden Umgang mit DiversitĂ€t ermöglichen und diesen fördern. Dabei ist die Kultivierung einer solchen Haltung â bis hinein in die Lehrer*innenbildung und den Unterricht â alles andere als leicht, wird dieser Prozess doch durch viele Faktoren beeinflusst, die unterschiedlichen, ja teilweise sogar gegensĂ€tzlichen Interessen und Logiken folgen. So flieĂen in theologische und damit auch religionspĂ€dagogische Konzepte neben den institutionellen Vorgaben unterschiedliche erkenntnistheoretische, theologische und pĂ€dagogische, vor allem jedoch anthropologische Annahmen und AnsĂ€tze ein, denen unterschiedliche PrĂ€missen zugrunde liegen.
Da diese AnsĂ€tze, die allesamt die Einstellungen zur PluralitĂ€t prĂ€gen, auch Aufschluss ĂŒber die PluralitĂ€tsfĂ€higkeit von theologischen und religionspĂ€dagogischen Konzepten geben, gilt es, sie zunĂ€chst entsprechend zu wĂŒrdigen. Da aus verschiedenen GrĂŒnden nicht auf alle AnsĂ€tze eingegangen werden kann, liegt der Fokus dieses Beitrags auf den theologischen Voraussetzungen einer pluralitĂ€tsfĂ€higen islamischen Bildung als einer tragfĂ€higen Grundlage fĂŒr einen wertschĂ€tzenden Umgang mit religiös-weltanschaulicher Vielfalt.
Dazu sollen im ersten Schritt die vorhandenen theologischen ZugĂ€nge zur religiös-weltanschaulichen PluralitĂ€t in knapper Form dargestellt werden. Im darauffolgenden Abschnitt wird der Versuch unternommen, religiöse PluralitĂ€t aus der islamisch-theologischen Perspektive zu erlĂ€utern. Der letzte Teil widmet sich den notwendigen Voraussetzungen eines solchen Zugangs fĂŒr die Lehrer*innenbildung.