»Jüdische Mischlinge«
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Rassenpolitik und Verfolgungserfahrung 1933-1945

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»Jüdische Mischlinge«

Rassenpolitik und Verfolgungserfahrung 1933-1945

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Über dieses Buch

Am Vorabend der nationalsozialistischen Machtübernahme lebten rund 35.000 Mischehepaare im Deutschen Reich. Die Nationalsozialisten behandelten ihre rund 8000 jüdischen Nachkommen als Juden, die ca. 64.000 nichtjüdischen stigmatisierten sie als »Mischlinge ersten Grades«. Eine unüberschaubare Zahl von Anordnungen reglementierte fortan ihr Leben: Sie mußten Schulen und Universitäten verlassen, wurden aus dem öffentlichen Dienst und der Wehrmacht entfernt, erhielten keine Heiratserlaubnis. NS-Rasseideologen versuchten immer wieder, sie in die Vernichtungspolitik gegen die Juden einzubeziehen, und erwogen alternativ, sie zu sterilisieren oder zu ghettoisieren. Als die sogenannten Mischlinge 1943/44 zur Zwangsarbeit eingezogen wurden, fürchteten sie daher, nun das Schicksal der Juden zu teilen.Anhand bisher unbekannten Archivmaterials und vieler lebensgeschichtlicher Interviews zeichnet die Autorin die Verfolgung dieses Personenkreises nach. Sie untersucht die widersprüchlichen Integrations- und Ausgrenzungserfahrungen, die sogenannte Mischlinge in der deutschen Gesellschaft der NS-Zeit sammelten, bezieht die Verfolgung der Elterngeneration ein, befaßt sich mit den Möglichkeiten, aus der Verfolgung »auszusteigen«, spürt den vielen Diskriminierungen nach, die das Alltagshandeln beeinträchtigten, und analysiert die bis heute spürbaren lebensgeschichtlichen Auswirkungen.

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Information

Dritter Teil
Die nationalsozialistische „Mischlingspolitik“ in der Praxis – Maßnahmen und Reaktionen
I. Die „Mischlinge“ – Zahlen, Altersverteilung und soziales Profil
Die Schätzungen, wieviele „Halbjuden „in Deutschland lebten, klafften bis zur Volkszählung am 17. Mai 1939 weit auseinander. Die vom Zensus ermittelte Zahl von 72.738 bzw. 71.126 „Halbjuden“ (inklusive der „Geltungsjuden“) und 42.811 bzw. 41.456 „Mischlingen zweiten Grades“ lag zur Erleichterung der Rassenhygieniker recht niedrig.1 Abzüglich der „Geltungsjuden“ verblieben noch ca. 64.000 „Mischlinge ersten Grades“.2 Die jüdische Bevölkerung, die 1933 noch über 500.000 „Glaubensjuden“ betragen hatte, war zu diesem Zeitpunkt auf 330.539 Personen geschrumpft, die nach NS-Definition als Juden galten.3 Die Volkszählungsergebnisse konnten keine Aufschlüsse darüber geben, wie weit die „Rassenmischung“ in Deutschland vorangeschritten war, denn sie erfaßte die bereits vor 1939 emigrierten „Mischlinge“ und Mischehen nicht mehr. Zudem muß von einer Dunkelziffer durch verschleierte oder falsche Angaben ausgegangen werden. Doch selbst wenn dies berücksichtigt wird, erreichte die tatsächliche Zahl der „Mischlinge“ die geschätzten Größenordnungen nicht annähernd. „Es kann die durchaus erfreuliche Tatsache festgestellt werden, daß die Zahl der Juden durch Auswanderung erheblich abgenommen hat und daß die Zahl der jüdischen Mischlinge doch nicht so groß ist, als nach den bisherigen Schätzungen angenommen wurde“, konstatierte die Zeitschrift Der Erbarzt.4
Die Daten der Volkszählung von 1939 brachten genaue Hinweise auf Wohnortverteilungen, Alters-, Berufsstruktur und Familienstand der Bevölkerung. Gesondert ausgewiesen wurden diese Angaben zu den „Glaubensjuden“, „Nichtglaubensjuden“ (Blau) und „Mischlingen beider Grade“. Die Ergebnisse wurden in der Forschungsliteratur zur Judenverfolgung und zur „Mischlingspolitik“ bereits mehrfach ausgewertet.5
Bezogen auf die Gesamtbevölkerung machten die „Mischlinge ersten Grades“ 0,09%, die „zweiten Grades“ 0,05% aus.6 Allerdings konzentrierten sich die Nachkommen aus den Mischehen in den Großstädten7 und bestätigten damit die ideologischen Vorbehalte der nationalsozialistischen Machthaber, die die urbanen Zentren als Horte sexueller Freizügigkeit und Unmoral, der „Rassenmischung“ und politischer Unzuverlässigkeit ansahen. Auf Hamburg entfielen 4.428 „Mischlinge ersten Grades“ und 3.359 „Mischlinge zweiten Grades“. Ihr Anteil an der Hamburger Gesamtbevölkerung betrug 0,3 bzw. 0,2 v.H., lag also wesentlich höher als im Reichsdurchschnitt.8 Damit verzeichnete Hamburg nach Wien und Berlin reichsweit die dritthöchste Zahl der „Mischlinge“, während es in der Zahl der Juden erst an fünfter Stelle lag.9
Über neunzig Prozent der „Mischlinge“ gehörten einer christlichen Konfession an.10 Auch dies zeigte, daß die Mischehen Ausdruck der Assimilation der Juden waren und zur Integration in die Mehrheitsgesellschaft geführt hatten. Nur 9,9% der „Halbjuden“ und 1,2% der „Vierteljuden“ waren von ihrer Religionszugehörigkeit her Juden und wurden als „Geltungsjuden“ behandelt.
Unter den erfaßten „Mischlingen 1. Grades“ befanden sich Geburtsjahrgänge von 1845 bis 1939.11 Während für das Jahr 1845 nur eine einzige Person angegeben war, stiegen die Geburtenzahlen nach 1900 – mit kriegs- und politisch bedingten Schwankungen – auf über 1.000 monatlich an. Erst das Verbot der Mischehen 1935 ließ sie wieder unter die Tausendermarke fallen.
Die Alterspyramiden der jüdischen Bevölkerung und der „Mischlinge ersten Grades“ waren 1939 sehr unterschiedlich aufgebaut (Tabelle 10). Bei den „Mischlingen“ dominierten zwei Altersgruppen: Kinder zwischen 10 und 14 und Erwachsene zwischen 25 und 40 Jahren. Die höheren Altersgruppen hingegen, vor allem die der Rentner, waren eher klein. Dies hängt mit der Entwicklung der Mischehen zusammen, die erst im 20. Jahrhundert zu einer häufigen Erscheinung wurden. Auch wenn die – vermutlich nicht sehr große – Zahl der emigrierten „Mischlinge“ nicht festgestellt werden kann, wird aus der Altersgruppenverteilung deutlich, daß sich die „Mischlinge“ im Mai 1939 größtenteils im schulpflichtigen Alter bzw. in der Ausbildung befanden oder mitten im Erwerbsleben standen.
Zur selben Zeit hatte sich die Altersverteilung der jüdischen Bevölkerung bereits völlig verändert: Sinkenden Kinder- und Jungerwachsenenzahlen stand eine große Gruppe von über 50jährigen gegenüber, die 1939 zudem – das wird an der Erwerbstätigkeitsstatistik abzulesen sein – nicht nur altersbedingt, sondern vor allem durch die Verfolgungsmaßnahmen aus dem Berufsleben weitgehend ausgegrenzt war. Jüngere, leistungsstarke Jüdinnen und Juden hingegen waren emigriert, so daß eine ungleichgewichtige Altersverteilung mit einer großen Zahl zu versorgender Personen entstanden war.
Die Volkszählungsergebnisse wiesen neben 56.327 jüdischen Ehepaaren 19.114 Mischehen (im Sinne der Nationalsozialisten) aus. Zudem waren 1.098 Ehen zwischen Juden und „Mischlingen ersten Grades“ und 242 mit solchen „zweiten Grades“ erfaßt worden.12
Unter den „Mischlingen ersten Grades“ waren Frauen stärker vertreten als Männer. Beide Geschlechter weisen einen überproportional großen Anteil Lediger auf (siehe Tabelle 11). Dieser Anteil lag bei den Frauen – vermutlich wegen des niedrigeren Heiratsalters – etwas unter dem der Männer. Während – der Alterspyramide entsprechend – bei den „Glaubensjuden“ und den „Nichtglaubensjuden“ die Verheirateten überwogen,13 waren dies bei den „Mischlingen“ die Unverheirateten, eine Folge der restriktiven Handhabung der Ehegenehmigungen. Zur Zahl der Geschiedenen kann keine Vergleichszahl herangezogen werden, da keine Angaben über die Daten der Scheidung vorliegen.14 Allerdings liegt ebenso bei „Mischlingen zweiten Grades“ die Ledigenrate relativ hoch, obwohl auch bei ihnen die Altersgruppe der 25 bis 40jährigen in der Alterspyramide am stärksten vertreten war (gefolgt von den unter 14jährigen).15
Von den verheirateten „Mischlingen ersten Grades“ hatten 10.008 Ehen mit „Deutschblütigen“ geschlossen, 1.420 „Mischlinge ersten Grades“ hatten untereinander geheiratet. Die Mehrzahl der „Mischlinge zweiten Grades“, 4.910 Personen, hatte ebenfalls „Deutschblütige“ geheiratet.16
34,2% der „Mischlinge ersten Grades“ hatten keine Kinder, 30% ein Kind, 19,6% zwei Kinder, 16,2% mehr als zwei Kinder.17 Zwischen 1933 und 1939 wurden 5.289 „Mischlinge zweiten Grades“ geboren, von denen 779 jüdischen Gemeinden angehörten. Im selben Zeitraum hatten „Mischlinge zweiten Grades“ als Eltern 6.238 Kinder gezeugt, von denen nur 29 vom Religionsbekenntnis her jüdisch waren.18 In Mischehen war der Trend registriert worden, wenig oder keine Kinder zu zeugen, der vermutlich aus gewollter Geburtenbeschränkung resultierte: 42,2% waren kinderlos, 25,6% hatten ein Kind, 17,2% zwei und 15% drei und mehr Kinder.19 Im Gegensatz dazu lag die Zahl der Kinder bei den „Mischlingsehen“ höher: 34% waren kinderlos, 30% hatten ein Kind, 19,6% zwei, 16,2 drei oder mehr Kinder.20
Die „Mischlinge zweiten Grades“ wiesen von der Alterspyramide her – ähnlich wie die „ersten Grades“ die 25- bis 40jährigen als Hauptgruppe aus, gefolgt von den jünger als Vierzehnjährigen. Ihre Kinderzahl war fast deckungsgleich mit der der „Mischlinge ersten Grades“.21
Über die Erwerbstätigkeit der „Mischlinge“ kann nach der Volkszählung von 1933 (Tabelle 12) keine Aussage getroffen werden, weil diese nicht erfaßt wurden. Ihre Ergebnisse geben jedoch genaue Aufschlüsse über die Berufsverteilung der jüdischen Bevölkerung – mit einigen Einschränkungen im öffentlichen Dienst und den freien Berufen, die am 16. Juni 1933, als der Zensus durchgeführt wurde, bereits in Kraft getreten waren: Juden arbeiteten vorwiegend im Bereich Handel und Verkehr, gefolgt vom Sektor Industrie und Handwerk. An dritter Stelle lag – bis dahin noch– der öffentliche Dienst. In der Gruppe der Selbständigen ohne Beruf, die 1933 prozentual größer als die entsprechende Gruppe in der Gesamtbevölkerung war, waren vom eigenen Vermögen Lebende, Rentner, andere Leistungsempfänger, Heim- und Anstaltsinsassen und andere Berufslose zusammengefaßt. Diese Verteilung hatte sich am Stichtag 17. Mai 1939 (Tabelle 13) auffällig verändert: Hatte diese Gruppe 1933 ca. 20% der jüdischen Erwerbstätigen umfaßt, so stieg sie bis 1939 auf mehr als das Dreifache an, während die Zahl der erwerbstätigen Juden auf weniger als die Hälfte absank. In der Gesamterwerbsbevölkerung hingegen waren zwischen 1933 und 1939 nur leicht rückgängige Tendenzen im Bereich Forst- und Landwirtschaft und Handel und Verkehr zugunsten der an erster Stelle stehenden Abteilung Industrie und Handwerk auszumachen, doch bei den jüdischen „Erwerbstätigen“ dominierte 1939 die Gruppe derer ohne Beruf. Die Ausgrenzung der Juden aus Berufen und Wirtschaftszweigen sowie die Enteignung ihrer...

Inhaltsverzeichnis

  1. Einleitung
  2. Erster Teil
  3. Zweiter Teil
  4. Dritter Teil
  5. Vierter Teil
  6. Ausblick: Die Situation der als „Mischlinge“ Verfolgten nach 1945
  7. Zusammenfassung
  8. Tabellen
  9. Quellen und Literatur
  10. Abkürzungen
  11. Impressum